BGH, Urteil vom 12. Dezember 2019 - III ZR 198/18

13.01.2020

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

Verkündet am:

12. Dezember 2019

K i e f e rJustizangestellterals Urkundsbeamterder Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


ZPO § 448


a) Eine Parteivernehmung von Amts wegen kommt nur in Betracht, wenn zuvor alle angebotenen Beweismittel ausgeschöpft worden sind und keinen vollständigen Beweis erbracht haben. Weiterhin muss die beweisbelastete Partei alle ihr zumutbaren Zeugenbeweise angetreten haben.

b) Dagegen ist es zur Wahrung der Subsidiarität der Parteivernehmung nach § 448 ZPO nicht erforderlich, dass die beweisbelastete Partei eine im Lager des Prozessgegners stehende Person als Zeugen benennt. Erst recht muss sie nicht die Parteivernehmung des Gegners beantragen (Fortführung von BGH, Urteil vom 26. März 1997 - IV ZR 91/96, NJW 1997, 1988).


BGH, Urteil vom 12. Dezember 2019 - III ZR 198/18 - OLG Braunschweig, LG Göttingen


Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 12. Dezember 2019 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Herrmann, den

Richter Dr. Remmert, die Richterinnen Dr. Arend und Dr. Böttcher sowie den Richter Dr. Kessen

für Recht erkannt:

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 23. August 2018 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

[1] Die Kläger nehmen als Erben den Beklagten wegen Barabhebungen und Überweisungen von Konten des Erblassers in Anspruch.

[2] Die Kläger sind Nichte und Neffe der im Mai 2015 vorverstorbenen I.

W. , die mit dem am 8. Oktober 2015 verstorbenen Erblasser W. W.

kinderlos verheiratet war. Die Eheleute hatten sich durch gemeinschaftliches notarielles Testament gegenseitig als Alleinerben und die Kläger als Schlusserben zu gleichen Teilen eingesetzt. Der Beklagte war Nachfolger des Erblassers als Chef der Wertpapierabteilung einer örtlichen Bankfiliale und mit den Eheleuten seit Jahren befreundet.

[3] In der Zeit vom 2. Januar bis zum 23. Oktober 2015 hob der Beklagte sukzessive unter Benutzung der zugehörigen EC-Karten und PIN-Nummern Bargeld von Konten des Erblassers und seiner Ehefrau an Geldautomaten ab. Hierzu hat er vorinstanzlich unter anderem vorgetragen, auf Wunsch des Erblassers dem Kläger zu 2 am 18. Juni und am 21. Oktober 2015 jeweils 20.000 € und am 28. Oktober 2015 weitere 23.600 € in einem Briefumschlag und zwei Geldtaschen übergeben zu haben. Die Kläger haben zuletzt behauptet, dass sich in dem Briefumschlag und den Geldtaschen jeweils nur Unterlagen befunden hätten.

[4] Außerdem veranlasste der Beklagte Überweisungen an Dritte von einem Konto des Erblassers.

[5] Das Landgericht hat die auf Rückzahlung sämtlicher abgehobenen und überwiesenen Beträge gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das Oberlandesgericht den Beklagten, der in der Berufungsinstanz hilfsweise mit einer Gegenforderung von 100.000 € aufgerechnet hat, zur Zahlung von 60.469,37 € verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen, soweit sie die Überweisungen an Dritte und einen bar abgehobenen Teilbetrag betrifft. Gegen seine teilweise Verurteilung wendet sich der Beklagte mit seiner vom Senat zugelassenen Revision, mit der er die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erstrebt.

