BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2020 - VI ZB 6/20

24.11.2020

BUNDESGERICHTSHOF

vom

27. Oktober 2020

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


ZPO § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3


Zu den inhaltlichen Anforderungen an die Berufungsbegründung (hier: Abweisung einer Klage wegen Inverkehrbringens eines Kraftfahrzeugs mit unzulässiger Abschalteinrichtung).


BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2020 - VI ZB 6/20 - OLG Oldenburg, LG Osnabrück


Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Oktober 2020 durch den Vorsitzenden Richter Seiters, die Richterinnen Dr. Oehler und Müller sowie die Richter Dr. Klein und Böhm

beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 16. Dezember 2019 wird auf Kosten des Klägers als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt bis 22.000 €.

Gründe:

[1] I. Der Kläger nimmt die Beklagte im Zusammenhang mit dem Erwerb eines von ihm im Januar 2016 bei einem Autohaus gekauften und von der Beklagten hergestellten Gebrauchtwagens auf Schadensersatz in Anspruch.

[2] Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet. Im Zeitpunkt des Kaufs führte die Software für die Motorsteuerung zu einer Optimierung der Stickstoff-Emissionswerte im behördlichen Prüfverfahren. Im Jahr 2015 beanstandete das Kraftfahrtbundesamt die in dem Aggregat EA189 aufgespielte Steuerungssoftware als unzulässige Abschalteinrichtung und verpflichtete die Beklagte, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Vorschriftsmäßigkeit der betroffenen Fahrzeuge herzustellen. Das daraufhin entwickelte Software-Update ließ der Kläger im November 2016 bei seinem Fahrzeug aufspielen.

[3] Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte habe ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag für das Fahrzeug nicht abgeschlossen.

[4] Das Landgericht O. hat die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 18. Juli 2019 begründet. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen, da die Berufungsbegründung nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO genüge. Abgesehen von der einleitenden schlichten Zusammenfassung einiger Argumente des Landgerichts enthalte die hundertseitige Berufungsbegründung keine Passagen, die erkennbar an die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung anknüpften und auf den konkreten Streitfall zugeschnitten seien. Selbst wenn man in einigen der abstrakt formulierten Textbausteine eine Auseinandersetzung mit einzelnen Argumenten des Landgerichts erblicken wollte, fehle es an einem Angriff im Hinblick auf die die Urteilsgründe des Landgerichts tragenden Feststellungen.

[5] Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

[6] II. Die gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt. Insbesondere ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) erforderlich. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde verletzt der angefochtene Beschluss nicht den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. BVerfG, NJW 2003, 281 mwN).

[7] Die Beurteilung des Berufungsgerichts, veröffentlicht in BeckRS 2019, 42668, dass der Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 18. Juli 2019 inhaltlich nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO an eine Berufungsbegründung entspricht, ist nicht zu beanstanden.

[8] 1. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben; nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen zwar nicht; auch ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen in erster Instanz zu verweisen (st. Rspr., vgl. nur Senatsbeschluss vom 11. Februar 2020 - VI ZB 54/19, NJW-RR 2020, 503 Rn. 5 mwN). Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung in dieser Weise jede tragende Erwägung angreifen; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (st. Rspr., vgl. nur Senatsbeschluss vom 11. Februar 2020 - VI ZB 54/19 aaO Rn. 6 mwN).

[9] 2. Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass der Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 18. Juli 2019 diesen Anforderungen nicht gerecht wird.

