BGH, Urteil vom 2. Juni 2022 - VII ZR 12/21

01.08.2022

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

Verkündet am:

2. Juni 2022

BoppelJustizamtsinspektorals Urkundsbeamterder Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


HOAI (2013) § 7 Abs. 5


§ 7 Abs. 5 HOAI (2013) ist unbeschadet des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 4. Juli 2019 (C-377/17) weiterhin anwendbar.


BGH, Urteil vom 2. Juni 2022 - VII ZR 12/21 - OLG Celle, LG Hannover


Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 2. Juni 2022 durch den Vorsitzenden Richter Pamp, die Richter

Halfmeier und Dr. Kartzke sowie die Richterinnen Graßnack und Sacher

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 16. Dezember 2020 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 18. Januar 2021 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

[1] Die klagende Wohnungseigentümergemeinschaft nimmt den von der

Beklagten als Alleinerbin beerbten früheren Beklagten (im Folgenden nur: Beklagter) auf Rückzahlung bereits gezahlten Honorars in Anspruch.

[2] Die Klägerin ließ Balkone und Terrassen ihres Objekts sanieren. Die

Baumaßnahme begann im Jahr 2015 und kam anschließend zum Stillstand. Die Klägerin beauftragte den Beklagten im März 2016 mündlich mit Ingenieurleistungen. Zwischen ihnen wurde ein Stundenhonorar von 65 € vereinbart. In einer außerordentlichen Eigentümerversammlung vom 20. September 2016 wurde ein Budget von 45.000 € "für Beratung, Technische Bearbeitungen und Ingenieurleistungen ab dem 30.03.2016 bis zum Bauende 1. Bauabschnitt, einschließlich Objektüberwachung (mit Abnahme und Rechnungsprüfung) gemäß HOAI 2016" sowie Aufstellung der Statik für das Geländer und die Prüfstatik beschlossen. In der Zeit vom 18. April 2016 bis zum 15. Mai 2017 stellte der Beklagte 12 Abschlagsrechnungen über insgesamt 71.764,61 €, denen jeweils eine detaillierte Stundenaufstellung, getrennt nach Ingenieur- und Architektentätigkeit, beigefügt war. Die Rechnungen wurden von der Klägerin vollständig bezahlt. Ende März 2017 stellte der Beklagte wegen eines eingetretenen Vertrauensverlusts seine Arbeiten für die Klägerin ein.

[3] Mit anwaltlichem Schreiben vom 25. Februar 2019 forderte die Klägerin den Beklagten zur Vorlage einer HOAI-konformen Schlussrechnung auf. Mit weiterem anwaltlichem Schreiben vom 6. Juni 2019 kündigte die Klägerin den Vertrag mit dem Beklagten und wiederholte ihren Abrechnungswunsch, dem der Beklagte widersprach.

[4] Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass mit dem auf Antrag des Beklagten gefassten Beschluss der Wohnungseigentümer vom 20. September 2016 ein Honoraranspruch nach der HOAI vereinbart worden sei. Der Beklagte hat sich auf den Standpunkt gestellt, es sei lediglich eine Stundenlohnvereinbarung getroffen worden. Eine von ihm dennoch erstellte Honorarabrechnung weise einen noch offenen Honoraranspruch in Höhe von 6.704,69 € aus.

[5] Die Klägerin errechnete demgegenüber eine Überzahlung in Höhe von 40.508,92 €, die sie mit der Klage geltend gemacht hat. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin, mit der sie ihren Zahlungsanspruch weiterverfolgt hat, ist erfolglos geblieben.

[6] Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

[7] Die Revision der Klägerin hat Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht.

[8] Auf das Schuldverhältnis ist das Bürgerliche Gesetzbuch in der Fassung anzuwenden, die für ab dem 1. Januar 2002 und bis zum 31. Dezember 2017 geschlossene Verträge gilt, Art. 229 § 5 Satz 1, § 39 EGBGB; ferner ist die mit Wirkung vom 17. Juli 2013 in Kraft getretene Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen in der Fassung vom 10. Juli 2013 (im Folgenden: HOAI) anzuwenden, §§ 57, 58 HOAI.

[9] I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin und der Beklagte hätten im März 2016 unstreitig mündlich eine Stundenvereinbarung in Höhe von 65 € geschlossen. Der Verstoß gegen die Formvorschrift des § 7 Abs. 1 HOAI führe nicht zur Unwirksamkeit einer mündlichen Honorarabrede auf Stundenbasis. Denn die Preisbindung der HOAI durch Mindest- und Höchstsätze widerspreche nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 4. Juli 2019 - C-377/17 - der Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG und sei damit unionsrechtswidrig. Da das Schriftformerfordernis des § 7 Abs. 1 HOAI dem Ziel diene, ein Abweichen von den Mindest- und Höchstsätzen zu erschweren, was seit dem EuGH-Urteil nicht mehr legitim sei, beziehe sich der Anwendungsvorrang des Unionsrechts auf den gesamten § 7 Abs. 1 HOAI. § 7 Abs. 5 HOAI sei gleichfalls nicht mehr anzuwenden.

