BGH, Urteil vom 12. Januar 2016 - VI ZR 491/14

01.03.2016

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

Verkündet am:

12. Januar 2016

HolmesJustizangestellteals Urkundsbeamtinder Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


OEG § 5; BVG §§ 30 ff.; BGB § 252; ZPO § 287


a) Die Grundrente nach § 31 BVG hat keine Lohnersatzfunktion und dient ihrer Zweckbestimmung nach anders als die Ausgleichsrente und der Berufsschadensausgleich nicht der Bestreitung des Lebensunterhalts.

b) Zu der für die Bemessung des Erwerbsschadens erforderlichen Prognose der hypothetischen Einkommensentwicklung bei einem bereits langjährig im Erwerbsleben stehenden Geschädigten.


BGH, Urteil vom 12. Januar 2016 - VI ZR 491/14 - OLG Celle, LG Hannover


Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 12. Januar 2016 durch den Vorsitzenden Richter Galke und die Richterinnen von Pentz, Dr. Oehler, Dr. Roloff und Müller

für Recht erkannt:

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 30. Oktober 2014 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

[1] Das klagende Land nimmt den Beklagten aus übergegangenem Recht auf Ersatz von Leistungen in Anspruch, die es nach dem Opferentschädigungsgesetz und dem Bundesversorgungsgesetz an den Geschädigten H. S. erbracht hat. Der Beklagte ist der Nachlassverwalter des verstorbenen Schädigers.

[2] Der am 7. Februar 1957 geborene Geschädigte war nach zunächst angestellter Tätigkeit seit dem Jahr 1986 selbständig als Tischlermeister tätig. Am 1. Juli 2004 wurde über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet. Seine selbständige Tätigkeit stellte er ein. Ab März 2006 war er erneut selbständig tätig und bezog Leistungen aufgrund einer Förderungsmaßnahme zur Wiedereingliederung Arbeitsloser. Am 12. Juli 2007 versuchte der Schädiger, den Geschädigten zu töten. Der Geschädigte erlitt lebensgefährliche Verletzungen und erhebliche bleibende Schäden.

[3] Der Kläger verlangt von dem Beklagten aus übergegangenem Recht Erstattung erbrachter Rentenleistungen für den Zeitraum vom 1. Juli 2007 bis 30. Juni 2012 in Höhe von insgesamt 91.392 € nebst Zinsen (monatlich 1.494 € ab dem 1. Juli 2007, 1.504 € ab dem 1. Juli 2008, 1.535 € ab dem 1. Juli 2009 und 1.548 € ab dem 1. Juli 2011) sowie die Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger diejenigen weiteren Aufwendungen zu ersetzen, die ihm nach dem Opferentschädigungsgesetz und dem Bundesversorgungsgesetz gegenüber dem Geschädigten wegen der am 12. Juli 2007 von dem Schädiger begangenen Körperverletzung obliegen, soweit gesetzliche Schadensersatzansprüche auf den Kläger übergegangen sind. Der Beklagte meint, der behauptete Verdienstausfall sei übersetzt.

[4] Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 64.440 € nebst Zinsen wegen der von dem Kläger im Zeitraum vom 1. Januar 2009 bis 30. Juni 2012 gezahlten Rentenleistungen sowie hinsichtlich des Feststellungsanspruchs stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und ihn auf die Berufung des Klägers verurteilt, weitere 26.952 € wegen der von dem Kläger an den Geschädigten im Zeitraum vom 1. Juli 2007 bis 31. Dezember 2008 gezahlten Rentenleistungen nebst Zinsen zu zahlen. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Abweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

A.

[5] Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Kläger habe gegen den Beklagten aus übergegangenem Recht einen Anspruch auf Erstattung der von ihm an den Geschädigten geleisteten Rentenleistungen (Grundrente und Berufsschadensausgleich) in der Zeit vom 1. Juli 2007 bis 30. Juni 2012. Der Kläger sei nicht in der Lage, den Verdienstausfall des Geschädigten aus selbständiger Tätigkeit darzulegen. Im Zeitpunkt der Tat habe sich der Geschädigte noch im Wiederaufbau der selbständigen Tätigkeit befunden. Die voraussichtliche berufliche Entwicklung sei daher schwer zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gebiete § 252 BGB eine Prognose entsprechend dem gewöhnlichen Lauf der Dinge, insbesondere auf der Grundlage dessen, was zur Ausbildung und bisherigen beruflichen Situation des Betroffenen festgestellt werden könne. Dabei müsse der Geschädigte zwar so weit wie möglich konkrete Anhaltspunkte für diese Prognose dartun. Es dürften aber auch keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Das gelte insbesondere dort, wo der Geschädigte, etwa weil er noch am Anfang einer beruflichen Entwicklung gestanden habe, nur wenige konkrete Anhaltspunkte dazu liefern könne, wie sich sein Erwerbsleben voraussichtlich gestaltet hätte.

