BGH, Beschluss vom 9. Januar 2023 - VI ZB 80/20

22.02.2023

BUNDESGERICHTSHOF

vom

9. Januar 2023

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


GG Art. 34 Satz 3


Zum Rechtsweg beim Rückgriff des Unfallversicherungsträgers gegen den für ihn tätigen Durchgangsarzt bezüglich einer fehlerhaften Behandlung im Rahmen eines Arbeitsunfalls.


BGH, Beschluss vom 9. Januar 2023 - VI ZB 80/20 - OLG Hamm, LG Münster


Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Januar 2023 durch den Vorsitzenden Richter Seiters, den Richter Offenloch, die Richterinnen Dr. Oehler und Müller und den Richter Böhm

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 26. Juni 2020 im Kostenpunkt und hinsichtlich der Zurückweisung der sofortigen Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 2. April 2020 insoweit aufgehoben, als die Klägerin mit ihrer Klage von den Beklagten Schadensersatz für die Erstattung von Entgeltfortzahlungen in Höhe von 1.459,81 € nebst Zinsen verlangt. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde zurückgewiesen.

Gründe:

[1] I. Die Parteien streiten über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten.

[2] Die Klägerin ist Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung, der Beklagte zu 1 ein für sie tätiger Durchgangsarzt und der Beklagte zu 2 ein Vertreter des Beklagten zu 1. Zwischen der Klägerin und dem Beklagten zu 1 gilt der Vertrag gemäß § 34 Abs. 3 SGB VII zwischen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e.V. und dem Spitzenverband der landwirtschaftlichen Sozialversicherung einerseits und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung andererseits über die Durchführung der Heilbehandlung, die Vergütung der Ärzte sowie die Art und Weise der Abrechnung der ärztlichen Leistungen (Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger).

[3] Am 9. Februar 2016 erlitt der nach Darstellung der Klägerin bei ihr gesetzlich unfallversicherte R. (im Folgenden: der Versicherte) einen Arbeitsunfall, bei dem er sich eine Verletzung des rechten Beins zuzog. Die Verletzung wurde durch den als Vertreter des Beklagten zu 1 tätig werdenden Beklagten zu 2 erstversorgt. Der Beklagte zu 2 stellte eine Schnittwunde am rechten Schienbein fest, die er reinigte und nähte. Eine Röntgenuntersuchung erfolgte nicht. Der Versicherte wurde in die ambulante Weiterbehandlung entlassen.

[4] Die Klägerin macht einen groben Befunderhebungsfehler geltend und behauptet, eine knöcherne Verletzung im Wundbereich mit einer Schädigung der Zehenstreckersehne sei nicht erkannt worden. Zudem sei behandlungsfehlerhaft eine Antibiotikagabe unterblieben. Am 11. Februar 2016 habe ein anderer Durchgangsarzt eine Phlegmone des gesamten Unterschenkels festgestellt. Am Tag darauf sei eine operative Wundrevision erfolgt. Der Versicherte sei erst im Juli 2016 wieder arbeitsfähig gewesen. Aufgrund der fehlerhaften Behandlung seien ihr - der Klägerin - bislang Mehraufwendungen in Höhe von 17.677,90 € entstanden (Heilbehandlungs- und Fahrtkosten, zu erstattende Entgeltfortzahlungen, Kosten der Ermittlung des Behandlungsfehlers). Mit Folgebehandlungen und weiteren Heilbehandlungskosten sei zu rechnen. Außerdem sei sie vom Versicherten auf Schadensersatz in Anspruch genommen worden und habe im Vergleichswege 8.500 € zur Abgeltung aller Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche an diesen gezahlt.

[5] Die Klägerin begehrt von den Beklagten Schadensersatz in Höhe der genannten Beträge nebst Zinsen sowie die Feststellung der weiteren Ersatzpflicht der Beklagten. Sie meint, die Beklagten seien gemäß § 280 Abs. 1, § 278 BGB i.V.m. dem Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger zum Ersatz der Mehraufwendungen verpflichtet. Die Erstattung der an den Versicherten gezahlten 8.500 €, für die sie - die Klägerin - gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG gehaftet habe, schuldeten die Beklagten im Wege des Regresses.

