BGH, Urteil vom 1. April 2021 - III ZR 47/20

07.06.2021

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

Verkündet am:

1. April 2021

UytterhaegenJustizangestellteals Urkundsbeamtinder Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: ja

BGHR: ja


ZPO §§ 346, 515, 700


Der Antragsgegner kann in einem Mahnverfahren schon vor Erlass des Voll-

streckungsbescheids durch einseitige Erklärung gegenüber dem Amtsgericht (Mahngericht) auf den Rechtsbehelf des Einspruchs wirksam verzichten.


BGH, Urteil vom 1. April 2021 - III ZR 47/20 - LG Frankfurt (Oder), AG Frankfurt (Oder)


Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 1. April 2021 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Herrmann, den Richter Dr. Remmert, die Richterinnen Dr. Arend und Dr. Böttcher sowie den Richter Dr. Herr

für Recht erkannt:

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) - 6. Zivilkammer - vom 22. Januar 2020 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten des Revisionsrechtszugs zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

[1] Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung von 2.200 € nebst Zinsen in Anspruch.

[2] Am 19. August 2016 hat die Klägerin über diese Forderung, die ihren Angaben zufolge auf einem Dienstleistungsvertrag beruht, beim Amtsgericht Aschersleben einen Mahnbescheid erwirkt. Hiergegen hat der Beklagte mit am 31. August 2016 bei Gericht eingegangenem Schreiben Widerspruch eingelegt. Unter dem 17. Januar 2018 hat der Beklagte einen an das Amtsgericht adressierten Vordruck der Klägerin unterschrieben, mit dem er erklärt hat, seinen Widerspruch gegen den Mahnbescheid zurückzunehmen und auf den Einspruch gegen den noch zu erlassenden Vollstreckungsbescheid zu verzichten. Auf Antrag der Klägerin hat das Amtsgericht Aschersleben sodann am 20. Februar 2018 einen Vollstreckungsbescheid erlassen. Hiergegen hat der Beklagte mit am 26. Februar 2018 eingegangenem Schreiben Einspruch eingelegt. Zu dessen Begründung hat er ausgeführt, die Mitarbeiter der Klägerin hätten ihn mehrfach zuhause aufgesucht, damit er den Verzicht unterzeichne. Ein einseitiger Verzicht auf den Einspruch gegen einen Vollstreckungsbescheid vor dessen Erlass sei unwirksam.

[3] Nach Abgabe der Sache hat das Amtsgericht Frankfurt (Oder) den Einspruch des Beklagten durch Urteil als unzulässig verworfen. Die hiergegen erhobene Berufung des Beklagten hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag, das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) abzuändern und den gegen den Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Aschersleben eingelegten Einspruch aufrechtzuerhalten, weiter.

Entscheidungsgründe

[4] Die zulässige Revision bleibt in der Sache ohne Erfolg.

[5] Dabei kommt es nicht darauf an, dass der mit der Revision weiterverfolgte Berufungsantrag nicht sachdienlich ist. Wäre der Einspruch des Beklagten zu Unrecht als unzulässig verworfen worden, hätte der hiergegen gerichtete Rechtsmittelantrag in der Sache auf Aufhebung des Vollstreckungsbescheids und Klageabweisung lauten müssen. Dies kann jedoch auf sich beruhen, da die vom Amtsgericht gemäß § 341 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 700 Abs. 1 ZPO getroffene Entscheidung nicht zu beanstanden ist.

[6] I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seines Urteils im Wesentlichen ausgeführt:

[7] Der Beklagte habe mit seinem Schreiben vom 17. Januar 2018 bereits vor Einlegung des Einspruchs wirksam auf diesen verzichtet. Die einen einseitigen Verzicht auch vor Erlass eines Versäumnisurteils als möglich erachtende Meinung, welcher sich die Kammer ebenso wie das Amtsgericht anschließe, könne sich auf die Neuregelung des Berufungsverzichts in § 515 ZPO in der Fassung des Zivilprozessreformgesetzes vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887 [1895]) und die nunmehr in § 313a Abs. 2 und 3 ZPO enthaltene ausdrückliche Regelung zum Verzicht vor Urteilsverkündung für allgemeine zivilrechtliche Urteile berufen. Diese Neuregelung berücksichtigend habe auch der Bundesgerichtshof bereits entschieden, dass ein Rechtsmittelverzicht vor Erlass eines rechtsmittelfähigen Beschlusses wirksam erklärt werden könne.

