BGH, Teilversäumnis- Und Schlussurteil vom 16. Juni 2020 - VI ZR 253/19

05.10.2020

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

Verkündet am:

16. Juni 2020

HolmesJustizangestellteals Urkundsbeamtinder Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


BGB § 823 (B); RDG § 2 Abs. 2 Satz 1, §§ 3, 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 2; OWiG § 9 Abs. 1 Nr. 1, § 11, § 14


Ein Täter, dem sämtliche tatsächlichen Umstände bekannt sind und der den Bedeutungssinn des Inkassogeschäfts als normatives Tatbestandsmerkmal zutreffend erfasst, der aber dennoch über die Registrierungspflicht nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG irrt, unterliegt in Bezug auf § 2 Abs. 2 Satz 1, §§ 3, 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 2 RDG einem Verbotsirrtum im Sinne von § 11 Abs. 2 OWiG und keinem Tatbestandsirrtum im Sinne von § 11 Abs. 1 OWiG (Festhaltung Senatsurteile vom 10. Dezember 2019 - VI ZR 71/19, juris; vom 30. Juli 2019 - VI ZR 486/18, VersR 2019, 1517 Rn. 26 ff.).


BGH, Urteil vom 16. Juni 2020 - VI ZR 253/19 - LG Gießen, AG Gießen


Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 16. Juni 2020 durch den Vorsitzenden Richter Seiters, die Richterin von Pentz, den Richter Offenloch und die Richterinnen Dr. Roloff und Müller

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Gießen vom 29. Mai 2019 ­ im Kostenpunkt mit Ausnahme der Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2, 4 und 5 ­ aufgehoben.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2, 4 und 5, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2, 4 und 5 im Revisionsverfahren trägt die Klägerin.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

[1] Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche nach einer fehlgeschlagenen Kapitalanlage.

[2] Der Beklagte zu 1 war Verwaltungsratsmitglied und Hauptentscheidungsträger, der Beklagte zu 3 Direktor und Mitglied der Geschäftsleitung der in der Schweiz ansässigen S. AG. Die S. AG vertrieb unter anderem in Deutschland ein als "Cashselect" bezeichnetes Anlagemodell, das vorsah, dass Anleger Kapitallebensversicherungen und vergleichbare Anlagen kündigen bzw. kündigen lassen, um die Rückkaufswerte dann bei der S. AG anzulegen. Grundlage waren dabei sogenannte "Kauf- und Abtretungsverträge", die als "Kaufpreis" für die "verkauften" Rechte bzw. Forderungen spätere Auszahlungen der S. AG vorsahen, die ­ je nach Preismodell ­ entweder in Raten oder als einmalige Zahlung an den jeweiligen Anleger geleistet werden sollten. Über eine Erlaubnis nach § 32 Abs. 1 Kreditwesengesetz (KWG) verfügte die S. AG nicht. Auch war sie keine registrierte Person im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG).

[3] Im Juni 2011 unterzeichnete die Klägerin ein mit "Kauf- und Abtretungsvertrag" überschriebenes Formular der S. AG betreffend sämtliche Rechte und Forderungen der Klägerin aus einer von ihr bei der W. a. G. unterhaltenen Lebensversicherung. Der "Kauf- und Abtretungsvertrag" sah dabei unter anderem folgende Regelungen vor:

"§ 2 Kaufgegenstand [...]

(1) Der Verkäufer verkauft die Rechte und Ansprüche aus dem/den oben genannten Vertrag/Verträgen.

[...]

§ 3 Berechnung des Erlöses

(1) Dem Verkäufer ist bekannt, dass der Käufer die Rechte und Forderungen ggf. verwertet. Für diesen Fall beauftragt die S[...] AG mit der Durchführung Rechtsanwälte, die in der Bundesrepublik Deutschland zugelassen sind. Als Erlös gilt der Betrag, der vom Schuldner bzw. bei mehreren Verträgen von allen Schuldnern an die S[...] AG ausgekehrt wird.

(2) Bei Kapitalversicherungen handelt es sich dabei um den aktuellen Rückkaufswert, der von der Vertragsgesellschaft [...] auf der Basis des erstmöglichen Kündigungstermins zur Auszahlung an die S[...] AG gebracht wird.

[...]

