BGH, Beschluss vom 28. Februar 2018 - XII ZR 87/17

27.03.2018

BUNDESGERICHTSHOF

vom

28. Februar 2018

in der Familiensache


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


FamFG § 266 Abs. 1 Nr. 3


a) Für die Prüfung, ob der zur Entscheidung anstehende Verfahrensgegenstand eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit oder eine Familiensache im Sinne des § 17 a Abs. 6 GVG darstellt, kommt es nicht allein auf den Vortrag der Klägerseite, sondern ebenfalls auf das Verteidigungsvorbringen der Gegenseite an (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 5. Dezember 2012 ­ XII ZB 652/11 ­ FamRZ 2013, 281).

b) Der Meistbegünstigungsgrundsatz vermag keine Erweiterung des gesetzlichen Rechtsmittelzuges zu rechtfertigen. Das der tatsächlichen (inkorrekten) Entscheidungsform entsprechende Rechtsmittel ist folglich nur dann statthaft, wenn gegen eine formell richtige Entscheidung ein Rechtsmittel gegeben wäre (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 17. Dezember 2008 ­ XII ZB 125/06 ­ MDR 2009, 1000).


BGH, Beschluss vom 28. Februar 2018 - XII ZR 87/17 - OLG Koblenz, LG Bad Kreuznach


Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. Februar 2018 durch

den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Schilling, Dr. Nedden-Boeger, Dr. Botur und Guhling

beschlossen:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 5. Juli 2017 wird auf seine Kosten verworfen.

Wert: 100.000 €

Gründe:

[1] I. Die Antragstellerin begehrt von dem Antragsgegner Zahlung von 52.000 €, Freigabe weiterer 48.000 €, die beim Amtsgericht hinterlegt sind, und Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten.

[2] Die miteinander verheirateten Beteiligten leben seit Januar 2016 getrennt. Die Antragstellerin ist zu diesem Zeitpunkt aus der Ehewohnung ausgezogen. Zuvor hatte die Antragstellerin im Dezember 2015 erfahren, dass sie Erbin nach einem entfernten Onkel geworden war. Der Nachlasspfleger überwies einen Teilbetrag von 100.000 € auf ein Konto des Antragsgegners, nachdem ihm dieses Konto - unter im Einzelnen streitigen Umständen - benannt worden war.

[3] Der Antragsgegner meint, die Antragstellerin habe selbst die Auszahlung auf sein Konto veranlasst, weil sie kein Konto habe und mit dem Geld unter anderem gemeinsame Schulden habe tilgen sowie den zukünftigen Unterhalt des gemeinsamen Sohnes habe sicherstellen wollen. Zudem rechnet er mit entsprechenden Gegenforderungen auf.

[4] Das Landgericht hat der Klage vollumfänglich stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Antragsgegners durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision.

[5] II. Die Beschwerde ist nicht statthaft.

[6] Die Vorinstanzen haben die Sache zu Unrecht als allgemeine Zivilsache und nicht als Familiensache behandelt. In Familiensachen ist ein Rechtsmittel gegen die zweitinstanzliche Entscheidung nur gegeben, wenn es in dieser Entscheidung zugelassen wurde (§ 70 Abs. 1 FamFG). Eine Nichtzulassungsbeschwerde sieht das Gesetz nicht vor. Auch der Meistbegünstigungsgrundsatz kann eine Statthaftigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde nicht begründen.

[7] 1. Bei dem bisher als Zivilsache behandelten Verfahren handelt es sich um eine sonstige Familiensache nach § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG.

[8] a) Gemäß § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG sind sonstige Familiensachen Verfahren, die Ansprüche zwischen miteinander verheirateten oder ehemals miteinander verheirateten Personen oder zwischen einer solchen und einem Elternteil im Zusammenhang mit Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe betreffen, sofern nicht die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte gegeben ist oder das Verfahren eines der in § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. a bis k ZPO genannten Sachgebiete, das Wohnungseigentumsrecht oder das Erbrecht betrifft und sofern es sich nicht bereits nach anderen Vorschriften um eine Familiensache handelt (Senatsbeschluss vom 12. Juli 2017 ­ XII ZB 40/17 ­ FamRZ 2017, 1599 Rn. 10).

