BGH, Beschluss vom 8. November 2022 - VIII ZB 21/22

02.01.2023

BUNDESGERICHTSHOF

vom

8. November 2022

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


ZPO § 83 Abs. 2, § 87 Abs. 1 Alt. 1, § 172 Abs. 1 Satz 1


BGB §§ 167, 168

Zur Anzeige des Erlöschens der Prozessvollmacht des bisherigen Prozessbevollmächtigten vor Veranlassung der Urteilszustellung im Parteiprozess.


BGH, Beschluss vom 8. November 2022 - VIII ZB 21/22 - LG Frankfurt am Main, AG Bad Homburg v.d.H.


Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. November 2022 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Fetzer, die Richter Dr. Bünger und Kosziol, die Richterin Dr. Matussek sowie den Richter Dr. Reichelt

beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss der 17. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom

16. Februar 2022 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 21.480 € festgesetzt.

Gründe:

[1] I. Die Klägerin nimmt die Beklagte nach einer Kündigung wegen Zahlungsverzugs auf Räumung und Herausgabe eines gemieteten Reihenhauses sowie auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Anspruch.

[2] Vor dem Amtsgericht wurde die Beklagte zunächst durch Rechtsanwalt L. als Prozessbevollmächtigten vertreten. Zwei Tage vor dem auf den 21. Oktober 2021 anberaumten Verkündungstermin ging beim Amtsgericht per Telefax ein maschinenschriftlich von der Beklagten verfasstes Schreiben ein, das an die Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten adressiert, auf den 4. Oktober 2021 datiert und auf dem handschriftlich das Aktenzeichen des amtsgerichtlichen Verfahrens notiert war. Das Schreiben, das der Geschäftsstelle des Amtsgerichts am 20. Oktober 2021 vorlag, lautet wie folgt:

"Kündigung

Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit kündige ich meinen Vertrag sofort, ersatzweise zum nächstmöglichen Zeitpunkt.

Bitte senden Sie mir eine schriftliche Kündigungsbestätigung unter Angabe des Beendigungszeitpunktes zu. Eine Kontaktaufnahme zum Zweck der Rückwerbung ist nicht erwünscht. Ich bitte Sie höflich, davon abzusehen."

[3] Ebenfalls am 20. Oktober 2021 ging ein Schriftsatz des Rechtsanwalts L. beim Amtsgericht ein, in dem dieser mitteilte, dass die Beklagte mit Schreiben vom 4. Oktober 2021, per Telefax am Vortag (19. Oktober 2021) in seiner Kanzlei eingegangen, das Mandat gekündigt habe und daher von ihm nicht mehr vertreten werde. Zugleich bat er darum, die Zustellung des Urteils sowie weitere Zustellungen direkt an die Beklagte vorzunehmen. Der Schriftsatz gelangte am 21. Oktober 2021 um 11.30 Uhr zur Geschäftsstelle des Amtsgerichts. Bereits zuvor - um 11 Uhr - war die Verkündung des amtsgerichtlichen Urteils erfolgt, mit dem der Klage in vollem Umfang stattgegeben wurde.

[4] Am 22. Oktober 2021 veranlasste die Geschäftsstelle die Zustellung der Urteilsabschrift an die Beklagte persönlich. Die Zustellung erfolgte sodann am 23. Oktober 2021.

[5] Mit einem erst am 24. November 2021, einem Mittwoch, beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz hat die Beklagte, nunmehr vertreten durch Rechtsanwalt K. , Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil eingelegt. Sie hält die Berufung gleichwohl nicht für verfristet, weil die Zustellung des Urteils an sie unter Verstoß gegen § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO erfolgt sei und deshalb den Lauf der Berufungseinlegungsfrist nicht habe auslösen können. Trotz der Kündigung des Mandats sei die Rechtsanwalt L. erteilte Prozessvollmacht nicht erloschen gewesen.

[6] Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten

zurückgewiesen und ihre Berufung als unzulässig verworfen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde wendet sich die Beklagte allein gegen die Verwerfung der Berufung als unzulässig wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist.