Entscheidungsgründe

[6] Die Revision ist begründet. Sie führt im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

[7] I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit noch im Revisionsrechtszug von Bedeutung - wie folgt begründet:

[8] Den Klägern stehe als Mitgläubigern in Erbengemeinschaft gegen den Beklagten ein Zahlungsanspruch in Höhe von 60.469,37 € aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB zu. Der Beklagte habe diesen Geldbetrag "in sonstiger Weise" im Sinne dieser Vorschrift erlangt. Dabei könne dahinstehen, ob der Erblasser die einzelnen Barabhebungen jeweils angewiesen habe. Eine Eingriffskondiktion sei auch bei einem rechtmäßigen Eingriff, dessen Erlaubnis - wie hier - mit keiner sachlichen Zuweisung an den Eingreifenden verbunden sei, gegeben. Das abgehobene Bargeld sei unstreitig nicht dem Beklagten zugewiesen gewesen, sondern habe Geld des Erblassers bleiben und allenfalls auf dessen Wunsch dem Kläger zu 2 zugewendet werden sollen. Der Beklagte habe den Geldbetrag auch ohne Rechtsgrund erlangt. Ein von ihm darzulegender "Behaltensgrund" sei nicht erkennbar.

[9] Der Anspruch sei nicht durch Erfüllung nach § 362 Abs. 1 BGB erloschen. Zwar habe die Vorinstanz keine Feststellungen zu der streitigen Frage getroffen, ob der Beklagte auf Wunsch des Erblassers insgesamt 63.600 € bar an den Kläger zu 2 übergeben habe. Zum Inhalt des dem Kläger zu 2 ausgehändigten Briefumschlags und der beiden ihm übergebenen Geldtaschen hätten aber die erstinstanzlich vernommenen Zeugen D. und E. v. S. aus eigener Wahrnehmung keine Angaben machen können. Im Hinblick auf diese - erstmals in der Berufungsinstanz gewürdigte - Unergiebigkeit der Aussagen der Zeugen sei deren erneute Vernehmung nicht geboten. Zu den behaupteten Geldübergaben sei auch nicht der Beklagte als Partei anzuhören oder zu vernehmen. Eine Parteivernehmung nach § 448 ZPO scheide aus, da sich der hierfür nötige "Anbeweis" weder aus der durchgeführten Beweisaufnahme noch aus dem schriftsätzlichen Vorbringen des Beklagten ergebe. Eine Parteianhörung sei nach dem Grundsatz der Waffengleichheit nicht angezeigt, da es um kein Vier-Augen-Gespräch mit einem im Lager der anderen Partei stehenden Zeugen gehe und die bloße Beweisnot des nur über unergiebige Zeugen verfügenden Beklagten sie nicht rechtfertige. Die zulässige Hilfsaufrechnung greife nicht, da eine aufrechenbare Gegenforderung nicht bestehe.

[10] II. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

[11] Zwar ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Beklagte für seine Behauptung, er habe auf Wunsch des Erblassers insgesamt 63.600 € in bar, also mehr als den zugesprochenen Betrag, an den Kläger zu 2 übergeben, beweispflichtig ist - was unabhängig davon gilt, ob dieses Vorbringen als Erfüllungs- oder als Entreicherungseinwand im Sinne des § 818 Abs. 3 BGB zu behandeln ist. Jedoch ist seine Annahme, der Beklagte habe diesen Beweis nicht zu führen vermocht, von Verfahrensfehlern beeinflusst. Denn es hat sie unzutreffend allein auf die - von ihm nur unvollständig gewürdigten - erstinstanzlichen Aussagen der Zeugen gestützt.

[12] 1. Nach § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung wahr oder unwahr ist. Diese Würdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters, an dessen Feststellungen das Revisionsgericht gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden ist. Dieses kann lediglich überprüfen, ob die Vorinstanz die Voraussetzungen und die Grenzen des § 286 ZPO gewahrt hat. Damit unterliegt der Nachprüfung nur, ob sich der Tatrichter mit dem Prozessstoff und den etwaigen Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, seine Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr., vgl. nur Senat, Urteile vom 19. Juni 2008 - III ZR 46/06, WM 2008, 1552 Rn. 22 und vom 5. November 2009 - III ZR 6/09, WM 2010, 478 Rn. 8, jeweils mwN). Die auch nach diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab erforderliche umfassende und vollständige Auseinandersetzung mit dem erstinstanzlichen Beweisergebnis hat das Berufungsgericht nicht vorgenommen. Denn es hat übersehen, dass beide Zeugen Indizien bekundet haben, die darauf hindeuten, dass sich in dem Briefumschlag und den Geldtaschen, die der Beklagte unstreitig an den Kläger zu 2 übergeben hat, tatsächlich jeweils größere Bargeldbeträge und nicht bloß Unterlagen befunden haben.

