BGH, Beschluss vom 26. August 2020 - XII ZB 158/18

13.10.2020

BUNDESGERICHTSHOF

vom

26. August 2020

in dem Verfahren betreffend

die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung in Ehesachen


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: ja

BGHR: ja


EGBGB Art. 5 Abs. 1 Satz 2, 6, 17 Abs. 2 Nr. 2; FamFG § 107; EUV 1259/2010 (Rom III-VO) Art. 8


Zur kollisionsrechtlichen Behandlung einer im Wege der einseitigen Verstoßung nach syrischem Recht durchgeführten Privatscheidung zweier deutsch­syrischer Doppelstaater (Rechtssache "Sahyouni").


BGH, Beschluss vom 26. August 2020 - XII ZB 158/18 - OLG München, PräsOLG München


Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. August 2020 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Prof. Dr. Klinkhammer, Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger und Dr. Botur

beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 34. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 13. März 2018 wird auf Kosten des Antragsgegners zurückgewiesen.

Wert: 5.000 €

Gründe:

A.

[1] Die Beteiligten schlossen am 27. Mai 1999 vor dem islamrechtlichen Gericht in Homs/Syrien die Ehe. Im Zusammenhang mit der Eheschließung verpflichtete sich der Ehemann (Beteiligter zu 1) in einem Ehevertrag gegenüber der Ehefrau (Beteiligte zu 2) zur Leistung einer Morgengabe, die in Höhe von 100.000 syrischen Pfund vorauszuzahlen und in Höhe von weiteren 500.000 syrischen Pfund gestundet war.

[2] Der 1943 geborene Ehemann war seit seiner Geburt syrischer Staatsangehöriger. Er erlangte im Jahr 1977 durch Einbürgerung zusätzlich die deutsche Staatsangehörigkeit. Auch die 1960 geborene Ehefrau war ursprünglich allein syrische Staatsangehörige; sie erwarb die deutsche Staatsangehörigkeit durch die Eheschließung.

[3] Die Beteiligten lebten bis zum Jahr 2003 gemeinsam in Deutschland und verzogen dann nach Syrien. Aufgrund des syrischen Bürgerkriegs kamen die Eheleute im Sommer 2011 erneut nach Deutschland. Spätestens im Februar 2012 verließen sie Deutschland wieder, hielten sich abwechselnd in Kuwait und Libanon auf und reisten zumindest zeitweise auch wieder nach Syrien. Die Beteiligten trennten sich im August 2012 während eines Aufenthalts in Libanon. Seit mehreren Jahren leben beide Beteiligte mit unterschiedlichen Wohnsitzen wieder in Deutschland.

[4] Am 19. Mai 2013 erklärte der Ehemann die Scheidung von der Ehefrau, indem sein Bevollmächtigter vor dem Scharia-Gericht in Latakia/Syrien die Scheidungsformel aussprach. Das geistliche Gericht stellte am 20. Mai 2013 die Scheidung der Beteiligten fest. Am 12. September 2013 unterzeichnete die Ehefrau eine von dem Bevollmächtigen des Ehemanns abgefasste Erklärung, in der sie bestätigte, durch den Empfang von insgesamt 20.000 US-Dollar wegen aller auf religiösen Vorschriften beruhenden Ansprüche abgefunden worden zu sein, die ihr gegen den Ehemann aufgrund des Ehevertrags von 1999 und aufgrund seines einseitigen Scheidungsverlangens zugestanden hätten.

[5] Der Ehemann hat am 30. Oktober 2013 die Anerkennung der in Syrien erfolgten Ehescheidung beantragt. Der Präsident des Oberlandesgerichts (im Folgenden: OLG-Präsident) hat diesem Antrag stattgegeben und festgestellt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung der Ehescheidung vorlägen. Dagegen hat sich die Ehefrau mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gewendet und um Aufhebung der Verwaltungsentscheidung gebeten. Der OLG-Präsident hat eine Abhilfe abgelehnt. Er hat die Ansicht vertreten, dass sich die Anerkennung einer Ehescheidung auch dann nach der Verordnung Nr. 1259/2010 des Rates vom 20. Dezember 2010 zur Durchführung einer verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts (im Folgenden: Rom III­Verordnung) richte, wenn die Auflösung der Ehe als Privatscheidung ohne konstitutive Mitwirkung eines Gerichts oder einer Behörde ausgesprochen worden sei. Mangels wirksamer Rechtswahl und mangels gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Ehegatten im Jahr vor der Scheidung sei das anzuwendende Recht nach Art. 8 lit. c. Rom III­VO zu bestimmen. Wenn beide Ehegatten die gemeinsame doppelte Staatsangehörigkeit besäßen, komme es gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 EGBGB auf die effektive Staatsangehörigkeit an. Diese sei zum Zeitpunkt der Scheidung im Mai 2013 die syrische Staatsangehörigkeit gewesen. Der Heimatrechtsvorrang (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB) zugunsten der deutschen Staatsangehörigkeit der Beteiligten sei nicht zu berücksichtigen. Auch Art. 10 Rom III-VO oder Art. 12 Rom III-VO stünden der Anerkennung der Scheidung nicht entgegen, weil die Ehefrau die Form der von dem Ehemann in Syrien initiierten Scheidung jedenfalls dadurch akzeptiert habe, dass sie von ihm 20.000 US-Dollar zur Abgeltung von Scheidungsfolgen angenommen habe.

[6] Im gerichtlichen Verfahren hat das Oberlandesgericht dem Europäischen Gerichtshof in zwei Vorabentscheidungsgesuchen unter anderem die Frage vorgelegt, ob der Anwendungsbereich der Rom III­Verordnung auch für die Fälle der sogenannten Privatscheidung ­ wie hier durch die einseitige Erklärung des Mannes vor einem geistlichen Scharia-Gericht ­ eröffnet sei (vgl. OLG München FamRZ 2015, 1613 ff. und FamRZ 2016, 1363 ff.). Der Europäische Gerichtshof, der sich in seiner ersten Vorabentscheidung für offensichtlich unzuständig erklärt hatte (vgl. EuGH Beschluss vom 12. Mai 2016 ­ Rs. C-281/15 ­ FamRZ 2016, 1137 Rn. 16 ff. ­ Sahyouni I), hat diese Frage in seiner zweiten Vorabentscheidung verneint (vgl. EuGH Urteil vom 20. Dezember 2017 ­ Rs. C-372/16 ­ FamRZ 2018, 169 Rn. 25 ff. ­ Sahyouni II).

[7] Mit dem hier angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht die Verwaltungsentscheidung des OLG-Präsidenten aufgehoben und den Antrag des Ehemanns auf Anerkennung der Scheidung des geistlichen Scharia-Gerichts in Latakia vom 20. Mai 2013 zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Ehemann mit seiner zugelassenen Rechtsbeschwerde. Er verteidigt die seinem Anerkennungsantrag stattgebende Verwaltungsentscheidung und erstrebt die Zurückweisung der im gerichtlichen Verfahren gestellten Anträge der Ehefrau.

B.