[9] Mit § 266 FamFG hat der Gesetzgeber den Zuständigkeitsbereich der Familiengerichte deutlich erweitert ("Großes Familiengericht"). Damit sollen bestimmte Zivilrechtsstreitigkeiten, die eine besondere Nähe zu familienrechtlich geregelten Rechtsverhältnissen aufweisen oder die in engem Zusammenhang mit der Auflösung eines solchen Rechtsverhältnisses stehen, ebenfalls Familiensachen werden. Ordnungskriterium dabei ist nach der Gesetzesbegründung allein die Sachnähe des Familiengerichts zum Verfahrensgegenstand. Im Interesse aller Beteiligten soll es dem Familiengericht möglich sein, alle durch den sozialen Verband von Ehe und Familie sachlich verbundenen Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden. In den Fällen des § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG muss ein Zusammenhang mit Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe bestehen. Ein inhaltlicher Zusammenhang liegt vor, wenn das Verfahren vor allem die wirtschaftliche Entflechtung der (vormaligen) Ehegatten betrifft (Senatsbeschluss vom 12. Juli 2017 ­ XII ZB 40/17 ­ FamRZ 2017, 1599 Rn. 11 mwN). Bei dieser Prüfung sind nicht nur die tatsächlichen und rechtlichen Verbindungen, sondern ist auch der zeitliche Ablauf zu berücksichtigen (BGH Beschluss vom 29. Juni 2017 ­ IX ZB 98/16 ­ FamRZ 2017, 1602 Rn. 18 mwN).

[10] Für die Prüfung, ob der zur Entscheidung anstehende Verfahrensgegenstand eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit oder eine Familiensache im Sinne des § 17 a Abs. 6 GVG darstellt, kommt es nicht allein auf den Vortrag der Klägerseite, sondern ebenfalls auf das Verteidigungsvorbringen der Gegenseite an (Senatsbeschluss vom 5. Dezember 2012 ­ XII ZB 652/11 ­ FamRZ 2013, 281 Rn. 19 ff. mwN).

[11] b) Jedenfalls das Verteidigungsvorbringen des Antragsgegners stellt einen inhaltlichen Zusammenhang zur Trennung der Beteiligten und zur wirtschaftlichen Entflechtung der Ehegatten dar. Denn der Antragsgegner hat gegen den Anspruch eingewandt, die Antragstellerin habe ihm das Geld angewiesen, um damit die gemeinsamen Schulden auszugleichen bzw. den Unterhalt des gemeinsamen Sohnes sicherzustellen.

[12] Auch in zeitlicher Hinsicht steht der vorliegende Rechtsstreit - betreffend die Rückforderung einer Ende Januar 2016 erfolgten Auszahlung - in unmittelbarem Zusammenhang mit der Trennung der Eheleute im Januar 2016.

[13] 2. Allerdings dürfen die Verfahrensbeteiligten dadurch, dass das Gericht seine Entscheidung in einer falschen Form erlassen hat, keinen Rechtsnachteil erleiden. Ihnen steht deshalb grundsätzlich sowohl das Rechtsmittel zu, das nach der Art der tatsächlich ergangenen Entscheidung statthaft ist, als auch das Rechtsmittel, das bei einer in der richtigen Form erlassenen Entscheidung zulässig wäre. Der Grundsatz der Meistbegünstigung findet in gleicher Weise Anwendung, wenn - wie hier - das Gericht nach dem von ihm angewandten Verfahrensrecht die Entscheidungsform zwar zutreffend gewählt hat, der Fehler jedoch auf der Anwendung eines falschen Verfahrensrechts beruht (Senatsbeschluss vom 2. September 2015 ­ XII ZB 75/13 ­ FamRZ 2015, 2043 Rn. 21 mwN).

