BGH, Beschluss vom 27. November 2019 - XII ZB 511/18

02.01.2020

BUNDESGERICHTSHOF

vom

27. November 2019

in der Familiensache


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


BGB §§ 1671, 1696 Abs. 1, 1697 a


Die Abänderung einer Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf einen Elternteil ist trotz eines auf den Wechsel in den Haushalt des anderen Elternteils gerichteten Kindeswillens nicht gerechtfertigt, wenn der Kindeswille nicht autonom gebildet ist und sonstige Belange des Kindeswohls entgegenstehen.


BGH, Beschluss vom 27. November 2019 - XII ZB 511/18 - OLG Frankfurt am Main, AG Bad Schwalbach


Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. November 2019 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richter Prof. Dr. Klinkhammer, Dr. Botur und Guhling und die Richterin Dr. Krüger

beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 1. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 16. Oktober 2018 wird auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.

Wert: 3.000 €

Gründe:

[1] I. Die beteiligten Eltern streiten über das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre drei gemeinsamen Kinder.

[2] Die Eltern schlossen im Januar 2005 die Ehe. Aus der Ehe stammen der 2008 geborene Sohn K-D. sowie die 2009 geborenen Zwillinge M.D. und L-M. Der 1960 geborene Kindesvater ist Bürokaufmann. Er hat aus einer früheren Beziehung ein weiteres, bereits erwachsenes Kind. Die 1987 geborene Kindesmutter stammt aus der Dominikanischen Republik und hat inzwischen eine Ausbildung zur Krankenpflegerin absolviert.

[3] Die Eltern trennten sich 2013. Durch Beschluss vom 7. April 2014 übertrug das Amtsgericht der Kindesmutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die drei gemeinsamen Kinder. Diese zog sodann mit den Kindern aus dem gemeinsamen Haus in eine Wohnung in einem nahe gelegenen Ort.

[4] Im vorliegenden Verfahren hat der Kindesvater - unter Abänderung der getroffenen Regelung - die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich beantragt, hilfsweise eine Umgangsregelung im Sinn eines Wechselmodells. Das Amtsgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens den Antrag zum Sorgerecht zurückgewiesen. Wegen des Hilfsantrags hat es ein gesondertes Umgangsverfahren eingeleitet, das vor dem Senat unter dem Aktenzeichen XII ZB 512/18 anhängig ist.

[5] Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde des Kindesvaters zurückgewiesen. Dagegen richtet sich dessen zugelassene Rechtsbeschwerde, mit welcher er seinen Antrag auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für die drei Kinder weiterverfolgt.

[6] II. Die Rechtsbeschwerde bleibt ohne Erfolg.

[7] 1. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts liegen keine triftigen, das Wohl der Kinder nachhaltig berührenden Gründe nach § 1696 Abs. 1 Satz 1 BGB für eine Abänderung der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Kindesmutter vor. § 1696 Abs. 1 Satz 1 BGB entfalte eine Stabilisierungsfunktion für gerichtlich angeordnete Sorge- und Umgangsverhältnisse. Die Vorschrift diene dem Schutz des Kindes oder der Sorgeberechtigten vor Verunsicherung und Infragestellung dieser Ordnung. Gegen eine Änderung sprächen regelmäßig das Kontinuitätsbedürfnis sowie sein Interesse an einer Stabilität der Lebensverhältnisse. Das Tatbestandsmerkmal der triftigen Gründe nach § 1696 Abs. 1 BGB beinhalte auch das Erfordernis, dass neue Tatsachen zu einer veränderten Beurteilung Anlass gäben. Insofern genüge eine abweichende Beurteilung bei unveränderter Sach- und Rechtslage nicht.

[8] Auch ein bereits geäußerter, jedoch nachdrücklich wiederholter Änderungswunsch eines Kindes könne einen im Rahmen dieser Abwägung zu beachtenden neuen Umstand darstellen. Maßgebliches Entscheidungskriterium sei jedoch das Kindeswohl mit der in § 1696 Abs. 1 Satz 1 BGB genannten Schwelle. Soweit sich der zu beachtende Wille des Kindes auf eine Veränderung der Verhältnisse richte, sei eine Änderung somit nur zulässig und gerechtfertigt, wenn die Änderungsinteressen des Kindes im Einzelfall die anderen zu berücksichtigenden Gründe für eine kindeswohlorientierte Entscheidung deutlich überwiegen. Der Kindeswille stelle also wie auch im Rahmen der Abwägung nach § 1671 BGB nur einen von mehreren Gesichtspunkten für den übergeordneten Entscheidungsmaßstab des Kindeswohls dar.