[8] Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

[9] I. Das Oberlandesgericht, dessen Beschluss in FamRZ 2018, 817 veröffentlicht ist, hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Die am 19. Mai 2013 ausgesprochene und am 20. Mai 2013 festgestellte Scheidung stelle eine Privatscheidung dar, die unter lediglich registrierender Mitwirkung einer ausländischen Behörde zustande gekommen sei. Die Anerkennungsfähigkeit der Scheidung richte sich ­ wie der Europäische Gerichtshof entschieden habe ­ nicht nach der Rom III­Verordnung. Der Gesetzgeber habe in der unzutreffenden Annahme, dass die Rom III­Verordnung auf Privatscheidungen unmittelbar anzuwenden sei, die bisherige nationale Kollisionsvorschrift zur Bestimmung des auf die Scheidung anwendbaren Rechts in Art. 17 Abs. 1 EGBGB aF mit Ablauf des 28. Januar 2013 außer Kraft gesetzt. Mangels kollisionsrechtlicher Regelung sei nunmehr offen, welches materielle Recht anwendbar sei. Eine analoge Anwendung der Rom III­Verordnung scheide aus. Die Regelungslücke sei vielmehr im Wege der Fortschreibung der Rechtslage nach Art. 17 Abs. 1 Satz 1 EGBGB aF dadurch zu schließen, dass das Scheidungsstatut dem Ehewirkungsstatut des Art. 14 EGBGB folge. Weil beide Beteiligte im Zeitpunkt der Ehescheidung zumindest auch die deutsche Staatsbürgerschaft gehabt hätten, bestimme sich das Scheidungsstatut wegen Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB nach deutschem Recht. Nach § 1564 Satz 1 BGB könne die Ehe nur durch eine gerichtliche Entscheidung geschieden werden; eine Privatscheidung sei dem deutschen Recht fremd. Eine Anerkennung komme daher nicht in Betracht, ohne dass es noch darauf ankäme, ob sich die Ehefrau gemäß § 109 Abs. 1 Nr. 2 FamFG darauf berufen könne, dass ihr im syrischen Scheidungsverfahren kein ausreichendes rechtliches Gehör gewährt worden sei.

[10] Dies hält rechtlicher Überprüfung im Ergebnis stand.

[11] II. Mit Recht ist das Oberlandesgericht von der Zulässigkeit des von dem Ehemann gestellten Anerkennungsantrags ausgegangen. Die von dem Scharia-Gericht in Latakia registrierte Scheidung der Beteiligten unterliegt dem inländischen Anerkennungsverfahren nach § 107 Abs. 1 Satz 1 FamFG.

[12] 1. Die in ihrem Anwendungsbereich für die Anerkennung einer ausländischen Ehescheidung vorrangige Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (im Folgenden: Brüssel IIa-VO) ist im vorliegenden Fall bereits deshalb nicht einschlägig, weil es um die Anerkennung einer in einem Drittstaat ausgesprochenen Scheidung geht (vgl. EuGH Beschluss vom 12. Mai 2016 ­ Rs. C-281/15 ­ FamRZ 2016, 1137 Rn. 22 ­ Sahyouni I).

[13] 2. Das Anerkennungsverfahren nach § 107 Abs. 1 Satz 1 FamFG ist grundsätzlich auch für sogenannte Privatscheidungen eröffnet.

[14] a) Dabei ist die Beurteilung des Oberlandesgerichts, dass es sich im vorliegenden Fall um eine Privatscheidung handelt, im rechtlichen Ausgangspunkt nicht zu beanstanden.

[15] aa) Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts gewährt das syrische Eherecht dem volljährigen Mann das uneingeschränkte Recht, sich von seiner Frau zu scheiden. Bei der Form der einseitigen Scheidung, die in Art. 85 ff. des syrischen Personalstatutgesetzes (syrPSG) in der Fassung von 31. Dezember 1975 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht [Stand: 15. Dezember 1980] Arabische Republik Syrien S. 11 ff.) geregelt ist, richtet der Mann seine Scheidungserklärung entweder mündlich oder in Schriftform (Art. 87 Abs. 1 syrPSG) an die Frau, die mit ihm in gültiger Ehe lebt oder sich in der Wartezeit nach einer widerruflichen Scheidung befindet (Art. 86 syrPSG). Die Scheidung erfolgt gemäß Art. 91 syrPSG in der Weise, dass der Mann gegenüber seiner Frau die Scheidungsformel ausspricht; dabei kann der Mann gemäß Art. 87 Abs. 2 syrPSG einen Dritten oder seine Frau zum Aussprechen der Scheidungsformel ermächtigen. Gelangt der Fall einer einseitigen Scheidung vor Gericht, so ist dessen Verfahren in Art. 88 syrPSG geregelt: Der Richter setzt die Verhandlung für die Dauer eines Monats aus, um den Parteien Gelegenheit zu einer Versöhnung zu geben. Beharrt der Mann nach Ablauf dieser Frist auf seinem Scheidungsverlangen, lädt der Richter die Parteien zu einem Anhörungstermin, wobei er sich zum Zwecke der Beilegung der Streitigkeiten und der Aufrechterhaltung der Ehe ihm geeignet erscheinender Verwandter der Eheleute oder dritter Personen bedienen kann. Scheitert der Aussöhnungsversuch, veranlasst der Richter nach Art. 88 Abs. 3 syrPSG die Registrierung der einseitigen Scheidung, die dadurch rückwirkend vom Zeitpunkt ihrer Vornahme wirksam wird.

[16] bb) Das Oberlandesgericht ist auf der Grundlage dieser Feststellungen zum syrischen Recht davon ausgegangen, dass es sich im vorliegenden Fall um eine solcherart einseitige Scheidung handelt, die nicht durch konstitutive Entscheidung einer staatlichen Stelle bewirkt, sondern von dem Ehemann durch die von seinem Bevollmächtigten ausgesprochene Scheidungsformel im Wege eines (einseitigen) Rechtsgeschäfts selbst herbeigeführt worden ist. Hiergegen erinnert die Rechtsbeschwerde nichts. Der rechtlichen Einordnung als Privatscheidung steht es unter diesen Umständen nicht entgegen, dass die Ordnungsmäßigkeit des rechtsgeschäftlichen Scheidungsakts in einem gerichtsförmigen Verfahren überwacht wird, welches seinerseits formalisierten Verfahrensvorschriften unterliegt (vgl. Senatsurteile BGHZ 176, 365 = FamRZ 2008, 1409 Rn. 34 und vom 2. Februar 1994 ­ XII ZR 148/92 ­ FamRZ 1994, 434, 435).

[17] b) Eine Privatscheidung unterliegt ­ unabhängig davon, ob sie auf einem einseitigen oder einem zweiseitigen Rechtsgeschäft beruht ­ dem Anerkennungsverfahren nach § 107 FamFG jedenfalls dann, wenn daran eine ausländische Behörde entsprechend den von ihr zu beachtenden Normen in irgendeiner Form, und sei es auch nur registrierend, mitgewirkt hat (vgl. Senatsbeschluss vom 28. November 2018 ­ XII ZB 217/17 ­ FamRZ 2019, 371 Rn. 15; vgl. zu Art. 7 § 1 Abs. 1 Satz 1 FamRÄndG: Senatsbeschlüsse BGHZ 110, 267, 270 = FamRZ 1990, 607, 608 und BGHZ 82, 34, 41 f. = FamRZ 1982, 44, 45). Eine solche Mitwirkung ist auch im vorliegenden Fall erfolgt, weil das Scharia-Gericht die am 19. Mai 2013 von dem Ehemann ausgesprochene Scheidung bestätigt und deren Wirkungen deklaratorisch festgestellt hat. Der Umstand, dass es sich hierbei um ein religiöses Gericht handelt, ist nach der zutreffenden Beurteilung des Oberlandesgerichts unschädlich, wenn es sich ­ wie hier ­ bei dem religiösen Gericht um eine mit staatlicher Autorität bekleidete Stelle handelt, die nach den ausländischen Gesetzen zur Entscheidung privatrechtlicher Streitigkeiten berufen ist (vgl. Senatsurteil BGHZ 176, 365 = FamRZ 2008, 1409 Rn. 30).