[7] II. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Berufungsgericht ­ soweit im Rechtsbeschwerdeverfahren von Interesse ­ im Wesentlichen ausgeführt:

[8] Die Beklagte habe die Berufung nicht innerhalb der einmonatigen Frist eingelegt, die mit der an sie ordnungsgemäß erfolgten Zustellung des amtsgerichtlichen Urteils zu laufen begonnen habe. Die Zustellung sei nicht an Rechtsanwalt L. als ihren früheren Prozessbevollmächtigten zu bewirken gewesen. Denn die Beklagte selbst habe bereits vor der Verkündung des Urteils gegenüber dem Amtsgericht das Erlöschen der Prozessvollmacht gemäß § 87 Abs. 1 ZPO angezeigt. Die Übermittlung ihrer an die Rechtsanwaltskanzlei L. gerichteten Kündigungserklärung vom 4. Oktober 2021 an das Amtsgericht könne aus dessen Sicht nur als eine solche Anzeige seitens der Beklagten verstanden werden.

[9] Soweit die Beklagte geltend mache, ihre Kündigungserklärung gegenüber ihrem Prozessbevollmächtigten habe nicht auch eine Kündigung der Prozessvollmacht gegenüber dem Gericht darstellen sollen, gebe es hierfür im Wortlaut des Schreibens keine Anhaltspunkte. Die Anzeige sei vom Gericht nicht auf ihre materielle Richtigkeit zu überprüfen und das Erlöschen der Vollmacht auch nach der Verkündung des Urteils zu berücksichtigen gewesen. Eine Anzeige nach § 87 Abs. 1 ZPO könne auch gegenüber dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erfolgen, wenn das Urteil bereits verkündet und lediglich noch von Amts wegen zuzustellen sei. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle habe durch den anwaltlichen Schriftsatz vom 20. Oktober 2021 nach der Urteilsverkündung, aber vor Veranlassung der Urteilszustellung Kenntnis von dem Erlöschen der Vollmacht erlangt.

[10] III. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte und auch den Form- und Fristerfordernissen genügende Rechtsbeschwerde der Beklagten ist unzulässig. Denn die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei der Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (st. Rspr.; siehe nur Senatsbeschluss vom 16. November 2021 ­ VIII ZB 70/20, NJW-RR 2022, 201 Rn. 9 mwN), sind nicht erfüllt. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen grundsätzlicher Bedeutung auf noch erfordert sie eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.

[11] 1. Insbesondere verletzt der Beschluss des Berufungsgerichts entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht die Beklagte in ihren Ansprüchen auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) und auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG).

[12] a) Das Verfahrensgrundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) gebietet, dass die Gerichte den Verfahrensbeteiligten alles für das Verfahren Wesentliche mitteilen, wobei bei der Bestellung eines Rechtsanwalts die aus Art. 103 Abs. 1 GG resultierenden Pflichten diesem gegenüber zu erfüllen sind (BVerfG, NJW 2017, 318 Rn. 12 ff.). Die Garantie des effektiven Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) verbietet es den Gerichten, bei der Auslegung und Anwendung der verfahrensrechtlichen Vorschriften den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung vorgesehenen Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (Senatsbeschluss vom 16. Januar 2018 ­ VIII ZB 61/17, NJW 2018, 1022 Rn. 10 mwN).

[13] b) Gemessen hieran verletzt die Verwerfung der Berufung als unzulässig die Beklagte in ihren vorgenannten Verfahrensgrundrechten nicht. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass die einmonatige Frist zur Einlegung der Berufung (§ 517 Halbs. 1 ZPO) gegen das amtsgerichtliche Urteil bei Eingang der Berufungsschrift der Beklagten bereits abgelaufen war. Denn die Zustellung des amtsgerichtlichen Urteils an die Beklagte persönlich hat die Einlegungsfrist ausgelöst.

[14] aa) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, musste die Zustellung der Entscheidung nicht gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO an Rechtsanwalt L.

als dem ­ früheren ­ erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Beklagten erfolgen, sondern durfte auch an die Beklagte persönlich bewirkt werden.