[10] Soweit die Klägerin erstmals in der mündlichen Verhandlung am

17. November 2020 behauptet habe, die mündliche Stundenlohnabrede sei bis zur Eigentümerversammlung am 20. September 2016 zeitlich befristet gewesen, habe der Beklagte dies bestritten. Dem von der Klägerin hierzu beantragten

Zeugenbeweis sei nicht nachzugehen gewesen. Denn die Klägerin sei mit ihrem diesbezüglichen Vorbringen gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO präkludiert. Sie hätte die angebliche Befristung der Vergütungsabrede auf Stundenlohnbasis bereits in erster Instanz vorbringen können und müssen. Dies sei aus Nachlässigkeit unterblieben.

[11] Es sei nicht ersichtlich, dass die Parteien abweichend von ihrer ursprünglichen Stundenlohnvereinbarung eine Abrechnung nach den HOAI-Vorschriften vereinbart hätten. Die Beschlussfassung in der Eigentümerversammlung vom

20. September 2016 habe nach ihrem Wortlaut eindeutig dazu gedient, sicherzustellen, dass für die Tätigkeiten des Beklagten ein hinreichendes Budget zur Verfügung gestellt werde. Die mündliche Stundenlohnvereinbarung werde überhaupt nicht erwähnt, was aber angezeigt gewesen wäre, wenn man sie hätte abändern wollen. Auch der Stichtag, ab wann die veränderte Abrede habe gelten sollen, hätte bestimmt werden müssen. Der Beklagte habe bis zum 20. September 2016 bereits Tätigkeiten entfaltet und sechs Abschlagsrechnungen gelegt. Die Bezahlung der Abschlagsrechnungen seitens der WEG-Verwaltung sei ein gewichtiges Indiz dafür, dass die Stundenlohnvereinbarung von den Eigentümern gewollt gewesen sei.

[12] II. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

[13] Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann der von der Klägerin geltend gemachte Zahlungsanspruch nicht abgelehnt werden.

[14] Es kann dahinstehen, ob - wie die Klägerin vorträgt - die im März 2016 mündlich mit dem Beklagten getroffene Stundenlohnvereinbarung zeitlich befristet gewesen ist und ob dem Beschluss der Wohnungseigentümerversammlung vom 20. September 2016 mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, dass mit dem Beklagten eine Honorarvereinbarung auf der Grundlage der Mindestsätze getroffenen werden sollte. Denn es fehlt gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 HOAI an einer schriftlichen Honorarvereinbarung bei Auftragserteilung (dazu unter 1.). Nach § 7 Abs. 5 HOAI wird danach unwiderleglich vermutet, dass die jeweiligen Mindestsätze gemäß § 7 Abs. 1 HOAI vereinbart sind. Diese Vorschrift ist unbeschadet des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 4. Juli 2019 (C-377/17) weiterhin anwendbar (dazu unter 2.).

[15] 1. Unstreitig ist der Beklagte im März 2016 durch den Verwalter der Klägerin mündlich unter Vereinbarung eines Stundensatzes mit bestimmten

Beratungs- und Ingenieurleistungen beauftragt worden. Selbst wenn der Vortrag der Klägerin zugrunde gelegt würde, dieser Auftrag sei zeitlich bis zu einer Beschlussfassung durch die Wohnungseigentümer befristet gewesen, fehlt es auch in der Folge am Abschluss einer schriftlichen Honorarvereinbarung im Sinne des § 7 Abs. 1 HOAI.

[16] Der Beschluss der Wohnungseigentümer vom 20. September 2016 vermag eine schriftliche Honorarvereinbarung nicht zu ersetzen. Ihm kommt entgegen der Auffassung der Revision nicht die Bedeutung einer vertraglichen Annahmeerklärung eines vom Beklagten unterbreiteten Angebots zu. Die Beschlussfassung der Wohnungseigentümer bildet lediglich die Legitimation für den Verwalter, entsprechend der im Beschluss zum Ausdruck kommenden Willensbildung der Wohnungseigentümer Rechtsgeschäfte mit Dritten abzuschließen, § 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG (in der bis zum 30. November 2020 geltenden Fassung). Es kann offenbleiben, ob sich aus dem Beschluss der Wohnungseigentümer vom 20. September 2016 eine hinreichende Ermächtigung des Verwalters ergab, einen schriftlichen Vertrag über Architekten- und Ingenieurleistungen mit dem Beklagten abzuschließen. Denn an der Umsetzung des Beschlusses der Wohnungseigentümer durch Abschluss eines entsprechenden Vertrags mit dem Beklagten fehlt es hier. Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ist zwischen der Klägerin, vertreten durch ihre Verwalterin, und dem Beklagten keine schriftliche Vereinbarung über die Erbringung von Beratungs- und Ingenieurleistungen geschlossen worden. Eine schriftliche Honorarvereinbarung existiert daher nicht.

