BGH, Beschluss vom 9. Juli 2020 - V ZR 30/20

01.09.2020

BUNDESGERICHTSHOF

vom

9. Juli 2020

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


ZPO § 234 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2


Will eine Partei, deren Prozesskostenhilfeantrag für ein dem Anwaltszwang unterliegendes Rechtsmittelverfahren teilweise abgelehnt wurde, das Rechtsmittel auch insoweit einreichen, muss sie in dem Fall, dass ihr noch kein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist, nach Ablauf der ihr zustehenden Überlegungsfrist von drei bis vier Tagen und innerhalb der anschließend beginnenden Zweiwochenfrist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO die versäumte Rechtsmitteleinlegung nachholen und Wiedereinsetzung in die versäumte Frist beantragen (Abgrenzung zu BGH, Beschluss vom 27. August 2019 - VI ZB 32/18, NJW 2019, 3727).


BGH, Beschluss vom 9. Juli 2020 - V ZR 30/20 - OLG Hamm, LG Hagen


Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Juli 2020 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterin Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, den Richter Dr. Kazele, die Richterin Haberkamp und den Richter Dr. Hamdorf

beschlossen:

Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde gewährt, soweit er den in der Berufungsinstanz gestellten Hilfsantrag weiterverfolgen will. Im Übrigen wird der Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen.

Gründe:

[1] I. Mit Beschluss vom 12. September 2019 hat der Senat dem Kläger zum Zwecke der Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines noch zu benennenden, beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalts ohne Ratenzahlung bewilligt, soweit er seinen in der Berufungsinstanz gestellten Hilfsantrag weiterverfolgen will. Im Übrigen ist der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen worden. Mit Beschluss vom 9. Januar 2020 hat der Senat dem Kläger im Umfang der erfolgten Bewilligung von Prozesskostenhilfe eine bei dem Bundesgerichtshof zugelassene Rechtsanwältin beigeordnet. Der Beschluss ist dem Kläger am 17. Januar 2020 zugestellt worden.

[2] Der Kläger hat mit am 31. Januar 2020 eingegangenem Schriftsatz umfassend Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und beantragt, ihm gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

[3] II. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat nur insoweit Erfolg, als sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Abweisung des hilfsweise in der Berufungsinstanz gestellten Klageantrages wendet. Im Übrigen ist der Wiedereinsetzungsantrag zurückzuweisen, da die Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht gewahrt ist.

[4] 1. Die Wiedereinsetzung gegen die versäumte Rechtsmittelfrist muss nach § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist (§ 234 Abs. 2 ZPO).

[5] a) Eine Partei, die um Prozesskostenhilfe nachsucht, ist bei noch laufendem Prozesskostenhilfeverfahren schuldlos verhindert, die Rechtsmittelfrist einzuhalten, wenn sie Anlass hat, auf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu vertrauen. Sofern für die Partei nicht erkennbar ist, dass ihr Antrag keinen Erfolg haben wird (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 12. Juni 2001 - XI ZR 161/01, BGHZ 148, 66, 69; Beschluss vom 31. Januar 2007 - XII ZB 207/06, NJW-RR 2007, 793 Rn. 5; Beschluss vom 25. März 2015 - XII ZB 96/14, FamRZ 2015, 1103 Rn. 5), entfällt das Hindernis nicht vor der Bekanntgabe der Entscheidung des Gerichts über den Prozesskostenhilfeantrag (vgl. grundlegend BGH, Beschluss vom 9. Januar 1985 - IVb ZB 142/84, VersR 1985, 271, 272; Beschluss vom 2. Dezember 1952 ­ VI ZR 2/52, MDR 1953, 163). In einem dem Anwaltszwang unterliegenden Verfahren wird das der Rechtsverfolgung entgegenstehende Hindernis erst beseitigt, wenn der Partei nicht nur Prozesskostenhilfe bewilligt, sondern darüber hinaus auch ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 27. August 2019 - VI ZB 32/18, NJW 2019, 3727 Rn. 5). Erst dann liegt eine vollständige Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag der bedürftigen Partei vor, die das der Rechtsverfolgung oder -verteidigung entgegenstehende Hindernis der Mittellosigkeit beseitigt.