[15] (1) Zwar hat in einem anhängigen Verfahren die Zustellung nach der Grundregel des § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO ­ ausschließlich ­ an den für den (jeweiligen) Rechtszug bestellten Prozessbevollmächtigten zu erfolgen (st. Rspr.; siehe nur BGH, Urteil vom 7. Dezember 2010 ­ VI ZR 48/10, NJW-RR 2011, 417 Rn. 10; Senatsbeschlüsse vom 19. September 2007 ­ VIII ZB 44/07, NJW 2008, 234 Rn. 10; vom 25. Januar 2022 ­ VIII ZR 233/20, NJW-RR 2022, 709 Rn. 24; vgl. auch BVerfG, NJW 2017, 318 Rn. 15). Zustellungen an die Partei selbst unter Verstoß gegen die vorgenannte Bestimmung sind unwirksam und setzen Fristen nicht in Lauf (vgl. BVerfG, aaO Rn. 19 mwN).

[16] Die Notwendigkeit einer Zustellung an den Prozessbevollmächtigten endet im Parteiprozess jedoch mit der Anzeige des Erlöschens der Prozessvollmacht dem Gericht gegenüber (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 7. Oktober 1959 ­ IV ZR 68/59, BGHZ 31, 32, 35; Beschlüsse vom 19. September 2007 ­ VIII ZB 44/07, aaO Rn. 11; vom 7. Mai 2009 ­ V ZB 12/09, NJW-RR 2009, 1026 Rn. 6; vom 18. Juni 2020 ­ I ZB 83/19, NJW-RR 2020,1191 Rn. 9 mwN). Dies ergibt sich aus der Vorschrift des § 87 Abs. 1 Alt. 1 ZPO, die im Rahmen des § 172 ZPO auch dann gilt, wenn es nur noch um die Zustellung eines den Rechtszug abschließenden Urteils geht (vgl. BGH, Urteile vom 5. November 1974 ­ VI ZR 239/73, NJW 1975, 120 unter II 1, 2; vom 21. Mai 1980 ­ IVb ZB 567/80, NJW 1980, 2309 unter II 1; jeweils zu § 176 ZPO aF; siehe auch BGH, Beschluss vom 18. Juni 2020 ­ I ZB 83/19, aaO).

[17] Daraus, dass Zustellungen von diesem Zeitpunkt an nicht mehr nach § 172 ZPO an den (bisherigen) Prozessbevollmächtigten bewirkt werden müssen, folgt indessen ­ entgegen den nicht tragend gewordenen weiteren Ausführungen des Berufungsgerichts ­ nicht, dass ab diesem Zeitpunkt Zustellungen ausschließlich an die Partei persönlich vorgenommen werden dürften und eine an den empfangsbereiten und gemäß § 87 Abs. 2 ZPO vertretungsberechtigten Anwalt vorgenommene Zustellung aus diesem Grund unwirksam wäre (Senatsbeschluss vom 19. September 2007 ­ VIII ZB 44/07, NJW 2008, 234 Rn. 11 mwN). Eine dahingehende Aussage lässt sich auch dem vom Berufungsgericht herangezogenen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 17. Oktober 1990 (XII ZB 105/90, NJW 1991, 295 [zu § 176 ZPO aF]) nicht entnehmen, der die Wirksamkeit einer nach Mandatsniederlegung an die Partei selbst ausgeführten Zustellung betraf (vgl. Senatsbeschluss vom 19. September 2007 ­ VIII ZB 44/07, aaO).

[18] (2) Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass dem Amtsgericht noch vor Veranlassung der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils das Erlöschen der Rechtsanwalt L. erteilten Prozessvollmacht angezeigt worden war und die Zustellung des Urteils daher nicht an diesen bewirkt werden musste.

[19] (a) Allerdings kann eine Anzeige nach § 87 Abs. 1 Alt. 1 ZPO nicht schon ­ wie das Berufungsgericht gemeint hat ­ darin gesehen werden, dass beim Amtsgericht noch vor der Urteilsverkündung, nämlich am 19. Oktober 2021, ein mit "Kündigung" bezeichnetes Schreiben der Beklagten vom 4. Oktober 2021 eingegangen ist.