§ 4 Höhe, Fälligkeit und Auszahlung des Kaufpreises

Auszahlung und Höhe des Kaufpreises bestimmen sich nach dem Wunsch des Käufers wie folgt:

Cashdirekt I (C) (ab 1.000.- € Erlös) in insgesamt 120 monatlichen Zahlungen (10 Jahre) zuzüglich einer einmaligen Abschlusszahlung. Die Abschlusszahlung errechnet sich aus dem doppelten Betrag des restlichen Erlöses abzüglich der bereits geleisteten 120 monatlichen Auszahlungen und ist nach Ablauf des 120. Monats fällig. Die monatlichen Auszahlungen sind jeweils am Anfang eines Kalendermonats fällig und erfolgen in Höhe von Euro 12,- je Euro 1.000,- Erlös bzw. je 0,012 je Euro 1,- Erlös. Der Kaufpreis entspricht dem doppelten Erlös. Die Abschlusszahlung berechnet sich aus dem vereinbarten Kaufpreis (doppelter Erlös) abzüglich der 120 monatlich geleisteten Auszahlungen. [...]

[...]

Sofern der Verkäufer ein Angebot zum Kauf und zur Abtretung sämtlicher Rechte und Ansprüche aus mehreren Vermögensanlagen [...] abgegeben hat, wird im Falle der Verwertung der verkauften Vermögensanlagen durch Kündigung mit der Auszahlung der Kaufpreise erst begonnen, wenn die Erlöse von allen Vermögensanlagen (Gesamterlös) auf dem Konto der S[...] AG eingegangen sind. [...]

§ 5 Garantien und Pflichten des Verkäufers

(1) Der Verkäufer garantiert

* dass die verkauften Forderungen und Rechte frei von Rechtsmängeln sind, die Forderungen insbesondere bestehen und einredefrei sind,

* dass aufrechenbare Gegenforderungen des Schuldners gegen die Forderungen aus den Verträgen nicht bestehen,

* dass er über die Rechte aus dem Vertrag uneingeschränkt verfügen darf, diese insbesondere nicht an andere Zessionare abgetreten oder verpfändet wurden,

* dass keine sonstigen Rechte Dritter an dem/den Vertrag/Verträgen bestehen,

* dass sämtliche fälligen Beträge und Prämien entrichtet wurden,

* dass kein unwiderrufliches Bezugsrecht zugunsten Dritter besteht,

* dass es sich nicht um eine Direktversicherung handelt.

[...]

§ 6 Qualifizierter Rangrücktritt

(1) Der Verkäufer tritt mit seinen Forderungen auf Zahlung des Kaufpreises nebst Zinsen gegen die Käuferin im Interesse ihres wirtschaftlichen Fortbestandes unwiderruflich hinter sämtliche Forderungen derzeitiger und künftiger Gläubiger der Käuferin, die keinen Rangrücktritt erklärt haben, in dem Umfang zurück, wie es zur Vermeidung einer Krise, insbesondere einer Überschuldung der Käuferin erforderlich ist. Eine Auszahlung der oben genannten Forderungen ist solange und soweit ausgeschlossen, als sie einen Grund für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens herbeiführen würde. Der Verkäufer kann eine Auszahlung der oben genannten Forderungen damit unabhängig von der eingetretenen Fälligkeit nur in Höhe des nach Begleichung sämtlicher Vorrangforderungen verbleibenden Vermögens verlangen.

Im Insolvenzfall oder der Liquidation selbst erfolgt die Auszahlung erst nach Befriedigung der vorrangigen Gläubiger und Ablösung der Fremdmittel.

§ 7 Vollmacht/Anzeigepflichten/Zahlungen

(1) Der Verkäufer bevollmächtigt die S[...] AG unwiderruflich zu seiner umfassenden Vertretung im Zusammenhang mit der Vermögensanlage/Kapitalversicherung und dem hierzu ggf. eingerichteten Beitragskonto/-depot. [...]"

[4] Im September 2010 und damit vor dem Abschluss des "Kauf- und Abtretungsvertrages" mit der Klägerin hatte sich die S. AG mit anwaltlichem Schreiben an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) mit der Frage gewandt, ob ihr Geschäftsmodell einer bankenrechtlichen Erlaubnis bedürfe. Die BaFin verneinte dies im Januar 2011 für das später von der Klägerin gewählte Geschäftsmodell und begründete dies in ihrem Antwortschreiben mit der Erwägung, aufgrund des in § 6 des übersandten Kauf- und Abtretungsvertrages vereinbarten qualifizierten Rangrücktritts erfülle das Produkt den Tatbestand des Einlagengeschäftes im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG nicht.