[8] Mit dem Amtsgericht halte die Kammer die Rechtslage bei einem einseitigen Verzicht auf einen Einspruch vor Erlass eines Vollstreckungsbescheids mit derjenigen bei einem einseitigen Verzicht vor Erlass eines Versäumnisurteils für vergleichbar. Dafür spreche bereits, dass ein Vollstreckungsbescheid nach § 700 Abs. 1 ZPO einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Versäumnisurteil gleichstehe und damit auch die §§ 346, 515 ZPO entsprechend anzuwenden seien. Eine andere Bewertung folge nicht mit Blick auf den Einwand des Beklagten, nach welchem die Auswirkungen eines Einspruchsverzichts vor Erlass eines Vollstreckungsbescheids erheblicher seien als bei einem Einspruchsverzicht vor Erlass eines Versäumnisurteils. Zwar finde - anders als im Falle des Erlasses eines Versäumnisurteils - vor Erlass eines Vollstreckungsbescheids keine Schlüssigkeitsprüfung statt. Allerdings seien die Auswirkungen eines Rechtsmittelverzichts stets die gleichen. Der Verzichtende verliere die Möglichkeit, gegen einen gerichtlichen Titel vorzugehen und Einwände geltend zu machen. Insoweit unterscheide sich die Situation auch nicht von derjenigen, in der der Verzicht nach Erlass des Vollstreckungsbescheids erklärt oder einfach kein Einspruch eingelegt werde. Auch in diesen Fällen finde eine Schlüssigkeitsprüfung nicht mehr statt.

[9] Schließlich sei der Verzicht auch nicht mit Blick auf die Verbraucherstellung des Beklagten und die von ihm behaupteten Umstände, unter denen er erklärt worden sei, unwirksam. Dies wäre allenfalls denkbar, wenn die Verzichtserklärung aus anderen als den vorgenannten Gründen nichtig oder wirksam nach den §§ 142, 123 BGB angefochten worden wäre. Hierfür gebe das Vorbringen des Beklagten jedoch nichts her.

[10] II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand. Der Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid ist aufgrund der vom Beklagten unter dem 17. Januar 2018 abgegebenen und an das Amtsgericht Aschersleben gerichteten Verzichtserklärung unzulässig.

[11] 1. Ein Rechtsbehelfsverzicht ist anzunehmen, wenn in der Verzichtserklärung klar und eindeutig der Wille zum Ausdruck kommt, die Entscheidung endgültig hinnehmen und nicht anfechten zu wollen (BGH, Beschlüsse vom 5. September 2006 - VI ZB 65/05, NJW 2006, 3498 Rn. 8 und vom 24. Oktober 2017

- X ARZ 326/17, NJW-RR 2018, 250 Rn. 12). Inhalt und Tragweite eines gegenüber dem Gericht erklärten Rechtsbehelfsverzichts sind danach zu beurteilen, wie die Verzichtserklärung bei objektiver Betrachtung zu verstehen ist; ein davon abweichender innerer Wille des Handelnden ist unbeachtlich (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. Juni 1986 - IVb ZB 75/85, NJW-RR 1986, 1327, 1328 und vom 7. November 1989 - VI ZB 25/89, NJW 1990, 1118).