[20] (aa) Die Anzeige des Erlöschens der Vollmacht im Sinne von § 87 Abs. 1 Alt. 1 ZPO bedarf zwar keiner besonderen Form (vgl. MünchKommZPO/

Toussaint, 6. Aufl., § 87 Rn. 8 mwN). Sie muss aber, da das Prozessrecht klare Verhältnisse verlangt, eindeutig sein (BGH, Beschlüsse vom 21. Mai 1980 - IVb ZB 567/80, NJW 1980, 2309 unter II 1; vom 18. Juni 2020 ­ I ZB 83/19, NJW-RR 2020, 1191 Rn. 9).

[21] (bb) An dieser Eindeutigkeit fehlt es im Hinblick auf das am 19. Oktober 2021 beim Amtsgericht per Fax eingegangene Schreiben vom 4. Oktober 2021. Es lässt sich weder anhand des Schreibens noch aufgrund der Umstände seiner Übermittlung hinreichend sicher feststellen, dass die Übersendung an das Amtsgericht mit einem Anzeigewillen der Beklagten erfolgte und nicht auf einem Versehen beruhte.

[22] Das Schreiben wurde von der Beklagten ganz offensichtlich nicht zum Zwecke einer Mitteilung an das Amtsgericht verfasst. Es enthält allein Erklärungen, die sich an die als Adressatin bezeichnete Kanzlei des Rechtsanwalts

L. richten und auf einen Vertrag Bezug nehmen. Nach den von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts handelt es sich hierbei um die Kündigungserklärung der Beklagten gegenüber ihrem bisherigen Prozessbevollmächtigten.

[23] Ihre Übermittlung an das Amtsgericht erfolgte ohne beigefügte Erklärung für das Gericht und ohne Angabe der Postanschrift oder Telefaxnummer des Gerichts. Auch der Absender des Faxschreibens ist nicht kenntlich gemacht. Ein Bezug zu einem vor dem Amtsgericht geführten Rechtsstreit ergibt sich allenfalls aus der Angabe des Aktenzeichens. Der Umstand, dass der diesbezügliche Zusatz handschriftlich auf dem im Übrigen maschinenschriftlich abgefassten Text aufgebracht ist, mag darauf hindeuten, dass die Übermittlung an das Amtsgericht ­ dem auf diese Weise eine Zuordnung des Faxschreibens zu einem laufenden Verfahren möglich wurde ­ vom Absender beabsichtigt war. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass das Aktenzeichen nur deswegen handschriftlich eingefügt worden ist, um gegenüber Rechtsanwalt L. das von der Kündigungserklärung betroffene Mandatsverhältnis näher zu bezeichnen. Damit fehlt es an einer verlässlichen tatsächlichen Grundlage für die Annahme des Berufungsgerichts, die Übermittlung des Faxschreibens könne vom Amtsgericht nur als von der Beklagten selbst zum Zwecke der Anzeige der Vollmachtsbeendigung veranlasst verstanden werden.

[24] (b) Anderes gilt indes für den ­ ergänzend vom Berufungsgericht herangezogenen ­ Schriftsatz des Rechtsanwalts L. vom 20. Oktober 2021, der beim Amtsgericht noch an demselben Tag eingegangen ist.

[25] (aa) Aus dem Inhalt dieses Schriftsatzes, den der Senat als verfahrensrechtliche Erklärung in freier Würdigung selbst auslegen kann (vgl. BGH, Urteile vom 9. Oktober 1985 ­ IVb ZR 59/84, NJW-RR 1986, 286 unter 2; vom 21. März 2018 ­ VIII ZR 68/17, BGHZ 218, 139 Rn. 27 mwN), ergibt sich mit der für die Anzeige gemäß § 87 Abs. 1 Alt. 1 ZPO erforderlichen Eindeutigkeit das (sofortige) Erlöschen der Prozessvollmacht von Rechtsanwalt L. .