[9] Da familiengerichtliche Entscheidungen maßgeblichen Einfluss auf das Leben eines Kindes nähmen und es damit unmittelbar betroffen sei, sei das Kind bei jeder Entscheidung in seiner Individualität und mit seinem Willen einzubeziehen, was mit zunehmendem Alter und zunehmender Einsichtsfähigkeit des Kindes an Bedeutung gewinne. Denn nur so könne es sich zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Person entwickeln, wobei der Kindeswille die Bindung zu einem Elternteil zum Ausdruck bringe und darüber hinaus einen Akt der Selbstbestimmung darstelle. Insoweit seien an den Kindeswillen Mindestanforderungen wie Zielorientierung, Intensität, Stabilität und Autonomie zu stellen. Der Kindeswille könne schon allein deswegen zu beachten sein, weil er sich jedenfalls als eine zu respektierende psychische Lebenswirklichkeit des Kindes darstelle.

[10] Es komme im vorliegenden Fall entscheidend darauf an, ob hier ein zu beachtender Wille der drei Kinder, gerichtet auf eine Änderung der gegenwärtigen Verhältnisse, gegeben sei, der die übrigen, im Rahmen der Entscheidung des Amtsgerichts vom 7. April 2014 berücksichtigten Kindeswohlerwägungen derart überwiege, dass eine Änderung dieser Entscheidung angezeigt wäre. Das sei jedoch nicht der Fall.

[11] Zwar sei dem Kindesvater insoweit Recht zu geben, als vorliegend der Wille aller drei Kinder darauf gerichtet sei, ihren Lebensmittelpunkt im Haushalt des Vaters am bisherigen Wohnort zu haben. Diesen Willen hätten die Kinder wiederholt und in verschiedenen Anhörungs- bzw. Untersuchungssituationen geäußert. Es sei auch davon auszugehen, dass es sich dabei um einen stabilen, sich nachhaltig intensivierenden und zielorientierten Willen der Kinder handele. Allerdings sei nach den überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen, der Einschätzung des Jugendamts, nach den in der Akte ausführlich dokumentierten Kindesanhörungen sowie aufgrund der übrigen aktenkundlichen Feststellungen im Verfahren davon auszugehen, dass der Wille der Kinder nicht autonom sei, d.h. in dem Sinne Ausdruck eines individuellen, selbst initiierten Bestrebens, sondern sich lediglich als zu respektierende psychische Lebenswirklichkeit der Kinder darstelle.

[12] Zweifel an der Verwertbarkeit des Sachverständigengutachtens bestünden nicht, zumal die tatsächlichen Feststellungen der hinreichend qualifizierten Sachverständigen von keinem der Beteiligten angezweifelt worden seien. Die Sachverständige habe festgestellt, dass der Wille der Kinder jedenfalls kein ausschließlich autonom gebildeter sei. Da es dem Kindesvater schwerfalle, seine Bedürfnisse von den Bedürfnissen der Kinder zu trennen, bewirke er, dass die Kinder nicht ihre eigenen Bedürfnisse auslebten, sondern sich in die Bedürfniswelt des Vaters einfänden und danach reagierten. In einer solchen

Konstellation sei die Möglichkeit, dass der Kindeswille zum Baustein der Selbstwerdung des Kindes und zur Bestätigung seines individuellen Subjektseins beitrage, zumindest eingeschränkt. Die Sachverständige habe dokumentiert, dass der Vater überbehütende Tendenzen aufweise und vollständig in das Leben der Kinder integriert sein wolle. Seine Reaktionen und Aktionen in Übergabesituationen, die aktenkundlich geworden seien, zeigten eine erhebliche Schwierigkeit des Kindesvaters, sich von den Kindern zu lösen und diese der Mutter zu übergeben. Sein Verhalten und die von ihm getätigten Aussagen trügen dazu bei, die Kinder in eine angespannte Situation zu versetzen, sie zu verunsichern oder ihnen gar Schuldgefühle oder Gefühle der Verantwortung für den Vater aufzubürden. Insbesondere das älteste Kind solidarisiere sich mit dem Kindesvater, um dessen besondere Aufmerksamkeit und Bestätigung zu erlangen. Schon im Ausgangsverfahren habe dieses gegenüber dem damaligen Verfahrensbeistand statt eigener Bedürfnisse vorwiegend den Wunsch und Willen des Kindesvaters zum Ausdruck gebracht. Aus sachverständiger Sicht handele es sich um eine Kombination aus einem autonom entstandenen Willen und nicht autonom entstandenen Anteilen durch Beeinflussung des Vaters. Das versetze das Kind in einen Konflikt, so dass es Gefahr laufe, seine eigenen Bedürfnisse aus den Augen zu verlieren. Insgesamt assoziierten die Kinder hauptsächlich die Vorzüge des Wohnens im ehemaligen Familienwohnhaus und die damit verbundenen Lebensumstände (Haus, Garten, Spielmöglichkeiten, Haustier) mit einem Lebensmittelpunkt beim Kindesvater. Zwar sei nicht zu verkennen, dass die Kinder emotionale Gründe angegeben hätten, warum sie gern beim Vater leben wollten. Andererseits sei auch zu berücksichtigen, dass sich im Laufe des Verfahrens und des Ausgangsverfahrens starke Beeinflussungs- oder gar Instrumentalisierungstendenzen des Kindesvaters gezeigt hätten. Der Wille der Kinder allein als psychische Lebenswirklichkeit wiege weniger schwer, da er nicht Ausdruck von kindlicher Selbstbestimmung sei.

