BGH, Urteil vom 23. April 2021 - V ZR 147/19

07.06.2021

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

Verkündet am:

23. April 2021

RinkeJustizangestellteals Urkundsbeamtinder Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


GG Art. 3 Abs. 1; TreuhG § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 6


a) Die zur Umsetzung von § 1 Abs. 6 TreuhG erlassenen Privatisierungsgrundsätze 2010 erlangen nicht schon durch ihre Veröffentlichung, sondern nur durch eine entsprechende ständige Praxis der BVVG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und nur in deren Rahmen gegenüber Erwerbern Außenwirkung.

b) Deshalb kann die BVVG gegenüber einem Erwerber nur bei einer entsprechenden Praxis verpflichtet sein, auf dessen Verlangen ein Verkehrswertgutachten für die anzukaufenden Flächen einzuholen und ihm die Flächen zu dem in dem eingeholten Gutachten ermittelten Wert zu verkaufen.


BGH, Urteil vom 23. April 2021 - V ZR 147/19 - KG Berlin, LG Berlin


Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 22. Januar 2021 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterin Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, den Richter Dr. Göbel, die Richterin Haberkamp und den Richter Dr. Hamdorf

für Recht erkannt:

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Kammergerichts vom 26. April 2019 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

[1] Die Kläger führten Anfang August 2012 in der zuständigen Niederlassung der beklagten BVVG ein Gespräch über den Erwerb der von ihnen bewirtschafteten landwirtschaftlichen Flächen nach den "Grundsätze(n) für die weitere Privatisierung der Flächen der BVVG", auf die sich der Bund und die Bundesländer im Beitrittsgebiet, ausgenommen Berlin, im Frühjahr 2010 verständigt hatten, (veröffentlicht auf der Webseite der BVVG: www.bvvg.de/wp-content/uploads/2019/10/Privatisierungsgrundsaetze.pdf - fortan Privatisierungsgrundsätze 2010 oder PG 2010) und kauften die Flächen mit notariellem Vertrag vom 11. Oktober 2012 für 5.615.019,06 €. Der Kaufvertrag wurde erfüllt. Mit anwaltlichem Schreiben vom 19. September 2016 vertraten die Kläger gegenüber der Beklagten die Auffassung, der Kaufpreis sei um 2.403.751,78 € überhöht gewesen und forderten die Beklagte erfolglos zur anteiligen Rückzahlung des Kaufpreises auf.

[2] Die Kläger behaupten, der Niederlassungsleiter der Beklagten habe ihnen bei dem Gespräch erklärt, der Kaufpreis sei nicht verhandelbar, es bestehe nur die Möglichkeit, den verlangten Preis zu zahlen oder das Erwerbsrecht bereits am 30. September 2012 zu verlieren. Jeglicher Versuch, den Kaufpreis durch ein Gutachten überprüfen zu lassen, sei erfolglos geblieben. Sie hätten nur die Wahl gehabt, die für ihren Milchviehbetrieb unverzichtbaren Flächen und damit ihre Existenzgrundlage zu verlieren oder den überhöhten Kaufpreis zu zahlen. Sie meinen, die Beklagte habe damit gegen die Regeln in Nr. 2.2.3 Abs. 5 PG 2010 verstoßen und hafte ihnen deshalb auf Schadensersatz. Die erwähnte Regelung der Grundsätze lautet:

"Die BVVG ermittelt den Kaufpreis entsprechend § 5 Abs. 1 FlErwV unter Berücksichtigung von Ausschreibungsergebnissen. Kommt eine Einigung über den Preis nicht zustande, kann ein Gutachten in Auftrag gegeben werden. Die BVVG wird die Gutachter mit dem als Anlage 2 beigefügten Schreiben beauftragen."

[3] Das Landgericht hat die Klage hinsichtlich der Anträge zu 1 (Rückzahlung des über dem Verkehrswert liegenden Teils des Kaufpreises) und zu 4 (vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten) für dem Grunde nach gerechtfertigt erklärt und sie hinsichtlich der Anträge zu 2 und 3 (anteilige Grunderwerbsteuerrückerstattung sowie Erwerbsnebenkosten) abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Kammergericht auch die Anträge zu 1 und 4 abgewiesen. Dagegen richtet sich die von dem Senat zugelassene Revision der Kläger, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt.

