BGH, Urteil vom 21. Dezember 2021 - VI ZR 457/20

15.02.2022

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

Verkündet am:

21. Dezember 2021

OlovcicJustizangestellteals Urkundsbeamtinder Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


BGB § 393; ZPO § 256 Abs. 1


Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse an der Feststellung des Rechtsgrundes der unerlaubten Handlung kann sich aus dem Aufrechnungsverbot des § 393 BGB ergeben.


BGH, Urteil vom 21. Dezember 2021 - VI ZR 457/20 - OLG Karlsruhe, LG Mosbach


Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO unter Berücksichtigung bis zum 19. November 2021 eingegangener Schriftsätze durch den Vorsitzenden Richter Seiters, die Richterinnen von Pentz und Dr. Oehler sowie die Richter Dr. Klein und Böhm

für Recht erkannt:

Auf die Rechtsmittel des Klägers werden das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Mosbach vom 14. Januar 2019 teilweise abgeändert und das Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 24. März 2020 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Antrag des Klägers auf Feststellung, dass der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz (Klageantrag Ziff. 1) aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt, abgewiesen worden ist.

Es wird festgestellt, dass der Anspruch des Klägers auf Zahlung von Schadensersatz (Klageantrag Ziff. 1) aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt, soweit der Kläger nicht zwischenzeitlich die Klage zurückgenommen hat.

Die Gerichtskosten des Revisionsverfahrens tragen der Kläger zu 78 % und die Beklagte zu 22 %. Die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens bis zur teilweisen Klagerücknahme am 15. Oktober 2021 tragen der Kläger zu 78 % und die Beklagte zu 22 %. Die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens ab dem 16. Oktober 2021 trägt die Beklagte.

Die Kosten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens tragen - unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich erfolgten teilweisen Klagerücknahme - der Kläger zu 41 % und die Beklagte zu 59 %.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

[1] Der Kläger nimmt, soweit für das Revisionsverfahren noch relevant, den beklagten Fahrzeughersteller wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung auf Feststellung in Anspruch.

[2] Der Kläger erwarb im September 2011 von einem Autohaus einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten PKW VW Golf 1.6 l TDI. Das Fahrzeug ist mit einem ebenfalls von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet. Die die Abgasrückführung des Motors steuernde Software erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird, und schaltete in diesem Fall in einen Abgasrückführungsmodus mit niedrigem Stickoxidausstoß, wodurch die gesetzlich geforderten Stickoxid-Grenzwerte eingehalten wurden. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltete der Motor dagegen in einen Abgasrückführungsmodus mit höherem Stickoxidausstoß. Nach entsprechender Beanstandung durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) entwickelte die Beklagte ein Software-Update für die Steuerungssoftware. Der Kläger ließ das Update durchführen.

[3] Der Kläger hat zuletzt die Erstattung des Kaufpreises zuzüglich Delikts- und Rechtshängigkeitszinsen Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs und Zahlung eines Nutzungsersatzes (Klageantrag Ziff. 1), die Feststellung des Annahmeverzugs (Klageantrag Ziff. 2), die Feststellung, dass der im Klageantrag Ziff. 1 bezeichnete Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrühre (Klageantrag Ziff. 3) und schließlich den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten (Klageantrag Ziff. 4) beantragt.

[4] Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht das landgerichtliche Urteil abgeändert und der Klage hinsichtlich des Klageantrags Ziff. 1 (unter Anrechnung einer höheren Nutzungsentschädigung) sowie des Klageantrags Ziff. 2 stattgegeben; die weitergehende Berufung des Klägers hat es zurückgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits hat es zu 30 % dem Kläger, zu 70 % der Beklagten auferlegt. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Feststellungsbegehren aus dem Klageantrag Ziff. 3 weiter. Hinsichtlich der Deliktszinsen aus Klageantrag Ziff. 1 sowie des Annahmeverzugs (Klageantrag Ziff. 2) hat der Kläger mit Schriftsatz vom 15. Oktober 2021 auf die insoweit zunächst ebenfalls geführte Revision der Beklagten mit deren Zustimmung die Klage zurückgenommen.

Entscheidungsgründe:

[5] I. Das Berufungsgericht (Az. 17 U 122/19, juris, BeckRS 2020, 14813) hat zwar den Klageantrag Ziff. 1 aus §§ 826, 31 BGB überwiegend zugesprochen, die Klage hinsichtlich des hier relevanten Klageantrags Ziff. 3 aber mangels bestehenden Feststellungsinteresses für unzulässig gehalten.

[6] Zwar könne im Wege der Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO auf Feststellung geklagt werden, dass eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung vorliege. Für die Frage, ob eine solche Klage Erfolg habe, sei allein erforderlich, dass der Kläger ein rechtliches Interesse an der Feststellung habe und das behauptete Rechtsverhältnis in Wirklichkeit bestehe. Das Feststellungsinteresse ergebe sich bei einem Anspruch aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung indes aus den erweiterten Vollstreckungsmöglichkeiten des § 850f Abs. 2 ZPO oder § 302 Nr. 1 InsO. Diese lägen im Streitfall nicht vor. Denn der Beklagten stehe als juristischer Person weder die Möglichkeit der Restschuldbefreiung offen noch komme eine Vollstreckung in den pfändbaren Teil ihres Arbeitseinkommens in Betracht. Weiteren, das Feststellungsinteresse zu begründen geeigneten Vortrag habe der Kläger nicht gehalten.