[12] Gemessen an diesen Grundsätzen kann nicht zweifelhaft sein, dass der Beklagte mit seiner von ihm unterschriebenen und unter Angabe der Geschäftsnummer an das Amtsgericht Aschersleben gerichteten Erklärung vom 17. Januar 2018, in welcher die Streitparteien mit voller Namensnennung zutreffend bezeichnet sind und die in Fettdruck mit "Widerspruchsrücknahme zum Mahnbescheid" sowie "Verzicht auf Einspruch gegen den noch zu erlassenden Vollstreckungsbescheid" überschrieben ist, im Voraus den Verzicht auf das Recht zur Einspruchseinlegung gegen den - dann am 20. Februar 2018 erlassenen - Vollstreckungsbescheid erklärt hat. Es handelt sich um einen klaren und eindeutigen Rechtsbehelfsverzicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. November 1989, 5. September 2006 und vom 24. Oktober 2017, jew. aaO). Da ein abweichender innerer Wille des Handelnden für die Auslegung einer solchen Erklärung unbeachtlich ist, ist es nicht von Belang, dass der Beklagte, wie die Revision geltend macht, sich über Bedeutung und Tragweite eines Rechtsmittelverzichts nicht im Klaren gewesen sei. Dies gilt insbesondere auch unter Berücksichtigung seines Vorbringens, er habe mangels Gerichtserfahrung die Unwiderruflichkeit und Endgültigkeit des Verzichts nicht zutreffend erfasst - weil er Rentner und nicht juristisch vorgebildet, zum Zeitpunkt der Abgabe der von der Klägerin vorformulierten Erklärung nicht anwaltlich vertreten gewesen und zuvor (mehrfach) von einem Mitarbeiter der Klägerin zuhause an der Haustür aufgesucht worden sei - und er habe eine Erklärung in diesem Sinne, wie die kurz danach erfolgte Einspruchseinlegung zeige, offenbar nicht abgeben wollen.

[13] 2. Die Verzichtserklärung ist wirksam.

[14] a) Ein gegenüber dem Gericht erklärter Rechtsbehelfsverzicht stellt eine einseitige Prozesshandlung dar. Er ist nicht nach bürgerlichem Recht wegen Willensmängeln anfechtbar (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 1967 - IV ZR 21/66, NJW 1968, 794, 795; Beschlüsse vom 8. Mai 1985 - IVb ZB 56/84, NJW 1985, 2334 f, vom 7. November 1989 aaO und vom 16. Dezember 1992 - XII ZB 144/92, JR 1994, 21 f; Toussaint in BeckOK ZPO, § 346 Rn. 4 [Stand: 1. Dezember 2020]). Ebenso wenig dürfen auf ihn die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen die guten Sitten zur Anwendung gebracht werden (vgl. RGZ 162, 65, 67 f). Ein Rechtsbehelfsverzicht ist auch grundsätzlich nicht widerrufbar (BGH, Beschluss vom 7. November 1989 aaO; Wulf in BeckOK ZPO, § 515 Rn. 7 [Stand: 1. Dezember 2020]). Das folgt daraus, dass seine Wirksamkeit allein nach den Maßstäben des Verfahrensrechts zu beurteilen ist und dieses eine Vorschrift, die - wie etwa § 290 ZPO für das prozessuale Geständnis - unter besonderen Voraussetzungen einen Widerruf zulässt, nicht kennt (BGH, Beschluss vom 8. Mai 1985 aaO; Wulf aaO Rn. 8). Nach anerkannter Rechtsauffassung kann eine Prozesshandlung im anhängigen Rechtsstreit nur widerrufen werden, wenn ein Restitutionsgrund nach § 580 ZPO vorliegt (z.B. BGH, Urteile vom 14. Juni 1967 aaO, vom 27. Mai 1981 - IVb ZR 589/80, BGHZ 80, 389, 394 und vom 8. Dezember 1993 - XII ZR 133/92, NJW-RR 1994, 386, 387; Beschlüsse vom 8. Mai 1985 aaO, S. 2335 und vom 7. November 1989 aaO, S. 1119). Daneben kann ein Verstoß gegen das - auch im Verfahrensrecht geltende (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 1952 - IV ZR 204/52, LM Nr. 3 zu § 514 ZPO) - Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB) in Betracht kommen (vgl. Wulf aaO Rn. 7).