[6] Das Landgericht hat die auf die behaupteten Mehraufwendungen in Höhe von 17.677,90 € bezogenen Ansprüche der Klägerin gemäß § 145 Abs. 1 ZPO abgetrennt, insoweit den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG für unzulässig erklärt und den abgetrennten Teil des Rechtsstreits an das Sozialgericht Münster verwiesen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Klägerin hat das Oberlandesgericht als Beschwerdegericht mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Rechtsstreit auch hinsichtlich des Feststellungsantrags an das Sozialgericht verwiesen ist. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Klägerin den Antrag, unter Aufhebung bzw. Abänderung der vorinstanzlichen Entscheidungen den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten (insgesamt) für zulässig zu erklären.

[7] II. Die gemäß § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist hinsichtlich des Anspruchs der Klägerin auf Schadensersatz für die Erstattung von Entgeltfortzahlungen begründet und führt insoweit zur Aufhebung und Zurückverweisung. Im Übrigen ist sie unbegründet.

[8] 1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner in juris (Az. I - 11 W 29/20) veröffentlichten Entscheidung ausgeführt, hinsichtlich der Mehraufwendungen der Klägerin liege eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der gesetzlichen Unfallversicherung im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 3 SGG vor, über die die Sozialgerichte zu entscheiden hätten. Gegenstand des Rechtsstreits seien insoweit Ansprüche der Klägerin aus dem Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger. Die Beziehungen der Unfallversicherungsträger zu den an der besonderen unfallmedizinischen Heilbehandlung teilnehmenden Ärzten und Krankenhäusern seien öffentlich-rechtlicher Natur. Der Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger sei ein öffentlich-rechtlicher Vertrag. Für alle Ansprüche aus öffentlich-rechtlichen Verträgen sei grundsätzlich der Rechtsweg zu dem jeweils zuständigen Zweig der Verwaltungsgerichtsbarkeit - im Streitfall zur Sozialgerichtsbarkeit - gegeben. Das gelte auch im Falle eines Sachzusammenhangs mit einem vor den Zivilgerichten geltend zu machenden Amtshaftungsanspruch. Dass § 280 Abs. 1 BGB als Anspruchsgrundlage in Betracht komme, rechtfertige keine abweichende Beurteilung. Art. 34 Satz 3 GG sei für die abgetrennten und an die Sozialgerichtsbarkeit verwiesenen Ansprüche, mit denen die Klägerin einen unmittelbaren Eigenschaden geltend mache, nicht einschlägig. § 17 Abs. 2 GVG stehe der Aufspaltung des Rechtswegs nicht entgegen, da die Klägerin eine Mehrheit prozessualer Ansprüche verfolge.

[9] 2. Das hält der rechtlichen Prüfung überwiegend stand.

[10] a) Das Beschwerdegericht hat zutreffend entschieden, dass nicht die ordentlichen Gerichte, sondern die Sozialgerichte für die Entscheidung über die Ansprüche der Klägerin auf Schadensersatz für die von ihr getragenen Heilbehandlungskosten, Fahrtkosten und Kosten der Ermittlung des Behandlungsfehlers sowie über den Feststellungsantrag zuständig sind.

[11] aa) Die Klage betrifft keine bürgerliche Rechtsstreitigkeit gemäß § 13 GVG, sondern eine grundsätzlich den Sozialgerichten zugewiesene öffentlich-rechtliche Streitigkeit in einer Angelegenheit der gesetzlichen Unfallversicherung gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 3 SGG.

