BGH, Urteil vom 19. Januar 2021 - VI ZR 194/18

16.02.2021

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

Verkündet am:

19. Januar 2021

Böhringer-MangoldJustizamtsinspektorinals Urkundsbeamtinder Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


BGB § 823 Abs. 1 Dc, Ef


Zu den Verkehrssicherungspflichten eines Grundstückseigentümers gegenüber Kindern (hier: Veranstaltung eines Reitturniers).

ZPO § 256 Abs. 1

Die Behauptung eines gegenwärtigen Rechtsverhältnisses zwischen den Parteien ist besondere Prozessvoraussetzung der Feststellungsklage. Für ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis genügen Beziehungen zwischen den Parteien, die schon zur Zeit der Klageerhebung die Grundlage bestimmter Ansprüche bilden. Nicht ausreichend ist dagegen ein Rechtsverhältnis, das noch nicht besteht, sondern erst in Zukunft unter Voraussetzungen, deren Eintritt noch völlig offen ist, entstehen kann. Die bloße Aussicht, einen Anspruch demnächst zu erwerben, begründet kein gegenwärtiges Rechtsverhältnis (hier: zukünftig zu leistende Zahlungen eines Haftpflichtversicherers und Anspruchsübergang nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG).


BGH, Urteil vom 19. Januar 2021 - VI ZR 194/18 - OLG Karlsruhe in Freiburg, LG Freiburg


Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 15. Dezember 2020 durch den Vorsitzenden Richter Seiters, die Richterin von Pentz, den Richter Offenloch, die Richterin Dr. Roloff und den Richter

Dr. Allgayer

für Recht erkannt:

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 20. April 2018 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist. Die Berufungen der Klägerinnen gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Freiburg vom 14. Oktober 2016 werden zurückgewiesen.

Die Revisionen der Klägerinnen werden zurückgewiesen.

Die Klägerinnen tragen die Kosten des Rechtsstreits jeweils zur Hälfte.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

[1] Die Klägerinnen nehmen den Beklagten auf Feststellung der Pflicht zur Zahlung und Freistellung, insbesondere aus einem Gesamtschuldverhältnis, in Anspruch.

[2] Der Beklagte veranstaltete auf seinem Vereinsgelände ein Reitturnier, das ohne Zugangsbeschränkung und Eintrittsgeld von Zuschauern besucht werden konnte. Für das Abstellen von Pferdetransportern stellte der Beklagte den Turnierteilnehmern verschiedene Wiesen zur Verfügung. Eine dieser Wiesen grenzte an einen Weg, der während der Turnierveranstaltung befahren und auch von Besuchern begangen wurde. Entlang des Weges wurden auf der Wiese unter anderem verschiedene Landmaschinen ausgestellt. Dahinter befanden sich von Turnierteilnehmern abgestellte Pferdetransporter und -anhänger. Dort parkte auch die Klägerin zu 1, die eine Turnierteilnehmerin begleitete, auf dem ihr zugewiesenen Stellplatz ihr Fahrzeug mit einem Pferdeanhänger. In diesem befand sich neben dem Pferd der Klägerin zu 1, für welches diese eine Haftpflichtversicherung bei der Klägerin zu 2 unterhielt, ein weiteres Pferd der von ihr begleiteten Turnierteilnehmerin. Die Klägerin zu 1 stellte ihr Fahrzeug weisungsgemäß mit der Front zu dem Weg ab, der an die Wiese anschloss, sodass das Heck des Pferdeanhängers dem Wettkampfgelände abgewandt war. Als die Turnierteilnehmerin, die die Klägerin zu 1 begleitete, mit den Pferden verschiedene Wettkämpfe bestritten hatte, wurden diese in den Pferdeanhänger verbracht, angebunden und von hinten mit einer Haltestange gesichert. Die Rampe am Heck des Pferdeanhängers und Luken im seitlichen Frontbereich waren wegen der hohen Lufttemperatur geöffnet. Danach verließen die Klägerin zu 1 und die Turnierteilnehmerin den Pferdeanhänger. Ein knapp drei Jahre altes Kind, das mit seinen Eltern und weiteren Verwandten das Turnier besuchte, gelangte unbemerkt in diesen hinein, wo es von einem Pferdehuf am Kopf getroffen und schwer verletzt wurde.