[6] Da die vom Kläger vorgelegten Unterlagen nicht ausreichten, eine für die Schadensermittlung auch nur halbwegs sichere Prognose über die zukünftige Entwicklung der selbständigen Tätigkeit des Geschädigten zu geben, liege es nahe, bei den Verdienstaussichten darauf abzustellen, was nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge von einem voraussichtlich durchschnittlichen Erfolg des Geschädigten in seiner Tätigkeit zu erwarten gewesen wäre. Als Grundlage sei dafür heranzuziehen, was ein angestellter Tischlermeister im Alter des Geschädigten nach dem für den Raum Hannover gültigen Tarifvertrag durchschnittlich verdient hätte. Das sei der Mindestverdienst, den der Geschädigte beanspruchen könne.

B.

[7] Die Revision hat Erfolg.

[8] I. Die Revision ist insgesamt zulässig. Sie ist entgegen der Ansicht des Klägers auch hinsichtlich der Feststellungsverurteilung ausreichend begründet, § 551 ZPO. Denn die Revision wendet sich mit der Rüge, die Annahme eines Forderungsübergangs nach § 5 OEG in Verbindung mit § 81a BVG werde durch die Feststellungen des Berufungsgerichts nicht getragen, (auch) gegen die Feststellungsverurteilung.

[9] II. Die Revision ist begründet.

[10] 1. Die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts tragen seine Beurteilung nicht, dem klagenden Land stehe ein Anspruch auf Erstattung der von ihm im Zeitraum vom 1. Juli 2007 bis 30. Juni 2012 an den Geschädigten geleisteten Rentenleistungen (Grundrente und Berufsschadensausgleich) zu, § 823 Abs. 1, § 843 Abs. 1 BGB, § 5 OEG in Verbindung mit § 81a BVG.

[11] a) Zwar geht das Berufungsgericht entgegen der Ansicht der Revision zutreffend davon aus, dass ein dem Geschädigten gegen den Schädiger zustehender Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung, der dem Grunde nach zwischen den Parteien nicht im Streit ist, gemäß § 5 OEG in Verbindung mit § 81a BVG auf das klagende Land als dem nach § 4 OEG im Rahmen der Opferentschädigung leistungspflichtigen Versorgungsträger übergegangen ist. Dieser Forderungsübergang setzte nicht, wie das Berufungsgericht angenommen haben könnte, eine Leistungserbringung nach dem Opferentschädigungsgesetz voraus. Vielmehr vollzog er sich, da angesichts der Verletzungen des Geschädigten von Anfang an die Möglichkeit von Versorgungsleistungen nach diesem Gesetz bestanden hatte, bereits im Zeitpunkt der dem Schädiger zur Last gelegten Verletzungshandlung. Er erfasste nach § 81a BVG den Schadensersatzanspruch des Geschädigten im Umfang der Pflicht zur Gewährung kongruenter Leistungen, die vom klagenden Land auf der Grundlage des § 1 OEG in Verbindung mit den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes bei Antragstellung des Verletzten zu erbringen waren (vgl. Senat, Urteil vom 28. März 1995 - VI ZR 244/94, NJW 1995, 2413 unter II 1).

[12] b) Zu Unrecht nimmt das Berufungsgericht aber an, dass die von dem klagenden Land an den Geschädigten geleistete Grundrente mit dem im vorliegenden Verfahren geltend gemachten Verdienstausfallschaden kongruent sei. Die Grundrente nach § 31 BVG ist in erster Linie darauf gerichtet, den Mehrbedarf des Geschädigten aufzufangen. Sie hat keine Lohnersatzfunktion und dient ihrer Zweckbestimmung nach - anders als die Ausgleichsrente gemäß § 32 BVG und der Berufsschadensausgleich gemäß § 30 Abs. 3 ff. BVG - nicht der Bestreitung des Lebensunterhalts (Senat, Urteil vom 4. Juni 1985 - VI ZR 17/84, NJW-RR 1986, 370 unter II 3 mwN; BVerwGE 137, 85 Rn. 26; Knickrehm/Vogl, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, § 81 BVG Rn. 18; Gelhausen/

Weiner, OEG, 6. Aufl., Teil B I 3 Rn. 25, 27, 43). Dass die Grundrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit des Geschädigten berechnet wird, bedeutet nicht, dass sie dem Ausgleich einer konkreten Erwerbseinbuße dient (Senat, Urteil vom 4. Juni 1985 - VI ZR 17/84, NJW-RR 1986, 370 unter II 3 a mwN).

