BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2024 - IX ZB 42/23
BUNDESGERICHTSHOF
vom
5. Dezember 2024
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 66 Abs. 1; InsO §§ 38, 79 Satz 1, §§ 87, 89 Abs. 1
a) Das Interesse eines Insolvenzgläubigers, einen gegen den Insolvenzverwalter geltend gemachten Anspruch, die Herausgabe eines Gutachtens an die Insolvenzgläubiger zu unterlassen, abzuwehren, stellt auch dann nur ein rein wirtschaftliches und kein die Zulässigkeit der Nebenintervention begründendes rechtliches Interesse dar, wenn das Gutachten dazu dient, das Bestehen eines Anfechtungsanspruchs zu überprüfen.
b) Ein Insolvenzgläubiger kann sich zur Begründung eines Interventionsinteresses nicht auf das Recht der Gläubigerversammlung auf Unterrichtung durch den Insolvenzverwalter stützen.
BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2024 - IX ZB 42/23 - OLG Oldenburg, LG Oldenburg
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Schoppmeyer, den Richter Röhl, die Richterin Dr. Selbmann, die Richter Dr. Harms und Weinland
am 5. Dezember 2024
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 27. September 2023, berichtigt durch Beschluss vom 30. November 2023, wird auf Kosten der Streithelferin zurückgewiesen.
Gründe:
[1] I. Der Beklagte ist Verwalter in dem am 1. Februar 2017 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Dr. K. (fortan: Schuldner). Der Schuldner war Gesellschafter der Klägerin.
[2] Am Stammkapital der Klägerin waren der Schuldner mit 22.500 € (90 %) und die Geschäftsführerin der Klägerin mit 2.500 € (10 %) beteiligt. Mit Schreiben vom 23. Februar 2015 kündigte der Schuldner seine Geschäftsanteile zum 31. Dezember 2015. Die Gesellschafterversammlung der Klägerin beschloss, die Geschäftsanteile des Schuldners zum 31. Dezember 2015 einzuziehen. Die Klägerin zahlte an den Schuldner eine Abfindung von 22.500 € als nominalen Wert seiner Geschäftsanteile.
[3] Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners ließ der Beklagte von einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ein Wertgutachten zur Höhe des Abfindungsbetrages erstellen, um insbesondere das Bestehen von Insolvenzanfechtungsansprüchen zu prüfen. Die für die Bewertung erforderlichen Geschäftsunterlagen überließ die Klägerin nur unter der Bedingung einer Geheimhaltungsabrede. Der Beklagte sicherte der Klägerin daraufhin zu, die Unterlagen und das Gutachten nicht an Dritte herauszugeben.
[4] Am 29. September 2021 beschloss die Gläubigerversammlung, dass der Beklagte das eingeholte Gutachten vollständig offenzulegen habe. Der Beklagte hat gegen die seinen Antrag auf Aufhebung dieses Beschlusses ablehnende Entscheidung des Insolvenzgerichts sofortige Beschwerde eingelegt.
[5] In der Hauptsache nimmt die Klägerin den Beklagten auf Unterlassung der Herausgabe des Gutachtens über die Bewertung der Geschäftsanteile des Schuldners an der Klägerin nebst damit in Zusammenhang stehender Unterlagen in Anspruch. Die Streithelferin ist Insolvenzgläubigerin. Sie ist dem Rechtsstreit auf Seiten des Beklagten beigetreten. Die Klägerin und der Beklagte haben die Zurückweisung der Nebenintervention beantragt.
[6] Das Landgericht hat mit Zwischenurteil die Nebenintervention zugelassen. Auf die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Klägerin hat das Beschwerdegericht das Zwischenurteil abgeändert und die Nebenintervention zurückgewiesen. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Streithelferin die Wiederherstellung der landgerichtlichen Entscheidung.