[12] (1) Ob eine Streitigkeit öffentlich-rechtlicher oder bürgerlich-rechtlicher Art ist, richtet sich, wenn - wie hier - eine ausdrückliche gesetzliche Regelung dieser Frage fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (st. Rspr.; etwa Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 10. April 1986 - GmS-OGB 1/85, BGHZ 97, 312, 313 f., juris Rn. 10; Senatsbeschluss vom 14. April 2015 - VI ZB 50/14, BGHZ 204, 378 Rn. 12; BGH, Beschluss vom 9. Februar 2021 - VIII ZB 20/20, NVwZ 2021, 660 Rn. 17; jeweils mwN). Dieser Grundsatz bestimmt die Auslegung sowohl von § 13 GVG als auch von § 51 Abs. 1 SGG (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 10. April 1986 - GmS-OGB 1/85, BGHZ 97, 312, 314, juris Rn. 10; BSG, Beschluss vom 6. September 2007 - B 3 SF 1/07 R, juris Rn. 9). Es kommt nicht auf die Bewertung durch die klagende Partei, sondern darauf an, ob sich das Klagebegehren nach den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen bei objektiver Würdigung aus einem Sachverhalt herleitet, der von Rechtssätzen des Zivil- oder des öffentlichen Rechts geprägt wird (Senatsbeschluss vom 14. April 2015 - VI ZB 50/14, BGHZ 204, 378 Rn. 12; BGH, Beschluss vom 9. Februar 2021 - VIII ZB 20/20, NVwZ 2021, 660 Rn. 17; jeweils mwN).

[13] (2) Die Klägerin macht keine gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X vermeintlich auf sie übergegangenen privatrechtlichen Ansprüche ihres Versicherten gegen die Beklagten geltend. Vielmehr leitet sie die hier fraglichen Ansprüche aus dem zwischen ihr als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung und dem Beklagten als Durchgangsarzt bestehenden, durch den gemäß § 34 Abs. 3 Satz 1 SGB VII geschlossenen Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger geregelten Rechtsverhältnis her. Dieses Rechtsverhältnis ist öffentlich-rechtlicher Natur (vgl. Senatsurteil vom 28. Juni 1994 - VI ZR 153/93, BGHZ 126, 297, 299, juris Rn. 9; BSGE 97, 47 Rn. 22; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl., § 51 Rn. 8; Gutzeit in BeckOGK-SGG, Stand: 1.8.2022, § 51 Rn. 57; Wolff-Dellen in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl., § 51 Rn. 72). Dementsprechend handelt es sich bei dem Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB X (sog. Normsetzungsvertrag, BSGE 97, 47 Rn. 25; OLG Dresden, Beschluss vom 22. Juli 2019 - 4 W 497/19, juris Rn. 9; Feddern in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand: 1.3.2018, § 34 SGB VII Rn. 23; Schmitt, SGB VII, 4. Aufl., § 34 Rn. 11; allgemein zur Abgrenzung von öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Verträgen etwa BGH, Beschluss vom 9. Februar 2021 - VIII ZB 20/20, NVwZ 2021, 660 Rn. 41 mwN).

[14] Dass die Klägerin ihre Ansprüche auf § 280 Abs. 1 BGB stützt, also auf eine Norm des bürgerlichen Rechts, ist unerheblich. Ob es sich um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit handelt, hängt nicht von der geltend gemachten Anspruchsgrundlage ab, sondern - wie bereits dargelegt - von der Rechtsnatur der Pflichten, aus deren Verletzung der Klageanspruch hergeleitet wird (vgl. BSGE 105, 210 Rn. 9 mwN). Im Übrigen gelten für öffentlich-rechtliche Verträge aus dem Bereich des Sozialrechts die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches und damit auch § 280 BGB entsprechend (§ 61 SGB X); es bleibt damit aber auch bei Anwendung des § 280 BGB bei dem Charakter einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde wird das Rechtsverhältnis der Parteien auch nicht "maßgeblich durch das bürgerlich-rechtliche Arzthaftungsrecht geprägt". Die §§ 630a ff. BGB regeln die (privatrechtliche) Beziehung zwischen Behandler und Patient. Auf das Verhältnis des Durchgangsarztes zum Unfallversicherungsträger finden sie jedenfalls keine unmittelbare Anwendung.