[13] a) Der Zeuge E. v. S. hat bei seiner erstinstanzlichen Vernehmung die Übergaben eines Briefumschlags bei der im Seniorenstift abgehaltenen Trauerfeier für I. W. am 18. Juni 2015 und zweier Geldtaschen am 21. Oktober 2015 in einem Restaurant in G. sowie nach der Beisetzung des Erblassers am 28. Oktober 2015 in einem anderen Restaurant in G.

an den Kläger zu 2 bestätigt (vgl. Sitzungsprotokoll vom 7. November 2017 S. 16 f, GA I 149 f). Weiter hat er angegeben, dass der Kläger zu 2 am 18. Juni 2015 dem Beklagten mehrere Geldtaschen mit Volksbank-Logo - also solche, wie die nach dem Beklagtenvorbringen später benutzten - ausgehändigt und die am 21. Oktober 2015 erhaltene Geldtasche an seine Ehefrau weitergereicht habe mit der Bemerkung, sie solle "das wegstecken" (aaO S. 16 f, GA I 149 f). Die Zeugin D. v. S. hat erstinstanzlich ausgesagt, sie habe aus Gesprächen des Beklagten mit dem Erblasser mitbekommen, dass vom Beklagten mittels der EC-Karten abgehobenes Geld in dem in der Wohnung des Erblassers im Seniorenstift befindlichen Tresor angesammelt und dann an den Kläger zu 2 weitergegeben werden sollte (aaO S. 18 f, GA I 151 f). Sie hat ebenfalls die Übergaben eines Briefumschlags und zweier Geldtaschen bestätigt und angegeben, dass der Kläger zu 2 nach der Übergabe der Geldtasche am 28. Oktober 2015 zu seiner Ehefrau gesagt habe, sie solle das "mal schnell wegstecken" (aaO S. 19, GA I 152). Beide Zeugen haben im Übrigen ausgesagt, dass an diesem Tag zusammen mit der Geldtasche auch offen Unterlagen übergeben worden seien (aaO S. 17 und 19, GA I 150 und 152). Die Zeugin hat zudem angegeben, dass bei der Übergabe der Geldtasche am 21. Oktober 2015 ebenfalls "Unterlagen mit dabei waren" (aaO S. 20, GA I 153).

[14] b) Mit diesen Angaben hat sich das Berufungsgericht nicht im gebotenen Umfang auseinandergesetzt. Es hat lediglich festgestellt, dass die Zeugen zwar die Übergaben des Briefumschlags und der Geldtaschen, nicht aber deren Inhalt wahrgenommen hätten, der auch nicht Gegenstand der Unterhaltung gewesen sei. Ob und gegebenenfalls wieviel Bargeld jeweils übergeben worden sei, hätten sie daher nicht angeben können, weshalb ihre Aussagen insoweit "unergiebig" seien. Diese Würdigung stellt nur auf den in der Tat nicht gelungenen unmittelbaren Beweis der behaupteten Geldübergaben ab. Nicht erwogen hat die Vorinstanz, ob die von den Zeugen bekundeten Hilfstatsachen - die Glaubhaftigkeit der Aussagen unterstellt - jedenfalls in ihrer Gesamtheit (mittelbar) darauf schließen lassen, dass der Briefumschlag und die Geldtaschen jeweils nicht unerhebliche Geldbeträge enthalten haben, und sich hieraus, wenn schon kein tragfähiger Indizienbeweis, so doch zumindest ein eine Parteivernehmung rechtfertigender "Anbeweis" für die Richtigkeit der Behauptung des Beklagten ergibt. Diese Hilfstatsachen sind namentlich die von der Zeugin bekundeten Gespräche zwischen dem Erblasser und dem Beklagten, das von beiden Zeugen beschriebene Verhalten des Klägers zu 2 sowie die von ihnen geschilderte offene Aushändigung von Unterlagen zusammen mit den Geldtaschen.

