BGH, Beschluss vom 25. September 2024 - XII ZB 236/24
BUNDESGERICHTSHOF
vom
25. September 2024
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
FamFG § 303 Abs. 2 Nr. 1
a) Für die Beschwerdebefugnis naher Angehöriger nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG ist maßgeblich, ob das Rechtsmittel dem objektiven Interesse des Betroffenen dient. Es genügt, wenn der Rechtsmittelführer die Interessen des Betroffenen zumindest mitverfolgt (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 15. Juli 2020 XII ZB 147/20 FamRZ 2020, 1680).
b) Im Rahmen der Zulässigkeit der Beschwerde reicht es dabei schon aus, wenn der Rechtsmittelführer zumindest schlüssig behauptet, dass die angegriffene Entscheidung den Betroffenen in seinen Rechten verletzt.
BGH, Beschluss vom 25. September 2024 - XII ZB 236/24 - LG Neuruppin, AG Neuruppin
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. September 2024 durch den Vorsitzenden Richter Guhling, die Richter Prof. Dr. Klinkhammer und Dr. Botur und die Richterinnen Dr. Krüger und Dr. Recknagel
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 2 wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Neuruppin vom 24. April 2024 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Eine Festsetzung des Beschwerdewerts (§ 36 Abs. 3 GNotKG) ist nicht veranlasst.
Gründe:
[1] I. Der Sohn der Betroffenen (Beteiligter zu 2) wendet sich gegen die Verwerfung seiner Beschwerde in dem Betreuungsverfahren für seine Mutter.
[2] Die 1935 geborene Betroffene, die ihrem Sohn im Jahr 2015 eine Vorsorgevollmacht erteilt hatte, leidet nach den im amtsgerichtlichen Verfahren getroffenen Feststellungen an einer dementiellen Erkrankung und lebt in einer vollstationären Einrichtung. Im Juli 2023 regte die Einrichtung aufgrund erheblicher Zahlungsrückstände auf den Eigenanteil an den Heimkosten die Einrichtung einer Betreuung an. Das Amtsgericht hat den Beteiligten zu 1 zum berufsmäßigen Betreuer der Betroffenen bestellt. Mit seiner Beschwerde hat sich der Beteiligte zu 2 gegen die Einrichtung der Betreuung gewendet und hilfsweise das Ziel verfolgt, selbst zum Betreuer bestellt zu werden. Das Landgericht hat die Beschwerde des Beteiligten zu 2 verworfen. Hiergegen richtet sich seine Rechtsbeschwerde.
[3] II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
[4] 1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Beschwerdebefugnis des Beteiligten zu 2 folgt für das Verfahren der Rechtsbeschwerde bereits daraus, dass seine Erstbeschwerde verworfen worden ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 15. Juli 2020 XII ZB 147/20 FamRZ 2020, 1680 Rn. 4 und vom 8. Januar 2020 XII ZB 410/19 FamRZ 2020, 631 Rn. 4 mwN).
[5] 2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
[6] a) Das Beschwerdegericht hält die Beschwerde des Beteiligten zu 2 für mangels Beschwerdebefugnis unzulässig. Das gemäß § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG erforderliche objektive Interesse der Betroffenen an der Beschwerde sei von dem Beteiligten zu 2 weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Die Betroffene habe der Einrichtung einer Betreuung in dem Bewusstsein, dass ihr Sohn hiermit nicht einverstanden sei, eindeutig und mit rationalen Erwägungen zugestimmt. Vor diesem Hintergrund widerspreche die Beschwerde erkennbar den Interessen der Betroffenen. Der Beteiligte zu 2 habe der Betroffenen seit über einem Jahr nicht die benötigte Unterstützung zukommen lassen, und es seien Schulden in Höhe von 52.000 € aufgelaufen, welche der Beteiligte zu 2 trotz seiner vorgeblichen Bereitschaft, die Angelegenheiten der Betroffenen zu regeln, noch nicht einmal ansatzweise beglichen habe.