[13] c) Die Revision rügt ferner zu Recht, dass das Berufungsgericht bei der von ihm vorgenommenen Schadensschätzung Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt und weder den Vortrag des Beklagten noch die Feststellungen des Landgerichts zu den beruflichen Aussichten des Geschädigten in der gebotenen Weise berücksichtigt hat, § 287 Abs. 1 ZPO.

[14] Eine vom Tatrichter gemäß § 287 Abs. 1 ZPO nach freiem Ermessen vorzunehmende Schadensschätzung unterliegt der beschränkten Nachprüfung durch das Revisionsgericht dahin, ob der Richter Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat (Senat, Urteil vom 9. November 2010 - VI ZR 300/08, VersR 2011, 229 Rn. 6 mwN). Solche Fehler hat die Revision hier aufgezeigt.

[15] aa) Die Revision rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht dem Kläger Schadensersatz bereits ab dem 1. Juli 2007 zugesprochen hat, obwohl das schädigende Ereignis erst am 12. Juli 2007 eingetreten ist. Gemäß § 843 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 760 Abs. 2 BGB ist eine Geldrente für drei Monate im Voraus zu zahlen. Der vom Schuldner einzuhaltende Zahlungsrhythmus beginnt im Grundsatz mit dem anspruchsbegründenden Ereignis. Feststellungen dazu, dass die Parteien etwa zur Verwaltungsvereinfachung eine Umstellung auf Kalendermonate vereinbart hätten (vgl. MünchKommBGB/Habersack, 6. Aufl., § 760 Rn. 4), hat das Berufungsgericht nicht getroffen.

[16] bb) Die Revision macht ferner zu Recht geltend, dass das Berufungsgericht die Grenzen seines Ermessens überschritten hat, indem es die von dem Landgericht festgestellten und von den Parteien vorgetragenen konkreten Anhaltspunkte, wie sich das Erwerbsleben des Geschädigten voraussichtlich entwickelt hätte, außer Acht gelassen hat, § 252 Satz 2 BGB in Verbindung mit § 287 Satz 1 ZPO.

[17] Die erleichterte Schadensberechnung nach § 252 Satz 2 BGB in Verbindung mit § 287 Abs. 1 ZPO lässt eine völlig abstrakte Berechnung des Erwerbsschadens nicht zu. Sie verlangt vielmehr die Darlegung konkreter Anhaltspunkte für die Schadensermittlung. Der zu ersetzende Schaden liegt nicht im Wegfall oder der Minderung der Arbeitskraft als solcher, sondern setzt voraus, dass sich dieser Ausfall oder die Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit sichtbar im Erwerbsergebnis konkret ausgewirkt hat (Senat, Urteil vom 5. Mai 1970 - VI ZR 212/68, BGHZ 54, 45, 52 f.). Daher geht es nicht an, einem Verletzten, dessen Arbeitskraft im arbeitsfähigen Alter beeinträchtigt worden ist, ohne hinreichende Anhaltspunkte dafür, wie sich seine Erwerbstätigkeit ohne das schädigende Ereignis voraussichtlich entwickelt hätte, gleichsam pauschal einen (abstrakt geschätzten) "Mindestschaden" zuzusprechen (Senat, Urteil vom 17. Januar 1995 - VI ZR 62/94, NJW 1995, 1023 unter II 2 a).

[18] Es dürfen an die erforderlichen Darlegungen des Geschädigten jedoch auch keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Dies gilt insbesondere dort, wo der Geschädigte, etwa weil er im Zeitpunkt des Schadensereignisses noch in der Ausbildung oder am Anfang einer beruflichen Entwicklung stand, nur wenige konkrete Anhaltspunkte dazu liefern kann, wie sich sein Erwerbsleben voraussichtlich gestaltet hätte. Es darf dabei nicht außer Acht gelassen werden, dass es in der Verantwortlichkeit des Schädigers liegt, dass der Geschädigte in einem so frühen Zeitpunkt seiner beruflichen Entwicklung aus der Bahn geworfen wurde, woraus sich erst die besondere Schwierigkeit ergibt, nun eine Prognose über deren Verlauf anzustellen. In derartigen Fällen darf sich der Tatrichter seiner Aufgabe, auf der Grundlage der §§ 252 BGB und 287 ZPO eine Schadensermittlung vorzunehmen, nicht vorschnell unter Hinweis auf die Unsicherheit möglicher Prognosen entziehen (Senat, Urteile vom 17. Februar 1998 - VI ZR 342/96, NJW 1998, 1633 unter II B 1; vom 3. März 1998 - VI ZR 385/96, NJW 1998, 1634 unter II 1 c; vom 20. April 1999 - VI ZR 65/98, NJW-RR 1999, 1039 unter II 1; vom 9. November 2010 - VI ZR 300/08, NJW 2011, 1146 Rn. 17).