[5] Mit Schreiben vom 1. September 2011 teilte die S. AG mit, der von ihr beauftragte Vertragsabwickler, die Beklagte zu 2, deren im Streitfall handelnde Gesellschafter die Beklagten zu 4 und 5 waren, habe ihr aus dem angekauften Versicherungsvertrag eine Zahlung von 3.665,81 € zugeleitet. Zugleich kündigte die S. AG der Klägerin an, den zugesicherten Kaufpreis durch 120 monatliche Zahlungen in Höhe von je 43,99 €, beginnend am 1. September 2011, und eine Schlusszahlung in Höhe von 2.052,82 € am 1. September 2021 an sie auszubezahlen.

[6] Im Wesentlichen mit der Behauptung, von dem Rückkaufswert ihrer Lebensversicherung in Höhe von 3.665,81 € lediglich sieben Monatsraten zu jeweils 43,99 € zurückerhalten zu haben, hatte die Klägerin zunächst alle fünf Beklagten als Gesamtschuldner auf Ersatz der Differenz in Höhe von 3.357,88 € Zug um Zug gegen Übertragung der Rechte aus dem "Kaufvertrag" sowie Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten, jeweils nebst Zinsen, in Anspruch genommen. Darüber hinaus hatte sie beantragt festzustellen, dass sich die Beklagte zu 2 mit der Annahme der Gegenleistung im Verzug befindet und die Schadensersatzpflicht der Beklagten zu 1 und 3 aus einer vorsätzlich begangenen deliktischen Handlung herrührt.

[7] Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die nach vergleichsweiser Einigung der Klägerin mit den Beklagten zu 2, 4 und 5 zuletzt nur noch hinsichtlich der Beklagten zu 1 und 3 geführte Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter. Ihre zunächst hinsichtlich aller Beklagten eingelegte Revision hat sie hinsichtlich der Beklagten zu 2, 4 und 5 wieder zurückgenommen.

Entscheidungsgründe:

[8] I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, der Klägerin stehe gegen die Beklagten zu 1 und 3 weder ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, § 32 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 KWG, § 14 Abs. 1 StGB noch ein solcher aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 2 Abs. 2 Satz 1, §§ 3, 10 Abs. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 2 RDG, § 9 OWiG zu. Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, § 32 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 KWG, § 14 Abs. 1 StGB scheitere am Vorliegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums im Sinne des § 17 StGB. Denn die Beklagten hätten sich auf die erteilte Auskunft verlassen dürfen, wonach die BaFin ohne Einschränkungen zu dem Schluss gekommen sei, dass das später mit der Klägerin abgeschlossene Geschäftsmodell aufgrund des in § 6 vereinbarten Rangrücktritts nicht den Tatbestand des Einlagengeschäfts im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG erfülle. Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 2 Abs. 2 Satz 1, §§ 3, 10 Abs. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 2 RDG, § 9 OWiG scheitere am fehlenden Vorsatz. Insbesondere hätten beide Beklagte nicht zumindest billigend in Kauf genommen, dass die Geschäftstätigkeit der S. AG gegen § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG verstoße. Bei einem Irrtum über die Erforderlichkeit einer Erlaubnis zur Rechtsberatung handele es sich um einen vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum.

[9] II. Die sich noch gegen die Beklagten zu 1 und 3 richtende Revision ist zulässig und begründet. Soweit sie sich gegen den Beklagten zu 1 richtet, ist antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden, weil dieser in der mündlichen Verhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht anwaltlich vertreten war. Inhaltlich beruht das Urteil indessen auch insoweit nicht auf der Säumnis, sondern auf einer Sachprüfung (vgl. BGH, Urteil vom 4. April 1962 ­ V ZR 110/60, BGHZ 37, 79, 81 ff., juris Rn. 11 ff.).

