BGH, Beschluss vom 9. Februar 2022 - XII ZB 474/21

15.03.2022

BUNDESGERICHTSHOF

vom

9. Februar 2022

in der Familiensache


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


ZPO §§ 233 B, Ff, 238 Abs. 2, 520 Abs. 2; FamFG §§ 113, 117


Dem Beschwerdeführer ist keine Wiedereinsetzung wegen der Versäumung der Frist zur Begründung der Beschwerde zu gewähren, wenn er vor Fristablauf keinen ordnungsgemäßen Antrag auf Fristverlängerung - etwa unter Hinweis auf eine nicht gewährte Akteneinsicht - gestellt hat, mit dem diese ohne Einwilligung des Gegners gemäß § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG iVm § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO hätte erfolgen können (im Anschluss an BGHZ 217, 199 = NJW 2018, 952).


BGH, Beschluss vom 9. Februar 2022 - XII ZB 474/21 - OLG Düsseldorf, AG Nettetal


Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Februar 2022 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Prof. Dr. Klinkhammer, Schilling, Dr. Günter und Guhling

beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 6. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 20. September 2021 wird auf Kosten des Antragsgegners zurückgewiesen.

Wert: 170.000 €

Gründe:

[1] I. Der Antragsgegner begehrt Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist.

[2] Das Amtsgericht hat ihm in einem Zugewinnausgleichsverfahren aufgegeben, an die Antragstellerin 170.000 € nebst Zinsen zu zahlen. Der Beschluss ist seinem für die erste Instanz mandatierten Verfahrensbevollmächtigten am 31. Mai 2021 zugestellt worden. Hiergegen hat der für die zweite Instanz neu mandatierte Verfahrensbevollmächtigte am 28. Juni 2021 beim Amtsgericht Beschwerde eingelegt und zugleich Akteneinsicht beantragt, um sich in die Sache einarbeiten zu können. Mit Beschluss vom 9. August 2021 hat das Oberlandesgericht darauf hingewiesen, dass die Begründungsfrist am 2. August 2021 abgelaufen sei, weshalb beabsichtigt sei, das Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen. Mit Verfügung vom 18. August 2021 hat das Oberlandesgericht dem Antragsgegner mitgeteilt, dass das Akteneinsichtsgesuch übersehen worden sei. Mit Schriftsatz vom 16. August 2021 hat der Verfahrensbevollmächtigte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners.

[3] II. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

[4] Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, 238 Abs. 2, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO erfüllt sind. Die bislang höchstrichterlich noch nicht entschiedene Frage, ob eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die versäumte Beschwerdebegründungsfrist möglich ist, wenn der Beschwerdeführer trotz eines übersehenen und nicht beschiedenen Akteneinsichtsgesuchs keine Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist beantragt hatte, die ohne Zustimmung des Gegners zu bewilligen gewesen wäre, hat grundsätzliche Bedeutung iSv § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. In der Sache ist die Rechtsbeschwerde allerdings unbegründet.

[5] 1. Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

[6] Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei zurückzuweisen, weil der Antragsgegner nicht glaubhaft gemacht habe, dass sein Verfahrensbevollmächtigter ohne Verschulden an der fristgerechten Begründung der Beschwerde gehindert gewesen sei. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Begründung der Beschwerde erforderten es in einem solchen Fall vielmehr, dass die Frist zur Begründung der Beschwerde nicht mehr verlängerbar sei. Hier sei die Frist zur Begründung der Beschwerde noch verlängerbar gewesen. In einem solchen Fall müsse zunächst eine Verlängerung der Begründungsfrist beantragt und im Rahmen dieses Fristverlängerungsantrags das bislang noch nicht beschiedene Akteneinsichtsgesuch wiederholt werden.

[7] 2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.

[8] a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf der Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers, wenn er rechtzeitig einen Antrag auf Bewilligung von Akteneinsicht gestellt hat und alle Fristverlängerungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind, mit der Begründung der Berufung insgesamt abwarten, bis ihm Akteneinsicht gewährt worden ist. Anschließend kann er innerhalb der Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Begründungsfrist beantragen und die Berufungsbegründung nachholen. Ein Antrag ist dann rechtzeitig gestellt, wenn der Prozessbevollmächtigte mit der Einsicht in die Akten so frühzeitig rechnen kann, dass er sie vor Fristablauf zum Zwecke der Berufungsbegründung noch verantwortlich auswerten kann (BGHZ 217, 199 = NJW 2018, 952 Rn. 13 mwN).

[9] Wenn der Prozessbevollmächtigte das Akteneinsichtsgesuch rechtzeitig gestellt hat und ihm die Akteneinsicht ohne sein Verschulden nicht vor Ablauf der verlängerten Berufungsbegründungfrist ermöglicht wurde, ist er nicht gehalten, die Berufung vorsorglich und potentiell unvollständig zu begründen. Dann ist auch nicht entscheidend, ob die letztlich erhobenen Einwände gegen das Berufungsurteil auch ohne Einsicht in die Akten hätten vorgetragen werden können. Welche Berufungsgründe vorgebracht werden können und sollen, kann gerade erst auf Grundlage der Akteneinsicht abschließend beurteilt werden (BGHZ 217, 199 = NJW 2018, 952 Rn. 15 mwN). Für das vorliegende Verfahren der Familienstreitsache gelten die vorstehenden Ausführungen gemäß §§ 113, 117 FamFG entsprechend.

[10] b) Diesen Sorgfaltsanforderungen ist der Antragsgegner hier nicht gerecht geworden.

[11] Das dem Antragsgegner gemäß § 113 Abs. 1 FamFG iVm § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnende Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten ist darin zu sehen, dass er vor Fristablauf keinen ordnungsgemäßen Antrag auf Fristverlängerung - etwa unter Hinweis auf die nicht gewährte Akteneinsicht - gestellt hat, mit dem diese ohne Einwilligung des Gegners gemäß § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG iVm § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO hätte erfolgen können.

[12] Soweit der Antragsgegner mit seiner Rechtsbeschwerde erstmals behauptet, auf einen ausführlicheren Hinweis seitens des Oberlandesgerichts hätte er vorgetragen, dass sich sein Verfahrensbevollmächtigter bei Fristablauf im Jahresurlaub befunden habe und die Angelegenheit im Hinblick auf ihren Umfang, wonach eine Beschwerdebegründung erst nach erfolgter Akteneinsicht erfolgen könne, von seinem Bürovorsteher als erledigt angesehen worden sei, ist dies nicht geeignet, einen Verschuldensvorwurf auszuräumen.

[13] Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde liegt auch keine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG vor. Der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners hätte im Hinblick auf die nicht gewährte Akteneinsicht ohne weiteres eine erstmalige einmonatige Fristverlängerung beantragen und zugleich an die Akteneinsicht erinnern können. Darin sind keine überspannten verfahrensrechtlichen Anforderungen zu sehen.

Dose Klinkhammer Schilling

Günter Guhling

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