[7] II. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
[8] 1. Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung in nicht berichtigter Fassung unter anderem in ZIP 2024, 357 veröffentlicht ist, hat ausgeführt, es fehle an einem rechtlichen Interesse der Streithelferin an der Nebenintervention. Der Streithelferin stehe gegenüber dem Beklagten als Insolvenzverwalter kein Auskunftsrecht zu. Ein solches Auskunftsrecht stehe - in den Grenzen des § 79 InsO - allein der Gläubigerversammlung zu. Eine Nebenintervention zur Kontrolle des Insolvenzverwalters sei nicht vorgesehen. Insolvenzgläubiger könnten nur Maßnahmen der gerichtlichen Aufsicht anregen oder gegebenenfalls Schadensersatz nach § 60 InsO fordern. Daher komme eine Nebenintervention eines Insolvenzgläubigers nur in Betracht, wenn eigene rechtliche Interessen des Gläubigers unmittelbar berührt seien. Dies sei nicht der Fall. Anders als in den Fällen der vom Insolvenzverwalter geführten Feststellungsverfahren und Anfechtungsprozesse fehle es vorliegend an einer normierten Rechtskrafterstreckung auf die Streithelferin und damit auch an einer vergleichbaren Interessenlage. Ein rechtliches Interesse ergebe sich auch nicht daraus, dass bei einem Verstoß des Beklagten gegen ein Urteil Ordnungsgelder drohten.
[9] 2. Dies hält rechtlicher Prüfung stand.
[10] a) Gemäß § 66 Abs. 1 ZPO kann derjenige, der ein rechtliches Interesse daran hat, dass in einem zwischen anderen Personen anhängigen Rechtsstreit eine Partei obsiegt, dieser Partei zum Zwecke ihrer Unterstützung beitreten. Dabei ist der Begriff des rechtlichen Interesses weit auszulegen. Es ist erforderlich, dass der Streithelfer zu der unterstützten Partei oder zu dem Gegenstand des Rechtsstreits in einem Rechtsverhältnis steht, auf das die Entscheidung des Rechtsstreits durch ihren Inhalt oder ihre Vollstreckung unmittelbar oder auch nur mittelbar rechtlich einwirkt (BGH, Urteil vom 21. April 2016 - I ZR 198/13, BGHZ 210, 77 Rn. 19; Beschluss vom 3. Juli 2018 - II ZB 28/16, BGHZ 219, 155 Rn. 10 jeweils mwN). Aus dem Erfordernis eines rechtlichen Interesses folgt, dass ein rein wirtschaftliches Interesse für die Zulässigkeit einer Nebenintervention nicht ausreicht (BGH, Beschluss vom 17. Januar 2006 - X ZR 236/01, BGHZ 166, 18 Rn. 7; vom 10. Februar 2011 - I ZB 63/09, NJW-RR 2011, 907 Rn. 10; vom 18. November 2015 - VII ZB 2/15, BGHZ 207, 378 Rn. 11).
[11] b) Nach diesen Maßstäben hat das Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei ein rechtliches Interesse der Streithelferin am Beitritt auf Seiten des Beklagten gemäß § 66 Abs. 1 ZPO verneint. Die Streithelferin steht weder zum Insolvenzverwalter als der unterstützten Partei noch zu dem Gegenstand des Rechtsstreits in einem Rechtsverhältnis, auf das die Entscheidung des Rechtsstreits durch ihren Inhalt oder ihre Vollstreckung unmittelbar oder auch nur mittelbar rechtlich einwirkt. Die Entscheidung über den streitgegenständlichen Unterlassungsanspruch hat auf den Umfang der Masse und die Quote der Streithelferin allenfalls mittelbare wirtschaftliche Auswirkungen.
[12] aa) Ein rechtliches Interesse im Sinne des § 66 Abs. 1 ZPO ergibt sich vorliegend nicht unter dem Gesichtspunkt der Rechtskrafterstreckung. Soweit ein rechtliches Interesse eines Insolvenzgläubigers im Hinblick auf § 183 Abs. 1 InsO und auf § 18 Abs. 1 AnfG erörtert wird, kommen diese Vorschriften im Streitfall nicht zum Tragen. Die Parteien führen weder einen Rechtsstreit über die Feststellung einer Insolvenzforderung noch einen Anfechtungsprozess.