[15] Der von der Rechtsbeschwerde gezogene Vergleich mit dem als bürgerlich-rechtlich angesehenen Aufwendungsersatzanspruch aus § 110 Abs. 1 SGB VII geht ebenfalls fehl, da dieser Anspruch sich auch gegen Dritte richtet, die zum Unfallversicherungsträger - anders als der Durchgangsarzt - nicht in einem öffentlich-rechtlichen Sonderverhältnis stehen (vgl. Senatsbeschluss vom 14. April 2015 - VI ZB 50/14, BGHZ 204, 378 Rn. 15).

[16] (3) Es handelt sich um eine Angelegenheit der gesetzlichen Unfallversicherung gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 3 SGG (vgl. Wagner, NZS 2020, 410, 415; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl., § 51 Rn. 28a; Groß in Berchtold, SGG, 6. Aufl., § 51 Rn. 9 a.E.). Das Durchgangsarztverfahren gehört gemäß § 34 SGB VII zu den Maßnahmen, mit denen die Unfallversicherungsträger die ihnen übertragenen Aufgaben auf dem Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung erfüllen (vgl. BSGE 37, 267, 268, juris Rn. 17). Streitigkeiten im Verhältnis des Unfallversicherungsträgers zum Durchgangsarzt fallen daher grundsätzlich unter die umfassende (Wenner in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Sozialrecht, 7. Aufl., § 51 SGG Rn. 9) Zuständigkeitsregel des § 51 Abs. 1 Nr. 3 SGG (Gutzeit in BeckOGK-SGG, Stand: 1.8.2022, § 51 Rn. 57 mwN).

[17] bb) Die ordentlichen Gerichte sind auch nicht kraft einer Sonderzuweisung gemäß Art. 34 Satz 3 GG für die hier fraglichen Ansprüche zuständig. Denn die Klage stellt sich insoweit nicht als Rückgriff der Klägerin gegen die Beklagten im Sinne von Art. 34 Satz 3 GG dar.

[18] (1) Gemäß Art. 34 Satz 3 GG darf der ordentliche Rechtsweg für den Anspruch auf Schadensersatz aus Amtspflichtverletzung und für den Rückgriff nicht ausgeschlossen werden. Ein Rückgriff im Sinne von Art. 34 Satz 3 GG ist dabei nur dann anzunehmen, wenn der klagende öffentlich-rechtliche Dienstherr die von ihm geltend gemachten Regressansprüche darauf stützt, dass er aufgrund eines aus § 839 BGB hergeleiteten Schadensersatzanspruchs Leistungen an einen Dritten erbracht und dadurch einen - mittelbaren - Schaden (Haftungsschaden) erlitten hat (vgl. BVerwG, NJW 1963, 69, 70; Papier/Shirvani in Dürig/Herzog/Scholz, GG, 97. EL, Art. 34 Rn. 301; Burth in BeckOK BeamtenR Bund, Stand: 1.8.2022, § 75 BBG Rn. 26; Lemhöfer in Plog/Wiedow, BBG, Werkstand: Juli 2022, § 75 Rn. 123 f.). Nicht erfasst werden Ansprüche des Dienstherrn gegen den Amtsträger wegen anderer Schäden, mögen diese auch auf eine Amtspflichtverletzung zurückzuführen sein.

[19] (2) Im Streitfall ist nichts dafür ersichtlich, dass die Klägerin hinsichtlich der hier fraglichen Leistungen und Aufwendungen (Heilbehandlungskosten, Fahrtkosten, Kosten der Ermittlung des Behandlungsfehlers) den Ersatz ihres aus einem etwaigen Amtshaftungsanspruch des Versicherten resultierenden Haftungsschadens geltend macht. Die Klägerin beruft sich hierauf nicht und Entsprechendes ergibt sich auch nicht eindeutig aus dem Gegenstand der von ihr erbrachten Leistungen, so dass es eines ausdrücklichen Sich-Berufens nicht bedürfte. Die Kosten der Ermittlung des Behandlungsfehlers sind bei der Klägerin unmittelbar und nicht infolge der Erfüllung einer Schadensersatzforderung ihres Versicherten angefallen. Bei den Heilbehandlungs- und Fahrtkosten handelt es sich um Zahlungen aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Unfallversicherung gemäß §§ 26 ff. SGB VII. Zu den vom Unfallversicherungsträger zu entschädigenden Folgen eines Versicherungsfalls zählen auch Gesundheitsschäden, die durch die Durchführung einer Heilbehandlung oder der zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls angeordneten Untersuchung wesentlich verursacht wurden (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 und 3 SGB VII; BSGE 122, 162 Rn. 19; BSGE 108, 274 Rn. 33), so dass auch eine (gegebenenfalls fehlerhafte) ärztliche Maßnahme Unfallversicherungsleistungen erforderlich machen kann, wenn die Maßnahme - wie hier - der Feststellung oder Behandlung von Unfallfolgen diente.