[3] Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat auf die Berufungen der Klägerinnen festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin zu 2 einen Anteil von 1/3 sämtlicher Zahlungen zu erstatten, die diese aufgrund der Verletzungen des Kleinkindes geleistet hat, und die Klägerin zu 1 von allen Ansprüchen, mit denen diese aufgrund von Verletzungen des Kleinkindes belastet wird, im Umfang von 1/3 freizustellen. Im Übrigen hat es die Berufungen zurückgewiesen. Mit den vom erkennenden Senat zugelassenen Revisionen wenden sich der Beklagte gegen seine Verurteilung und die Klägerinnen gegen die teilweise Zurückweisung ihrer Berufungen.

Entscheidungsgründe:

A.

[4] Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klage sei unzulässig, soweit die Klägerin zu 2 die Feststellung beantrage, dass der Beklagte zur Erstattung von Zahlungen verpflichtet sei, die die Klägerin zu 2 zukünftig noch leisten werde. Der Versicherer könne vor einer Leistung nur auf Feststellung der Leistungspflicht des Schädigers gegenüber dem Versicherungsnehmer klagen. Maßgeblich sei, dass ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis zwischen dem Versicherer und dem Anspruchsgegner erst mit Leistungserbringung gemäß § 86 VVG (also Forderungsübergang) entstehe. Soweit die Feststellung begehrt werde, dass der Beklagte zur Freistellung beider Klägerinnen verpflichtet sei, sei der Antrag unzulässig, soweit er auch zugunsten der Klägerin zu 2 gestellt werde.

[5] Im Übrigen sei die Klage teilweise begründet. Der Unfall sei durch das Verschulden der Klägerin zu 1, des Beklagten und der Eltern des Kindes verursacht worden, die als Gesamtschuldner hafteten und untereinander einen Ausgleichsanspruch hätten. Die Haftung des Beklagten ergebe sich aus § 823 Abs. 1 BGB wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen seine Verkehrssicherungspflicht.

B.

[6] I. Die Revision des Beklagten ist begründet und führt zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils, soweit das Berufungsgericht zu seinem Nachteil entschieden hat.

[7] 1. Der Beklagte haftet nicht neben der Klägerin zu 1 als Gesamtschuldner (§ 840, § 426 BGB), da er dem verletzten Kind gegenüber nicht gemäß § 823 Abs. 1, § 31 BGB ersatzpflichtig ist.

[8] a) Derjenige, der eine Gefahrenlage - gleich welcher Art - schafft, ist grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Verkehrssicherungspflichtig ist auch derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine eingetretene Gefahrenlage andauern lässt (vgl. Senat, Urteile vom 25. Februar 2014 - VI ZR 299/13, NJW 2014, 2104 Rn. 8; vom 2. Oktober 2012 - VI ZR 311/11, BGHZ 195, 30 Rn. 6; jeweils mwN).

[9] Zu berücksichtigen ist jedoch, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden. Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr nur die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren und die den Umständen nach zuzumuten sind (vgl. Senat, Urteile vom 25. Februar 2014 - VI ZR 299/13, NJW 2014, 2104 Rn. 9; vom 2. Oktober 2012 - VI ZR 311/11, BGHZ 195, 30 Rn. 7; jeweils mwN). Kommt es in Fällen, in denen hiernach keine Schutzmaßnahmen getroffen werden mussten, weil eine Gefährdung anderer zwar nicht völlig ausgeschlossen, aber nur unter besonders eigenartigen und entfernter liegenden Umständen zu befürchten war, ausnahmsweise doch einmal zu einem Schaden, so muss der Geschädigte - so hart dies im Einzelfall sein mag - den Schaden selbst tragen (vgl. Senat, Urteile vom 25. Februar 2014 - VI ZR 299/13, NJW 2014, 2104 Rn. 9; vom 2. Oktober 2012 - VI ZR 311/11, BGHZ 195, 30 Rn. 8; jeweils mwN).