[10] 1. Mit den Erwägungen des Berufungsgerichts lassen sich die streitgegenständlichen Ansprüche gegen den Beklagten zu 1 nicht verneinen. Auf Rechtsfehlern beruht die Annahme des Berufungsgerichts, ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten zu 1 aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 2 Abs. 2 Satz 1, §§ 3, 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 2 RDG, § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG scheitere am fehlenden Vorsatz.

[11] a) Zu Recht geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, objektiv liege ein Verstoß gegen § 2 Abs. 2 Satz 1, §§ 3, 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG ­ Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB (vgl. Senatsurteile vom 10. Dezember 2019 ­ VI ZR 71/19 Rn. 14, juris; vom 30. Juli 2019 ­ VI ZR 486/18, WM 2019, 1780 Rn. 19, mwN) ­ vor.

[12] aa) Beim von der S. AG angebotenen Geschäftsmodell handelt es sich um eine Inkassodienstleistung im Sinne von § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG und damit um eine nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG registrierten Personen vorbehaltene Rechtsdienstleistung (vgl. Senatsurteile vom 10. Dezember 2019 ­ VI ZR 71/19 Rn. 15, juris; vom 30. Juli 2019 ­ VI ZR 486/18, WM 2019, 1780 Rn. 20; vom 10. Juli 2018 ­ VI ZR 263/17, NJW-RR 2018, 1250 Rn. 41 ff.). Eine solche Inkassodienstleistung kann im Einzug des Rückkaufswertes einer Lebensversicherung auch dann liegen, wenn die zur Erlangung des Rückkaufswertes erforderliche Kündigung der Lebensversicherung ­ wie im Streitfall ­ nicht vom Versicherungsnehmer selbst erklärt wird, sondern erst nach Abtretung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag durch den Zessionar erfolgt (Senatsurteile vom 10. Dezember 2019 ­ VI ZR 71/19 Rn. 15, juris; vom 30. Juli 2019 ­ VI ZR 486/18, WM 2019, 1780 Rn. 20; vom 10. Juli 2018 ­ VI ZR 263/17, NJW-RR 2018, 1250 Rn. 42, mwN). Nach dem von der S. AG formularmäßig verwendeten "Kauf- und Abtretungsvertrag" sollte dem Anleger das wirtschaftliche Ergebnis der Einziehung zugutekommen und allein er das Risiko des Forderungsausfalles tragen, weshalb die Einziehung des Rückkaufswertes durch die S. AG auch auf "fremde Rechnung" im Sinne von § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG erfolgte (vgl. Senatsurteile vom 10. Dezember 2019 ­ VI ZR 71/19 Rn. 15, juris; vom 30. Juli 2019 ­ VI ZR 486/18, WM 2019, 1780 Rn. 20; vom 10. Juli 2018 ­ VI ZR 263/17, NJW-RR 2018, 1250 Rn. 43 f.). Als zentrale Bestandteile des von der S. AG angebotenen Anlagemodells wurden Kündigung der abgetretenen Lebensversicherungen und Einziehung der jeweiligen Rückkaufswerte auch als "eigenständiges Geschäft" betrieben (vgl. Senatsurteile vom 10. Dezember 2019 ­ VI ZR 71/19 Rn. 15, juris; vom 30. Juli 2019 ­ VI ZR 486/18, WM 2019, 1780 Rn. 20; vom 10. Juli 2018 ­ VI ZR 263/17, NJW-RR 2018, 1250 Rn. 45).

[13] bb) Die S. AG war keine registrierte Person. Dass es sich bei der Beklagten zu 2, die die S. AG mit der Kündigung der abgetretenen Lebensversicherungen und dem Einzug der Rückkaufswerte beauftragt hat, um eine Rechtsanwaltsgesellschaft handelt, ist dabei unerheblich. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung steht der Annahme einer unzulässigen Rechtsdienstleistung auch unter der Geltung des Rechtsdienstleistungsgesetzes nicht entgegen, dass der Handelnde sich eines Rechtsanwaltes als Erfüllungsgehilfen bedient (vgl. Senatsurteile vom 10. Dezember 2019 ­ VI ZR 71/19 Rn. 16, juris; vom 30. Juli 2019 ­ VI ZR 486/18, WM 2019, 1780 Rn. 21, mwN).

