BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2019 - EnVR 58/18

02.01.2020

BUNDESGERICHTSHOF

Verkündet am:

8. Oktober 2019

AndererJustizangestellteals Urkundsbeamtinder Geschäftsstelle

in dem energiewirtschaftsrechtlichen Verwaltungsverfahren


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


AEUV Art. 288 Abs. 3; Richtlinie 2009/72/EG Art. 35 und 37


Von einer Anwendung der Regelungen in § 6a, § 7 Abs. 1 Satz 3 und 5 und Abs. 7 StromNEV sowie § 24 Abs. 2 Satz 2 ARegV dürfte auch dann nicht abgesehen werden, wenn sie gegen Vorgaben der Richtlinie 2009/72/EG verstießen.


BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2019 - EnVR 58/18 - OLG Düsseldorf, Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 8. Oktober 2019 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Prof. Dr. Kirchhoff, Dr. Bacher und Dr. Schoppmeyer sowie die Richterin Dr. Picker, beschlossen:, Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 5. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 26. April 2018 wird zurückgewiesen., Die Betroffene trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Landesregulierungsbehörde und der Bundesnetzagentur., Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 1.511.404 Euro festgesetzt., Gründe:, 1, A. Die Betroffene betreibt ein Elektrizitätsverteilernetz., 2, Mit Bescheid vom 9. Dezember 2015 setzte die Landesregulierungsbehörde die Erlösobergrenze für die zweite Regulierungsperiode auf einen geringeren Betrag fest als von der Betroffenen beantragt. Mit ihrer dagegen gerichteten Beschwerde hat sich die Betroffene, soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Bedeutung, gegen folgende Punkte gewandt:, - die Heranziehung der in § 6a Abs. 1 StromNEV vorgegebenen Indexreihen zur Ermittlung von Tagesneuwerten,, - den in § 7 Abs. 1 Satz 3 StromNEV vorgeschriebenen Ansatz von Grundstücken zu historischen Anschaffungskosten,, - die Verzinsung des einen Anteil von 40 % des betriebsnotwendigen Vermögens übersteigenden Teils des Eigenkapitals nach Maßgabe von § 7 Abs. 1 Satz 5 und Abs. 7 StromNEV und, - den Ansatz des nach § 24 Abs. 2 Satz 2 ARegV berechneten gemittelten Effizienzwerts., 3, Das Beschwerdegericht hat den angefochtenen Bescheid nur hinsichtlich eines anderen Punkts aufgehoben und das weitergehende Rechtsmittel zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Betroffene mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde. Die Landesregulierungsbehörde und die Bundesnetzagentur treten dem Rechtsmittel entgegen., 4, B. Das zulässige Rechtsmittel ist unbegründet., 5, I. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:, 6, Die von der Landesregulierungsbehörde herangezogenen Regelungen in § 6a, § 7 Abs. 1 Satz 3 und 5 und Abs. 7 StromNEV sowie § 24 Abs. 2 Satz 2 ARegV stünden in Einklang mit höherrangigem Recht und seien deshalb bindend., 7, Entgegen der Auffassung der Betroffenen griffen diese Regelungen nicht in unzulässiger Weise in die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde ein. Die Richtlinie 2009/72/EG richte sich gemäß ihrem Art. 51 an die Mitgliedstaaten. Diese Adressierung entspreche den Vorgaben in Art. 288 AEUV, nach denen Richtlinien für die Mitgliedstaaten nur hinsichtlich des Ziels verbindlich seien, die Wahl der Form und Mittel hingegen den innerstaatlichen Stellen überlassen bleibe. Der deutsche Gesetzgeber habe sich gegen eine administrative und für eine normative Regulierung entschieden. Die Normierungskompetenzen lägen aufgrund der Ermächtigung in § 24 Abs. 1 Nr. 1 EnWG zum Teil beim Verordnungsgeber. Die Vorteile dieser normativen Regulierung würden insbesondere in erhöhter Rechtssicherheit und geminderten Transaktionskosten gesehen. Dieses Regelungsmodell stehe in Einklang mit den verfassungsmäßigen Strukturen in Deutschland. Nach Art. 20 Abs. 1 und 2 GG müsse sich jede Ausübung von Staatsgewalt in einer demokratischen Legitimationskette auf das Volk zurückführen lassen; ferner müsse gewährleistet sein, dass sie die Letztentscheidung eines dem Parlament verantwortlichen Verwaltungsträgers sei. Deshalb sei die Verwaltung im Verhältnis zur Regierung grundsätzlich weisungsgebunden. Eine vollkommene Weisungsfreiheit der Regulierungsbehörden könne es demzufolge nicht geben. Die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde könne sich danach nur auf den Kernbereich der Entscheidung beziehen. Insoweit sei sie durch die Regelungen des Energiewirtschaftsgesetzes gewährleistet., 8, Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergebe sich nichts Abweichendes. In seinem Urteil vom 29. Oktober 2009 (C­474/08, Kommission ./. Königreich Belgien) habe der Gerichtshof eine nationale Regelung als unionsrechtswidrig angesehen, weil dem König als Teil einer anderen Behörde die Befugnis zur Festlegung eines für die Bestimmung der Tarife entscheidenden Faktors, nämlich der Gewinnspanne, eingeräumt worden sei. Im Streitfall gehe es hingegen nur um einzelne Parameter im Rahmen der hochkomplexen Anreizregulierung. Die dafür maßgeblichen Regeln bewirkten lediglich eine gewisse legislative Vorstrukturierung der Entscheidungsspielräume der Regulierungsbehörde, nicht aber eine umfassende regulatorische Feinsteuerung., 9, II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand., 10, 1. Zu Recht hat das Beschwerdegericht entschieden, dass die Entscheidung der Regulierungsbehörde in Einklang mit den Regelungen der Stromnetzentgelt- und der Anreizregulierungsverordnung steht und diese mit höherrangigem Recht vereinbar sind., 11, a) Die Heranziehung der in § 6a Abs. 1 StromNEV vorgegebenen Indexreihen, die Bewertung von Grundstücken zu Anschaffungskosten gemäß § 7 Abs. 1 Satz 3 StromNEV und die Verzinsung von überschießendem Eigenkapital nach § 7 Abs. 1 Satz 5 und Abs. 7 StromNEV stehen in Einklang mit den maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben.


