BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2022 - XII ZB 86/22

31.01.2023

BUNDESGERICHTSHOF

vom

7. Dezember 2022

in der Unterbringungssache


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


FamFG §§ 62, 329; StrUG NRW § 32


Die Dauer der gerichtlichen Zustimmung zur Unterbringung in einem besonders gesicherten Raum während des Maßregelvollzugs bedarf der konkreten, sachverständig gestützten Begründung, welche den gesamten Unterbringungszeitraum abdeckt (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 29. September 2021 ­ XII ZB 300/21 ­ FamRZ 2022, 57).


BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2022 - XII ZB 86/22 - LG Kleve, AG Kleve


Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. Dezember 2022 durch die Richter Guhling, Prof. Dr. Klinkhammer, Dr. Günter und Dr. Botur und die Richterin Dr. Krüger

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Kleve vom 7. Januar 2022 und der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Kleve vom 11. Februar 2022 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Die außergerichtlichen Kosten des Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.

Eine Festsetzung des Beschwerdewerts (§ 36 Abs. 3 GNotKG) ist nicht veranlasst.

Gründe:

[1] I. Gegenstand des Verfahrens ist eine ­ inzwischen erledigte ­ Unterbringung des Betroffenen in einem besonders gesicherten Raum.

[2] Der Betroffene ist wegen Körperverletzung gemäß § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 7. Januar 2022 der Unterbringung des Betroffenen in einem besonders gesicherten Raum bis zum 7. Januar 2023 zugestimmt. Das Landgericht hat die Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen. Dagegen hat dieser Rechtsbeschwerde eingelegt. Während des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat das Amtsgericht den Zustimmungsbeschluss aufgehoben. Der Betroffene beantragt nunmehr die Feststellung, dass ihn die vorinstanzlichen Beschlüsse in seinen Rechten verletzt haben.

[3] II. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt nach der in der Rechtsbeschwerdeinstanz entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 62 Abs. 1 FamFG (vgl. Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2020 ­ XII ZB 291/20 ­ FamRZ 2021, 462 Rn. 5 f. mwN) iVm § 32 Abs. 3 Satz 4 StrUG NRW, §§ 121 a, 121 b Abs. 1 StVollzG zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts.

[4] 1. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht die Verfahrensfehlerhaftigkeit der vorinstanzlichen Beschlüsse. Wie sie zutreffend anführt, geht aus der Akte nicht hervor, dass dem Betroffenen das zugrundeliegende ärztliche Zeugnis vom Amtsgericht zur Kenntnis gebracht worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 30. Juni 2021 ­ XII ZB 573/20 ­ FamRZ 2021, 1742 Rn. 14 mwN). Dieses ist auch vom Landgericht nicht nachgeholt worden, das die ergänzende mündliche Stellungnahme des Chefarztes der Landesklinik dem Betroffenen ebenfalls nicht mitgeteilt hat. Da es infolgedessen in beiden Instanzen mangels vollständiger Information des Betroffenen auch an einer ordnungsgemäßen Anhörung mangelt, hat der Betroffene kein ausreichendes rechtliches Gehör zu der ihn betreffenden freiheitsentziehenden Maßnahme erhalten.

[5] 2. Der Betroffene ist durch diese Verfahrensmängel in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt worden.

[6] Die Feststellung, dass ein Betroffener durch die angefochtene Entscheidung in seinen Rechten verletzt ist, kann grundsätzlich auch auf einer Verletzung des Verfahrensrechts beruhen. Dabei ist die Feststellung nach § 62 FamFG jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn der Verfahrensfehler so gravierend ist, dass die Entscheidung den Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung hat, der durch Nachholung der Maßnahme rückwirkend nicht mehr zu tilgen ist. Wurde in einer erledigten Unterbringungssache das für die Entscheidung maßgebliche Gutachten oder ­ wie vorliegend ­ das der Entscheidung zugrunde liegende ärztliche Zeugnis sowie die Stellungnahme des Chefarztes der Klinik dem Betroffenen nicht bekannt gegeben, ist von einer Verletzung des Anspruchs des Betroffenen auf rechtliches Gehör auszugehen. Schon allein dieser Verfahrensfehler ist so gewichtig, dass er die Feststellung nach § 62 FamFG zu rechtfertigen vermag (vgl. Senatsbeschluss vom 30. Juni 2021 ­ XII ZB 573/20 ­ FamRZ 2021, 1742 Rn. 12 ff. mwN).

[7] Das nach § 62 Abs. 1 FamFG erforderliche berechtigte Interesse des Betroffenen daran, die Rechtswidrigkeit der ­ hier durch Aufhebung des Zustimmungsbeschlusses erledigten ­ Unterbringungsmaßnahme feststellen zu lassen, liegt vor. Die gerichtliche Anordnung oder Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme bedeutet stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff im Sinne des § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG (st. Rspr. des Senats, vgl. Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2020 ­ XII ZB 291/20 ­ FamRZ 2021, 462 Rn. 21 mwN).

[8] 3. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass die vorinstanzlichen Beschlüsse auch in der Sache fehlerhaft sind. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen die Festlegung der Dauer der Maßnahme auf ein Jahr nicht gerechtfertigt ist.

[9] Das Landgericht hat insoweit darauf verwiesen, die angeordnete Dauer halte sich im Rahmen von § 121 b Abs. 1 Satz 2 StVollzG iVm § 329 FamFG und sei vorliegend erforderlich. Die Ausschöpfung der in § 329 Abs. 1 Satz 1 FamFG vorgegebenen regelmäßigen Höchstfrist von einem Jahr bedarf indessen der sachverständig unterstützten Begründung (vgl. Senatsbeschluss vom 29. September 2021 ­ XII ZB 300/21 ­ FamRZ 2022, 57 Rn. 8 f. mwN zur Unterbringung nach § 1906 BGB), welche die gesamte Unterbringungsdauer abdeckt. Das gilt bei der vorliegend besonders einschneidenden Freiheitsentziehung durch Unterbringung in einem besonders gesicherten Raum erst recht.

[10] Die von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen können die angeordnete Dauer der Maßnahme jedoch nicht begründen. Während das ärztliche Zeugnis insoweit keine Angaben enthält, hat der Chefarzt der Klinik gegenüber dem Landgericht neben einer gewissen Zeit, in der der Betroffene zunächst zu einer freiwilligen Medikamenteneinnahme bewegt werden solle, eine anschließend notwendige Dauer von zwei bis vier Monaten genannt, innerhalb deren mit einer Lockerung zu rechnen sei. Dies liegt indes auch zusammengenommen

offensichtlich deutlich unterhalb der angeordneten Dauer von einem Jahr und vermag diese folglich nicht annähernd zu rechtfertigen. Auch eine alternativ erforderliche Zwangsmedikation rechtfertigt die angeordnete Dauer der besonders einschneidenden Freiheitsentziehung offensichtlich nicht.

[11] 4. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

Guhling Klinkhammer Günter

Botur Krüger

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