[10] b) Danach musste der Beklagte keine Vorkehrungen treffen, um zu verhindern, dass das Kleinkind in den Pferdeanhänger der Klägerin zu 1 gelangt.

[11] aa) Zwar darf sich ein Grundstückseigentümer nicht darauf verlassen, dass sich Kinder nicht unbefugt in einen Gefahrenbereich begeben, wenn dieser besonderen Anreiz für den kindlichen Spieltrieb bietet und damit verbundene Gefahren für ein Kind nicht ohne weiteres erkennbar sind (vgl. Senat, Urteil vom 14. März 1995 - VI ZR 34/94, NJW 1995, 2631, juris Rn. 9). Vielmehr muss jeder Grundstückseigentümer wirksame Schutzmaßnahmen ergreifen, um Kinder vor den Folgen ihrer Unerfahrenheit und Unbesonnenheit zu schützen, wenn ihm bekannt ist oder sein muss, dass sie sein Grundstück zum Spielen benutzen, und die Gefahr besteht, dass sie sich an den dort befindlichen gefährlichen Gegenständen zu schaffen machen und dabei Schaden erleiden können (vgl. Senat, Urteile vom 4. Mai 1999 - VI ZR 379/98, NJW 1999, 2364, juris Rn. 8; vom 23. Mai 1995 - VI ZR 384/94, VersR 1995, 973, juris Rn. 13; vom 14. März 1995 - VI ZR 34/94, NJW 1995, 2631, juris Rn. 9; vom 20. September 1994 - VI ZR 162/93, NJW 1994, 3348, juris Rn. 11; vom 28. April 1992 - VI ZR 314/91, NJW-RR 1992, 981, juris Rn. 11; vom 19. Februar 1991 - VI ZR 171/90, NJW 1991, 2340, juris Rn. 12; jeweils mwN). An die Pflicht zur Gefahrenabwehr sind umso strengere Anforderungen zu stellen, je größer der Anreiz ist, den die vom Sicherungspflichtigen geschaffene oder unterhaltene Gefahrenquelle auf Kinder ausübt, und je weniger diese selbst in der Lage sind, die für sie bestehenden Gefahren zu erkennen (vgl. Senat, Urteile vom 12. November 1996 - VI ZR 270/95, NJW 1997, 582, juris Rn. 12; vom 14. März 1995 - VI ZR 34/94, NJW 1995, 2631, juris Rn. 9 mwN).

[12] Allerdings darf sich der Verkehrssicherungspflichtige in gewissem Umfang darauf verlassen, dass die für ein Kind Verantwortlichen ein Mindestmaß an sorgfältiger Beaufsichtigung wahrnehmen. Das Vertrauen, das ein Grundstückseigentümer in die Wahrnehmung der Aufsichtspflicht durch die dafür Verantwortlichen setzen kann, wirkt zurück auf seine Sicherungspflichten. Denn Art und Umfang der Verkehrssicherungspflichten bestimmen sich nicht nur nach der Intensität der Gefahr, sondern auch nach den Sicherungserwartungen des Verkehrs. Werden Gefahren für Kinder durch die gebotene Beaufsichtigung von dritter Seite gewissermaßen neutralisiert, so reduzieren sich entsprechend auch die Sicherungserwartungen an den Grundstückseigentümer, der auf eine solche Beaufsichtigung vertrauen darf (vgl. Senat, Urteile vom 23. Mai 1995 - VI ZR 384/94, VersR 1995, 973, juris Rn. 19; vom 20. September 1994 - VI ZR 162/93, NJW 1994, 3348, juris Rn. 16; vom 28. April 1992 - VI ZR 314/91, NJW-RR 1992, 981, juris Rn. 18; Wagner, in: MüKo-BGB, 8. Aufl., § 823 Rn. 489, 492; Hager, in: Staudinger [2009], § 823 BGB Rn. E 45).