[13] Mit Blick auf die übrigen Aspekte der Kindeswohlprüfung überwiege der Kindeswille jedenfalls nicht in einer Weise, dass sich an der Gesamtabwägung des Kindeswohls gegenüber der vorangegangenen Entscheidung für den Lebensmittelpunkt der Kinder etwas ändern würde. Das gelte insbesondere im Hinblick auf die Erziehungseignung und die Bindungstoleranz. Die Kindesmutter habe in der Vergangenheit nicht nur ihre Bindungstoleranz, sondern auch ihre Bindungsfürsorge unter Beweis gestellt und den Kindesvater über die geregelten Umgangszeiten hinaus in die Betreuung und Versorgung der Kinder einbezogen. In ihrer Obhut habe sich im Übrigen, wie von der Schule zurückgemeldet worden sei, die Situation für die Kinder entspannt und stabilisiert.

[14] 2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.

[15] a) Gemäß § 1696 Abs. 1 Satz 1 BGB ist eine Entscheidung zum Sorge- oder Umgangsrecht oder ein gerichtlich gebilligter Vergleich zu ändern, wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist. Abänderungsgründe in diesem Sinne liegen nach den vom Oberlandesgericht in nicht zu beanstandender Weise getroffenen Feststellungen nicht vor. Vielmehr ist sogar davon auszugehen, dass die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Kindesmutter nach wie vor dem Wohl der drei gemeinsamen Kinder am besten entspricht.

[16] aa) Die Beurteilung des Kindeswohls liegt in der Verantwortung der Tatsachengerichte. Dem Rechtsbeschwerdegericht obliegt lediglich die Kontrolle auf Rechtsfehler, insbesondere die Prüfung, ob die Tatsachengerichte alle maßgeblichen Gesichtspunkte in Betracht gezogen haben und die Würdigung auf einer ausreichenden Sachaufklärung beruht (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 185, 272 = FamRZ 2010, 1060 Rn. 29 mwN).

[17] Der Senat hat bereits in seiner bisherigen Rechtsprechung als gewichtige Gesichtspunkte des Kindeswohls die Erziehungseignung der Eltern, die Bindungen des Kindes, die Prinzipien der Förderung und der Kontinuität sowie die Beachtung des Kindeswillens angeführt. Die einzelnen Kriterien stehen aber letztlich nicht wie Tatbestandsmerkmale kumulativ nebeneinander. Jedes von ihnen kann im Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam für die Beurteilung sein, was dem Wohl des Kindes am besten entspricht (Senatsbeschlüsse BGHZ 211, 22 = FamRZ 2016, 1439 Rn. 20; BGHZ 185, 272 = FamRZ 2010, 1060 Rn. 19 mwN).

[18] Nach § 159 Abs. 1 FamFG ist ein Kind, das das 14. Lebensjahr vollendet hat, persönlich anzuhören. Auch ein jüngeres Kind ist gemäß § 159 Abs. 2

FamFG persönlich anzuhören, wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind oder wenn eine persönliche Anhörung aus sonstigen Gründen angezeigt ist (Senatsbeschluss vom 31. Oktober 2018 - XII ZB 411/18 - FamRZ 2019, 115 Rn. 12). Die Neigungen, Bindungen und der Kindeswille sind gewichtige Gesichtspunkte des Kindeswohls (Senatsbeschlüsse BGHZ 211, 22 = FamRZ 2016, 1439 Rn. 44 und BGHZ 185, 272 = FamRZ 2010, 1060 Rn. 19).