[14] b) Rechtsfehlerhaft ist allerdings die Erwägung des Berufungsgerichts, von einem vorsätzlichen Verstoß des Beklagten zu 1 gegen § 2 Abs. 2 Satz 1, §§ 3, 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 2 RDG, § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG könne deshalb nicht ausgegangen werden, weil der Beklagte zu 1 nicht billigend in Kauf genommen habe, dass die Geschäftstätigkeit der S. AG gegen § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG verstoße, und es sich bei einem Irrtum über die Erforderlichkeit einer Erlaubnis zur Rechtsberatung um einen vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum handle.

[15] aa) Da das in Rede stehende Geschäft die S. AG als Vertragspartnerin der Klägerin berechtigte und verpflichtete, ist diese zivilrechtlich als Erbringerin der Inkassodienstleistung im Sinne von § 10 RDG anzusehen. Die ­ zunächst bußgeldrechtliche ­ Verantwortlichkeit eines vertretungsberechtigten Organs gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1, §§ 3, 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 2 RDG ergibt sich aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG. Eine (zivilrechtliche) Eigenhaftung des Beklagten zu 1 als Verwaltungsratsmitglied der S. AG aus § 823 Abs. 2 BGB kommt ­ was das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat ­ mithin nur in Betracht, wenn er die für eine bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit nach § 2 Abs. 2 Satz 1, §§ 3, 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 2 RDG erforderlichen Voraussetzungen erfüllt hat, er also ­ wie von § 10 OWiG in Verbindung mit § 20 Abs. 1 Nr. 2 RDG gefordert ­ vorsätzlich gehandelt hat. Dabei ist der Vorsatz nach bußgeldrechtlichen Maßstäben zu beurteilen (Senatsurteile vom 10. Dezember 2019 ­ VI ZR 71/19 Rn. 18, juris; vom 30. Juli 2019 ­ VI ZR 486/18, WM 2019, 1780 Rn. 23, mwN).

[16] bb) Nach bußgeldrechtlichen Maßstäben kann der Vorsatz des Beklagten zu 1 nicht mit der Erwägung des Berufungsgerichts verneint werden, er habe zumindest nicht billigend in Kauf genommen, dass die Geschäftstätigkeit der S. AG gegen § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG verstößt. Denn der vom Berufungsgericht angenommene Irrtum des Beklagten zu 1 darüber, dass die von der S. AG ausgeübte Geschäftstätigkeit ihre Registrierung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG voraussetzt, stellt - wie der erkennende Senat nach Verkündung des Berufungsurteils in vorliegender Sache (Senatsurteile vom 10. Dezember 2019 ­ VI ZR 71/19 Rn. 19, juris; vom 30. Juli 2019 ­ VI ZR 486/18, WM 2019, 1780 Rn. 22 ff.) entschieden hat - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts keinen den Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtum im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 OWiG, sondern einen allein die Vorwerfbarkeit betreffenden Verbotsirrtum im Sinne von § 11 Abs. 2 OWiG dar.

[17] c) Liegt in dem vom Berufungsgericht angenommenen Irrtum des Beklagten zu 1 aber kein Tatbestandsirrtum im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 OWiG, sondern "nur" ein Verbotsirrtum im Sinne von § 11 Abs. 2 OWiG, so vermögen die Feststellungen des Berufungsgerichts den Ausschluss eines Anspruchs der Klägerin gegen den Beklagten zu 1 aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 2 Abs. 2 Satz 1, §§ 3, 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 2 RDG, § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG nicht zu tragen. Denn ein Ausschluss der Haftung nach § 11 Abs. 2 OWiG setzt voraus, dass der Irrtum unvermeidbar war. Hierzu hat das Berufungsgericht bislang keine Feststellungen getroffen. Solche Feststellungen ergeben sich ­ entgegen der vom Beklagten zu 3 im Rahmen seiner Revisionserwiderung vertretenen Auffassung ­ auch nicht aus den Ausführungen des Berufungsgerichts auf Seite 5, vorletzter Absatz, des Berufungsurteils. Dort hat das Berufungsgericht zwar festgestellt:

"Der Beklagte zu 1 hat insoweit vorgetragen, er habe sich darauf verlassen, dass die BaFin das Geschäftsmodell in alle Richtungen geprüft habe. Auch insoweit läge ein unvermeidbarer Verbotsirrtum vor. Er hat ausdrücklich ein vorsätzliches Handeln in Bezug auf einen Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz bestritten."