Entscheidungsgründe:

[4] I. Das Berufungsgericht, dessen Urteil in AUR 2019, 217 veröffentlicht ist, hält den Kaufvertrag für wirksam. Es liege weder ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot noch eine sittenwidrige Überhöhung des Kaufpreises vor. Auch Ansprüche wegen Verletzung vorvertraglicher Verpflichtungen schieden aus. Die Beklagte sei zwar an den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG gebunden. Sie müsse deshalb ihre potentiellen Vertragspartner vorvertraglich gleich behandeln. Sie hätte deshalb auch im Fall der Kläger ein Gutachten über den Verkehrswert einholen müssen, wenn über diesen Uneinigkeit bestanden und sie nach ihrer ständigen Verwaltungspraxis in solchen Fällen ein Gutachten eingeholt habe. An beidem fehle es. Die Beteiligten seien sich über den Kaufpreis offenbar einig gewesen. Die behauptete Verwaltungspraxis habe es schon nach dem eigenen Vortrag der Kläger seit mindestens 2011 nicht (mehr) gegeben. Es seien seitdem keine Gutachten über den Verkehrswert mehr eingeholt worden. Die Privatisierungsgrundsätze 2010 änderten daran nichts. Die Kläger hätten keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte verwaltungsinterne Regelungen einhalte. Maßgeblich sei allein, ob die Beklagte von ihrer ständigen Verwaltungspraxis abgewichen sei. Das sei nicht der Fall. Deshalb schieden Ansprüche schon dem Grunde nach aus.

[5] II. Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung stand. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Rückzahlung der Differenz zwischen dem vereinbarten Kaufpreis und dem von ihnen behaupteten Verkehrswert der erworbenen Flächen.

[6] 1. Zutreffend verneint das Berufungsgericht einen Rückzahlungsanspruch der Kläger aus ungerechtfertigter Bereicherung gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB. Der Kaufvertrag der Parteien ist weder insgesamt noch in Bezug auf die Kaufpreisabrede wegen eines Gesetzesverstoßes nach § 134 BGB oder eines Verstoßes gegen die guten Sitten (§ 138 Abs. 1 BGB) oder Wuchers (§ 138 Abs. 2 BGB) nichtig.

[7] a) Die Nichtigkeit oder Teilnichtigkeit des Kaufvertrages wegen eines Gesetzesverstoßes nach § 134 BGB scheidet aus. Die Privatisierungsgrundsätze 2010 sind kein Gesetz (vgl. Art. 2 EGBGB). Ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur Gleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 GG führte nur dann zur Nichtigkeit des Kaufvertrages oder der Kaufpreisabrede, wenn Art. 3 Abs. 1 GG den Vertrag oder die Kaufpreisabrede eindeutig nicht zuließe (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 2015 - XI ZR 214/14, BGHZ 205, 220 Rn. 12 für die willkürliche Kündigung eines Girovertrags). Das ist nicht der Fall. Der geltend gemachte Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG betrifft nicht den Inhalt des Kaufvertrages, sondern das Vorgehen der BVVG bei der Vorbereitung des Vertrages. Es kommt deshalb insoweit nur ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Verletzung vorvertraglicher Schutzpflichten in Betracht.

[8] b) Eine Nichtigkeit oder Teilnichtigkeit des Kaufvertrages als sog. wucherähnliches Rechtsgeschäft gemäß § 138 Abs. 1 BGB liegt nicht vor, weil zwischen dem von den Klägern behaupteten Wert der Grundstücke und dem vereinbarten Kaufpreis kein besonders grobes Missverhältnis besteht. Das setzte eine Überschreitung des Verkehrswerts um mehr als 90 % voraus (vgl. Senat, Urteile vom 24. Januar 2014 - V ZR 249/12, WM 2014, 1440 Rn. 8 und vom 15. Januar 2016 - V ZR 278/14, WM 2016, 1753 Rn. 7). Hier sind es aber nach dem Vortrag der Kläger "nur" rund 74 %. Weil eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten in einem solchen Fall nicht vermutet wird, käme eine Nichtigkeit nach § 138 BGB nur in Betracht, wenn eine verwerfliche Gesinnung der BVVG hervorgetreten wäre oder ähnlich gewichtige Umstände vorlägen (vgl. Senat, Urteil vom 24. Januar 2014 - V ZR 249/12, WM 2014, 1440 Rn. 10). Daran fehlt es hier aber schon wegen der Möglichkeit der Kläger, die Flächen statt im Wege des Direkterwerbs im Wege der Ausschreibung zu erwerben. Ebenso wenig bestehen Anhaltspunkte für das Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen des Wuchertatbestands (§ 138 Abs. 2 BGB).