[19] bb) Der vom Kind geäußerte Wille hat bei kleineren Kindern vornehmlich Erkenntniswert hinsichtlich seiner persönlichen Bindungen (vgl. BVerfG FamRZ 2007, 1078 Rn. 12, 18; FamRZ 2008, 1737, 1738; Senatsbeschluss vom 6. Dezember 1989 - IVb ZB 66/88 - FamRZ 1990, 392, 393), ist mit zunehmendem Alter jedoch auch als Ausdruck der Entwicklung des Kindes zu einer eigenständigen Persönlichkeit bedeutsam (§ 1626 Abs. 2 Satz 2 BGB; vgl. BVerfG FamRZ 2008, 1737, 1738). Der Kindeswille ist aber nur insoweit zu berücksichtigen, als er dem Kindeswohl entspricht (Senatsbeschluss BGHZ 185, 272 = FamRZ 2010, 1060 Rn. 31; BVerfG FamRZ 1981, 124, 126 f. und FamRZ 2008, 1737, 1738).

[20] Zur Berücksichtigung des Willens des Kindes und seiner Interessen sieht das Gesetz die Bestellung eines Verfahrensbeistands vor (§ 158 FamFG; vgl. Senatsbeschluss vom 31. Oktober 2018 - XII ZB 411/18 - FamRZ 2019, 115 Rn. 16). Die Einrichtung der Verfahrensbeistandschaft ist übereinstimmend mit der ihr vorausgegangenen - inhaltsgleichen - Verfahrenspflegschaft Ausdruck der Subjektstellung des Kindes in seiner Individualität als Grundrechtsträger (vgl. BVerfG FamRZ 2007, 1078 Rn. 10 mwN; vgl. auch BVerfG FamRZ 2004, 86; Senatsbeschluss BGHZ 185, 272 = FamRZ 2010, 1060 Rn. 32). Sie soll in Fällen eines Interessenkonflikts zwischen Kind und Eltern insbesondere die einseitige Vertretung der Interessen des Kindes ermöglichen und unterscheidet sich insofern vom Aufgabenkreis des Familiengerichts und der weiteren Beteiligten (BT-Drucks. 13/4899 S. 129 f. - zur Verfahrenspflegschaft). Die Verfahrensbeistandschaft trägt auch dem Umstand Rechnung, dass Scheidungskinder sich oftmals in einer verunsicherten psychischen Situation befinden und ein Verfahrensbeistand das Kind durch die Vertretung seiner Interessen gegenüber dem Familiengericht entlasten kann (Senatsbeschluss BGHZ 185, 272

= FamRZ 2010, 1060 Rn. 32 - zum Verfahrenspfleger).

[21] b) Die angefochtene Entscheidung weist nach diesen Maßstäben keine materiell-rechtlichen Fehler auf und ist auch verfahrensfehlerfrei ergangen.

[22] aa) Das sachverständig beratene Oberlandesgericht hat eine Abänderung der im Vorverfahren ergangenen Sorgerechtsregelung vor allem wegen der gegenüber dem Kindesvater nach wie vor besseren Erziehungskompetenz der Kindesmutter abgelehnt.

[23] Das Oberlandesgericht hat den auf einen Wechsel in den Haushalt des Kindesvaters gerichteten Willen der Kinder, den diese im vorliegenden wie zum Teil auch bereits im Ausgangsverfahren geäußert haben, berücksichtigt. Es hat dem Kindeswillen im Ergebnis aber zu Recht keine ausschlaggebende Bedeutung zugemessen, weil dem weitere, gewichtigere Gründe des Kindeswohls entgegenstehen. Zwar haben die Kinder nach den vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen eine intakte Bindung zum Kindesvater. Dieser bietet ihnen insbesondere im früheren Familienwohnheim gute Spielgelegenheiten und beschäftigt sich intensiv mit den Kindern.

[24] Demgegenüber fällt jedoch erheblich ins Gewicht, dass hinsichtlich der Erziehungsfähigkeit des Kindesvaters, insbesondere seiner Bindungstoleranz, deutliche Abstriche zu machen sind. Das Oberlandesgericht hat insoweit in rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, der Kindesvater vermöge es nach wie vor weniger als die Kindesmutter, den Kindern zu ihrer Entwicklung Freiräume zu gewähren und dabei eigene Bedürfnisse hintanzustellen. In diesem Zusammenhang sei auch das über Jahre hinweg wiederholte und drängende Einwirken auf die Kinder negativ zu gewichten. Wenn der Kindesvater insbesondere in den Übergabesituationen, in denen es den Kindern und vor allem K-D. schwergefallen sei, sich von ihm zu lösen und zur Mutter zu gehen, diese Situationen filme, anstatt den Kindern als Vater stärkend zur Seite zu stehen, zeige dies, dass er sich in für die Kinder wichtigen Situationen weniger empathisch auf die Bedürfnisse der Kinder einstellen könne. Erzieherische Defizite des Kindesvaters betreffen vor allem auch die Vermittlung von Regeln und Grenzen. Zudem lässt er es an der notwendigen Loyalität zur Kindesmutter als dem anderen Elternteil fehlen. Es wirkt sich nachteilig auf die Kinder aus, wenn sie von einem Elternteil ­ bewusst oder unbewusst ­ unter "Koalitionsdruck" gesetzt und sie dadurch in Loyalitätskonflikte gebracht werden (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 214, 31 = FamRZ 2017, 532 Rn. 31).