[26] Dieser hat darin dem Amtsgericht mitgeteilt, dass die Beklagte mit einer am Vortag bei ihm eingegangenen schriftlichen Erklärung das Mandatsverhältnis gekündigt habe und deshalb von seiner Kanzlei nicht weiter vertreten werde. Zugleich hat er um die - im gegebenen Prozessstadium allein noch im Raum stehende - Zustellung des erstinstanzlichen Urteils, dessen Verkündung für den nächsten Tag anberaumt war, an die Beklagte persönlich gebeten.

[27] (bb) Diese Mitteilung, nach der keine vernünftigen Zweifel über die eingetretene Mandatsbeendigung und das Erlöschen der Vollmacht des Rechtsanwalts L. zur Vertretung der Beklagten im Rechtsstreit einschließlich der Entgegennahme von Zustellungen für diese verbleiben, war der mit der Urteilszustellung befassten Geschäftsstelle des Amtsgerichts (§ 168 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 153 GVG) in dem maßgeblichen Zeitpunkt der Veranlassung der Zustellung (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 5. Dezember 1980 ­ I ZR 51/80, NJW 1981, 1673 unter II; vom 9. Oktober 1985 ­ IVb ZR 59/84, NJW-RR 1986, 286 unter 1) bekannt. Der sogenannte Ab-Vermerk der Geschäftsstelle datiert auf den 22. Oktober 2021. Bereits am Vortag hat dort nach den von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts der anwaltliche Schriftsatz vom 20. Oktober 2021 vorgelegen.

[28] (cc) Dem kann die Rechtsbeschwerde nicht mit Erfolg entgegenhalten, die Prozessvollmacht habe zu diesem Zeitpunkt materiell-rechtlich noch fortbestanden, so dass die erfolgte Anzeige unrichtig und deshalb ­ nach vorzugswürdiger Auffassung ­ prozessual ohne Wirkung gewesen sei. Denn die durch Rechtsanwalt L. erfolgte Mitteilung an das Amtsgericht war materiell-rechtlich nicht unrichtig.

[29] Die Beklagte hatte - wie sie im Berufungsverfahren auch entgegen der Darstellung der Rechtsbeschwerde vorgetragen hat - zuvor tatsächlich die Beendigung des Mandatsverhältnisses zu ihrem bisherigen Prozessbevollmächtigten durch schriftliche Kündigungserklärung herbeigeführt. Der insoweit von ihr im Berufungsverfahren (allein) angeführte Umstand, dass ihre Kündigungserklärung gegenüber dem Rechtsanwalt einen Widerruf der Prozessvollmacht nicht enthalten und zudem keine Kündigung der Prozessvollmacht gegenüber dem Gericht dargestellt habe, führt zu keiner anderen Beurteilung.

[30] Die im Schreiben vom 4. Oktober 2021 enthaltene Kündigungserklärung der Beklagten war nach ihrem Wortlaut auf eine sofortige vollständige und endgültige Beendigung der vertraglichen Beziehung zu ihrem Rechtsanwalt gerichtet (§ 627 Abs. 1 BGB) und hat ­ wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat ­ insbesondere keinen Hinweis darauf enthalten, dass Rechtsanwalt L. trotz der Mandatsbeendigung gegenüber dem Gericht und dem Prozessgegner weiterhin umfassend zur Prozessführung für die Beklagte bevollmächtigt sein sollte. Da die Beendigung des Grundverhältnisses materiell-rechtlich ­ im Innenverhältnis der Vertragsparteien ­ im Zweifel auch zum Erlöschen der Vollmacht führt (§ 168 Satz 1 BGB; vgl. allgemein Erman/Maier-Reimer/

Finkenauer, BGB, 16. Aufl., § 168 Rn. 4; Staudinger/Schilken, BGB, Neubearb. 2019, § 168 Rn. 3; für die Prozessvollmacht BGH, Urteil vom 25. Januar 1979 ­ IX ZR 135/74, RzW 1979, 104, 105; Musielak/Voit/Weth, ZPO, 19. Aufl., § 87 Rn. 3; MünchKommZPO/Toussaint, 6. Aufl., § 87 Rn. 3; Schmellenkamp, AnwBl. 1985, 14 f.) und im Regelfall auch nicht von der Erteilung einer "isolierten Vollmacht" auszugehen ist (vgl. Staudinger/Schilken, aaO, § 167 Rn. 2 mwN), hätte es einer solchen - die Rechtswirkungen der Kündigung einschränkenden - Erklärung der Beklagten aber bedurft.