[13] bb) Der Beklagte durfte sich unter den Umständen des vorliegenden Falles darauf verlassen, dass Kleinkinder so beaufsichtigt werden, dass sie jedenfalls nicht in abgestellte Pferdeanhänger oder -transporter von Turnierteilnehmern gelangen können.

[14] (1) Der Umfang der gebotenen Aufsicht über Minderjährige bestimmt sich nach deren Alter, Eigenart und Charakter, wobei sich die Grenze der erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen danach richtet, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen in der konkreten Situation tun müssen, um Schädigungen zu verhindern (vgl. Senat, Urteile vom 24. März 2009 - VI ZR 51/08, NJW 2009, 1952 Rn. 8; vom 19. Januar 1993 - VI ZR 117/92, NJW 1993, 1003, juris Rn. 8; vom 29. Mai 1990 - VI ZR 205/89, BGHZ 111, 282, juris Rn. 19; jeweils mwN). Das Maß der geschuldeten Aufsicht erhöht sich mit der Gefahrträchtigkeit der konkreten Situation. Spielen Kinder in der Nähe von Straßen oder in der Nähe gefährlicher Gegenstände, ist mehr Aufsicht angebracht als innerhalb eines abgegrenzten, risikoarmen Bereichs (vgl. Huber, in: MüKo-BGB, 8. Aufl., § 1631 Rn. 8). Kleinkinder bedürfen ständiger Aufsicht, damit sie sich nicht Gefahren in ihrer Umgebung aussetzen, die sie aufgrund ihrer Unerfahrenheit und Unbesonnenheit noch nicht erkennen und beherrschen können. Diese Gefahren sind für sie allgegenwärtig; sie können schon aus Gegebenheiten erwachsen, die für jeden anderen gänzlich ungefährlich sind (vgl. Senat, Urteil vom 20. September 1994 - VI ZR 162/93, NJW 1994, 3348, juris Rn. 15). Daher gesteht die Rechtsprechung Kindern erst ab einem Alter von vier Jahren einen Freiraum zu, wobei allerdings eine regelmäßige Kontrolle in kurzen Zeitabständen für erforderlich gehalten wird (vgl. Senat, Urteil vom 24. März 2009 - VI ZR 51/08, NJW 2009, 1952 Rn. 14; Kerscher, in: BeckOGK BGB, [1.9.2020], § 1631 Rn. 49).

[15] Daher hätte - wovon auch das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen ist - ein Kleinkind unter Berücksichtigung der Art der besuchten Veranstaltung und der örtlichen Gegebenheiten so beaufsichtigt werden müssen, dass es jedenfalls nicht aus dem Blick gelassen wird und gegebenenfalls sofort an die Hand genommen werden kann.

[16] (2) Wird eine Beaufsichtigung von Kleinkindern nicht lückenlos durchgeführt, dann handelt es sich grundsätzlich um ein Aufsichtsversagen der Eltern oder anderer mit der Beaufsichtigung betrauter Personen. Die bloße Möglichkeit eines solchen Versagens legt dem verkehrssicherungspflichtigen Grundstückseigentümer nicht schon die Pflicht auf, den Gefahren auch aus derartigen Aufsichtsversäumnissen zu begegnen. Dazu besteht erst Anlass, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung bestehen (vgl. Senat, Urteile vom 20. September 1994 - VI ZR 162/93, NJW 1994, 3348, juris Rn. 17; vom 28. April 1992 - VI ZR 314/91, NJW-RR 1992, 981, juris Rn. 19).