12

Der Senat hat bereits entschieden, dass die für Gasnetze einschlägigen Regelungen in § 6a Abs. 1, § 7 Abs. 1 Satz 3, § 7 Abs. 1 Satz 5 und Abs. 7 GasNEV durch die Ermächtigungsgrundlage in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EnWG gedeckt sind und auch im Übrigen in Einklang mit den Vorgaben des Energiewirtschaftsgesetzes stehen (BGH, Beschluss vom 25. April 2017 - EnVR 17/16, RdE 2017, 344 Rn. 12 ff., 58 ff., 64 ff. - Stadtwerke Werl GmbH).

[13] Für die im Wesentlichen inhaltsgleichen Regelungen in der Stromnetzentgeltverordnung gilt nichts anderes. Zusätzliche Gesichtspunkte, die eine abweichende Beurteilung nahelegen könnten, zeigt die Rechtsbeschwerde nicht auf.

[14] b) Für die Regelung über den gemittelten Effizienzwert in § 24 Abs. 2 Satz 2 ARegV gilt nichts anderes.

[15] Der Senat hat bereits entschieden, dass die Regelung in § 24 Abs. 2 und Abs. 4 ARegV wirksam ist und insbesondere in Einklang mit Art. 19 Abs. 4 GG und dem Gleichheitsgrundsatz steht (BGH, Beschluss vom 25. April 2017 ­ EnVR 17/16, RdE 2017, 344 Rn. 88 ff., 104 ff. - Stadtwerke Werl GmbH).

[16] Zusätzliche Gesichtspunkte, die auf der Grundlage des innerstaatlichen Rechts eine abweichende Beurteilung nahelegen könnten, zeigt die Rechtsbeschwerde auch insoweit nicht auf.

[17] 2. Der Senat neigt zu der Auffassung, dass die für den Streitfall maßgeblichen Regelungen auch in Einklang mit unionsrechtlichen Vorgaben stehen.

[18] a) Der für die unionsrechtliche Beurteilung maßgebliche rechtliche Rahmen stellt sich wie folgt dar:

[19] aa) Die Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG (ABl. EU L 211 S. 55, nachfolgend: Richtlinie) dient gemäß Art. 1 der Verbesserung und Integration von durch Wettbewerb geprägten Strommärkten in der Gemeinschaft. Sie regelt unter anderem den freien Marktzugang sowie den Betrieb der Netze.

[20] Nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten entsprechend ihrem institutionellen Aufbau und unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips zu gewährleisten, dass Elektrizitätsunternehmen nach den in der Richtlinie festgelegten Grundsätzen und im Hinblick auf die Errichtung eines wettbewerbsbestimmten, sicheren und unter ökologischen Aspekten nachhaltigen Elektrizitätsmarkts betrieben werden und dass diese Unternehmen hinsichtlich der Rechte und Pflichten nicht diskriminiert werden.

[21] Nach Art. 24 Satz 2 der Richtlinie gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Betreiber von Verteilernetzen die Vorgaben aus den Artikeln 25 bis 27 der Richtlinie einhalten. Dazu gehört die in Art. 25 Abs. 1 der Richtlinie normierte Pflicht des Verteilernetzbetreibers, auf lange Sicht die Fähigkeit des Netzes sicherzustellen, eine angemessene Nachfrage nach Verteilung von Elektrizität zu befriedigen und in seinem Gebiet unter wirtschaftlichen Bedingungen ein sicheres, zuverlässiges und effizientes Elektrizitätsverteilernetz unter gebührender Beachtung des Umweltschutzes und der Energieeffizienz zu betreiben, zu warten und auszubauen.

[22] Nach Art. 32 Abs. 1 der Richtlinie gewährleisten die Mitgliedstaaten ferner die Einführung eines Systems für den Zugang Dritter zu den Übertragungs- und Verteilernetzen auf der Grundlage veröffentlichter Tarife. Diese Regelung muss für alle zugelassenen Kunden gelten und nach objektiven Kriterien und ohne Diskriminierung zwischen den Netzbenutzern angewendet werden Die Tarife oder die Methoden zu ihrer Berechnung müssen vor deren Inkrafttreten gemäß Art. 37 Abs. 6 und 7 der Richtlinie festgelegt oder genehmigt und veröffentlicht werden.