[18] 3. Schließlich steht es der Zulässigkeit des von dem Ehemann gestellten Antrags auf Anerkennung der in Syrien registrierten Scheidung auch nicht entgegen, dass die im Heimatstaat beider Ehegatten durchgeführten Auslandsscheidungen gemäß § 107 Abs. 1 Satz 2 FamFG vom obligatorischen Anerkennungsverfahren ausgenommen sind.

[19] a) Allerdings hat der Senat bereits ausgesprochen, dass das Privileg der sogenannten Heimatstaatsentscheidungen grundsätzlich auch für Privatscheidungen gilt (vgl. Senatsbeschluss vom 28. November 2018 ­ XII ZB 217/17 ­ FamRZ 2019, 371 Rn. 19; in zeitlicher Hinsicht differenzierend Wall StAZ 2020, 44, 48 ff.). Eine Anwendung von § 107 Abs. 1 Satz 2 FamFG ist aber von vornherein ausgeschlossen, wenn wenigstens einer der beiden Ehegatten neben der gemeinsamen Staatsangehörigkeit des ausländischen Entscheidungsstaats auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt (vgl. Senatsbeschluss vom 6. Oktober 1982 ­ IVb ZR 729/80 ­ FamRZ 1982, 1203, 1204 zu Art. 7 § 1 Abs. 1 Satz 3 FamRÄndG). Dabei hatte der Senat in seiner ­ vor dem Inkrafttreten von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB ergangenen ­ Entscheidung aus dem Jahr 1982 ausdrücklich offengelassen, ob es für diese Beurteilung auf die Effektivität der auch-deutschen Staatsangehörigkeit des Doppelstaater-Ehegatten ankommt.

[20] Diese auch von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene Frage ist mit der wohl überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum zu verneinen (vgl. OLG Frankfurt FamRZ 2019, 625; OLG Hamburg FamRZ 2014, 1563 f.; BeckOK FamFG/Sieghörter [Stand: 1. April 2020] § 107 Rn. 14; MünchKommFamFG/Rauscher 3. Aufl. § 107 Rn. 36; Haußleiter/Gomille FamFG 2. Aufl. § 107 FamFG Rn. 9; Musielak/Borth FamFG 6. Aufl. § 107 Rn. 8; Hausmann Internationales und Europäisches Familienrecht 2. Aufl. K Rn. 209; Bork/Jacoby/?Schwab/Heiderhoff FamFG 3. Aufl. § 107 Rn. 5; aA Staudinger/Spellenberg BGB [2016] § 107 FamFG Rn. 94 bei "ganz ineffektiver" deutscher Staatsangehörigkeit; vgl. auch Prütting/Helms/Hau FamFG 5. Aufl. § 107 Rn. 33). Zum einen liegt es durchaus nahe, der kollisionsrechtlichen Regelung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB einen allgemeinen Rechtsgedanken zu entnehmen, der auch für verfahrensrechtliche Fragen der Doppelstaatigkeit nutzbar gemacht werden kann. Zum anderen hat der Zweck des Anerkennungsverfahrens nach § 107 Abs. 1 Satz 1 FamFG, nämlich eine hinkende Beurteilung der im Ausland geschiedenen Ehe vor deutschen Gerichten und Behörden zu vermeiden (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 112, 127, 134 = FamRZ 1990, 1228, 1230), aus inländischer Sicht gerade für die eigenen Staatsangehörigen eine besondere Bedeutung.

[21] b) Im Übrigen würde selbst das Vorliegen einer Heimatstaatenentscheidung im Sinne von § 107 Abs. 1 Satz 2 FamFG es nicht ausschließen, wegen der Anerkennung einer ausländischen Entscheidung in Ehesachen ein fakultatives Feststellungsverfahren vor der Landesjustizverwaltung zu betreiben (vgl. Senatsbeschlüsse vom 3. April 2019 ­ XII ZB 311/17 ­ FamRZ 2019, 996 Rn. 11 und vom 28. November 2018 ­ XII ZB 217/17 ­ FamRZ 2019, 371 Rn. 20). Dies hatte der Senat bereits zum früheren Art. 7 § 1 Abs. 1 FamRÄndG entschieden (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 112, 127, 130 ff. = FamRZ 1990, 1228, 1229 f.), und es lässt sich aus den Materialien zur Reform des familiengerichtlichen Verfahrens kein Anhaltspunkt dafür finden, dass der Gesetzgeber durch die Verlagerung des Feststellungsverfahrens in § 107 FamFG an dem früheren Rechtszustand etwas ändern wollte (vgl. BT-Drucks. 16/6308 S. 222; vgl. OLG Schleswig FamRZ 2015, 76, 77).

[22] III. Der Anerkennungsantrag ist jedoch nicht begründet. Auf den statthaften (§ 107 Abs. 6 Satz 1 FamFG) und auch im Übrigen zulässigen Antrag der Ehefrau auf gerichtliche Entscheidung hat das Oberlandesgericht die Verwaltungsentscheidung im Ergebnis zu Recht aufgehoben und den Anerkennungsantrag des Ehemanns zurückgewiesen.

[23] 1. Für die Anerkennung einer Privatscheidung gilt nicht der eingeschränkte formelle Prüfungsmaßstab der §§ 108, 109 FamFG. Vielmehr ist die Anerkennungsfähigkeit einer ausländischen Privatscheidung nach ständiger Rechtsprechung des Senats anhand der materiellen Voraussetzungen des kollisionsrechtlich berufenen Scheidungsrechts zu beurteilen (vgl. Senatsurteil vom 2. Februar 1994 ­ XII ZR 148/92 ­ FamRZ 1994, 434, 435 und Senatsbeschluss BGHZ 110, 267, 272 = FamRZ 1990, 607, 608).

[24] 2. Das anwendbare Sachrecht bestimmt sich nach Art. 17 Abs. 2 EGBGB in der Fassung des Gesetzes zum Internationalen Güterrecht und zur Änderung von Vorschriften des Internationalen Privatrechts (IntGüRVGEG) vom 17. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2573, 2580).

[25] a) Wie das Oberlandesgericht dabei im Ausgangspunkt zutreffend erkannt hat, hat die Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 20. Dezember 2017 in der vorliegenden Rechtssache eine (zeitweilige) Regelungslücke im nationalen Kollisionsrecht in Bezug auf das anwendbare Recht bei Privatscheidungen aufgezeigt. Bei der Anpassung der Vorschriften des deutschen internationalen Privatrechts an die Rom III­Verordnung hatte der deutsche Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesmaterialien die Auffassung vertreten, dass die Wirksamkeit einer im Ausland vorgenommenen Privatscheidung nach dem durch die Rom III­Verordnung bestimmten Recht zu beurteilen sei (vgl. BT-Drucks. 17/11049 S. 8). Aus diesem Grund gelangte er zu der Einschätzung, dass für die bislang geltende Scheidungskollisionsnorm (Art. 17 Abs. 1 EGBGB aF) neben der Rom III­Verordnung kein eigenständiger Anwendungsbereich mehr verbleiben und eine autonome Kollisionsnorm zur Bestimmung des auf die Scheidung anwendbaren Rechts nicht mehr erforderlich sein würde. Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 20. Dezember 2017 steht demgegenüber fest, dass die Rom III­Verordnung auf Privatscheidungen nicht anwendbar ist und die EU­Mitgliedstaaten in Ermangelung maßgebender europarechtlicher Vorschriften selbst darüber entscheiden können, nach welchen Regeln ihres autonomen Rechts sie die Wirksamkeit von Privatscheidungen aus Drittstaaten beurteilen wollen.