[17] Es sind keine Umstände und kein Vortrag festgestellt, wonach dem Beklagten bekannt gewesen wäre oder hätte bekannt sein müssen, dass (Klein-) Kinder sich unbefugt und ohne gehörige Aufsicht in den Bereich der von Turnierteilnehmern abgestellten Pferdetransporter sowie -anhänger begaben und diese sogar betraten. Dies ergibt sich insbesondere nicht aus dem Vortrag der Klägerinnen, es sei augenscheinlich gewesen, dass Pferdetransporter und -anhänger wegen der hohen Temperaturen geöffnet gewesen seien und dass auch Kinder auf den neben dem Weg ausgestellten Fahrzeugen gesessen sowie gespielt hätten. Die Klägerinnen zeigen keinen darüberhinausgehenden erheblichen Instanzvortrag auf. Aus den Angaben einer Zeugin, auf die sich der Klägervertreter auch in der Berufungsbegründung bezogen hat, ergibt sich nur, dass zwei kleine Kinder über den Springplatz rannten, danach zu einem Anhänger liefen, wo auch Leute mit ihren Klappstühlen saßen, und dann eine Frau eines der Kinder auf dem Arm trug. Was die Kinder auf der Abstellwiese bei den Pferdeanhängern machten, konnte die Zeugin nicht sehen. Daraus könnte schon nicht tragfähig geschlossen werden, dass sich Kinder unbefugt und ohne gehörige Aufsicht in den Bereich der abgestellten Pferdetransporter sowie -anhänger begeben und diese sogar betreten hätten (vgl. etwa Senat, Urteil vom 28. April 1992 - VI ZR 314/91, NJW-RR 1992, 981, juris Rn. 25).

[18] cc) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hätte der Beklagte nicht durch eine Aufsicht sicherstellen müssen, dass jedenfalls ältere Kinder sich den Pferden nicht unbeaufsichtigt nähern.