[23] Die Festlegung oder Genehmigung von Methoden zur Berechnung oder Festlegung von Bedingungen für den Anschluss oder Zugang zu den Netzen, einschließlich der Tarife für die Übertragung und die Verteilung oder ihrer Methoden, obliegt gemäß Art. 37 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 6 der Richtlinie der Regulierungsbehörde. Nach Art. 35 Abs. 4 der Richtlinie gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Regulierungsbehörde unabhängig ist und ihre Befugnisse unparteiisch und transparent ausübt. Zur Wahrung der Unabhängigkeit stellen sie nach Art. 35 Abs. 5 der Richtlinie unter anderem sicher, dass die Regulierungsbehörde unabhängig von allen politischen Stellen selbständige Entscheidungen treffen kann. Nach Art. 37 Abs. 17 der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass auf nationaler Ebene geeignete Verfahren bestehen, die einer betroffenen Partei das Recht geben, gegen eine Entscheidung einer Regulierungsbehörde bei einer unabhängigen Stelle Beschwerde einzulegen.

[24] bb) Zur Umsetzung der Richtlinie sieht das deutsche Recht in der für den Streitfall maßgeblichen Fassung die Festsetzung von Erlösobergrenzen durch die zuständige Regulierungsbehörde - je nach Größe des Netzbetreibers die Bundesnetzagentur oder eine Landesregulierungsbehörde - für eine Regulierungsperiode von jeweils fünf Jahren vor.

[25] (1) Den rechtlichen Rahmen dafür bildet das Energiewirtschaftsgesetz.

[26] § 1 Abs. 1 EnWG gibt das Ziel einer möglichst sicheren, preisgünstigen, verbraucherfreundlichen, effizienten und umweltverträglichen leitungsgebundenen Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas vor, die zunehmend auf erneuerbaren Energien beruht.

[27] Gemäß § 21 Abs. 1 EnWG müssen die Entgelte für den Netzzugang angemessen, diskriminierungsfrei und transparent sein. Nach § 21 Abs. 2 Satz 1 EnWG müssen die Entgelte auf der Grundlage der Kosten einer Betriebsführung gebildet werden, die denen eines effizienten und strukturell vergleichbaren Netzbetreibers entsprechen, unter Berücksichtigung von Anreizen für eine effiziente Leistungserbringung und einer angemessenen, wettbewerbsfähigen und risikoangepassten Verzinsung des eingesetzten Kapitals. Gemäß § 21a Abs. 1 EnWG darf hierzu durch Rechtsverordnung eine Methode bestimmt werden, die Anreize für eine effiziente Leistungserbringung setzt.

[28] (2) In § 24 Abs. 1 Nr. 1 EnWG wird die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats - unter anderem - die Bedingungen für den Netzzugang sowie Methoden zur Bestimmung der Entgelte für den Netzzugang gemäß §§ 20 bis 23 festzulegen. Von dieser Ermächtigung hat die Bundesregierung unter anderem durch den Erlass der Anreizregulierungsverordnung und der Stromnetzentgeltverordnung Gebrauch gemacht.

[29] (a) Die Anreizregulierungsverordnung enthält abstrakte Regelungen für die in § 21a Abs. 1 EnWG vorgesehene Anreizregulierung.

[30] Gemäß § 4 Abs. 1 und 2 ARegV bestimmt die Regulierungsbehörde für jedes einzelne Kalenderjahr einer Regulierungsperiode Obergrenzen für die zulässigen Gesamterlöse eines Netzbetreibers aus den Netzentgelten. Das dafür maßgebliche Ausgangsniveau wird für Stromnetze gemäß § 6 Abs. 1 ARegV durch eine Kostenprüfung nach den Vorschriften in Teil 2 Abschnitt 1 der Stromnetzentgeltverordnung ermittelt.

[31] Nach der in einer Anlage zu § 7 ARegV festgelegten Regulierungsformel fließen nicht beeinflussbare Kostenanteile grundsätzlich in voller Höhe in die Erlösobergrenze ein. Beeinflussbare Kostenanteile unterliegen einem Abzug, wenn für den betreffenden Netzbetreiber ein unter 100% liegender Effizienzwert ermittelt worden ist.

[32] Diesen Effizienzwert ermittelt die Regulierungsbehörde anhand eines Effizienzvergleichs nach Maßgabe von §§ 12 ff. ARegV. Kleinere Netzbetreiber können stattdessen den Ansatz eines pauschalen Effizienzwerts wählen, der gemäß § 24 Abs. 2 Satz 2 ARegV als gewichteter Durchschnittswert ermittelt wird.

[33] (b) Die Vorschriften der Stromnetzentgeltverordnung, auf die § 6 Abs. 1 ARegV Bezug nimmt, enthalten abstrakte Vorgaben für die Ermittlung der Netzkosten.