[13] bb) Ein rechtliches Interesse im Sinne des § 66 Abs. 1 ZPO ergibt sich auch nicht daraus, dass eine Offenlegung des Gutachtens dazu führen kann, die Erfolgsaussichten eines die Masse mehrenden Anfechtungs- und Abfindungsanspruchs zu überprüfen. Für ein rechtliches Interesse eines Insolvenzgläubigers im Sinne des § 66 Abs. 1 ZPO genügt es nicht, dass der Erfolg des Rechtsstreits dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit gibt, ein Wertgutachten und damit zusammenhängende Auskünfte den Insolvenzgläubigern zu offenbaren. Die von der Klägerin begehrte Unterlassung hat keinen Einfluss darauf, ob und mit welchen Erfolgsaussichten der Beklagte Anfechtungs- und Abfindungsansprüche hinsichtlich des Geschäftsanteils des Schuldners an der Klägerin geltend machen kann. Der Streitgegenstand des Unterlassungsprozesses ist mithin nicht geeignet, in rechtlicher Hinsicht den Umfang der Masse zu beeinflussen oder durch ein Obsiegen der unterstützten Partei die Insolvenzquote zu verbessern. Das Interesse der Streithelferin, durch eine Abweisung der gegen den Beklagten gerichteten Unterlassungsklage eine Offenlegung des Wertgutachtens vorzubereiten und so die Erfolgsaussichten für einen die Masse mehrenden Anfechtungs- und Abfindungsanspruch überprüfen zu können, ist ein rein wirtschaftliches Interesse und kein die Nebenintervention nach § 66 Abs. 1 ZPO rechtfertigendes rechtliches Interesse.
[14] cc) Ein rechtliches Interesse im Sinne des § 66 Abs. 1 ZPO ergibt sich auch nicht, soweit ein Schadensersatzanspruch nach § 60 InsO wegen unterlassener Geltendmachung eines etwaigen Anfechtungs- und Abfindungsanspruchs bestehen könnte. Das rechtliche Interesse muss sich auf die Entscheidung über den Streitgegenstand beziehen (BGH, Beschluss vom 24. April 2006 - II ZB 16/05, WM 2006, 1252 Rn. 12). Das ist hier nicht der Fall. Streitgegenstand des Rechtsstreits sind Unterlassungsansprüche. Hinsichtlich dieses Streitgegenstandes besteht für die Streithelferin nur ein tatsächliches Interesse, vom Inhalt des Wertgutachtens Kenntnis zu erlangen, um die Geltendmachung etwaiger Schadensersatzansprüche nach § 60 InsO vorbereiten zu können.
[15] dd) Ein rechtliches Interesse im Sinne des § 66 Abs. 1 ZPO ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Vorgreiflichkeit für ein Auskunftsrecht nach § 79 Satz 1 InsO. Dieses Auskunftsrecht steht nur der Gläubigerversammlung zu. Hingegen folgen daraus keine Auskunftsrechte einzelner Insolvenzgläubiger (Kübler in Prütting/Bork/Jacoby, InsO, 2016, § 79 Rn. 6; MünchKomm-InsO/Ehricke/Ahrens, 4. Aufl., § 79 Rn. 2; vgl. auch BGH, Urteil vom 29. November 1973 - VII ZR 2/73, BGHZ 62, 1, 3). Da die Streithelferin auch im Übrigen weder über ein individuelles Recht auf Auskunft verfügt noch von Rechts wegen befugt ist, etwaige Rechte der Gläubigerversammlung aus § 79 Satz 1 InsO geltend zu machen, beeinflusst die Entscheidung in der Hauptsache ihre Rechtslage insoweit nicht. Damit kann dahinstehen, ob der von der Klägerin verfolgte Unterlassungsanspruch einen etwaigen Auskunftsanspruch der Gläubigerversammlung nach § 79 Satz 1 InsO begrenzt.
[16] ee) Ein rechtliches Interesse im Sinne des § 66 Abs. 1 ZPO ergibt sich schließlich nicht unter dem Gesichtspunkt der Vollstreckbarkeit und eines im Vollstreckungsverfahren drohenden Ordnungsgelds. Die möglichen vollstreckungsrechtlichen Folgen eines Verstoßes gegen eine Unterlassungsverpflichtung begründen kein rechtliches Interesse der Streithelferin. Das rechtliche Interesse im Sinne des § 66 Abs. 1 ZPO muss sich aus der Entscheidung in der Hauptsache ergeben. Es darf nicht erst durch den Rechtsstreit geschaffen werden, in dem der Beitritt erfolgen soll (BGH, Beschluss vom 3. Juli 2018 - II ZB 28/16, BGHZ 219,
155 Rn. 14). Dies gilt für eine Unterlassungsklage entsprechend; hier genügt die erst an die Zuwiderhandlung anknüpfende Vollstreckungsmöglichkeit nach § 890 ZPO nicht, um ein rechtliches Interesse eines Insolvenzgläubigers zu begründen.
Schoppmeyer Röhl Selbmann
Harms Weinland