[7] b) Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Der Beteiligte zu 2 ist als am erstinstanzlichen Verfahren beteiligter Sohn der Betroffenen gemäß § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG berechtigt, im eigenen Namen Beschwerde gegen die amtsgerichtliche Entscheidung zu führen, mit der die Betreuung angeordnet worden ist.
[8] aa) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts hat der Beteiligte zu 2 mit seinem Rechtsmittel auch in dem von § 303 Abs. 2 FamFG geforderten Interesse der Betroffenen gehandelt. Dieses Tatbestandsmerkmal führt nur dann zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels, wenn der Rechtsmittelführer lediglich seine eigenen Interessen verfolgt. Maßgeblich für die Beschwerdebefugnis naher Angehöriger nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG ist daher, ob das Rechtsmittel dem objektiven Interesse des Betroffenen dient. Ausreichend ist, wenn der Rechtsmittelführer Interessen des Betroffenen zumindest mitverfolgt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 15. Juli 2020 XII ZB 147/20 FamRZ 2020, 1680 Rn. 9 und vom 8. Januar 2020 XII ZB 410/19 FamRZ 2020, 631 Rn. 11 mwN). Für die Zulässigkeit der Beschwerde reicht es dabei schon aus, wenn der Rechtsmittelführer zumindest schlüssig behauptet, dass die angegriffene Entscheidung den Betroffenen in seinen Rechten verletzt (vgl. Prütting/Helms/Fröschle FamFG 6. Aufl. § 303 Rn. 25).
[9] bb) Auf dieser rechtlichen Grundlage hat das Beschwerdegericht zu Unrecht angenommen, dass der Beteiligte zu 2 mit seiner Beschwerde keine Interessen der Betroffenen verfolgt und ihm deshalb keine Beschwerdebefugnis zusteht. Die Rechtsbeschwerde beanstandet zu Recht, dass das Beschwerdegericht Fragen der Zulässigkeit und der Begründetheit der Beschwerde in unzulässiger Weise miteinander vermengt hat.
[10] Der Beteiligte zu 2 hat mit seiner Beschwerdeschrift vorgetragen, dass die Betroffene der suggestiv gestellten Frage nach ihrem Einverständnis mit der Bestellung eines familienfremden Berufsbetreuers nur unter dem Eindruck der für sie angesichts ihrer dementiellen Erkrankung besonders belastenden Anhörungssituation zugestimmt habe. Entgegen den Mutmaßungen im amtsgerichtlichen Beschluss lehne die Betroffene eine Betreuung durch ihren Sohn nicht ab. Soweit sich der Beteiligte zu 2 mit diesen Ausführungen ersichtlich darauf berufen will, es entspreche nicht dem tatsächlichen Willen der Betroffenen, dass ihre Angelegenheiten durch einen familienfremden Betreuer besorgt werden, zielt seine Beschwerde im Interesse der Betroffenen jedenfalls auch darauf ab, den (vermeintlichen) Wünschen der Betroffenen im Betreuungsverfahren Geltung zu verschaffen. Dies reicht für die Zulässigkeit des Rechtsmittels aus. Soweit das Beschwerdegericht die diesbezüglichen Behauptungen des Beteiligten zu 2 bereits aufgrund der Feststellungen im Sachverständigengutachten und dem nach seiner Auffassung eindeutigen Inhalt des amtsgerichtlichen Anhörungsvermerks als widerlegt ansehen will, ist dies eine Frage der Beweiswürdigung, die sich erst im Rahmen der Begründetheit des Rechtsmittels stellen kann. Zur Begründetheit gehören auch die weiteren Erörterungen des Beschwerdegerichts, die sich auf die Defizite des Beteiligten zu 2 bei der Ausübung der Vorsorgevollmacht beziehen.
[11] 3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.
Guhling Klinkhammer Botur
Krüger Recknagel