[34] § 7 Abs. 1 Satz 1 StromNEV sieht eine kalkulatorische Verzinsung auf Grundlage des betriebsnotwendigen Eigenkapitals vor. Altanlagen sind hierzu nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StromNEV unter bestimmten Voraussetzungen zu Tagesneuwerten anzusetzen. Diese Werte sind gemäß § 6 Abs. 3 Satz 2 StromNEV anhand von Preisindizes zu berechnen. Die dafür maßgeblichen Indexreihen sind in § 6a Abs. 1 StromNEV, differenziert nach einzelnen Anlagegruppen, fest vorgegeben. Grundstücke sind nach § 7 Abs. 1 Satz 3 StromNEV hingegen stets zu (historischen) Anschaffungskosten anzusetzen.

[35] Für die Verzinsung des so ermittelten Eigenkapitals hat die Regulierungsbehörde gemäß § 7 Abs. 4 bis 6 StromNEV einen Zinssatz festzusetzen. Dieser darf die Umlaufrenditen festverzinslicher Wertpapiere inländischer Emittenten zuzüglich eines angemessenen Zuschlags zur Abdeckung netzbetriebsspezifischer unternehmerischer Wagnisse nicht überschreiten. Wenn das betriebsnotwendige Eigenkapital einen Anteil von 40% des betriebsnotwendigen Vermögens übersteigt, ist für den übersteigenden Anteil stattdessen gemäß § 7 Abs. 1 Satz 5 StromNEV ein Zinssatz anzusetzen, der gemäß § 7 Abs. 7 StromNEV als Durchschnitt aus drei näher bestimmten, von der Deutschen Bundesbank veröffentlichten Umlaufrenditen zu ermitteln ist.

[36] b) Vor diesem Hintergrund ist es aus Sicht des Senats nicht zu beanstanden, dass die Anreizregulierungsverordnung und die Stromnetzentgeltverordnung inhaltliche Vorgaben für die Entscheidungen der Regulierungsbehörde enthalten und damit einen Rahmen für die von dieser zu treffende Ermessensentscheidung definieren.

[37] aa) Aus der in Art. 37 Abs. 6 der Richtlinie vorgesehenen Entscheidungsbefugnis der Regulierungsbehörde und dem in Art. 35 Abs. 4 und 5 der Richtlinie normierten Grundsatz der Unabhängigkeit ergibt sich allerdings, wie der Gerichtshof der Europäischen Union bereits im Zusammenhang mit der durch die jetzige Richtlinie aufgehobenen Regelung in Art. 23 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG (ABl. EU L 176 S. 37) entschieden hat, dass die Mitgliedstaaten nicht befugt sind, einer anderen Behörde die Zuständigkeit für die Bestimmung von ausschlaggebenden Bestandteilen zur Berechnung der Tarife zu übertragen (EuGH, Urteil vom 29. Oktober 2009 - C-474/08, Rn. 31 - Kommission ./. Königreich Belgien).

[38] Die Konstellation des Streitfalls ist aus Sicht des Senats damit aber nicht vergleichbar.

[39] (1) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts betreffen allerdings auch die hier relevanten Regelungen der Stromnetzentgelt- und der Anreizregulierungsverordnung einen entscheidenden Faktor für die Festlegung der Tarife.

[40] Zwar hängt die Höhe der festgesetzten Obergrenze zusätzlich von einer Vielzahl anderer Faktoren ab. Die Fragen, nach welchen Grundsätzen bestimmte Arten von Vermögensgegenständen zu bewerten sind, mit welchem Zinssatz die kalkulatorische Verzinsung zu erfolgen hat und welcher Effizienzwert bei der Festlegung von Vorgaben bezüglich der beeinflussbaren Kostenanteile anzusetzen ist, haben aber typischerweise entscheidenden Einfluss auf das Gesamtergebnis. Der Bestimmung des Zinssatzes für die kalkulatorische Verzinsung des Eigenkapitals kommt darüber hinaus eine ähnliche Funktion zu wie der Festlegung einer Gewinnspanne, denn sie bringt ebenfalls zum Ausdruck, welcher Vermögenszuwachs dem Netzbetreiber als Ergebnis seiner Tätigkeit zustehen soll.

[41] (2) Die in § 24 Abs. 1 EnWG und in anderen Vorschriften enthaltenen Ermächtigungen zum Erlass von Rechtsverordnungen sind nach Auffassung des Senats jedoch nicht als Übertragung einer Zuständigkeit für eine Entscheidung im Sinne von Art. 37 Abs. 6 der Richtlinie anzusehen, sondern als zulässige Delegation der dem nationalen Gesetzgeber zustehenden Befugnis zur Normsetzung.

[42] (a) Art. 37 Abs. 6 der Richtlinie ist aus Sicht des Senats nicht dahin auszulegen, dass sich der nationale Gesetzgeber jeder inhaltlichen Vorgabe zur Regulierung des Zugangs und der Nutzung von Elektrizitätsnetzen zu enthalten und alle diesbezüglichen Entscheidungen der Regulierungsbehörde zu überlassen hat.