[15] c) Zu dieser lückenhaften Würdigung der Zeugenaussagen war das Berufungsgericht auch nicht deshalb berechtigt, weil die Frage, ob das Vorbringen des Beklagten zu den Geldübergaben an den Kläger zu 2 zutrifft, nicht Gegenstand des landgerichtlichen Beweisbeschlusses gewesen ist, sondern die Eheleute v. S. bei ihrer Vernehmung hierzu aus eigenem Antrieb Angaben gemacht haben. Entscheidend ist, dass der Beklagte in seiner Klageerwiderung zu den Geldübergaben substantiiert vorgetragen hat, dieses erhebliche Vorbringen von den Klägern bestritten worden ist und die Zeugen hierzu tatsächlich etwas bekundet haben. Zudem hat sich der Beklagte die ihm günstigen Zeugenangaben ausdrücklich (vgl. Berufungserwiderung vom 29. Juni 2018 S. 2, GA II 231), jedenfalls aber stillschweigend zu eigen gemacht (vgl. BGH, Urteile vom 8. Januar 1991 - VI ZR 102/90, NJW 1991, 1541, 1542 und vom 3. April 2001 - VI ZR 203/00, NJW 2001, 2177, 2178).

[16] 2. Vor diesem Hintergrund beanstandet die Revision zu Recht, dass das Berufungsgericht die Zeugen nicht erneut vernommen hat, obwohl dies geboten gewesen wäre.

[17] a) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszugs gebunden. Bestehen Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil - die sich auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Wertungen ergeben können -, ist in aller Regel eine erneute Beweisaufnahme geboten. Insbesondere muss das Berufungsgericht die bereits in erster Instanz vernommenen Zeugen nach § 398 Abs. 1 ZPO nochmals vernehmen, wenn es deren protokollierte Aussagen anders als die Vorinstanz verstehen oder würdigen will. Unterlässt es dies und wendet damit § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO fehlerhaft an, ist die dadurch benachteiligte Partei in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Die erneute Vernehmung kann ausnahmsweise dann unterbleiben, wenn sich das Berufungsgericht auf Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit seiner Aussage betreffen, und es die Zeugenaussage deshalb ohne Verstoß gegen das Verbot vorweggenommener Beweiswürdigung bewerten kann, weil es keines persönlichen Eindrucks von dem Zeugen bedarf (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 14. Juli 2009 - VIII ZR 3/09, NJW-RR 2009, 1291 Rn. 5; vom 5. Mai 2015 - XI ZR 326/14, BKR 2016, 40, 41 f Rn. 11 f und vom 11. Juni 2015 - I ZR 217/14, NJW-RR 2016, 175, 176 Rn. 9). Nach diesen Maßstäben hätten die Eheleute v. S. erneut vernommen werden müssen.

[18] b) Hiervon hat das Berufungsgericht mit der nicht tragfähigen Begründung abgesehen, dass es deren Aussagen erstmals und daher nicht "abweichend" von der Vorinstanz würdige und die wiederholte Vernehmung eines unergiebigen Zeugen entbehrlich sei. Ob der letztgenannten Auffassung (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl., § 398 Rn. 4) zuzustimmen ist, kann dahinstehen. Denn die protokollierten Zeugenaussagen zu den behaupteten Geldübergaben sind, wie ausgeführt, tatsächlich nicht gänzlich unergiebig, sondern insoweit ergiebig, als sie eine Reihe von Indizien enthalten, die - unter der Voraussetzung, dass den Zeugen zu folgen ist - für die Richtigkeit des diesbezüglichen Beklagtenvorbringens sprechen. Um allerdings die Glaubhaftigkeit dieser Angaben und die Glaubwürdigkeit der Zeugen beurteilen zu können, hätte das Berufungsgericht die Zeugen erneut vernehmen und sich einen persönlichen Eindruck von ihnen verschaffen müssen. Mit seinem Einwand, es nehme mit seiner erstmaligen Würdigung ihrer Aussagen keine "abweichende" Würdigung vor, verkennt es, dass nach den oben dargestellten Grundsätzen eine erneute Vernehmung nicht nur dann geboten ist, wenn eine Zeugenaussage anders gewürdigt werden soll, sondern in der Regel auch dann, wenn die Feststellungen und damit die Beweiswürdigung der Vorinstanz unvollständig sind. Dass dies in Bezug auf die behaupteten Geldübergaben zutrifft, zu denen die Zeugen Angaben gemacht haben, mit denen sich das Landgericht überhaupt nicht auseinandergesetzt hat, hat das Berufungsgericht selbst dargelegt.