[19] Soweit sich keine Anhaltspunkte ergeben, die überwiegend für einen Erfolg oder einen Misserfolg sprechen, liegt es nahe, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge von einem voraussichtlich durchschnittlichen Erfolg des Geschädigten in seiner Tätigkeit auszugehen und auf dieser Grundlage die weitere Prognose der entgangenen Einnahmen anzustellen und den Schaden gemäß § 287 ZPO zu schätzen; verbleibenden Risiken kann durch gewisse Abschläge Rechnung getragen werden. Insoweit sind dem weiten Ermessen des Tatrichters zur Schadensschätzung allerdings auch Grenzen gesetzt. Insbesondere darf er sich nicht über Vorbringen des Schädigers, das für die Schadensschätzung von Bedeutung ist, ohne weiteres hinwegsetzen oder dies ohne den Ausweis eigener Sachkunde und die Hinzuziehung sachverständiger Hilfe als unerheblich oder widerlegt ansehen (Senat, Urteil vom 9. November 2010 - VI ZR 300/08, NJW 2011, 1146 Rn. 18 f. mwN).

[20] Diesen Grundsätzen wird die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht gerecht. Das Berufungsgericht hat die von dem Landgericht festgestellten und von den Parteien vorgetragenen konkreten Anhaltspunkte, wie sich das Erwerbsleben des Geschädigten voraussichtlich entwickelt hätte, außer Acht gelassen. Es hat sich seiner Aufgabe, auf der Grundlage von § 252 BGB und § 287 ZPO eine Schadensermittlung möglichst anhand konkreter Anhaltspunkte vorzunehmen, vorschnell entzogen, und dem Geschädigten entgegen den für die Schadensberechnung geltenden Grundsätzen gleichsam pauschal einen abstrakt geschätzten Schaden für den Wegfall seiner Arbeitskraft zugesprochen.

[21] (1) Die im Jahr 1986 aufgenommene selbständige Tätigkeit des Geschädigten hat im Jahr 2004 unstreitig in einem Misserfolg - dem am 1. Juli 2004 eröffneten Insolvenzverfahren - geendet. Danach hat er knapp zwei Jahre - bis zum März 2006 - nicht gearbeitet. Der Beklagte hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass der Kläger zu dem Einkommen des Geschädigten in den Jahren 2000 bis 2006 nichts vorgetragen hat, und geltend gemacht, der Geschädigte habe in seiner beruflichen Laufbahn niemals einen regelmäßigen und dauerhaften Reingewinn in einer Höhe erzielt, der den nunmehr geltend gemachten Rentenleistungen entspreche. Das Berufungsgericht hat indes weder die unstreitige berufliche Entwicklung des Geschädigten, die jedenfalls für einen gewissen Zeitraum seines Berufslebens auf einen Misserfolg schließen lässt, noch das Vorbringen des Beklagten erkennbar in Betracht gezogen.

[22] Soweit es unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 17. Februar 1998 - VI ZR 342/96, aaO) darauf abstellt, es dürften insbesondere dann nicht zu hohe Anforderungen an die Darlegung eines konkreten Erwerbsschadens gestellt werden, wenn der Geschädigte, etwa weil er noch am Anfang einer beruflichen Entwicklung gestanden habe, nur wenige konkrete Anhaltspunkte dazu liefern könne, wie sich sein Erwerbsleben voraussichtlich gestaltet hätte, übersieht es, dass der Geschädigte seine bereits zuvor ausgeübte Tätigkeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen (lediglich) wieder aufgenommen hatte.

[23] (2) Für die Jahre 2007 und 2008 hat der Kläger nach den von dem Berufungsgericht in Bezug genommenen Feststellungen des Landgerichts konkrete Anhaltspunkte für einen Erwerbsschaden des Geschädigten nicht dargelegt. Das Landgericht hat dazu ausgeführt, es sei nicht ersichtlich, dass der Betrieb des Geschädigten Gewinn abgeworfen habe. Obwohl das Berufungsgericht anderweitige Feststellungen nicht getroffen hat, hat es angenommen, dem Geschädigten sei in dem Zeitraum vom 1. Juli 2007 bis 31. Dezember 2008 ein dem durchschnittlichen Gehalt eines angestellten Tischlermeisters entsprechender Erwerbsschaden entstanden. Zu Recht rügt die Revision, dass es dem Kläger damit gleichsam pauschal einen Schaden für den Wegfall seiner Arbeitskraft zugesprochen hat.