[43] Der Regulierungsbehörde kommt nach den oben wiedergegebenen Regelungen der Richtlinie zwar eine starke Stellung zu. Die nähere Ausgestaltung des Energierechts steht aber gemäß Art. 3 der Richtlinie nicht allein ihr zu, sondern den Mitgliedstaaten entsprechend ihrem institutionellen Aufbau. Dies steht in Einklang mit der allgemeinen Regelung in Art. 288 Abs. 3 AEUV, wonach eine Richtlinie für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist, den innerstaatlichen Stellen jedoch die Wahl der Form und der Mittel überlassen bleibt.

[44] Nach den Regelungen des deutschen Grundgesetzes darf der Gesetzgeber die Regelung eines Lebensbereichs nicht vollständig der Verwaltung überlassen. Das in Art. 20 Abs. 1 und 2 GG verankerte Demokratieprinzip und das in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Rechtsstaatsprinzip gebieten vielmehr, dass der Gesetzgeber die wesentlichen Fragen selbst regelt (vgl. nur BVerfG, Urteil vom 19. September 2018 - 2 BvF 1/15, NVwZ 2018, 1703 Rn. 190 ff.).

[45] Vor diesem Hintergrund ist Art. 37 Abs. 6 der Richtlinie nach Ansicht des Senats dahin auszulegen, dass die Regulierungsbehörde unabhängig über die Anwendung und Ausfüllung des normativen Rahmens zu entscheiden hat, die Setzung dieses normativen Rahmens aber durch diejenigen Organe zu erfolgen hat, denen diese Befugnis nach innerstaatlichem Recht zusteht.

[46] (b) Der Erlass von Rechtsverordnungen, in denen abstrakte Regeln über die Festlegung von Netznutzungsentgelten aufgestellt werden, ist nicht als Verwaltungstätigkeit, sondern als Setzung eines normativen Rahmens im oben genannten Sinne anzusehen.

[47] Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes können die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landesregierungen durch Gesetz ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen. Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung müssen gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG im Gesetz bestimmt werden.

[48] Mit einer solchen Ermächtigung wird der Exekutive zwar nicht die Rolle des Gesetzgebers zugewiesen. Inhaltlich handelt es sich aber um eine Delegation der Befugnis zur Normsetzung (BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 1972 ­ 2 BvL 51/69, BVerfGE 34, 52, juris Rn. 30). Die Exekutive nimmt dabei - für einen nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG notwendigerweise beschränkten und klar zu definierenden Bereich - funktionell Aufgaben des Gesetzgebers wahr. Dies äußert sich unter anderem auch darin, dass der Gesetzgeber diese Befugnisse jederzeit wieder an sich ziehen kann (BVerfG, Urteil vom 19. September 2018 ­ 2 BvF 1/15, NVwZ 2018, 1703 Rn. 199).

[49] In Einklang mit diesen Grundsätzen hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, das eine abstrakt-generelle Methodenbestimmung durch den Verordnungsgeber vor dem Hintergrund des Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2003/54/EG keine Bedenken aufwirft (BVerfG, Beschluss vom 21. Dezember 2009 ­ 1 BvR 2738/08, NVwZ 2010, 373 Rn. 35). Für die jetzt maßgebliche Regelung in Art. 37 Abs. 6 der Richtlinie kann nach Auffassung des Senats nichts anderes gelten. Die Stellung der Regulierungsbehörde ist in der neuen Richtlinie zwar weiter ausgebaut worden. Eine grundsätzliche Änderung in der Rollenverteilung zwischen Normgeber und Behörde ist damit nach Auffassung des Senats aber nicht verbunden.

[50] (c) Ob und in welchem Umfang diese Rollenverteilung zu modifizieren ist, soweit eine Richtlinie zwingend vorsieht, dass bestimmte Entscheidungen der Regulierungsbehörde überlassen bleiben müssen, wie dies der Gerichtshof etwa für die Regulierung von Telekommunikationsmärkten aus der dafür einschlägigen Richtlinie gefolgert hat (EuGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - C-424/07, Slg. 2009, I-11431 Rn. 75 ff. - Kommission ./. Bundesrepublik Deutschland), kann dahingestellt bleiben.

[51] Art. 37 Abs. 6 der Richtlinie ist aus Sicht des Senats aus den oben angeführten Gründen gerade nicht zu entnehmen, dass die Mitgliedstaaten sich jeglicher Normsetzung zu Fragen der Bewertung von Anlagevermögen, der kalkulatorischen Verzinsung des Eigenkapitals und der Ermittlung des bei beeinflussbaren Kostenanteilen zu berücksichtigenden Effizienzwerts für die Betreiber von Elektrizitätsnetzen zu enthalten und alle damit in Zusammenhang stehenden Entscheidungen der Regulierungsbehörde zu überlassen haben.

[52] bb) Aus Art. 37 Abs. 17 der Richtlinie ergibt sich nach Auffassung des Senats keine abweichende Beurteilung.