[26] b) Nachdem allerdings Art. 17 Abs. 1 EGBGB aF am 29. Januar 2013 außer Kraft gesetzt und auch keine Auffangverweisung auf die Rom III­Verordnung in das Gesetz aufgenommen worden war, fehlte es für die Anknüpfung von Privatscheidungen zunächst an einer einschlägigen Kollisionsnorm im deutschen Recht. Die Auffassung des Oberlandesgerichts, dass die entstandene Regelungslücke für Privatscheidungen seit dem 29. Januar 2013 durch eine Fortschreibung des außer Kraft getretenen Art. 17 Abs. 1 EGBGB aF zu schließen sei und demzufolge bei Privatscheidungen weiterhin das Ehewirkungsstatut und damit vorrangig die Staatsangehörigkeit der Ehegatten (Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB aF) über das anwendbare Recht entscheide, ist dabei allerdings vereinzelt geblieben (ebenso noch Jauernig/Budzikiewicz BGB 17. Aufl. Art. 4 Rom III­VO Rn. 2; Wall StAZ 2018, 256, 257 f.; vgl. auch Arnold/Zwirlein GPR 2018, 221, 225: analoge Anwendung von Art. 14 EGBGB aF). Die wohl herrschende Meinung hat demgegenüber eine ­ auf Privatscheidungen zugeschnittene ­ analoge Anwendung der vorrangig auf dem Aufenthaltsprinzip beruhenden Kernanknüpfungsregeln der Rom III-Verordnung befürwortet (vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 2018, 1657, 1658; Hepting/Dutta Familie und Personenstand 3. Aufl. Rn. III-556; NK-BGB/Gruber 3. Aufl. Art. 1 Rom III­VO Rn. 78 f.; Antomo NJW 2018, 435, 436 f.; Mankowski FamRZ 2018, 821 f.; Mayer FamRZ 2018, 171, 172; Rieck NZFam 2018, 128, 129; Wagner NJW 2018, 1793, 1798; Pika/Weller IPrax 2017, 65, 71 f.; Kohler/Pintens FamRZ 2016, 1509, 1518; Gössl StAZ 2016, 232, 235).

[27] c) Der Gesetzgeber hat auf die Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der vorliegenden Rechtssache ­ nach Erlass des hier angefochtenen Beschlusses ­ mit der Neufassung des Art. 17 Abs. 2 EGBGB (vgl. Art. 2 Nr. 6 lit. c IntGüRVGEG) reagiert.

[28] aa) Nach dem novellierten Art. 17 Abs. 2 EGBGB sollen für Scheidungen, die nicht in den Anwendungsbereich der Rom III­Verordnung fallen ­ mithin für Privatscheidungen ­ die Anknüpfungsregeln des Kapitels II der Rom III­Verordnung entsprechend gelten. Dabei werden jedoch mehrere abweichende Maßgaben bestimmt, soweit die Anknüpfungsregeln der Rom III­Verordnung auf gerichtliche oder behördliche Verfahren Bezug nehmen. Diese Maßgaben betreffen zum einen die Bereiche, in denen die Rom III­Verordnung explizit auf das gerichtliche Verfahren oder auf das Recht des Gerichtsortes (lex fori) verweist. Zum anderen wurden die Vorbehaltsklauseln der Art. 10 und 12 Rom III­VO, die auf den Staat des angerufenen Gerichts abstellen, als "nicht passend" für Privatscheidungen angesehen (vgl. BT-Drucks. 19/4852 S. 38); stattdessen wird auf die allgemeine Regel des Art. 6 EGBGB zum Schutz der inländischen öffentlichen Ordnung verwiesen.

[29] bb) Die Neufassung des Art. 17 Abs. 2 EGBGB ist am 21. Dezember 2018 in Kraft getreten (Art. 10 Abs. 2 IntGüRVGEG). Eine Übergangsregelung besteht nicht. Allerdings enthält die Gesetzesbegründung zu Art. 17 Abs. 2 EGBGB den Hinweis darauf, dass es für solche (Privat-)Scheidungen, die schon nicht in den zeitlichen Anwendungsbereich der Rom III­Verordnung gefallen wären, bei dem vor Inkrafttreten der Rom III­Verordnung geltenden deutschen Recht bleiben solle (vgl. BT-Drucks. 19/4852 S. 39). Das legt den Umkehrschluss nahe, dass der Gesetzgeber ­ der ausdrücklich bestrebt war, die mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 20. Dezember 2017 in der vorliegenden Rechtssache aufgezeigte Regelungslücke zu schließen (vgl. BT-Drucks. 19/4852 S. 30, 38) ­ den Geltungsbeginn des neugefassten Art. 17 Abs. 2 EGBGB an den zeitlichen Anwendungsbereich der Rom III­Verordnung koppeln wollte (vgl. Antomo StAZ 2020, 33, 38). Die Rom III­Verordnung ist zwar schon am 21. Juni 2012 in Kraft getreten. Da es aber bis zum Außerkrafttreten des Art. 17 Abs. 1 EGBGB aF am 29. Januar 2013 noch eine einschlägige deutsche Kollisionsnorm gab und insoweit keine Regelungslücke bestand, erfasst der neue Art. 17 Abs. 2 EGBGB nach zutreffender Ansicht in intertemporaler Hinsicht solche Privatscheidungen, die seit dem 29. Januar 2013 durchgeführt worden sind (ebenso PräsOLG Stuttgart FamRZ 2019, 1532, 1533; BeckOK BGB/Heiderhoff [Stand: 1. August 2020] EGBGB Art. 17 Rn. 45, 156; Antomo StAZ 2020, 33, 38; Krömer StAZ 2019, 309, 311 Fn. 17). Dies betrifft auch die vorliegende, durch den Ehemann am 19. Mai 2013 ausgesprochene Verstoßungsscheidung.

[30] 3. Maßgeblich für die Bestimmung des anwendbaren Sachrechts sind daher die durch Art. 17 Abs. 2 EGBGB modifizierten Kernanknüpfungsregeln in Kapitel II der Rom III­Verordnung. Für eine (wirksame) Rechtswahl der beteiligten Eheleute (vgl. Art. 5 Rom III­VO) ist nichts vorgetragen oder ersichtlich. Daher ist das Scheidungsstatut im vorliegenden Fall nach der gestuften Anknüpfungsleiter des Art. 8 Rom III­Verordnung mit den sich aus Art. 17 Abs. 2 Nr. 2 und 4 EGBGB hierfür ergebenden Modifikationen objektiv zu ermitteln.

[31] a) Eine Anknüpfung entsprechend Art. 8 lit. a oder lit. b Rom III­VO kommt dabei auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht in Betracht.