[6] Wird hingegen Prozesskostenhilfe versagt, bleibt der Partei nach der Bekanntgabe der Entscheidung noch eine Zeit von drei bis vier Tagen für die Überlegung, ob sie das Rechtsmittel auf eigene Kosten durchführen will. Dies findet seinen Grund darin, dass die Prüfung der Frage, ob der Rechtsstreit infolge der Versagung von Prozesskostenhilfe auf eigene Kosten in der Rechtsmittelinstanz durchgeführt werden soll, wegen des damit verbundenen offensichtlichen Risikos eine gründlichere und daher auch zeitaufwendigere Beurteilung der Erfolgsaussicht erfordert als der Entschluss, nach der Bewilligung von Prozesskostenhilfe und daher nach wesentlicher Verringerung der Gefahr einer Kostenbelastung das Rechtsmittel einzulegen (BGH, Beschluss vom 31. Januar 1978 - VI ZB 7/77, NJW 1978, 1920). Im Anschluss an die Überlegungsfrist beginnt die zweiwöchige Frist des § 234 Abs. 1 ZPO für das Wiedereinsetzungsgesuch und die damit zu verbindende Einlegung des Rechtsmittels. Das gilt auch dann, wenn das Gericht nicht die Bedürftigkeit der Partei, sondern die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung verneint hat (st. Rspr., vgl. eingehend BGH, Beschluss vom 9. Januar 1985 - IVb ZB 142/84, VersR 1985, 271, 272; Beschluss vom 19. Juli 2007 - IX ZB 86/07, MDR 2008, 99 jeweils mwN).

[7] b) Ist Prozesskostenhilfe nur für einen Teil der Ansprüche, die die Partei mit ihrem Rechtsmittel entweder weiterverfolgen will, bewilligt worden, verlängert sich die Zweiwochenfrist des § 234 Abs. 1 ZPO grundsätzlich nicht um eine Überlegungsfrist. Die Partei kann, wenn ihr ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist, das Rechtsmittel unbeschränkt einlegen und den Umfang zunächst offenhalten (vgl. § 544 Abs. 2 Satz 2 ZPO für die Nichtzulassungsbeschwerde). Ihr steht dann die Rechtsmittelbegründungsfrist für die Prüfung der Frage zur Verfügung, ob sie das Rechtsmittel in vollem Umfang durchführt oder auf den Umfang der Prozesskostenhilfe beschränkt (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Mai 1994 - XII ZB 75/94, FamRZ 1995, 34; Beschluss vom 16. Dezember 1992 - XII ZB 142/92, NJW-RR 1993, 451, 452; Beschluss vom 25. Juni 1963 - VI ZB 5/63, NJW 1963, 1780).

[8] Ist ihr mit dem Beschluss über die (nur) teilweise Bewilligung von Prozesskostenhilfe noch kein Rechtsanwalt beigeordnet worden, darf sie, soweit ihr Prozesskostenhilfeantrag zurückgewiesen wurde, die noch ausstehende Beiordnung eines Rechtsanwalts nicht abwarten. Ihr steht jedoch die Überlegungsfrist von drei bis vier Tagen zu, in deren Anschluss die Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 2 ZPO zu laufen beginnt. Will eine Partei, deren Prozesskostenhilfeantrag für ein dem Anwaltszwang unterliegendes Rechtsmittelverfahren teilweise abgelehnt wurde, das Rechtsmittel auch insoweit einreichen, muss sie in dem Fall, dass ihr noch kein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist, nach Ablauf der ihr zustehenden Überlegungsfrist von drei bis vier Tagen und innerhalb der anschließend beginnenden Zweiwochenfrist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO die versäumte Rechtsmitteleinlegung nachholen und Wiedereinsetzung in die versäumte Frist beantragen. Sie muss dies - nicht anders als bei einer vollständigen Abweisung des Prozesskostenhilfeantrages - auf eigene Kosten tun und demgemäß selbst für ihre Vertretung sorgen. Daran ist sie nicht deshalb gehindert, weil die Beiordnung eines Rechtsanwalts für den Teil des Rechtsstreits noch aussteht, für den Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist. Ihr Interesse, einheitlich durch denselben Rechtsanwalt vertreten zu werden, führt nicht zu einem späteren Beginn des Laufs der Wiedereinsetzungsfrist, sondern ist bei der Entscheidung über die Beiordnung zu berücksichtigen.

[9] 2. Daraus folgt vorliegend, dass die Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO versäumt ist, soweit der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde seinen durch das Berufungsgericht abgewiesenen Hauptantrag weiterverfolgen will. Die Wiedereinsetzungsfrist begann insoweit bereits nach der Zustellung des Senatsbeschlusses vom 12. September 2019 und der

sich daran anschließenden Überlegungsfrist von drei bis vier Tagen zu laufen und war daher bei Eingang des Wiedereinsetzungsantrages am 31. Januar 2020 verstrichen.

Stresemann Schmidt-Räntsch Kazele

Haberkamp Hamdorf

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