[17] 2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist § 7 Abs. 5 HOAI aufgrund des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 4. Juli 2019 (C-377/17, BauR 2019, 1624 = NZBau 2019, 511 - Kommission/Deutschland), durch das festgestellt worden ist, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (im Folgenden: Dienstleistungsrichtlinie) verstoßen hat, dass sie verbindliche Honorare für die Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren beibehalten hat, nicht unanwendbar geworden.

[18] a) Die Entscheidung des Gerichtshofs betrifft lediglich die in § 7 Abs. 1 HOAI enthaltene Bestimmung, nach der sich das Honorar für Architekten- und Ingenieurleistungen nach der schriftlichen Vereinbarung richtet, die die Vertragsparteien bei Auftragserteilung im Rahmen der durch diese Verordnung festgesetzten Mindest- und Höchstsätze treffen. § 7 Abs. 1 HOAI schränkt die Vertragsfreiheit der Vertragsparteien dahingehend ein, dass das Honorar innerhalb des Rahmens der durch die Verordnung vorgegebenen Mindest- und Höchstsätze zu vereinbaren ist. Die Vorschrift des § 7 Abs. 5 HOAI ist dagegen in ihrer Funktion als Folgeregelung für den Fall, dass die Honorarvereinbarung der Vertragsparteien den in § 7 Abs. 1 HOAI weiter enthaltenen Formvorgaben nicht genügt, nicht Teil des verbindlichen Preisrechts der HOAI. Sie beschränkt ihrem Regelungsgehalt nach nicht die Möglichkeit der Parteien, eine Vergütung abweichend von dem in der HOAI geregelten verbindlichen Preisrahmen zu vereinbaren.

[19] b) Die Annahme des Berufungsgerichts, die Unanwendbarkeit des § 7 Abs. 5 HOAI im Verhältnis zwischen Privatpersonen ergebe sich daraus, dass § 7 Abs. 1 HOAI als unionsrechtswidrige Vorschrift insgesamt nicht mehr anwendbar sei und aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen den Regelungen in § 7 Abs. 1 und Abs. 5 HOAI daher auch die letztgenannte Vorschrift unanwendbar sein müsse (vgl. auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 17. September 2019 - 23 U 155/18, BauR 2019, 1963 = NZBau 2020, 398, juris Rn. 25), trifft nicht zu.

[20] Dies gilt schon deshalb, weil nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 18. Januar 2022 (C-261/20, BauR 2022, 527 = NZBau 2022, 103 - Thelen Technopark Berlin) feststeht, dass der Senat in einem Rechtsstreit, in dem sich - wie hier - ausschließlich Privatpersonen gegenüberstehen, nicht aufgrund Unionsrechts verpflichtet ist, das verbindliche Mindestsatzrecht der HOAI unangewendet zu lassen (vgl. Senatsurteil vom 2. Juni 2022 - VII ZR 174/19 unter II. 2.).

[21] c) Gegen die Wirksamkeit von § 7 Abs. 5 HOAI bestehen auch im Übrigen keine Bedenken. Die Dienstleistungsrichtlinie enthält schon keine Vorschriften, die einer im nationalen Recht vorgeschriebenen Schriftform für bestimmte Dienstleistungsverträge entgegenstehen. Im Hinblick auf die mit der Schriftform für Honorarvereinbarungen gemäß § 7 Abs. 1 HOAI zu gewährleistende Klarstellungs- und Beweisfunktion (vgl. BT-Drucks. VI/1549, S. 14) ist die damit einhergehende Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit im Binnenmarkt nicht als unverhältnismäßig zu bewerten. Soweit für den Fall, dass die Schriftform bei Auftragserteilung nicht eingehalten worden ist, gemäß § 7 Abs. 5 HOAI unwiderleglich vermutet wird, dass die jeweiligen Mindestsätze gemäß § 7 Abs. 1 HOAI vereinbart sind, dient die Vorschrift der Ausfüllung der aufgrund der Nichteinhaltung der Formvorgaben und der hierdurch bewirkten Unwirksamkeit der Honorarvereinbarung entstandenen Vertragslücke. Veranlassung für ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union besteht insoweit nicht.

[22] 3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts kann danach keinen Bestand haben. Sie ist aufzuheben und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO), weil das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - zu Grund und Höhe der dem Beklagten zustehenden Honorarforderung und eines sich daraus etwa ergebenden Rückzahlungsanspruchs der Klägerin keine Feststellungen getroffen hat und der Rechtsstreit daher nicht zur Endentscheidung reif ist.

Pamp Halfmeier Kartzke

Graßnack Sacher

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