[32] Die beteiligten Eheleute hatten im Zeitpunkt der Einleitung des Scheidungsverfahrens im Mai 2013 keinen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt (Art. 17 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB iVm Art. 8 lit. a Rom III­VO). Zwar ist die Annahme gerechtfertigt, dass die Ehefrau zumindest seit der Trennung der Beteiligten im August 2012 bis zu ihrer endgültigen Rückkehr nach Deutschland Anfang 2014 ­ und damit auch im Zeitpunkt ihrer erstmaligen Befassung mit dem Scheidungsbegehren des Ehemanns im Mai 2013 ­ ihren gewöhnlichen Aufenthalt bei ihrer Familie in Latakia und damit in Syrien hatte. Es kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass auch der Ehemann im Mai 2013 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Syrien ­ nicht notwendigerweise in Latakia ­ gehabt haben könnte, zumal er selbst angegeben hat, nach der Trennung wegen der Verhältnisse in seiner Heimatstadt Homs bewusst nicht mehr nach Syrien zurückgekehrt, sondern zwischen dem Libanon und Deutschland hin- und hergewechselt zu sein und zeitweise als vertretender Arzt in einer Klinik in Thüringen gearbeitet zu haben.

[33] Auch ein letzter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt der Beteiligten, der nicht mehr als ein Jahr vor Einleitung des Scheidungsverfahrens endete, liegt nicht vor. Nachdem die Beteiligten Kuwait im Februar/März 2012 verlassen hatten, befanden sie sich bis zu ihrer Trennung im August 2012 in Libanon. Es sind keine Tatsachen festgestellt oder ersichtlich, die in objektiver und subjektiver Hinsicht den Schluss darauf zuließen, dass die Beteiligten dabei einen gewöhnlichen Aufenthalt in Libanon begründet hätten. Darüber hinaus würde es an der weiteren Voraussetzung des Art. 17 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB iVm Art. 8 lit. b Rom III­VO fehlen, dass einer der Ehegatten bis zur Einleitung des Scheidungsverfahrens im Mai 2013 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Libanon beibehalten hätte. Vielmehr ist der OLG-Präsident angesichts der ärztlichen Tätigkeit des Ehemanns in Thüringen und seiner familiären Beziehungen nach Süddeutschland rechtsbedenkenfrei davon ausgegangen, dass sich der gewöhnliche Aufenthalt des Ehemanns nach der Trennung der Beteiligten jedenfalls nicht in Libanon befand.

[34] b) Ist eine Anknüpfung nach dem Aufenthaltsprinzip nicht möglich, bestimmt sich das Scheidungsstatut gemäß Art. 17 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB iVm Art. 8 lit. c Rom III­VO nach dem Recht des Staates, dessen Staatsangehörigkeit beide Ehegatten im Zeitpunkt der Einleitung des Scheidungsverfahrens besitzen. Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts besaßen die Beteiligten im Mai 2013 sowohl die syrische als auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Dies führt gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB zur Anwendung deutschen Sachrechts.

[35] aa) Allerdings ist umstritten, wie Doppel- und Mehrstaater im Rahmen der kollisionsrechtlichen Anknüpfung nach Art. 8 lit. c Rom III­VO zu behandeln sind. Die Rom III­Verordnung trifft hierzu selbst keine Regelung. Hinweise zur Behandlung mehrfacher Staatsangehörigkeiten finden sich allerdings in Erwägungsgrund 22: Wird in der Rom III­Verordnung hinsichtlich der Anwendung des Rechts eines Staates auf die Staatsangehörigkeit als Anknüpfungspunkt verwiesen, so wird die Frage, wie in Fällen der mehrfachen Staatsangehörigkeit zu verfahren ist, weiterhin nach innerstaatlichem Recht geregelt, wobei "die allgemeinen Grundsätze der Europäischen Union" uneingeschränkt zu achten sind.

[36] (1) Der in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB angeordnete Eigenrechtsvorrang führt dazu, dass bei der kollisionsrechtlichen Anknüpfung ohne Rücksicht auf eine gemeinsame effektive Staatsangehörigkeit der Eheleute allein auf die deutsche Staatsangehörigkeit eines oder beider Ehegatten abgestellt wird. Auch-deutsche Doppelstaater werden insoweit ersichtlich anders behandelt als nur-ausländische Doppelstaater; zudem wird bei Ehegatten mit gemeinsamer effektiver ausländischer Staatsangehörigkeit, von denen einer auch-deutscher Doppelstaater ist, die in Art. 8 lit. c Rom III­VO vorgesehene dritte Stufe der Anknüpfungsleiter übersprungen und auf der vierten Stufe direkt auf das Recht des (deutschen) Gerichtsstaates zurückgegriffen (Art. 8 lit. d Rom III­VO). Diese mit der Anwendung von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB einhergehende Nichtberücksichtigung einer von den Ehegatten tatsächlich gelebten ausländischen Staatsangehörigkeit soll deshalb nach verbreiteter Auffassung im deutschen Schrifttum gegen das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot (Art. 18 AEUV) verstoßen, soweit dadurch die effektive Staatsangehörigkeit eines anderen EU-Mitgliedstaats schematisch zurückgedrängt wird (vgl. MünchKommBGB/von Hein 8. Aufl. EGBGB Art. 5 Rn. 94; BeckOGK/Gössl [Stand: 1. Mai 2020] Rom III­VO Art. 8 Rn. 43; NK-BGB/Lugani 3. Aufl. Art. 8 Rom III­VO Rn. 22; jurisPK-BGB/Ludwig [Stand: 1. März 2020] Art. 8 Rom III­VO Rn. 8; Palandt/Thorn BGB 79. Aufl. Art. 8 Rom III­VO Rn. 4; Hausmann Internationales und Europäisches Familienrecht 2. Aufl. A Rn. 436; Andrae Internationales Familienrecht 4. Aufl. § 3 Rn. 30; Mörsdorf-Schulte RabelsZ 77 [2013], 786, 809; Hau FamRZ 2013, 249, 253; Gruber IPrax 2012, 381, 386; Helms FamRZ 2011, 1765, 1771; aA Erman/Hohloch BGB 15. Aufl. Art. 8 Rom III­VO Rn. 4; Rieck in Schulz/Hauß Familienrecht 3. Aufl. Art. 8 Rom III­VO Rn. 3; für eine Unionsrechtskonformität des Eigenrechtsvorrangs auch Bariatti YbPIL Vol. 13 [2011] S. 1, 15 f.).

[37] Der Senat konnte die Frage nach einer möglichen Unionsrechtswidrigkeit von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB ­ in Fällen des internationalen Namensrechts ­ bislang ausdrücklich offenlassen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 14. November 2018 ­ XII ZB 292/15 ­ FamRZ 2019, 218 Rn. 16 und vom 19. Februar 2014 ­ XII ZB 180/12 ­ FamRZ 2014, 741 Rn. 14), und sie bedarf auch im vorliegenden Zusammenhang keiner abschließenden Klärung. Denn im Hinblick auf die innergemeinschaftliche Funktion des Diskriminierungsverbots nach Art. 18 AEUV und der Verkehrsfreiheiten kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die Mitgliedstaaten aus unionsprimärrechtlicher Perspektive nicht daran gehindert sind, Kollisionsnormen des autonomen Rechts beizubehalten, welche der eigenen Staatsangehörigkeit den Vorrang vor einer drittstaatlichen Staatsangehörigkeit einräumen (vgl. Basedow IPrax 2011, 109, 116).