[19] (1) Das Berufungsgericht hat insoweit ausgeführt, dass ein noch nicht drei Jahre altes Kind beim Besuch eines Reitturniers wie dem vorliegenden praktisch ständig an der Hand gehalten werden müsse. Auch bei größeren Kindern sei eine Aufsicht erforderlich, aber - je nach Alter - in etwas geringerem Umfang. Ein etwas älteres Kind könne sich durchaus einmal kurzfristig von den Eltern entfernen. Gerade bei einem Kind in diesem Alter könne es auch vorkommen, dass es sich plötzlich der Aufsicht völlig entziehe. Aber auch bei noch älteren Kindern ab etwa neun Jahren seien spontane Verhaltensweisen möglich, die das Kind in eine von ihm nicht einzuschätzende Gefahr bringen könnten. Das Turnier sei von vielen Personen mit Kindern unterschiedlichen Alters besucht worden. Aufgrund der hohen Temperaturen seien alle Pferdeanhänger geöffnet gewesen, was bekannt, bei der Planung aber nicht vorgesehen gewesen sei. Es sei anzunehmen, dass auch nach Vorstellung des Beklagten Besucher durchaus wegen ausgestellter Maschinen auch diese Bereiche des Wegs oder der angrenzenden Wiese hätten betreten sollen. Deshalb habe damit gerechnet werden müssen, dass Kinder, die die ausgestellten Fahrzeuge besichtigten, auch in den angrenzenden Bereich kommen würden, in dem Pferde in Transportern oder Anhängern untergebracht seien. Ein solches Verhalten der Kinder sei umso wahrscheinlicher, sobald die Pferdeanhänger wegen der Temperaturen geöffnet worden seien. Es sei vorhersehbar, dass Kinder durch offene Pferdeanhänger angeregt werden könnten, die Tiere zu streicheln oder zu füttern, was erhebliche Risiken begründe. Der Beklagte hätte sicherstellen müssen, dass jedenfalls Kinder sich den Pferden nicht unbeaufsichtigt näherten. Es hätte genügt, wenn eine Aufsichtsperson im Bereich der offenen Anhänger ihren Standort öfters gewechselt hätte, um zu kontrollieren und bei der Annäherung von Kindern eingreifen zu können. Der durch diese Pflicht geschützte Personenkreis umfasse alle Kinder, bei denen aufgrund ihres jungen Alters habe damit gerechnet werden müssen, dass sie dazu neigen könnten, sich in die Nähe der Pferde zu begeben. Auf die Frage, ob ein Erwachsener, der sich so verhalten hätte, sich auf die Verkehrssicherungspflichtverletzung berufen könne, komme es nicht an. Das verletzte Kind sei nicht aus diesem geschützten Personenkreis auszugrenzen. Es entspreche nicht Sinn und Zweck der Verkehrssicherungspflichten, den Schutzzweckzusammenhang eng zu fassen. Wenn eine Verkehrssicherungspflicht unter dem Gesichtspunkt des unbesonnenen Verhaltens von Kindern, die sich in Bereiche begeben könnten, wo ihnen Gefahren drohten, begründet sei, sei es nicht gerechtfertigt, aus diesem Schutzbereich solche Kinder auszugrenzen, die sich zwar ebenso unbesonnen verhalten und ähnlich schnell bewegen könnten, aber eigentlich von den Eltern so intensiv beaufsichtigt werden müssten, dass bereits diese Aufsichtspflicht die Gefahr vermeiden sollte. Der Umstand, dass der Veranstalter grundsätzlich davon habe ausgehen dürfen, dass kleine Kinder lückenlos beaufsichtigt würden, führe deshalb auch nicht zu einer Neutralisation der Verkehrssicherungspflicht. Der Beklagte habe zum einen die Möglichkeit einkalkulieren müssen, dass sich kleinere Kinder der Aufsicht ihrer Eltern entziehen könnten, und zum anderen berücksichtigen müssen, dass auch ältere Kinder anwesend gewesen seien, bei denen man sich nicht habe darauf verlassen können, dass sie lückenlos beaufsichtigt würden.

[20] (2) Die Auffassung des Berufungsgerichts, der Beklagte hätte durch eine Aufsicht sicherstellen müssen, dass jedenfalls Kinder sich den Pferden nicht unbeaufsichtigt näherten, beruht auf Rechtsfehlern.

[21] (a) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist bei älteren Kindern nicht generell eine Aufsicht in geringerem Umfang erforderlich. Denn der Umfang der gebotenen Aufsicht über Minderjährige bestimmt sich nach deren Alter, Eigenart und Charakter, wobei sich die Grenze der erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen danach richtet, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen in der konkreten Situation tun müssen, um Schädigungen zu verhindern. Daher gesteht die Rechtsprechung Kindern ab einem Alter von vier Jahren einen Freiraum zu, wobei allerdings eine regelmäßige Kontrolle in kurzen Zeitabständen für erforderlich gehalten wird (siehe oben B.I.1.b.bb.(1).). Wie weit der Freiraum reicht, hängt von der konkreten Situation ab. Deren Umstände hat das Berufungsgericht zwar festgestellt und ausgeführt, es sei vorhersehbar gewesen, dass Kinder Kontakt zu den Pferden aufnehmen könnten. Daraus hat das Berufungsgericht jedoch nur Verhaltenspflichten des Beklagten abgeleitet und nicht berücksichtigt, welche Konsequenzen sich für die gebotene Beaufsichtigung von Kindern ergeben, auf die der Beklagte vertrauen durfte.