[14] Der Schutzgedanke der Meistbegünstigung gebietet es indessen nicht, dass das Rechtsmittel auf dem vom vorinstanzlichen Gericht eingeschlagenen falschen Weg weitergehen müsste; vielmehr hat das Rechtsmittelgericht das Verfahren so weiter zu betreiben, wie dies im Falle einer formell richtigen Entscheidung durch die Vorinstanz und dem danach gegebenen Rechtsmittel geschehen wäre. Daher kann die Meistbegünstigung auch nicht zu einer dem korrekten Verfahren widersprechenden Erweiterung des Instanzenzuges führen. Aus dem Meistbegünstigungsgrundsatz lässt sich insoweit nicht herleiten, dass gegen eine inkorrekte Entscheidung auch noch dann ein ihrer äußeren Form entsprechendes Rechtsmittel - hier die Nichtzulassungsbeschwerde nach § 522 Abs. 3 iVm § 544 ZPO - zum Bundesgerichtshof statthaft ist, wenn gegen eine korrekte Entscheidung die Anrufung des Bundesgerichtshofs aus besonderen Gründen des jeweiligen Verfahrens - hier wegen des Fehlens einer positiven Zulassungsentscheidung nach § 70 Abs. 1 FamFG - nicht statthaft wäre (Senatsbeschluss vom 2. September 2015 ­ XII ZB 75/13 ­ FamRZ 2015, 2043 Rn. 22 mwN). Im familiengerichtlichen Verfahren verbleibt es bei der Bindung des Rechtsbeschwerdegerichts an die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde selbst dann, wenn das Beschwerdegericht von einer Entscheidung über die Zulassung deshalb abgesehen hat, weil es aufgrund eines Rechtsirrtums da-

von ausgegangen ist, dass ein Rechtsmittel gegen seine Entscheidung schon kraft Gesetzes statthaft ist (vgl. Senatsbeschluss vom 2. September 2015 ­ XII ZB 75/13 ­ FamRZ 2015, 2043 Rn. 23 mwN).

[15] Gemessen hieran ist ein Rechtsmittel zum Bundesgerichtshof nicht statthaft. Formell richtig wäre es gewesen, wenn erstinstanzlich das Amtsgericht

- Familiengericht - durch Beschluss entschieden hätte und in zweiter Instanz ein Familiensenat des Oberlandesgerichts als Beschwerdegericht. Im Beschwerdebeschluss hätte das Oberlandesgericht gemäß § 70 FamFG zwar auch darüber entscheiden müssen, ob es die Rechtsbeschwerde zulässt. Ohne eine solche Zulassung wäre aber kein weiteres Rechtsmittel, insbesondere keine Nichtzulassungsbeschwerde, gegeben. Würde man also im vorliegenden Fall, in dem der Rechtsstreit fälschlich als Zivilsache behandelt und entschieden wurde, eine Nichtzulassungsbeschwerde für zulässig erachten, so würde man dem Beschwerdeführer ein Rechtsmittel eröffnen, das ihm bei richtiger Sachbehandlung nicht zustünde.

[16] Ohne dass es darauf ankommen würde, hat eine mit der Zulassung der Rechtsbeschwerde vergleichbare Entscheidung des zweitinstanzlichen Gerichts vorliegend auch bei der erfolgten Behandlung als Zivilsache stattgefunden. Zwar hat hier das Oberlandesgericht als Berufungsgericht nicht durch Urteil, sondern durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO entschieden und dabei auch nicht gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO eine Entscheidung über die Zulassung der Revision getroffen. Das Oberlandesgericht hat sich jedoch im Rahmen des Zurückweisungsbeschlusses mit dem Vorliegen von Zulassungsgründen nach

§ 543 Abs. 2 ZPO und damit mit denselben Fragen beschäftigen müssen, wie sie für die Frage der Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 70 Abs. 2 FamFG) von Bedeutung sind. Die Zulassung eines weiteren Rechtsmittels wäre dann in Betracht gekommen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hätte oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des übergeordneten Gerichts erforderte. All dies hat das Oberlandesgericht geprüft und verneint.

Dose Schilling Nedden-Boeger

Botur Guhling

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