[7] II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Der Feststellungsantrag des Klägers ist zulässig und begründet.

[8] 1. Die Klage auf Feststellung, dass eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung vorliegt, betrifft ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 ZPO (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 1989 - III ZR 215/88, BGHZ 109, 275, 276, juris Rn. 7; Beschluss vom 3. März 2016 - IX ZB 33/14, BGHZ 209, 168 Rn. 23). Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis alsbald festgestellt werde. Ein solches Interesse ist gegeben, wenn dem konkreten vom Feststellungsantrag betroffenen Recht des Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht und der erstrebte Feststellungsausspruch geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (st. Rspr., zuletzt Senatsurteil vom 5. Oktober 2021 - VI ZR 136/20, WM 2021, 2208 Rn. 15 mwN).

[9] Das Interesse an der Feststellung, eine bestimmte Forderung stamme aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, folgt allgemein aus dem Umstand, dass der Forderungsgrund nicht ohne weiteres Teil des Titels über den Bestand der Forderung wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. April 2005 - VII ZB 17/05, NJW 2005, 1663, juris Rn. 7; vom 6. September 2012 - VII ZB 84/10, NJW 2013, 239, juris Rn. 10), sich im Falle einer Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung aber aus eben diesem Forderungsgrund Privilegien des Forderungsinhabers ergeben können. Dies ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt etwa für die erweiterten Vollstreckungsmöglichkeiten des § 850f Abs. 2 ZPO oder § 302 Nr. 1 InsO (vgl. BGH, Beschluss vom 3. März 2016 - IX ZB 33/14, BGHZ 209, 168 Rn. 23; Urteil vom 2. Dezember 2010 - IX ZR 41/10, ZIP 2011, 39, 40, juris Rn. 7; Beschluss vom 26. September 2002 - IX ZB 180/02, BGHZ 152, 166, 168 ff., juris Rn. 6 ff.). Insoweit hat das Berufungsgericht zutreffend erkannt, dass diese erweiterten Vollstreckungsmöglichkeiten den Kläger im Verhältnis zur Beklagten nicht zu privilegieren vermögen, da der Beklagten als juristischer Person weder die Möglichkeit der Restschuldbefreiung offensteht (vgl. § 286 InsO) noch der Pfändungsschutz des § 850f Abs. 1 ZPO greift.

[10] Das Feststellungsinteresse des Klägers folgt hier jedoch, wie von ihm auch ausdrücklich geltend gemacht, aus § 393 BGB (vgl. auch OLG Hamm, Urteil vom 18. August 2020 - 34 U 150/19, juris Rn. 80; OLG Köln, Urteil vom 8. Juli 2020 - 16 U 183/19, juris Rn. 35; Beschluss vom 25. Juni 2020 - 19 U 25/20, juris Rn. 11; jeweils zum sog. Dieselskandal; vgl. weiter OLG Frankfurt, ZIP 2009, 271, 272, juris Rn. 27). Danach ist die Aufrechnung gegen eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung nicht zulässig. Die Vorschrift gilt auch für eine juristische Person, die für die vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung eines verfassungsmäßig berufenen, in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen tätig werdenden Vertreters nach § 31 BGB haftet (BGH, Urteil vom 3. Mai 2007 - IX ZR 218/05, BGHZ 172, 169 Rn. 8). Da die Voraussetzung des Aufrechnungsverbots, also das Vorliegen einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung als Grund der Forderung, zur Beweislast des Forderungsinhabers steht (vgl. Senatsurteil vom 24. November 1998 - VI ZR 388/97, NJW 1999, 714, juris Rn. 14; BGH, Urteil vom 12. Oktober 1993 - XI ZR 155/92, NJW 1994, 252, 253, juris Rn. 18), kann auch im Hinblick auf § 393 BGB ein berechtigtes Interesse des Forderungsinhabers daran bestehen, den Forderungsgrund ergänzend bereits im Erkenntnisverfahren feststellen zu lassen.

[11] Im Streitfall ergibt sich die aus Sicht des Klägers ansonsten drohende Möglichkeit der Aufrechnung durch die Beklagte und damit die gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit für seine privilegierte Forderung schon verfahrensimmanent aus dem prozessualen Kostenerstattungsanspruch der Beklagten gegen den Kläger, wie ihn das Berufungsgericht selbst ausgesprochen hat. Es besteht kein sachlicher Grund dafür, den Streit über den Rechtsgrund der Forderung nach Abgabe einer etwaigen Aufrechnungserklärung durch die Beklagte erneut führen zu müssen (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2010 - IX ZR 247/09, BGHZ 187, 337 Rn. 8 zum Feststellungsinteresse im Hinblick auf § 302 Nr. 1 InsO).

[12] 2. Der Feststellungsantrag ist auch begründet; das behauptete Rechtsverhältnis besteht. Der Zahlungsanspruch aus Klageantrag Ziff. 1 folgt, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung der Beklagten, nämlich aus einer sittenwidrigen vorsätzlichen

Schädigung des Klägers durch die Beklagte, §§ 826, 31 BGB (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 13 ff. mwN).

Seiters von Pentz Oehler

Klein Böhm

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