[38] (2) Ob der Eigenrechtsvorrang bei der Anknüpfung nach Art. 8 lit. c Rom III­VO jedenfalls dann ein zulässiges Auswahlkriterium darstellt, wenn es nicht um einen Konflikt zwischen zwei mitgliedstaatlichen Staatsangehörigkeiten geht, sondern zwischen der deutschen und einer drittstaatlichen ­ hier: der syrischen ­ Staatsangehörigkeit zu entscheiden ist, wird in der deutschen Literatur unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird die Ansicht vertreten, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB mit dem Geist der Rom III­Verordnung unvereinbar und deshalb (auch) im Verhältnis zu drittstaatlichen Staatsangehörigkeiten nicht anzuwenden sei (vgl. NK-BGB/Lugani 3. Aufl. Art. 8 Rom III­VO Rn. 22; Helms FamRZ 2011, 1765, 1771; ebenso für Privatscheidungen: Antomo NJW 2018, 435, 437). Eine abweichende Auffassung verweist demgegenüber darauf, dass es sich bei Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB um geltendes Recht handele, an das der Rechtsanwender bei Anknüpfungskonflikten zwischen der deutschen und einer drittstaatlichen Staatsangehörigkeit gebunden sei (vgl. MünchKommBGB/von Hein 8. Aufl. EGBGB Art. 5 Rn. 95; BeckOGK/Gössl [Stand: 1. Mai 2020] Rom III­VO Art. 8 Rn. 43; Andrae Internationales Familienrecht 4. Aufl. § 3 Rn. 29; im Ergebnis ebenso Mörsdorf-Schulte RabelsZ 77 [2013], 786, 808 f.; Hau FamRZ 2013, 249, 253 f.).

[39] Der Senat hält die letztgenannte Ansicht für zutreffend. Eine auf teleologische Reduktion gestützte Nichtanwendung von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 BGB bei der objektiven Anknüpfung nach Art. 8 lit. c Rom III­VO ist angesichts der eindeutigen Gesetzeslage und den in den Gesetzesmaterialien im Zusammenhang mit der Anpassung des nationalen Kollisionsrechts an die Rom III­Verordnung zu Tage getretenen Intentionen des Gesetzgebers nicht zu begründen.

[40] (a) Im Ausgangspunkt darf richterliche Rechtsfortbildung nicht dazu führen, dass die Gerichte ihre eigenen Vorstellungen von rechtspolitischer Angemessenheit und materieller Gerechtigkeit an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzen. Die Aufgabe der Rechtsprechung beschränkt sich darauf, den vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck eines Gesetzes ­ auch unter gewandelten Bedingungen ­ möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen oder eine planwidrige Regelungslücke mit den anerkannten Auslegungsmethoden zu füllen. Eine Norminterpretation, die als richterliche Rechtsfortbildung den Wortlaut des Gesetzes beiseiteschiebt und sich über den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers hinwegsetzt, greift demgegenüber unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein (vgl. BVerfG NJW 2019, 2837 Rn. 41 mwN; BVerfGE 128, 193 = FamRZ 2011, 437 Rn. 52 f. mwN).

[41] (b) Der deutsche Gesetzgeber war sich bei der Anpassung des nationalen Rechts an die Rom III­Verordnung bewusst, dass die Anwendung von Art. 8 lit. c Rom III­VO bei Doppel- und Mehrstaatern Anknüpfungskonflikte nach sich ziehen kann, die durch einen Rückgriff auf das innerstaatliche Kollisionsrecht gelöst werden müssen. Die Begründung zum "Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 und zur Änderung anderer Vorschriften des Internationalen Privatrechts" enthält zu der Frage, welche Staatsangehörigkeit für die Rechtswahl (Art. 5 Rom III­VO) und für die objektive Anknüpfung (Art. 8 Rom III­VO) maßgeblich sein soll, wenn die Ehegatten mehr als eine gemeinsame Staatsangehörigkeit haben, die folgenden Ausführungen (BT-Drucks. 17/11049 S. 8):

"Bei der Rechtswahl können die Ehegatten das Recht eines der Staaten wählen, dessen Staatsangehörigkeit sie gemeinsam haben. Für die objektive Anknüpfung ­ deshalb die Stellung des Erwägungsgrundes 22 erst nach den Erwägungsgründen über die Rechtswahl ­ wird allerdings auf Wunsch nur eines teilnehmenden Mitgliedstaats auf das nationale Recht verwiesen. Soweit dieses eine Vorrangregelung wie Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB) enthält, geht diese vor. Die Verweisung auf das nationale Recht soll aber nur insoweit Anwendung finden, als die allgemeinen Grundsätze der Europäischen Union, zu denen auch die Grundrechte sowie das Diskriminierungsverbot, die Unionsbürgerschaft und der Grundsatz der Freizügigkeit nach dem AEUV gehören, dies zulassen."

[42] Dies erhellt, dass der Gesetzgeber die mögliche Anwendbarkeit innerstaatlicher Bestimmungen zum Eigenrechtsvorrang ­ wie Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB ­ ausdrücklich in den Blick genommen und diese Vorrangregelungen beim Zusammentreffen mehrerer gemeinsamer Staatsangehörigkeiten der Ehegatten für maßgeblich erachtet hat, wenn und soweit dies nach Maßgabe des Erwägungsgrundes 22 mit den allgemeinen Grundsätzen der Europäischen Union in Einklang zu bringen ist. Im Verhältnis zur Staatsangehörigkeit von Drittstaaten kann die Anwendung von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB aber nicht gegen unionsprimärrechtliche Gewährleistungen verstoßen und es sind auch sonst keine weiteren, etwa in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entwickelten "allgemeinen Grundsätze der Europäischen Union" ersichtlich, die einer Anwendung von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB im Verhältnis zu drittstaatlichen Staatsangehörigkeiten entgegenstehen könnte.

[43] (c) Es erscheint dem Senat zudem zweifelhaft, ob Bestimmungen im innerstaatlichen Kollisionsrecht der Mitgliedstaaten, die ­ wie Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB ­ bei der objektiven Anknüpfung der eigenen Staatsangehörigkeit den absoluten Vorrang vor einer drittstaatlichen Staatsangehörigkeit einräumen, nicht mit Sinn und Zweck der Rom III­Verordnung in Einklang zu bringen sind.

[44] (aa) Der europäische Verordnungsgeber hat darauf verzichtet, die unionspolitisch sensible Frage nach der Behandlung von Personen mit mehreren Staatsangehörigkeiten in der Rom III­Verordnung zu regeln. Soweit er die Lösung von Anknüpfungskonflikten im ersten Teil von Erwägungsgrund 22 ausdrücklich dem autonomen Kollisionsrecht der Mitgliedstaaten überantwortet hat, dürfte ihm dabei bewusst gewesen sein, dass der absolute Eigenrechtsvorrang bei der Staatsangehörigkeitsanknüpfung im internationalen Privatrecht der Mitgliedstaaten (weiterhin) weit verbreitet ist, wie beispielhaft die mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB vergleichbaren Regelungen in Italien (Art. 19 Nr. 2 des Gesetzes Nr. 218 vom 31. Mai 1995), Griechenland (Art. 31 Abs. 1 ZGB), Österreich (§ 9 Abs. 1 Satz 2 IPRG), Polen (Art. 2 Abs. 1 IPRG), Slowenien (Art. 10 Abs. 1 IPRG) oder der Slowakei (§ 33 Abs. 1 IPRG) verdeutlichen.