[53] Der nach dieser Vorschrift gebotene Rechtsschutz ist dadurch gewährleistet, dass gegen Entscheidungen der Regulierungsbehörde gemäß § 75 Abs. 1 EnWG die Beschwerde zulässig ist, über die gemäß § 75 Abs. 4 EnWG das für den Sitz der Regulierungsbehörde zuständige Oberlandesgericht entscheidet. Die gerichtliche Überprüfung erstreckt sich sowohl auf die rechtlichen als auch auf die tatsächlichen Voraussetzungen der Entscheidung. Soweit die maßgeblichen Regeln in Rechtsverordnungen niedergelegt sind, hat das Gericht ferner zu prüfen, ob diese von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt und auch im Übrigen mit höherrangigem Recht - also einschlägigen Gesetzen und dem Grundgesetz ­ und mit den Vorgaben des Unionsrechts vereinbar sind. Eine weitergehende Verpflichtung ist Art. 37 Abs. 17 der Richtlinie aus Sicht des Senats nicht zu entnehmen.

[54] cc) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde verstoßen die für den Streitfall relevanten Regelungen der Anreizregulierungs- und der Stromnetzentgeltverordnung auch nicht deshalb gegen Vorgaben der Richtlinie, weil sie vergleichsweise detaillierte Festlegungen enthalten.

[55] Dabei kann dahingestellt bleiben, ob eine abstrakt gefasste Regelung die nach der Richtlinie zu gewährleistende Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde in unzulässiger Weise beeinträchtigen kann, wenn sie der Behörde bei der Festlegung oder Genehmigung von Methoden keinerlei Spielraum mehr belässt. Die hier in Rede stehenden Regelungen treffen zwar für Einzelfragen relativ detaillierte Festlegungen. Sie betreffen nach Auffassung des Senats aber lediglich einzelne Gesichtspunkte und lassen der Regulierungsbehörde hinsichtlich zahlreicher weiterer Fragen einen weiten Beurteilungsspielraum, der ihr eine sachgerechte und unabhängige Regulierung ermöglicht. Dass den durch die Verordnungen geregelten Fragen für die Entscheidung eines einzelnen Falles häufig große Bedeutung zukommen kann, steht in Einklang mit dem bereits erwähnten Grundsatz, wonach die Festlegung des normativen Rahmens sich gerade auf wesentliche Fragen beziehen muss.

[56] c) Dem Senat ist eine abschließende Entscheidung über diese Fragen allerdings verwehrt.

[57] In einem vor dem Gerichtshof anhängigen Vertragsverletzungsverfahren (C-718/18) vertritt die Kommission die Auffassung, Art. 37 Abs. 6 Buchst. a und b der Richtlinie sei nicht ordnungsgemäß umgesetzt, weil die Zuweisung von Zuständigkeiten im Energiewirtschaftsgesetz die ausschließlichen Zuständigkeiten der nationalen Regulierungsbehörde verletze, wie sie in der Richtlinie vorgesehen seien.

[58] Die Kommission hat mit Schreiben vom 31. Oktober 2018 (E­ER.B.2/FE/JP/ms(2018)6059113) mitgeteilt, sie beabsichtige derzeit nicht, einer von der Betroffenen erhobenen Beschwerde gesondert nachzugehen, weil die Klärung der im genannten Vertragsverletzungsverfahren sich stellenden Fragen für deren Behandlung entscheidend seien und diese in wesentlichen Teilen abdeckten.

[59] Vor diesem Hintergrund kann es nicht als abschließend geklärt angesehen werden, dass die für die Entscheidung des Streitfalls maßgeblichen Regelungen mit Unionsrecht vereinbar sind.

[60] 3. Der Senat kann dennoch in der Sache entscheiden, weil die in Rede stehenden Regelungen bis zu einer gesetzlichen Neuregelung auch dann weiterhin anzuwenden wären, wenn sie sich als unionsrechtswidrig erwiesen.

[61] a) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde wären die in Rede stehenden Regelungen im Falle ihrer Unionsrechtswidrigkeit nicht nichtig.

[62] Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union gebietet es das Unionsrecht nicht, eine Regelung des nationalen Rechts, die in Widerspruch zu Unionsrecht steht, als für keinen Zweck mehr rechtsgültig anzusehen. Vielmehr obliegt es den Mitgliedstaaten, die zur Überprüfung der Gültigkeit einer nationalen Bestimmung zuständigen Gerichte oder Stellen zu bestimmen und die Rechtsbehelfe und Verfahren vorzusehen, die es ermöglichen, diese Gültigkeit zu bestreiten sowie, im Fall der Begründetheit des Rechtsbehelfs, die betreffende Bestimmung für nichtig zu erklären und gegebenenfalls die Wirkungen dieser Nichtigerklärung zu bestimmen (vgl. nur EuGH, Urteil vom 4. Dezember 2018 - C-378/17, NZA 2019, 27 Rn. 33 f. - Minister for Justice and Equality).

[63] Nach dem infolgedessen für den Streitfall maßgeblichen deutschen Recht ist dem Unionsrecht entgegenstehendes nationales Recht nicht nichtig; es unterliegt lediglich dem unionsrechtlichen Anwendungsvorrang (vgl. nur BVerfG, Urteil vom 6. Juli 2010 - 2 BvR 2661/06, BVerfGE 126, 286 Rn. 53).