[25] Beide Vorinstanzen befinden sich in ihrer Einschätzung im Einklang mit dem ausführlichen Sachverständigengutachten und dem Jugendamt. Insbesondere hat sich auch der Verfahrensbeistand eindeutig für eine Beibehaltung der bestehenden Sorgerechtsregelung ausgesprochen. Dieser hat dabei entsprechend seiner gesetzlichen Aufgabenzuweisung auch den gegenläufig geäußerten Willen der drei betroffenen Kinder berücksichtigt, diesen aber übereinstimmend mit der Sachverständigen und dem Jugendamt als vom Vater beeinflusst und im Widerspruch zu weiteren, gewichtigen Belangen des Kindeswohls angesehen.

[26] bb) Die von der Rechtsbeschwerde erhobenen Verfahrensrügen sind unbegründet.

[27] Die von der Rechtsbeschwerde gerügte Widersprüchlichkeit der angefochtenen Entscheidung sowie der von der Sachverständigen im Gutachten und in der mündlichen Anhörung gemachten Angaben besteht nicht. Hierfür kann dahinstehen, inwiefern es sich beim Willen der Kinder um einen nicht autonomen oder einen teilweise autonomen Willen handelt. Denn für die vom Oberlandesgericht gezogene Schlussfolgerung reicht es aus, dass der Wille der Kinder beeinflusst ist, was von den Vorinstanzen beanstandungsfrei festgestellt worden ist. Überdies hat das Oberlandesgericht maßgeblich auf die mit dem Willen der Kinder insoweit nicht zu vereinbarenden weiteren Belange des Kindeswohls abgestellt, die im vorliegenden Fall den von den Kindern geäußerten, aber nicht völlig autonom gebildeten Willen als nicht ausschlaggebend erscheinen lassen.

[28] Auch die Rüge der Rechtsbeschwerde, dass das Oberlandesgericht die Kinder habe erneut anhören müssen, ist unbegründet. Die Kinder sind vor dem Amtsgericht in beiden Parallelverfahren insgesamt dreimal angehört worden. Sowohl das Jugendamt als auch der Verfahrensbeistand haben darauf hingewiesen, dass die Kinder durch den in beiden Verfahren ausgetragenen Elternkonflikt erheblich belastet sind. Der Verfahrensbeistand hat es dementsprechend als berufener Interessenvertreter der Kinder ausdrücklich für richtig gehalten, dass die Kinder in der Beschwerdeinstanz nicht erneut angehört worden sind (vgl. Senatsbeschluss vom 31. Oktober 2018 - XII ZB 411/18 - FamRZ 2019, 115 Rn. 16). Da der Wille der Kinder und ihre Motivation aufgrund der erstinstanzlichen Anhörungen und des eingeholten Sachverständigengutachtens ausführlich untersucht worden sind, bedurfte es vor dem Oberlandesgericht keiner erneuten Anhörung der Kinder.

[29] c) Soweit das Oberlandesgericht die Zulassung der Rechtsbeschwerde mit dem engen Zusammenhang der parallel laufenden Verfahren und der seiner Meinung nach aufgrund der neueren Rechtsprechung des Senats nicht mehr eindeutigen Abgrenzbarkeit der Gegenstände Sorgerecht und Umgangsrecht begründet hat, stellen sich derartige Fragen im vorliegenden Verfahren nicht. Die Abgrenzung von Umgangs- und Sorgerechtsverfahren ist vielmehr eindeutig und von den Vorinstanzen zutreffend vorgenommen worden. Soweit die inhaltliche Reichweite und die Folgerichtigkeit der in den beiden Verfahren ergehenden Entscheidungen in Frage stehen (vgl. dazu Senatsbeschluss vom

27. November 2019 - XII ZB 512/18 - zur Veröffentlichung bestimmt), haben sich für das Oberlandesgericht im vorliegenden Fall auch insoweit aus der

Parallelität der Verfahren keine Probleme ergeben.

Dose Klinkhammer Botur

Guhling Krüger

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