[45] (bb) Es trifft grundsätzlich zu, dass die ersten beiden Stufen der Anknüpfungsleiter des Art. 8 Rom III­VO auf dem Aufenthaltsprinzip beruhen und damit das Prinzip der sozialen Nähe und des räumlichen Schwerpunkts der konkret gelebten Ehe bei der objektiven Anknüpfung in den Vordergrund gerückt wird. Die daraus gezogene Folgerung, dass deswegen auf der dritten Anknüpfungsstufe eine gemeinsame Staatsangehörigkeit nur dann berücksichtigt werden könne, wenn die Ehegatten mit diesem Staat und seiner Rechtsordnung eine enge und tatsächlich gelebte Beziehung verbindet, findet jedenfalls im Wortlaut der Norm keinerlei Stütze. Werden auf den ersten beiden Anknüpfungsstufen sowohl ein gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt als auch ein einseitig beibehaltener früherer gemeinsamer Aufenthalt verneint, sind zudem sehr viele Fälle denkbar, in denen sich eine gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehegatten als ineffektiv erweisen wird. Würde man daher auf der dritten Anknüpfungsstufe nur eine effektive gemeinsame Staatsangehörigkeit gelten lassen, wäre deren Anwendungsbereich deutlich verengt und die gemeinsame Staatsangehörigkeit als Anknüpfungsmerkmal noch weiter entwertet (vgl. Mörsdorf-Schulte RabelsZ 77 [2013], 786, 809).

[46] (cc) In Erwägungsgrund 10 wird der "Einklang" zwischen den Bestimmungen der Rom III­Verordnung und der Brüssel IIa­Verordnung besonders betont. Dabei ist in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Zuständigkeitssystem der Brüssel IIa­Verordnung geklärt, dass eine Staatsangehörigkeitszuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 lit. b Brüssel IIa­VO bei Doppelstaatern auch durch eine gemeinsame ineffektive Staatsangehörigkeit begründet werden kann (vgl. EuGH Urteil vom 16. Juli 2009 ­ Rs. C-168/08 ­ FamRZ 2009, 1571 Rn. 51 ff., Hadadi). Dies gilt nicht nur, wenn die Ehegatten gemeinsam Angehörige derselben beiden Mitgliedstaaten sind, sondern auch dann, wenn die demselben Mitgliedstaat angehörenden Ehegatten beide auch gemeinsam die Staatsangehörigkeit desselben Drittstaats besitzen (vgl. Hau IPrax 2010, 50, 52).

[47] Der kollisionsrechtliche Eigenrechtsvorrang stellt in solchen Fällen sicher, dass das aufgrund einer ineffektiven gemeinsamen Staatsangehörigkeit international zuständig gewordene Gericht seine lex fori heranziehen kann und Probleme bei der Ermittlung und Anwendung eines drittstaatlichen Rechts dadurch vermieden werden. Der Gleichlauf zwischen Gerichtsstand und anwendbarem Recht gewährleistet regelmäßig eine qualitativ bessere, effizientere und schnellere Rechtsanwendung. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sich schon aus dem Zusammenspiel zwischen den Zuständigkeitsgründen des Art. 3 Abs. 1 lit. a Brüssel IIa­VO und den Anknüpfungsregeln auf der ersten, zweiten und vierten Anknüpfungsstufe von Art. 8 Rom III­VO eine zwar indirekte, aber durchaus beabsichtigte Bevorzugung der lex fori ergibt (vgl. NK-BGB/Lugani 3. Aufl. Art. 8 Rom III­VO Rn. 4 f. mwN).

[48] bb) Dürfte deshalb davon auszugehen sein, dass die bei der unmittelbaren Anwendung der Rom III­Verordnung entstehenden Anknüpfungskonflikte zwischen der deutschen und einer drittstaatlichen Staatsangehörigkeit bei der objektiven Anknüpfung nach Art. 8 lit. c Rom III­VO in zulässiger Weise durch einen Rückgriff auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB gelöst werden können, bestehen gegen einen Eigenrechtsvorrang erst recht keine Bedenken, wenn ­ wie hier ­ die Bestimmungen der Rom III­Verordnung lediglich entsprechend anwendbar sind (vgl. MünchKommBGB/von Hein 8. Aufl. EGBGB Art. 5 Rn. 95). Denn durch die Verweisung in Art. 17 Abs. 2 EGBGB ändern die (modifizierten) Kernanknüpfungsregeln der Rom III­Verordnung ihren Rechtscharakter, so dass sie formell nicht mehr als europäisches, sondern als nationales Kollisionsrecht anzusehen sind und Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB demzufolge bei Privatscheidungen (nur noch) zur Lösung von Anknüpfungskonflikten des innerstaatlichen Rechts herangezogen wird.

[49] c) Das Oberlandesgericht hat daher im Ergebnis zu Recht das deutsche Sachrecht für anwendbar gehalten. Nach § 1564 BGB kann eine Ehe nur durch richterliche Entscheidung geschieden werden. Bei Geltung deutschen Scheidungsstatuts ist eine im Ausland vollzogene rechtsgeschäftliche Scheidung nach ständiger Rechtsprechung des Senats deshalb unwirksam und nicht anerkennungsfähig (vgl. Senatsurteile BGHZ 176, 365 = FamRZ 2008, 1409 Rn. 37 und vom 2. Februar 1994 ­ XII ZR 148/92 ­ FamRZ 1994, 434; Senatsbeschluss BGHZ 110, 267, 277 f. = FamRZ 1990, 607, 610).

C.

[50] Eine erneute Vorlage der Sache an den Europäischen Gerichtshof, namentlich zur Klärung der Frage, ob eine Staatsangehörigkeitsanknüpfung auf der dritten Stufe der Anknüpfungsleiter nach Art. 17 Abs. 2 EGBGB iVm Art. 8 Rom III­VO die Effektivität der gemeinsamen Staatsangehörigkeit der Ehegatten voraussetzt, kommt nicht in Betracht.

[51] 1. Zum einen fehlt es an der Entscheidungserheblichkeit der möglichen Vorlagefrage. Selbst wenn für die Anknüpfung nach Art. 17 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB iVm Art. 8 lit. c Rom III­VO auf die ­ nach Ansicht der Rechtsbeschwerde effektive ­ syrische Staatsangehörigkeit der beteiligten Eheleute abgestellt werden und demzufolge syrisches Sachrecht zur Anwendung kommen würde, könnte die am 19. März 2013 ausgesprochene Verstoßungsscheidung in Deutschland wegen eines Verstoßes gegen den ordre public nach Art. 17 Abs. 2 Nr. 5 iVm Art. 6 EGBGB nicht anerkannt werden.

[52] a) Nach Art. 6 Satz 1 EGBGB ist eine Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, was gemäß Art. 6 Satz 2 EGBGB insbesondere dann der Fall ist, wenn die Anwendung der fremden Rechtsnorm mit den Grundrechten unvereinbar ist. Daneben muss der zu beurteilende Sachverhalt eine hinreichende Inlandsbeziehung aufweisen (vgl. Senatsbeschluss vom 14. November 2018 ­ XII ZB 292/16 ­ FamRZ 2019, 181 Rn. 40). Zu den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts gehört die Gleichberechtigung von Mann und Frau (Art. 3 Abs. 2 GG). Hiermit grundsätzlich nicht zu vereinbaren sind die Formen der einseitigen Verstoßungsscheidung in islamisch geprägten Rechtsordnungen, die ausschließlich dem Mann ein willkürlich ausübbares Scheidungsrecht zubilligen und die Rolle der Frau bei der Auflösung der Ehe darauf beschränken, ein bloßes Objekt von Trennung und Scheidung zu sein (vgl. Hausmann Internationales Ehe- und Familienrecht 2. Aufl. Rn. A 490 mwN).