[64] b) Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs haben die nationalen Gerichte und Behörden den Anwendungsvorrang des Unionsrechts zu beachten (vgl. nur EuGH, Urteil vom 4. Dezember 2018 - C-378/17, NZA 2019, 27 Rn. 35 ff. - Minister for Justice and Equality).

[65] Im Zusammenhang mit Richtlinien verlangt der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung, dass die nationalen Gerichte unter Berücksichtigung des gesamten nationalen Rechts und unter Anwendung ihrer Auslegungsmethoden alles tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit der fraglichen Richtlinie zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel übereinstimmt (vgl. nur EuGH, Urteil vom 4. Juli 2006 - C-212/04, Slg. 2006, I-6057 Rn. 111 - Andeneler).

[66] Dieser Grundsatz darf allerdings nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem dienen (EuGH, Urteil vom 29. Juni 2017 - C-579/15 Rn. 33 ­ Poplawski). Wenn eine unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts nicht möglich ist, darf sich ein Einzelner gegenüber dem Staat jedoch unmittelbar auf die Bestimmungen einer Richtlinie berufen, sofern diese inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind (EuGH, Urteil vom 6. November 2018 ­ C­569/16, NJW 2019, 499 Rn. 70 - Bauer; Urteil vom 19. Januar 1982 ­ Rs. 8/81, NJW 1982, 499 Rn. 23 ff. - Becker). Verpflichtungen eines Einzelnen kann eine Richtlinie hingegen nicht begründen. Würde eine solche Befugnis bejaht, liefe dies darauf hinaus, der Union die Befugnis zuzuerkennen, mit unmittelbarer Wirkung zu Lasten der Einzelnen Verpflichtungen anzuordnen, obwohl sie dies nur dort darf, wo ihr die Befugnis zum Erlass von Verordnungen zugewiesen ist (EuGH, Urteil vom 7. August 2018 - C-122/17, RIW 2018, 674 Rn. 42 - Smith; Urteil vom 26. Februar 1986 - Rn. 152/84, NJW 1986, 2178 Rn. 48 - Marshall).

[67] c) Im vorliegenden Zusammenhang könnte eine sich aus der Richtlinie 2009/72/EG ergebende Vorgabe, wonach Entscheidungen der Regulierungsbehörde nicht oder nur bis zu einem bestimmten Detaillierungsgrad durch normative Vorgaben des Gesetz- oder Verordnungsgebers determiniert werden dürfen, nach diesen Grundsätzen keine unmittelbare Anwendung finden.

[68] aa) Eine Auslegung der bestehenden nationalen Vorschriften, wonach die darin enthaltenen inhaltlichen Vorgaben ganz oder teilweise zur Disposition der Regulierungsbehörde stehen, ist nicht möglich.

[69] Die im Streitfall zu beurteilenden Vorschriften dienen nach Wortlaut, Systematik und Sinn dazu, in einzelnen Punkten normative Vorgaben aufzustellen, an die die Regulierungsbehörde bei ihren Entscheidungen gebunden ist. Eine Auslegung, wonach die Regulierungsbehörde aufgrund ihrer Unabhängigkeit nicht an diese Vorgaben gebunden ist, stünde zu dieser Vorgabe in nicht auflösbarem Widerspruch.

[70] bb) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde liegen die Voraussetzungen für eine Nichtanwendung der in Rede stehenden Vorschriften nicht vor.

[71] (1) Die Bestimmungen der Richtlinie, aus denen sich die Unionsrechtswidrigkeit ergeben könnte, sehen keine bestimmten Rechte zugunsten Einzelner vor. Sie regeln vielmehr die Aufgaben und Befugnisse einer Behörde.

[72] Die Betrauung einer Behörde mit bestimmten Entscheidungsbefugnissen begründet für die von den Entscheidungen betroffenen Einzelnen keinen unmittelbaren Vorteil. Sie mag sich im Einzelfall vorteilhaft auswirken, wenn die Behörde im Sinne des Betroffenen entscheidet und hierbei nicht durch normative Vorgaben gebunden ist, die zu einem dem Betroffenen ungünstigeren Ergebnis führen würden. Ein solcher Vorteil ist jedoch keine unmittelbare Folge der Vorgaben aus der Richtlinie. Ob und in welchem Umfang er eintritt, hängt von den Umständen des jeweiligen Falles ab und von der Art und Weise, in der die Regulierungsbehörde von den ihr zur Verfügung stehenden Entscheidungsspielräumen Gebrauch macht.

[73] Die Nichtanwendung normativer Vorgaben aus dem Energiewirtschaftsgesetz und den auf dessen Grundlage ergangenen Verordnungen würde damit nicht dazu führen, dass den von den Entscheidungen der Regulierungsbehörde betroffenen Einzelnen eine Rechtsposition zugewiesen würde, die in der Richtlinie unmittelbar und hinreichend bestimmt vorgesehen ist. Sie hätte lediglich zur Folge, dass der Regulierungsbehörde weitergehende oder jedenfalls anders geartete Kompetenzen zukämen, was sich im Einzelfall zugunsten, aber auch zu Lasten eines Einzelnen auswirken könnte. Daraus ergäbe sich eine Belastung des Einzelnen, die nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs nur durch das Primärrecht oder durch Verordnungen begründet werden kann, nicht aber durch Richtlinien.