[20] Hinsichtlich der von der Klägerin befürchteten künftigen Behandlungsmehrkosten kommt ein Amtshaftungsrückgriff im Übrigen schon deshalb nicht in Betracht, weil die Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag mit dem Versicherten einen umfassenden Abfindungsvergleich abgeschlossen hat, so dass weitere Schadensersatzleistungen ausgeschlossen sind.

[21] (3) Dass der Versicherte die Klägerin möglicherweise hinsichtlich der Behandlungs- und Fahrtkosten aus Amtshaftung hätte in Anspruch nehmen können (vgl. zur Haftung des Unfallversicherungsträgers für Behandlungsfehler des Durchgangsarztes Senatsurteile vom 29. November 2016 - VI ZR 208/15, BGHZ 213, 120 Rn. 7 ff.; vom 20. Dezember 2016 - VI ZR 395/15, VersR 2017, 495 Rn. 11 f., 14), eröffnet den ordentlichen Rechtsweg nach Art. 34 Satz 3 GG nicht. Wie oben ausgeführt, ist allein maßgeblich, ob die Klägerin tatsächlich einen Haftungsschaden geltend macht, weil der Verfassungsgeber nur derartige Ansprüche ausnahmsweise den ordentlichen Gerichten zugewiesen hat.

[22] (4) Eine entsprechende Anwendung des Art. 34 Satz 3 GG ist nicht veranlasst. Der Verweis der Rechtsbeschwerde auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 19. Februar 1953 zum Aktenzeichen III ZR 31/51 (BGHZ 9, 65) verfängt nicht. Das Urteil besagt, dass für Ausgleichsansprüche zwischen mehreren öffentlich-rechtlichen Körperschaften, die für denselben Schaden gesamtschuldnerisch aus Amtspflichtverletzung haften, gemäß Art. 34 Satz 3 GG der ordentliche Rechtsweg gegeben ist, obwohl die Ansprüche vom Wortlaut der Vorschrift nicht erfasst werden (BGHZ 9, 65, 68 ff., juris Rn. 13 ff.). Im Streitfall geht es nicht um derartige Ausgleichsansprüche (§ 840 Abs. 1, § 426 BGB). Die Fallgestaltungen sind auch nicht vergleichbar. Das besagte Urteil betraf die Klage einer Körperschaft, die aufgrund einer gegen sie erhobenen, auf Amtspflichtverletzung gestützten Schadensersatzforderung Zahlung geleistet hatte, was im Streitfall hinsichtlich der hier fraglichen Ansprüche der Klägerin gerade nicht der Fall ist.

[23] cc) Die Teilverweisung des Rechtsstreits widerspricht auch nicht § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG.