[53] b) Für einen Verstoß gegen den kollisionsrechtlichen ordre public gemäß Art. 6 EGBGB genügt allerdings auch im internationalen Scheidungsrecht noch nicht die abstrakte Unvereinbarkeit der ausländischen Rechtsordnung mit den Grundsätzen des deutschen Rechts. Vielmehr kommt es allein darauf an, ob das konkrete Ergebnis der Anwendung des ausländischen ­ hier: syrischen ­ Rechts aus der Sicht des deutschen Rechts zu missbilligen ist.

[54] aa) Der Senat hat bereits entschieden, dass die Anwendung eines geschlechterdiskriminierenden ausländischen Scheidungsrechts jedenfalls dann nicht gegen den deutschen ordre public verstößt, wenn die Scheidung dem Willen der Frau entsprach (vgl. Senatsurteil BGHZ 160, 332, 344 = FamRZ 2004, 1952, 1955). Wenn beide Ehegatten die Scheidung wünschen und sie für die Auflösung der Ehe einvernehmlich die äußere Form der einseitigen Verstoßung wählen, würde die Versagung der Anerkennung der Scheidung der Frau die Autonomie absprechen, über ihre eigene Scheidung zu entscheiden (vgl. BeckOK BGB/Heiderhoff, [Stand: 1. Mai 2020] Art. 17 EGBGB Rn. 51). Dies setzt freilich voraus, dass die Frau nicht nur generell mit der Beendigung der Ehe, sondern auch mit der Art der (Verstoßungs-)Scheidung einverstanden gewesen ist (vgl. OGH Wien FamRZ 2020, 698, 700; vgl. auch PräsOLG Stuttgart FamRZ 2019, 1532, 1533 f.). Gemessen daran kann nicht von einem Einverständnis der Ehefrau mit der im Mai 2013 durch den Ehemann ausgesprochenen Verstoßung ausgegangen werden.

[55] (1) Ausweislich des Verhandlungsprotokolls des Scharia-Gerichts in Latakia ist die Ehefrau am 19. Mai 2013 trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht zur Verhandlung vor dem geistlichen Richter erschienen. Nach der von dem Ehemann vorgelegten schriftlichen Erklärung seines syrischen Rechtsanwalts habe die Ehefrau an diesem Tage zwar das Scharia-Gericht aufgesucht, um sich bei dem Richter nach dem Scheidungsfall zu erkundigen. Sie sei danach aber wieder fortgegangen, ohne an der weiteren Verhandlung teilzunehmen. Nachdem die Ehefrau im Februar 2014 Kenntnis von dem Anerkennungsverfahren und von der Verwaltungsentscheidung des OLG-Präsidenten vom 5. November 2013 erlangt hatte, hat diese durch ihre Verfahrensbevollmächtigten sofort erklärt, mit der Scheidung nicht einverstanden gewesen zu sein und der Anerkennung der Scheidung unter Hinweis auf den ordre public widersprochen.

[56] (2) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde lässt sich ein Einverständnis der Ehefrau mit der Scheidung auch nicht daraus herleiten, dass diese am 12. September 2013 von dem syrischen Rechtsanwalt des Ehemanns einen Geldbetrag zur Abgeltung von Ansprüchen entgegengenommen hat, die ihr aufgrund des Ehevertrags und der Scheidung nach religiösem Recht zugestanden haben. Wie bereits der Generalanwalt im zweiten Vorabentscheidungsverfahren in dieser Rechtssache zutreffend ausgeführt hat, kann die tatsächliche Billigung einer vermögensrechtlichen Scheidungsfolge mit der unterstellten Billigung der erfolgten Ehescheidung als solcher nicht gleichgestellt werden, zumal die Verstoßung im Ursprungsstaat zu einer wirksamen Scheidung der Ehe geführt hat und ganz unterschiedliche Phasen des Scheidungsverfahrens betroffen sind (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Saugmandsgaard Øe vom 14. September 2017 ­ Rs. C-372/16 ­ NZFam 2017, 997 Rn. 96; vgl. auch OGH Wien FamRZ 2020, 698, 700). Auch aus Sicht des deutschen Rechts setzt sich ein Ehegatte, der dem Scheidungsbegehren des anderen Ehegatten zwar entgegentritt, hilfsweise aber auf Regelung der Scheidungsfolgen anträgt, nicht dem Vorwurf des widersprüchlichen Verhaltens aus.

[57] bb) Darüber hinaus muss das konkrete Ergebnis der Anwendung eines geschlechterdiskriminierenden Scheidungsrechts im Rahmen der Prüfung des kollisionsrechtlichen ordre public auch dann nicht missbilligt werden, wenn die Ehe selbst unter Anwendung deutschen Rechts zweifellos zu scheiden gewesen wäre (vgl. Senatsurteil BGHZ 160, 332, 344 = FamRZ 2004, 1952, 1955). Davon kann unter den hier obwaltenden Umständen aber schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil die Trennung der Parteien nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts erst im August 2012 erfolgte und daher im Zeitpunkt der Scheidung im Mai 2013 aus der Sicht des deutschen Rechts weder die für eine einvernehmliche Scheidung erforderliche Trennungszeit von einem Jahr (§ 1566 Abs. 1 BGB) noch die für die unwiderlegbare Zerrüttungsvermutung erforderliche Trennungszeit von drei Jahren (§ 1566 Abs. 2 BGB) abgelaufen war.

[58] 2. Der Europäische Gerichtshof dürfte zudem für die Beantwortung der möglichen Vorlagefrage auch nicht zuständig sein. Verweist eine mitgliedstaatliche Rechtsordnung ­ wie hier ­ zur Beurteilung innerstaatlicher Sachverhalte auf die entsprechende Anwendung von Vorschriften des Unionsrechts, ist es allein Sache der mitgliedstaatlichen Gerichte, die Tragweite dieser Verweisung auf das Unionsrecht zu beurteilen. Die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs beschränkt sich auf die Prüfung der Bestimmungen des europäischen Rechts, ohne dass dieser die allgemeine Systematik der Bestimmungen des nationalen Rechts berücksichtigen könnte, die gleichzeitig mit der Verweisung auf das Unionsrecht den Umfang dieser Verweisung festlegen (vgl. EuGH Urteil vom 18. Oktober 1990 ­ Rs. 297/88 und C-197/89 ­ Slg. 1990, I-3763 Rn. 41 f. ­ Dzodzi). Der deutsche Gesetzgeber hat die in Art. 17 Abs. 2 EGBGB enthaltene Verweisung auf die Anknüpfungsregeln der Rom III­Verordnung in das Normengefüge des deutschen internationalen Privatrechts eingebettet, zu dem der unverändert fortgeltende Eigenrechtsvorrang nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB gehört. Für die Tragweite der innerstaatlichen Verweisung auf das Unionsrecht hat der nationale Gesetzgeber damit die Maßgabe festgelegt, dass entstehende Anknüpfungskonflikte zwischen der deutschen und einer drittstaatlichen Staatsangehörigkeit bei der entsprechenden Anwendung von Art. 8 lit. c Rom III­VO zugunsten der deutschen Staatsangehörigkeit der Ehegatten zu lösen sind.

Dose Klinkhammer Günter

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