[15] Dies zugrunde gelegt, ist die vom Beklagten abgegebene Verzichtserklärung bindend. So kommt - anders als die Revision meint, welche auf die §§ 312b, 312g und 355 BGB rekurriert - die Zubilligung eines Widerrufsrechts in entsprechender Anwendung bürgerlichrechtlicher Vorschriften nicht in Frage. Ein Restitutionsgrund nach § 580 ZPO kann nach den tatsächlichen, von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht angenommen werden.

[16] Hinreichende Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen Treu und Glauben nach § 242 BGB sind gleichfalls nicht ersichtlich. Dies gilt insbesondere auch, soweit das Amtsgericht festgestellt hat, es gehöre offenbar zum Geschäftsmodell der Klägerin, Kunden zur Rücknahme eines gegen einen Mahnbescheid erhobenen Widerspruchs und zum Verzicht auf den Einspruch gegen einen noch zu erlassenden Vollstreckungsbescheid zu veranlassen. Ein solches Gebaren ist zwar im Ausgangspunkt bedenklich, begründet aber ohne nähere Darlegung der Umstände, unter denen die Erklärung des Beklagten zustande gekommen ist, allein noch keinen Verstoß gegen die Gebote von Treu und Glauben. Die tatrichterliche Würdigung der Vorinstanzen, der - von der Klägerin bestrittene - Vortrag des Beklagten lasse nicht erkennen, dass auf seinen Willen in rechtlich unzulässiger Weise eingewirkt worden sei, ist frei von Rechtsfehlern. Die Revision erhebt insoweit auch keine Rügen.

[17] b) Der vom Beklagten erklärte Verzicht ist auch im Übrigen wirksam und führt zur Unzulässigkeit des eingelegten Einspruchs.

[18] aa) Nach der Dispositionsmaxime als tragendem Verfahrensgrundsatz des deutschen Zivilprozessrechts bestimmen die Parteien über Beginn, Umfang und Beendigung des Verfahrens (vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 2019

- V ZR 152/18, ZfIR 2020, 338 Rn. 13). Ob gegen einen Vollstreckungsbescheid Einspruch eingelegt oder auf dieses Recht verzichtet wird, unterliegt demgemäß der Dispositionsfreiheit des Antragsgegners als der beschwerten Partei. Eine Vorschrift, welche ihn daran hindert, schon vor Erlass des Vollstreckungsbescheids in einem anhängigen Mahnverfahren gegenüber dem Amtsgericht (Mahngericht) zu erklären, dass er nach Erlass desselben auf die Einlegung eines Einspruchs verzichte, existiert jedenfalls seit Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887) am 1. Januar 2002 nicht mehr.

[19] Nach § 700 Abs. 1 ZPO steht der Vollstreckungsbescheid einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Versäumnisurteil gleich. Infolgedessen gilt über die Verweisung in § 346 ZPO, der für den Verzicht auf den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil die Vorschrift über den Verzicht auf die Berufung für entsprechend anwendbar erklärt, die Bestimmung des § 515 ZPO entsprechend (vgl. Olzen in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 700 Rn. 49; Voit in Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl., § 700 Rn. 5; Gierl in Saenger, ZPO, 8. Aufl., § 700 Rn. 16; Sommer in Prütting/Gehrlein, ZPO, 12. Aufl., § 700 Rn. 10; Schüler in MüKoZPO, 6. Aufl., § 700 Rn. 25; Becker in Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle, ZPO, 79. Aufl., § 700 Rn. 11; Seibel in Zöller, ZPO, 33. Aufl., § 700 Rn. 11; Toussaint aaO Rn. 1 und 1.1). § 515 ZPO, der regelt, dass die Wirksamkeit des Verzichts auf die Berufung nicht von der Annahme durch den Gegner abhängt, schafft indes nicht die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Rechtsbehelfsverzichts, sondern geht vielmehr als Folge des den Zivilprozess beherrschenden Dispositionsgrundsatzes von der Zulässigkeit desselben aus (Lemke in Prütting/Gehrlein, ZPO, 12. Aufl., § 515 Rn. 1; Ball in Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl., § 515 Rn. 1). Da die Vorschrift die noch in § 514 ZPO in der bis zum 31. Dezember 2001 gültigen Fassung enthaltene Beschränkung auf "nach Erlass des Urteils erklärte" Verzichte - entsprechend dem Willen des Gesetzgebers und der (Neu-)Regelung in § 313a Abs. 2 und 3 Hs. 1 ZPO (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drucks. 14/4722 S. 85 und 94) - nicht (mehr) enthält (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2017 aaO Rn. 14), besteht jedenfalls seit dem 1. Januar 2002 kein Anhalt mehr, den in einem Mahnverfahren schon vor dem Erlass des Vollstreckungsbescheids vom Antragsgegner gegenüber dem Amtsgericht (Mahngericht) einseitig erklärten Verzicht auf den Rechtsbehelf des Einspruchs für unwirksam zu halten.