[22] Außerdem hätte berücksichtigt werden müssen, dass sich ältere Kinder einer erkennbaren Gefahr aus ihrem natürlichen Angstgefühl nicht bewusst aussetzen (vgl. Senat, Urteile vom 4. Mai 1999 - VI ZR 379/98, NJW 1999, 2364, juris Rn. 11; vom 14. März 1995 - VI ZR 34/94, NJW 1995, 2631, juris Rn. 13, mwN; Hager, in: Staudinger [2009], § 823 BGB Rn. E 45).

[23] (b) Der Beklagte durfte davon ausgehen, dass auch ältere Kinder, die noch kein ausreichendes Gefahren- und Verantwortungsbewusstsein haben, sich nicht unbefugt und ohne gehörige Aufsicht in den Bereich der abgestellten Pferdetransporter sowie -anhänger begeben und diese sogar betreten. Denn die damit verbundenen Gefahren waren nach den Feststellungen nicht nur für den Beklagten, sondern auch für die Besucher des Reitturniers offensichtlich. Daher hätten Aufsichtspersonen Kindern ohne ausreichendes Gefahren- und Verantwortungsbewusstsein keinen Freiraum gewähren dürfen, der es ihnen ermöglicht hätte, in einen Pferdetransporter oder -anhänger von Turnierteilnehmern zu gelangen (vgl. etwa Senat, Urteil vom 28. April 1992 - VI ZR 314/91, NJW-RR 1992, 981, juris Rn. 18: umzäunter Pferdekral).

[24] Der Hinweis des Berufungsgerichts, gerade bei einem älteren Kind könne es auch vorkommen, dass es sich plötzlich der Aufsicht entzieht, ist zwar zutreffend. Allein daraus folgt jedoch noch nicht, dass ein Verkehrssicherungspflichtiger kein Vertrauen in die gebotene Beaufsichtigung haben darf. Abweichendes ergibt sich nicht aus dem Hinweis des Berufungsgerichts auf das Senatsurteil vom 29. Oktober 1974 (VI ZR 159/73, VersR 1975, 133). Denn nach den Feststellungen, die dieser Entscheidung zugrunde liegen, konnte - für den Verkehrssicherungspflichtigen erkennbar - in der konkreten Situation durch die Anwesenheit einer Aufsichtsperson nicht gewährleistet werden, dass sich das Kind nicht plötzlich dessen Aufsicht entzieht und in unmittelbarem örtlichen sowie zeitlichen Zusammenhang verletzt wird. Dies ist hier ersichtlich nicht der Fall.

[25] (c) Daher kann offenbleiben, ob es eine geeignete Sicherungsmaßnahme gewesen wäre, dass eine Aufsichtsperson im Bereich der offenen Anhänger ihren Standort öfters gewechselt hätte, um zu kontrollieren und bei der Annäherung von Kindern eingreifen zu können. Die Rechtsfrage, inwieweit das verletzte (Klein-) Kind in den Schutzbereich einer Verkehrssicherungspflicht, die sich aus dem Schutzbedürfnis älterer Kinder ergibt, einbezogen wäre, stellt sich im vorliegenden Fall nicht (vgl. dazu Hager, in: Staudinger [2009], § 823 BGB Rn. E 41).

[26] dd) Abweichendes ergibt sich schließlich nicht aus dem von den Klägerinnen als übergangen gerügten, unter Sachverständigenbeweis gestellten Vortrag, das Positionieren von offenen Pferdeanhängern rund um die Reitplätze inmitten der Zuschauer sei unüblich und entspreche nicht dem Sicherheitsstandard von Reitsportturnieren. Vielmehr sei es im Vereinspferdesport üblich, die Aufenthaltsbereiche der Pferde abzugrenzen und zu sichern. Denn nach den Feststellungen positionierte die Klägerin zu 1 ihren Pferdeanhänger nicht inmitten der Zuschauer, sondern auf einer Wiese, die der Beklagte den Turnierteilnehmern für das Abstellen von Fahrzeugen zur Verfügung stellte. Aufgrund dieser räumlichen Anordnung der Pferdetransporter und -anhänger war zu erkennen, worauf sich der zugehörige Aufenthaltsbereich der Pferde erstreckte. Dies reichte unter den gegebenen Umständen zur Verkehrssicherung aus.

