BGH, Beschluss vom 28. September 2016 - XII ZB 313/16

02.11.2016

BUNDESGERICHTSHOF

vom

28. September 2016

in der Unterbringungssache


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


FamFG §§ 68 Abs. 3, 319 Abs. 1 Satz 1


Zur Erforderlichkeit der erneuten Anhörung des Betroffenen durch das Beschwerdegericht in einer Unterbringungssache (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 1. Juni 2016 ­ XII ZB 23/16 ­ FamRZ 2016, 1354).


BGH, Beschluss vom 28. September 2016 - XII ZB 313/16 - LG Potsdam, AG Brandenburg


Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. September 2016 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger, Dr. Botur und Guhling

beschlossen:

Dem Betroffenen wird als Beschwerdeführer für das Verfahren der Rechtsbeschwerde ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Dr. H. beigeordnet.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 11. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 1. Juni 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe:

[1] I. Der im Jahre 1986 geborene Betroffene leidet unter einer paranoiden Schizophrenie. Außerdem liegt bei ihm Cannabismissbrauch mit Krankheitswert vor. Wegen dieser Erkrankungen war er seit 2009 immer wieder öffentlich-rechtlich untergebracht und steht unter anderem in den Bereichen Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung und Entscheidung über Unterbringung und unterbringungsähnliche Maßnahmen unter Betreuung. Nachdem er seit dem 1. Februar 2016 erneut auf der Grundlage des Brandenburgischen Psychisch-Kranken-Gesetzes in einer psychiatrischen Klinik untergebracht war, hat sein Betreuer die Genehmigung der zivilrechtlichen Unterbringung des Betroffenen für die Dauer eines Jahres beantragt.

[2] Das Amtsgericht hat ein schriftliches Sachverständigengutachten sowie die Stellungnahme des den Betroffenen behandelnden Stationsarztes eingeholt, die den Betroffenen in der Klinik behandelnden Ärzte und den Betroffenen persönlich angehört und mit Beschluss vom 20. Mai 2016 die Unterbringung des Betroffenen bis zum 30. November 2016 betreuungsgerichtlich genehmigt. Der Betroffene hat hiergegen Beschwerde eingelegt, woraufhin die Berichterstatterin der Beschwerdekammer eine telefonische Auskunft des behandelnden Stationsarztes eingeholt hat. Anschließend hat das Landgericht die Beschwerde zurückgewiesen.

[3] Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.

[4] II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Der angefochtene Beschluss ist schon deshalb aufzuheben, weil ­ wie die Rechtsbeschwerde im Ergebnis zutreffend rügt ­ das Landgericht zu Unrecht entschieden hat, ohne den Betroffenen persönlich anzuhören.

[5] 1. Die in § 319 Abs. 1 Satz 1 FamFG enthaltene Verpflichtung des Gerichts, vor der Entscheidung über eine Unterbringungsmaßnahme den Betroffenen persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen, besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG auch in einem Unterbringungsverfahren dem Beschwerdegericht die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen, etwa wenn die erstinstanzliche Anhörung des Betroffenen nur kurze Zeit zurückliegt, sich nach dem Akteninhalt keine neuen entscheidungserheblichen Tatsachen oder rechtlichen Gesichtspunkte ergeben, das Beschwerdegericht das in den Akten dokumentierte Ergebnis der erstinstanzlichen Anhörung nicht abweichend werten will und es auf den persönlichen Eindruck des Gerichts von dem Betroffenen nicht ankommt (Senatsbeschluss vom 1. Juni 2016 ­ XII ZB 23/16 ­ FamRZ 2016, 1354 Rn. 16 f. mwN). Zieht das Beschwerdegericht für seine Entscheidung hingegen eine neue Tatsachengrundlage heran, gebietet dies eine erneute persönliche Anhörung des Betroffenen (Senatsbeschluss vom 1. Juni 2016 ­ XII ZB 23/16 ­ FamRZ 2016, 1354 Rn. 18 mwN).

[6] 2. Nach diesen Maßstäben hat das Landgericht vorliegend rechtsfehlerhaft von der persönlichen Anhörung des Betroffenen abgesehen.

[7] Das Landgericht hat seine Entscheidung unter anderem mit der Erwägung begründet, die telefonische Auskunft des behandelnden Arztes habe ergeben, dass sich an den grundsätzlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand des Betroffenen nichts geändert habe und eine therapeutische Behandlung dringend erforderlich sei. Diese erst am Tag der Beschlussfassung über die Beschwerde eingeholte fachärztliche Einschätzung war mithin Grundlage der rechtlichen Würdigung des Landgerichts, dass auch zum Zeitpunkt der zweitinstanzlichen Entscheidung die Tatbestandsvoraussetzungen einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB beim Betroffenen vorlagen. Damit stützte es sich aber entscheidungstragend auf ein anderes Ermittlungsergebnis als das Amtsgericht, so dass die Voraussetzungen des § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG nicht gegeben waren.

[8] Daran ändert der vom Landgericht angeführte Umstand, dass die Beschwerdekammer den Betroffenen im Rahmen eines anderen Beschwerdeverfahrens am 21. April 2016 persönlich angehört hatte, nichts. Denn diese Anhörung war zeitlich noch vor der erstinstanzlichen Unterbringungsgenehmigung erfolgt und konnte dem Landgericht schon nicht die eigenständige Beurteilung ermöglichen, inwieweit die fachärztliche Stellungnahme vom 1. Juni 2016 zum aktuellen Gesundheitszustand und Behandlungsbedarf des Betroffenen zutreffend war. Dies gilt im Übrigen umso mehr, als der Betroffene seitdem mehr als fünf Wochen stationär behandelt worden war.

[9] 3. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 5, Abs. 6 Satz 2 FamFG).

[10] Die weiteren von der Rechtsbeschwerde erhobenen Rügen sind hingegen unbegründet. Von einer weiteren Begründung wird nach § 74 Abs. 7

FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

Dose Günter Nedden-Boeger

Botur Guhling

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