[24] (3) Der Beklagte hat schließlich den Vortrag des Klägers, der Geschädigte hätte bei auch weiterhin schlechter Einkommenslage eine abhängige Beschäftigung vorgezogen, wenn ihm sein Betrieb nicht dauerhaft ein besseres Einkommen gewährleistet hätte, bestritten und darauf hingewiesen, angesichts des Umstandes, dass der Geschädigte nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens knapp zwei Jahre nicht gearbeitet und sodann erneut eine selbständige Tätigkeit aufgenommen habe, spreche viel dafür, dass er eine abhängige Tätigkeit entweder nicht gefunden oder nicht gesucht habe. Er hat ferner vorgetragen, der Umstand, dass eine Vermittlung des Geschädigten in eine abhängige Beschäftigung gescheitert sei, sei im Jahr 2006 alleiniger Grund für die Wiederaufnahme der selbständigen Tätigkeit gewesen. Auch insoweit rügt die Revision zu Recht, dass das Berufungsgericht dieses für die Schadensschätzung wesentliche Vorbringen des Beklagten bei seiner Entscheidung nicht erkennbar berücksichtigt hat.

[25] 2. Hinsichtlich der Feststellungsverurteilung hat die Revision Erfolg, weil der Inhalt des Urteilsausspruchs unbestimmt ist, § 313 Abs. 1 Nr. 4 ZPO. Das ist im Rahmen der durch die Revision des Beklagten veranlassten Rechtsprüfung von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 - I ZR 13/95, BGHZ 135, 1, 6 ff.). Ob die Feststellungsverurteilung sich auf den Ersatz (aller) weiteren dem Kläger nach dem Opferentschädigungsgesetz obliegenden Aufwendungen bezieht oder sie sich - wie das Landgericht und das Berufungsgericht wegen der lediglich auf den Erwerbsschaden beschränkten Gründe und der nur diesen berücksichtigenden Streitwertfestsetzung angenommen haben könnten - auf diejenigen Aufwendungen beschränkt, die mit dem Erwerbsschaden kongruent sind, lässt sich dem Berufungsurteil nicht mit der erforderlichen Klarheit entnehmen.

[26] III. Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben, sondern ist aufzuheben und mangels Entscheidungsreife zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

[27] Bei der neuen Verhandlung und Entscheidung wird das Berufungsgericht Gelegenheit haben, sich mit dem weiteren Vortrag der Parteien in der Revisionsinstanz auseinanderzusetzen und die Reichweite der Feststellungsverurteilung klarzustellen. Es wird insbesondere zu berücksichtigen haben, dass der Kläger, der dies mit seiner Berufung ausdrücklich gerügt hat, nicht - wie von dem Landgericht und dem Berufungsgericht angenommen - Ersatz der in den fraglichen Zeiträumen geleisteten Grundrente, sondern Ersatz der geleisteten Ausgleichsrente begehrt.

[28] Der Kläger dürfte - worauf der Beklagte bereits hingewiesen hat - weitere Möglichkeiten haben, zu den von dem Geschädigten im Zeitraum von März 2006 bis zum 1. Juli 2007 erzielten Gewinnen vorzutragen. Denn entweder war das Insolvenzverfahren im März 2006 bereits aufgehoben und es lief noch die Abtretungsfrist (§ 287 Abs. 2, § 295 Abs. 2 InsO), oder eine Aufhebung des Insolvenzverfahrens war noch nicht erfolgt und das Geschäft freigegeben (§ 35 Abs. 2, § 295 Abs. 2 InsO). In beiden Fällen oblag es dem gegenüber dem Insolvenzverwalter und Treuhänder umfassend auskunftspflichtigen Geschädigten, Gewinne aus der selbständigen Tätigkeit, die über einen etwaigen pfändbaren Betrag bei abhängiger Tätigkeit hinausgehen, jedenfalls jährlich an die Masse abzuführen (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2014 - IX ZR 43/12, NJW-RR 2014, 617 Rn. 17 f.). Es ist weder ersichtlich noch dargetan, weshalb es dem Kläger nicht möglich sein sollte, die im Insolvenzverfahren erstatteten Berichte

vorzulegen. Gleiches gilt im Übrigen hinsichtlich der Ursachen für die Insolvenz sowie der Gewinne beziehungsweise Verluste aus der selbständigen Tätigkeit des Geschädigten in den Jahren vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

Galke von Pentz Oehler

Roloff Müller

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