[19] c) Dieser Verfahrensfehler ist entscheidungserheblich. Denn es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht, hätte es nach erneuter Vernehmung die Zeugen als glaubwürdig beurteilt und deren Angaben umfassend gewürdigt und für glaubhaft befunden, in Bezug auf die behaupteten Geldübergaben zumindest einen "Anbeweis" für eine Parteivernehmung nach § 448 ZPO als geführt angesehen und eine solche, gegebenenfalls nach Anhörung der Parteien (siehe unten 3.), vorgenommen hätte.

[20] aa) Die nach pflichtgemäßem Ermessen vom Gericht anzuordnende Parteivernehmung von Amts wegen setzt grundsätzlich das Bestehen einer gewissen Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der Behauptungen der beweisbelasteten Partei aufgrund des bisherigen Verhandlungsergebnisses bei einer non-

liquet-Situation im Übrigen voraus. Dieser "Anbeweis" kann sich aus einer schon durchgeführten Beweisaufnahme oder aus dem sonstigen Verhandlungsinhalt, insbesondere aus einer Anhörung nach § 141 ZPO oder aus Ausführungen der Partei nach § 137 Abs. 4 ZPO ergeben (st. Rspr., vgl. z.B. Senat, Urteil vom 8. Juli 2010 - III ZR 249/09, BGHZ 186, 152, 155 Rn. 15; BGH, Urteile vom 19. Dezember 2002 - VII ZR 176/02, NJW-RR 2003, 1002, 1003; vom 19. April 2002 - V ZR 90/01, BGHZ 150, 334, 342 und vom 16. Juli 1998 - I ZR 32/96, NJW 1999, 363, 364 mwN; Zöller/Greger, ZPO, aaO § 448 Rn. 4).

[21] bb) Da die Regelungen der §§ 445 ff ZPO subsidiär gegenüber anderen Beweismitteln sind und grundsätzlich voraussetzen, dass eine Partei sich in Beweisnot befindet, ihr also keine Beweismittel zur Verfügung stehen oder diese nicht ausreichen (vgl. BGH, Urteil vom 26. März 1997 - IV ZR 91/96, NJW 1997, 1988), hängt die Zulässigkeit einer Parteivernehmung von Amts wegen gemäß § 448 ZPO weiterhin davon ab, dass zuvor alle angebotenen Beweismittel, also auch die nach § 445 ZPO oder § 447 ZPO beantragte und nur mit Einverständnis des jeweiligen Gegners mögliche Parteivernehmung, ausgeschöpft worden sind und keinen vollständigen Beweis erbracht haben (vgl. Zöller/Greger, aaO § 445 Rn. 3 und § 448 Rn. 3; Musielak/Voit/Huber, ZPO, 16. Aufl., § 448 Rn. 2; MüKo/Schreiber, ZPO, 5. Aufl., § 448 Rn. 2). Weiterhin obliegt es der Partei, zunächst einen ihr zumutbaren Zeugenbeweis anzutreten. Ist ihr ein solcher möglich, befindet sie sich nicht in Beweisnot, sondern ist beweisfällig (vgl. BGH, Urteil vom 26. März 1997, aaO; MüKo/Schreiber, aaO).

[22] Die Subsidiaritätsbedingung ist vorliegend erfüllt, da die Vernehmung der vom Beklagten angeführten Zeugen v. S. keinen vollen Beweis für die Richtigkeit seines Vorbringens erbracht hat und aktenkundig kein (weiterer) neutraler Zeuge existiert, den der Beklagte aus nicht näher dargelegten Gründen nicht benannt hat.