[74] (2) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde führt der vergleichsweise hohe Detaillierungsgrad der für den Streitfall relevanten Regelungen nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

[75] Der Detaillierungsgrad der jeweiligen Regelung hat keinen Einfluss auf den aufgezeigten Zusammenhang zwischen der Zuweisung von Befugnissen an eine Behörde und den daraus resultierenden Rechtsfolgen für den Einzelnen. Blieben die von der Betroffenen im Streitfall beanstandeten Regelungen außer Anwendung, führte dies nicht zwingend dazu, dass die Erlösobergrenze für die Betroffene höher festgesetzt wird. Auch in diesem Zusammenhang geht es mithin nicht um die Einräumung von Rechten Einzelner, die in der Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau vorgesehen wären.

[76] cc) Unabhängig davon wäre die teilweise oder vollständige Nichtanwendung normativer Vorgaben in der Konstellation des Streitfalls ohnehin nicht geeignet, einen den Zielen der Richtlinie entsprechenden Zustand herbeizuführen.

[77] (1) Wie bereits oben dargelegt wurde, haben die Mitgliedstaaten gemäß Art. 32 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie sicherzustellen, dass Tarife für die Nutzung eines Netzes oder die Methoden zu ihrer Berechnung vor deren Inkrafttreten gemäß Art. 37 der Richtlinie genehmigt und veröffentlicht werden. Dies dient dem vom Gerichtshof bereits aus Art. 23 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2003/53/EG abgeleitet Ziel, dass die Wirtschaftsteilnehmer ihre Kosten für den Zugang zu den Übertragungs- und Verteilernetzen schon im Voraus abschätzen können. Der Gerichtshof hat entschieden, dass die genannte Vorschrift einer nationalen Regelung entgegensteht, die der Regulierungsbehörde nicht aufgibt, zumindest die Methoden zur Berechnung der Netztarife vorab festzulegen oder zu genehmigen (EuGH, Urteil vom 29. Oktober 2009 - C-274/08, Slg. 2009, I-10647 Rn. 26 ff. ­ Kommission ./. Schweden).

[78] (2) Im Streitfall hätte die Nichtanwendung der von der Betroffenen für unionsrechtswidrig gehaltenen Bestimmungen zur Folge, dass die Regulierungsbehörde die maßgeblichen Grundsätze über die Berechnung von Netztarifen erst nach Beginn oder sogar erst nach dem Ende einer Regulierungsperiode festzulegen hätte. Dies stünde in Widerspruch zu Art. 32 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie und führte zu einer mindestens ebenso gravierenderen Verfehlung der in der Richtlinie vorgegebenen Ziele wie eine vorherige Festlegung auf der Grundlage einzelner Vorgaben, auch wenn diese die Entscheidungsbefugnis der Regulierungsbehörde in unionsrechtswidriger Weise einschränkten.

[79] Zwar ist es schon aufgrund des nach Art. 37 Abs. 17 der Richtlinie zu gewährenden Rechtsschutzes nicht zu vermeiden, dass Entscheidungen der Regulierungsbehörde mit Wirkung für vergangene Zeiträume korrigiert werden müssen. Würden die zur Überprüfung einer behördlichen Entscheidung berufenen Gerichte eine Entscheidung der Regulierungsbehörde allein deshalb als rechtswidrig einstufen, weil diese sich an Vorgaben des Verordnungsgebers orientiert hat, deren Erlass den Vorgaben der Richtlinie widerspricht, so hätte dies indes nicht nur eine Korrektur getroffener Regulierungsentscheidungen hinsichtlich einzelner Aspekte zur Folge. Die Regulierungsbehörden müssten vielmehr im Nachhinein über eine Vielzahl von entscheidungserheblichen Faktoren von Grund auf neu entscheiden. Die ursprünglich getroffene Entscheidung, die den Marktteilnehmern während einer bereits begonnenen oder schon abgelaufenen Regulierungsperiode als einzige Orientierungshilfe zur Verfügung stand, würde die ihr zugedachte Funktion damit weitgehend verlieren. An ihre Stelle würde eine nachträgliche Regulierung treten, deren Ergebnisse bei Beginn der Regulierungsperiode nicht einmal ansatzweise abzusehen waren. Zudem könnte sie nicht nach einheitlichen Maßstäben erfolgen, da sie davon abhängig wäre, dass die getroffenen Regulierungsentscheidungen im Einzelfall noch angefochten werden könnten.

[80] dd) Einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs zu dieser Fragestellung bedarf es nicht.

[81] Die Voraussetzungen, unter denen eine Richtlinie dazu führen kann, dass sich der Staat gegenüber einem Einzelnen nicht auf eine nationale Regelung berufen darf, sind durch die oben zitierte Rechtsprechung des Gerichtshofs seit langem geklärt. Die Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall wirft keine Fragen auf, die eine weitere Klärung oder Konkretisierung dieser ständigen Rechtsprechung erfordern.

[82] C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Satz 2 EnWG, die Festsetzung des Gegenstandswerts auf § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GKG und § 3 ZPO.

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