[10] Das Landgericht hat deliktische Ansprüche des Klägers unter anderem deshalb für nicht gegeben gehalten, weil der Kläger seine anfänglichen schriftsätzlichen Behauptungen, er habe von der unzulässigen Software erst im Oktober 2016 Kenntnis erlangt, im Rahmen seiner persönlichen Anhörung nicht aufrechterhalten, sondern vielmehr erklärt habe, dass ihm von den Mitarbeitern der Verkäuferin bei dem Kauf mitgeteilt worden sei, das Fahrzeug sei mit einem vom sogenannten Abgas-Skandal betroffenen Motor ausgestattet. Die weiteren Lösungen zu dieser Problematik würden über die Beklagte laufen. Die Beklagte werde sich bei dem Kläger melden. Der Kläger habe nach eigenen Angaben zudem die mediale Berichterstattung über den Abgas-Skandal bis zum Zeitpunkt des Kaufs mitverfolgt. Ihm seien die Geschehnisse hierzu in den USA ebenso bekannt gewesen wie der Umstand, dass das Kraftfahrtbundesamt etwa Ende November 2015 bekannt gegeben habe, es werde die Umrüstung durch ein Software-Update voraussichtlich genehmigen. Dem Kläger sei nach seinen eigenen Erklärungen insoweit bekannt gewesen, dass die Beklagte bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags in Abstimmung mit dem Kraftfahrtbundesamt damit befasst gewesen sei, ein Software-Update zu entwickeln. Ferner habe der Kläger Kenntnis davon gehabt, dass viele Aspekte vom konkreten weiteren Vorgehen noch nicht (abschließend) geklärt und folglich noch offen gewesen seien. Vor diesem Hintergrund sei nicht ersichtlich, dass ein Fehlverhalten der Beklagten den Kaufentschluss des Klägers beeinflusst habe.

[11] Gegen diese die Klageabweisung selbständig tragenden Erwägungen des Landgerichts bringt die Berufungsbegründung nichts vor. Anders als die Rechtsbeschwerde meint, genügt es insoweit nicht, dass in der Berufungsbegründung ausgeführt wird, entgegen der Auffassung des Landgerichts D. sei es unerheblich, dass das Fahrzeug nach September 2015 erworben worden sei. Die Beklagte habe nicht dargelegt, welche konkreten Einzelheiten die Klagepartei zum Kaufzeitpunkt gekannt haben solle. Die Klagepartei habe bei Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeugs weder aufgrund der Ad-hoc-Mitteilung der Beklagten, der Medienberichterstattung oder anderer Mitteilungen der Beklagten Kenntnis von der implementierten Abschaltvorrichtung oder einer drohenden Betriebsuntersagung gehabt. Wäre dem Kläger bekannt gewesen, dass das streitgegenständliche Fahrzeug nicht den gesetzlichen Vorgaben entspreche, hätte er es nicht gekauft. Dieses Vorbringen steht - nicht nur wegen der falschen Bezeichnung des erstinstanzlichen Gerichts - offensichtlich in keinem Bezug zu dem vom Landgericht als unstreitig festgestellten Sachverhalt, wonach der Kläger bei Abschluss des Kaufvertrages wusste, dass das Kraftfahrtbundesamt die im gekauften Fahrzeug verwendete Motorsteuerungssoftware als unzulässige Abschalteinrichtung beanstandet hatte und noch offen war, ob diese Beanstandung durch ein Software-Update würde ausgeräumt werden können. Soweit die Rechtsbeschwerde auf Vortrag in der Berufungsbegründung verweist, wonach das implementierte Software-Update erneut eine unzulässige Abschaltvorrichtung enthalten habe, worüber der Kläger nicht informiert worden sei, steht dies hinsichtlich der vom Landgericht verneinten haftungsbegründenden Kausalität eines etwaigen Fehlverhaltens der Beklagten für den geltend gemachten Schaden (Abschluss des Kaufvertrages) in keinem erkennbaren Zusammenhang mit dem Streitfall, in dem die Kaufentscheidung vor Kontaktaufnahme mit der Beklagten und dem Aufspielen der Software getroffen wurde.

[12] Nachdem somit zu einer vom Landgericht abgelehnten und alle denkbaren Anspruchsgrundlagen betreffenden Haftungsvoraussetzung kein den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO entsprechender Berufungsangriff vorliegt, ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Belang, ob die Berufungsbegründung im Übrigen Rügen bezüglich weiterer Anspruchsvoraussetzungen enthält, die vom Landgericht ebenfalls verneint oder nicht erörtert wurden.

Seiters Oehler Müller

Klein Böhm

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