[23] Dem steht nicht entgegen, dass sich der Beklagte zum Beweis des Inhalts der übergebenen Behältnisse vorinstanzlich weder auf das Zeugnis der Ehefrau des Klägers zu 2 berufen noch dessen Parteivernehmung beantragt hat. Zur Wahrung der Subsidiarität ist es nicht erforderlich, eine im Lager des Prozessgegners stehende Person, wie hier die Ehefrau des Klägers zu 2, als Zeugen zu benennen (OLG Frankfurt am Main, VuR 2013, 56 f; Lange, NJW 2002, 476, 482; Greger, MDR 2014, 313, 315; Stein/Jonas/Berger, Kommentar zur ZPO, 23. Aufl., § 448 Rn. 15; Zöller/Greger, aaO § 448 Rn. 3; vgl. auch BGH, Urteil vom 14. Mai 2013 - VI ZR 325/11, NJW 2013, 2601, 2602 Rn. 10, 13), da die vorrangige Ausschöpfung anderweitiger Beweismittel dazu dient, die subsidiäre Parteivernehmung gemäß § 448 ZPO entbehrlich zu machen. Dies mit der Vernehmung eines im gegnerischen Lager stehenden Zeugen zu erreichen, ist jedoch typischerweise unwahrscheinlich (vgl. Greger, MDR aaO) und kann daher der beweisbelasteten Partei nicht abverlangt werden. Gleiches gilt erst recht für die Vernehmung des Gegners als Partei gemäß § 445 Abs. 1 ZPO.

[24] Lediglich wenn die beweisbelastete Partei - wie hier nicht -, gleichsam überobligatorisch, die Vernehmung eines dem gegnerischen Lager zuzuordnenden Zeugen oder des Gegners selbst beantragt hat, sind diese Beweisangebote vorrangig vor einer Parteivernehmung zu erledigen.

[25] d) Sollte dem Beklagten der "Anbeweis" durch die Vernehmung der Zeugen v. S. nicht gelingen, wird das Berufungsgericht die Voraussetzungen einer Vernehmung des Beklagten gemäß § 448 ZPO oder einer Anhörung nach § 141 ZPO nach Maßgabe der Rechtsprechung zu den "Vier-" beziehungsweise "Sechs-Augen-Gesprächen" (vgl. z.B. Senat, Urteil vom 20. Juli 2017 - III ZR 296/15, WM 2017, 1702 Rn. 21 m. umfang. w.N.; BGH, Urteil vom 14. Mai 2013, aaO Rn. 10) zu prüfen haben.

[26] 3. Die Revision weist auch zu Recht darauf hin, dass die Ausführungen des Berufungsgerichts, das einerseits eine Parteianhörung des Beklagten zur Aufklärung seines Sachvortrags für entbehrlich gehalten und andererseits angemerkt hat, dass nach dessen Sachvortrag "unklar" geblieben sei, weshalb er sich "darauf eingelassen" habe, "dem Erblasser zu helfen, an einem gemeinschaftlichen Testament vorbei dem Kläger zu 2 erhebliche Teile des Nachlasses zukommen zu lassen", widersprüchlich sind. Die Beweggründe des Beklagten für die behaupteten Geldübergaben an den Kläger zu 2 hätte das Berufungsgericht im Rahmen einer persönlichen Anhörung klären können.

[27] 4. Da die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts bereits aus den vorgenannten Gründen zu beanstanden ist, sieht der Senat davon ab, auf die weiteren Revisionsangriffe einzugehen.

[28] 5. Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).

[29] Dieses wird Gelegenheit haben, nach erneuter Vernehmung die Angaben der Eheleute v. S. unter Beachtung möglicher eigener Interessen der Zeugen am Ausgang des Rechtsstreits vollständig zu würdigen und eine Anhörung sowie gegebenenfalls eine Parteivernehmung des Beklagten und des Klägers zu 2 zu erwägen.

Herrmann Remmert Arend

Böttcher Kessen

Verlagsadresse

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Aachener Straße 222

50931 Köln

Postanschrift

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Postfach 27 01 25

50508 Köln

Kontakt

T (0221) 400 88-99

F (0221) 400 88-77

info@rws-verlag.de

© 2024 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Erweiterte Suche

Seminare

Rubriken

Veranstaltungsarten

Zeitraum

Bücher

Rechtsgebiete

Reihen



Zeitschriften

Aktuell