[18] Diese Ausführungen erschöpfen sich - wie sich nicht zuletzt aus dem Kontext der Absätze davor und danach ergibt - trotz des Gebrauchs des Konjunktivs II anstatt des Konjunktivs I im zweiten Satz aber ersichtlich in einer Wiedergabe des Vorbringens des Beklagten zu 1 und enthalten keine Feststellungen zur Unvermeidbarkeit eines auf § 2 Abs. 2 Satz 1, §§ 3, 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 2 RDG, § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG bezogenen Verbotsirrtums.

[19] 2. Auch hinsichtlich des Beklagten zu 3 lassen sich die streitgegenständlichen Ansprüche auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht verneinen.

[20] a) Wie hinsichtlich des Beklagten zu 1 können auch Ansprüche der Klägerin gegen den Beklagten zu 3 aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 2 Abs. 2 Satz 1, §§ 3, 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 2 RDG, § 9 Abs. 1 Nr. 1, § 14 OWiG nicht mit der Begründung des Berufungsgerichts verneint werden. Handelt es sich bei einem Irrtum über die "Erlaubnispflichtigkeit" des von der S. AG betriebenen Geschäftsmodells nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz nicht um einen vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 OWiG, sondern einen Verbotsirrtum im Sinne von § 11 Abs. 2 OWiG, so kann auch ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten zu 3 nicht unter Hinweis auf einen solchen Irrtum des Beklagten zu 3 verneint werden, ohne seine Unvermeidbarkeit festzustellen.

[21] b) Soweit der Beklagte zu 3 in seiner Revisionserwiderung geltend macht, die Revision sei, soweit sie ihn betreffe, bereits deshalb unbegründet, weil die Klägerin den für eine Gehilfenhaftung erforderlichen doppelten Gehilfenvorsatz, insbesondere die Kenntnis des Beklagten zu 3 vom Fehlen der Registrierung der S. AG, nicht behauptet habe und die Klage schon deshalb unschlüssig sei, beruft er sich in der Sache darauf, die angefochtene Entscheidung erweise sich aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Davon kann auf der Grundlage des für das Revisionsverfahren gemäß § 559 Abs. 1 ZPO maßgeblichen Parteivorbringens nicht ausgegangen werden. Aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils ergibt sich, dass die Klägerin ihre Ansprüche gegen den Beklagten zu 3 (auch) auf den Vorwurf gestützt hat, der Beklagte zu 3 habe zum Verstoß des Beklagten zu 1 gegen § 2 Abs. 2 Satz 1, §§ 3, 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG Beihilfe geleistet. Dass der diesbezügliche Tatsachenvortrag der Klägerin in Bezug auf den doppelten Gehilfenvorsatz lückenhaft gewesen wäre, lässt sich den Feststellungen des Berufungsgerichts, das sich von seinem Rechtsstandpunkt aus damit auch nicht befassen musste, nicht entnehmen.

[22] III. Nach § 563 Abs. 1 ZPO war das angefochtene Urteil deshalb hinsichtlich der Beklagten zu 1 und 3 insgesamt aufzuheben und die Sache in diesem Umfang an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Eine auf den Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 2 Abs. 2 Satz 1, §§ 3, 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 2 RDG, § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG bzw. § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 2 Abs. 2 Satz 1, §§ 3, 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 2 RDG, § 9 Abs. 1 Nr. 1, § 14 OWiG beschränkte Aufhebung kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil es sich insoweit nicht um einen einer selbständigen Entscheidung zugänglichen Teil des Rechtsstreits handelt (vgl. Senatsurteile vom 10. Dezember 2019 ­ VI ZR 71/19 Rn. 24, juris; vom 30. Juli 2019 ­ VI ZR 486/18, WM 2019, 1780 Rn. 35).

Rechtsbehelfsbelehrung

Gegen dieses Teilversäumnisurteil steht dem Beklagten zu 1 als säumiger Partei der Einspruch zu, soweit die Revision der Klägerin ihm gegenüber Erfolg hat. Der Einspruch ist von einem bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt binnen einer Notfrist von zwei Wochen ab der Zustellung des Teilversäumnisurteils bei dem Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe, durch Einreichung einer Einspruchsschrift einzulegen.

Seiters von Pentz Offenloch

Roloff Müller

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