[20] bb) Dem stehen in der Literatur vorgebrachte und von der Revision teilweise aufgegriffene Bedenken nicht entgegen.

[21] So kann es, da auch ein Vollstreckungsbescheid, der eine materiellrechtlich nicht bestehende Forderung tituliert, einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Versäumnisurteil gleichsteht (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juli 1983 - II ZR 114/82, NJW 1984, 57), entgegen der Ansicht der Revision nicht entscheidend darauf ankommen, dass - anders als bei einem Versäumnisurteil - vor Erlass eines Vollstreckungsbescheids eine Schlüssigkeitsprüfung nicht stattfindet (zweifelnd Wulf aaO Rn. 2). Im Übrigen trifft der Hinweis des Berufungsgerichts zu, dass auch bei einem nach Erlass des Vollstreckungsbescheids - unzweifelhaft zulässigen - Einspruchsverzicht oder dem schlichten Unterlassen eines Einspruchs eine gerichtliche Schlüssigkeitsprüfung nicht vorangegangen ist. Hieraus ergibt sich, dass dem Argument der Schlüssigkeitsprüfung beim Versäumnisurteil kein entscheidendes wertungsmäßiges Gewicht zukommt.

[22] Des Weiteren ist der vor Erlass des Vollstreckungsbescheids erklärte einseitige Einspruchsverzicht nicht deswegen unwirksam, weil in den §§ 346, 515 ZPO eine Regelung des Verzichts vor Urteilserlass nicht enthalten ist (zweifelnd Prütting in MüKoZPO, 6. Aufl., § 346 Rn. 4). Denn das Fehlen einer Regelung vermag die im Zivilprozess bestehende Dispositionsmaxime nicht einzuschränken.

[23] Endlich trägt die Ansicht, welche einem Einspruchsverzicht vor Erlass des Vollstreckungsbescheids die Wirksamkeit mit der Begründung versagt, eine Partei dürfe sich nicht im Vorhinein der Garantien des gerichtsförmigen Verfahrens begeben (vgl. Rimmelspacher in MüKoZPO, 6. Aufl., § 515 Rn. 2 mwN), der Dispositionsmaxime nicht hinreichend Rechnung. Diese Maxime wird als prozessuale Seite der Privatautonomie von Art. 2 Abs. 1 GG geschützt und hat möglichst uneingeschränkt auch für Rechtsmittel und Rechtsbehelfe zu gelten (Beck in Kern/Diehm, ZPO, 2. Aufl., § 515 Rn. 1). Zudem steht diese Auffassung nicht mit der mit dem Zivilprozessreformgesetz vom 27. Juli 2001 (aaO) verbundenen In-

tention des Gesetzgebers (§ 514 ZPO aF einerseits, § 515 ZPO andererseits) im Einklang.

Herrmann Remmert Arend

Böttcher Herr

Verlagsadresse

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Aachener Straße 222

50931 Köln

Postanschrift

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Postfach 27 01 25

50508 Köln

Kontakt

T (0221) 400 88-99

F (0221) 400 88-77

info@rws-verlag.de

© 2024 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Erweiterte Suche

Seminare

Rubriken

Veranstaltungsarten

Zeitraum

Bücher

Rechtsgebiete

Reihen



Zeitschriften

Aktuell