[24] Gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten. Die hierdurch begründete rechtswegüberschreitende Sach- und Entscheidungskompetenz setzt voraus, dass Gegenstand des Verfahrens ein einheitlicher Streitgegenstand im Sinne eines einheitlichen prozessualen Anspruchs ist. Liegt hingegen eine Mehrheit prozessualer Ansprüche vor, ist für jeden dieser Ansprüche die Rechtswegzuständigkeit gesondert zu prüfen (BGH, Urteil vom 12. März 2020 - I ZR 126/18, BGHZ 225, 59 Rn. 23; Beschluss vom 27. November 2013 - III ZB 59/13, BGHZ 199, 159 Rn. 13 f. mwN; Urteil vom 28. Februar 1991 - III ZR 53/90, BGHZ 114, 1, 2, juris Rn. 6). Ist der beschrittene Rechtsweg für einen der prozessualen Ansprüche nicht eröffnet, hat - wie im Streitfall geschehen - eine Prozesstrennung gemäß § 145 Abs. 1 ZPO mit anschließender Teilverweisung gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG zu erfolgen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2009 - NotZ 19/08, BGHZ 183, 35 Rn. 17; Lückemann in Zöller, ZPO, 34. Aufl., § 17 GVG Rn. 6; Ziekow in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., § 17 GVG Rn. 39; Jacobs in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 17 GVG Rn. 16).

[25] Im Streitfall bilden die hier fraglichen Leistungen und Aufwendungen der Klägerin (Heilbehandlungskosten, Fahrtkosten und Kosten der Ermittlung des Behandlungsfehlers) und die im Vergleichswege an den Versicherten gezahlten 8.500 € in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht eigenständige Schadenspositionen und damit unterschiedliche Streitgegenstände (vgl. Senatsurteil vom 22. Mai 1984 - VI ZR 228/82, NJW 1984, 2346, 2347, juris Rn. 16 f.; Vollkommer in Zöller, ZPO, 34. Aufl., Einl. Rn. 73). Dass sämtliche Schäden nach dem Vortrag der Klägerin auf demselben schädigenden Ereignis beruhen, nämlich auf der durchgangsärztlichen Behandlung vom 9. Februar 2016, begründet noch keinen einheitlichen Streitgegenstand (vgl. Senatsurteil vom 22. Mai 1984 - VI ZR 228/82, NJW 1984, 2346, 2347, juris Rn. 17; BGH, Urteil vom 27. Mai 1993 - III ZR 59/92, NJW 1993, 2173, juris Rn. 8).

[26] Dass die Teilverweisung zu einer Rechtswegspaltung führt und die Gefahr begründet, dass die durchgangsärztliche Behandlung des Versicherten von den Gerichten unterschiedlich beurteilt wird, ist als Konsequenz der gesetzlichen Zuständigkeitsverteilung hinzunehmen. Die Möglichkeit, dass ein und derselbe Sachverhalt auseinandergerissen und in den sich aus ihm ergebenden Ansprüchen auf verschiedene Rechtswege verteilt wird, ist durch Art. 34 Satz 3 GG verfassungsrechtlich vorgegeben (vgl. BVerwGE 37, 231, 237, juris Rn. 22; Papier/Shirvani in Dürig/Herzog/Scholz, GG, 97. EL, Art. 34 Rn. 307 ff.).

[27] b) Die Verweisung des Rechtsstreits auf den Sozialrechtsweg ist rechtsfehlerhaft, soweit sie den Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz für die Erstattung von Entgeltfortzahlungen in Höhe von 1.459,81 € nebst Zinsen betrifft. Die Klägerin hat sich zwar auch insoweit nicht ausdrücklich auf den Eintritt eines mittelbaren Schadens aufgrund der Erfüllung eines Amtshaftungsanspruchs berufen. Die Erstattung von Entgeltfortzahlungen an den Arbeitgeber gemäß § 6 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz würde jedoch beim Erstattenden eindeutig einen Haftungsschaden darstellen. In diesem Fall bedürfte es eines ausdrücklichen Sich-Berufens auf einen Haftungsschaden nicht, um den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten nach Art. 34 Satz 3 GG zu eröffnen. Ob es sich vorliegend um eine Erstattung von Entgeltfortzahlungen gemäß § 6 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz handelt, hätte das Berufungsgericht vor einer Verweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht deshalb klären müssen.

[28] III. Gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO ist der angefochtene Beschluss daher unter Zurückweisung der Rechtsbeschwerde im Übrigen im tenorierten Umfang aufzuheben und die Sache insoweit zurückzuverweisen, damit das Beschwerdegericht die zur Entscheidung der Rechtswegfrage noch erforderlichen Feststellungen treffen kann.

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