[27] 2. Entgegen der Auffassung der Klägerinnen steht der Klägerin zu 1 gegen den Beklagten auch kein Anspruch aus einem Auslobungsverhältnis zu (vgl. dazu BGH, Urteil vom 23. September 2010 - III ZR 246/09, BGHZ 187, 86 Rn. 11 ff.). Die sich daraus ergebenden Anforderungen zum Schutz der Klägerin zu 1 vor einer Haftung gegenüber Dritten wären jedenfalls nicht strenger als die Verkehrssicherungspflichten im Rahmen der deliktischen Haftung gemäß § 823 Abs. 1 BGB (siehe oben B.I.1.).

[28] II. Die Revisionen der Klägerinnen sind unbegründet.

[29] 1. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Klage unzulässig ist, soweit die Klägerin zu 2 die Feststellung beantragt, dass der Beklagte verpflichtet ist, auch sie von allen Ansprüchen freizustellen und ihr zukünftig noch zu leistende Zahlungen zu erstatten. Insoweit behauptet die Klägerin zu 2 kein gegenwärtiges Rechtsverhältnis im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO.

[30] Die Behauptung eines gegenwärtigen Rechtsverhältnisses zwischen den Parteien ist besondere Prozessvoraussetzung der Feststellungsklage. Für ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis genügen Beziehungen zwischen den Parteien, die schon zur Zeit der Klageerhebung die Grundlage bestimmter Ansprüche bilden. Nicht ausreichend ist dagegen ein Rechtsverhältnis, das noch nicht besteht, sondern erst in Zukunft unter Voraussetzungen, deren Eintritt noch völlig offen ist, entstehen kann. Die bloße Aussicht, einen Anspruch demnächst zu erwerben, begründet kein gegenwärtiges Rechtsverhältnis (vgl. Senat, Urteil vom 13. März 2001 - VI ZR 290/00, NJW-RR 2001, 957, juris Rn. 7 f. mwN).

[31] Im Streitfall begehrt die Klägerin zu 2 insoweit die Feststellung von Rechtsfolgen aus einem erst künftig entstehenden Rechtsverhältnis. Denn der Anspruchsübergang nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG, auf den die Klägerin zu 2 sich stützt, findet nur statt, soweit der Versicherer den Schaden ersetzt. Die vom Feststellungsantrag umfassten Ansprüche ständen ihr derzeit nicht gegen den Beklagten zu (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 1966 - III ZR 258/64, VersR 1966, 875, juris Rn. 17; Armbrüster, in: Prölss/Martin, VVG 31. Aufl., § 86 Rn. 66; Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO 17. Aufl., § 256 Rn. 34). Daher bestände insoweit auch (noch) kein Freistellungsanspruch (vgl. Senat, Urteil vom 25. April 1989 - VI ZR 146/88, NJW-RR 1989, 918, juris Rn. 19; Langheid, in: Rixecker/Langheid, 6. Aufl., § 86 VVG Rn. 28).

[32] 2. Gegen die Zulässigkeit des Feststellungsantrags (auch) der Klägerin zu 2, dass der Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin zu 1 freizustellen, bestehen keine Bedenken (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 1966 - III ZR 258/64, VersR 1966, 875, juris Rn. 17; Voit, in: Bruck/Möller, VVG 9. Aufl., § 86 Rn. 211; Armbrüster,

in: Prölss/Martin, VVG 31. Aufl., § 86 Rn. 66; Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO 17. Aufl., § 256 Rn. 34). Allerdings sind die zulässigen Feststellungsanträge der Klägerinnen unbegründet (siehe oben B.I.).

Seiters von Pentz Offenloch

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