[31] Das gilt auch, soweit die Beklagte geltend macht, die bis dahin umfassende Prozessvollmacht des Rechtsanwalts L. habe nach der Kündigung des Mandatsverhältnisses lediglich noch auf die Zustellung des erstinstanzlichen Urteils beschränkt sein sollen. Eine solche Beschränkung wäre im Parteiprozess zwar auch im Außenverhältnis gegenüber Gericht und Prozessgegner gemäß § 83 Abs. 2 ZPO zulässig. Sie müsste aber eindeutig erklärt und zudem dem

Gericht und dem Gegner gegenüber zum Ausdruck gebracht werden (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 12. März 2019 ­ VI ZR 277/18, NJW 2019, 2397 Rn. 13 f. mwN). Diesbezügliche Anhaltspunkte lassen sich der Kündigungserklärung der Beklagten nicht entnehmen.

[32] bb) Die Zustellung des amtsgerichtlichen Urteils an die Beklagte war ­ entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ­ zudem nicht wegen wesentlicher Abweichungen der zugestellten Abschrift von der Urteilsurschrift unwirksam.

[33] (1) Zwar beginnt die Rechtsmittelfrist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (erst) mit der Bekanntmachung eines Berichtigungsbeschlusses beziehungsweise mit der Zustellung einer berichtigten Urteilsausfertigung oder -abschrift, wenn die zunächst zugestellte Entscheidung insgesamt nicht klar genug ist, um die Grundlage für die Entschließungen und das weitere Handeln der Parteien sowie für die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts zu bilden (vgl. nur Senatsbeschluss vom 25. Januar 2022 ­ VIII ZR 233/20, NJW-RR 2022, 709 Rn. 15 mwN).

[34] (2) Ein solcher Ausnahmefall liegt hier jedoch nicht vor. Die von der Rechtsbeschwerde angeführte sprachliche Unvollständigkeit des Entscheidungstextes ­ die Sätze laufen auch in der bei den Akten befindlichen Urschrift an der betreffenden Stelle über den Seitenrand hinaus und sind damit nicht vollständig abgedruckt ­ bezieht sich allein auf eine Passage des amtsgerichtlichen Tatbestands, in der der streitige Vortrag der Beklagten wiedergegeben wird. Das Fehlen einzelner Satzteile mag das Verständnis dieses Teils des Tatbestands, der den eigenen Vortrag der Partei betrifft, erschwert haben. Im Hinblick auf den im Übrigen vollständigen Text der Entscheidung, dem sich der Inhalt des getroffenen Ausspruchs und die hierfür gegebene, auf den Vortrag der Beklagten eingehende Begründung des Amtsgerichts unzweifelhaft entnehmen lassen, hat es deren Verständnis jedoch nicht vereitelt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. Mai 2005 ­ I ZB 38/04, NJW-RR 2005, 1658 unter IV 1; vom 26. Februar 2013 ­ XI ZB 15/12, juris Rn. 12; jeweils mwN). Insoweit ist nicht zu erkennen, dass der Beklagten hierdurch der Zugang zum Berufungsverfahren in einer Weise erschwert sein könnte, die aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigen wäre (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 25. Januar 2022 ­ VIII ZR 233/20, aaO Rn. 18 mwN).

[35] 2. Vor diesem Hintergrund kommt der Sache entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde eine grundsätzliche Bedeutung nicht zu. Die von ihr für klärungsbedürftig gehaltene ­ vorstehend bereits angesprochene ­ Rechtsfrage, ob die unrichtige Anzeige der Mandatsbeendigung beziehungsweise des

Erlöschens der Prozessvollmacht durch den bisherigen Prozessbevollmächtigten Rechtswirkung gegenüber dem Gericht und dem Prozessgegner entfaltet, stellt sich im Streitfall nicht. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.

[36] IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Dr. Fetzer Dr. Bünger Kosziol

Dr. Matussek Dr. Reichelt

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