[9] 2. Zu Recht verneint das Berufungsgericht auch einen Anspruch der Kläger auf Schadensersatz wegen Verletzung einer vorvertraglichen Verpflichtung gemäß § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG. Entgegen der Ansicht der Kläger war die BVVG nach den Privatisierungsgrundsätzen 2010 nicht verpflichtet, auf Verlangen der Kläger ein Gutachten über den Verkehrswert des Grundstücks einzuholen und ihnen die verkauften Flächen zu dem in dem Gutachten ermittelten Preis zu verkaufen.

[10] a) Die BVVG ist allerdings im Innenverhältnis zu der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS) als ihrem Auftraggeber und gegenüber dem dieser gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 TreuhG vorgesetzten Bundesministerium der Finanzen zur Einhaltung der Privatisierungsgrundsätze 2010 verpflichtet. Sie haben den Zweck, die Privatisierung der ehemals volkseigenen land- und forstwirtschaftlichen Flächen im Beitrittsgebiet zu steuern. Diese Flächen sind der BvS durch §§ 1 und 3 der 3. DVO z. TreuhG übertragen worden und nach § 4 der 3. DVO z. TreuhG, § 1 Abs. 1 Satz 1 u. Abs. 6 TreuhG so zu privatisieren, dass den ökonomischen, ökologischen, strukturellen und eigentumsrechtlichen Besonderheiten dieses Bereiches Rechnung getragen wird. Hierbei handelt es sich um gesetzliche Vorgaben, die die BvS und die von ihr beauftragten Unternehmen, hier also die BVVG als Privatisierungsstelle des Bundes, im Interesse der Allgemeinheit zu beachten haben. Was das praktisch bedeutet, wird durch die Privatisierungsgrundsätze 2010 konkretisiert. Sie wirken wie eine Allgemeine Verwaltungsvorschrift, die die BVVG als Privatisierungsstelle des Bundes im Innenverhältnis zur BvS zu beachten hat (vgl. Senat, Urteil vom 14. September 2018 - V ZR 12/17, ZfIR 2018, 766 Rn. 14). Daran ändert es, wie es sich etwa der Regelung in Art. 85 Abs. 2 Satz 1 GG entnehmen lässt, nichts, dass das Bundesministerium der Finanzen die Leitlinien mit den betroffenen Bundesländern in dem in Art. 1 des Einigungsvertrages genannten Gebiet abgestimmt und darin die Mitwirkung dieser Länder bei der Umsetzung vorgesehen hat.

[11] b) Ob und unter welchen Voraussetzungen dieser Bindung der BVVG im Innenverhältnis auch eine Verpflichtung gegenüber den Erwerbern im Außenverhältnis entspricht, wird unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird eine solche Bindung mit dem Berufungsgericht (KG, AUR 2019, 217) unter Hinweis auf den internen Charakter der Leitlinien verneint (OLG Naumburg, Urteil vom 26. Juli 2012 ­ 2 U 21/12 [Lw], unveröffentlicht, Umdruck S. 4). Teilweise wird sie mit unterschiedlicher Begründung bejaht (KG, BzAR 2013, 170 Rn. 12: § 242 BGB; KG, Urteil vom 19. September 2019 - 23 U 76/18, unveröff., Umdruck S. 6/7, Gegenstand des Parallelverfahrens V ZR 248/19 vor dem Senat, Wiedergabe in AgrarB 2020, 184; Dammholz, NL-BzAR 2011, 354, 355 f.: ständige Praxis; Dombert, AUR 2013, 331, 333: angestrebte Rechtssicherheit; ebenso Fahje, AgrarB 2019, 309 f.; Felgentreff/Schulz, BzAR 2014, 402, 403: Gleichbehandlungsgrundsatz).

[12] c) Ob die BVVG im Außenverhältnis zu den Erwerbern verpflichtet ist, entsprechend den Privatisierungsgrundsätzen vorzugehen, lässt sich weder uneingeschränkt bejahen noch uneingeschränkt verneinen. Entscheidend ist vielmehr, wie die BVVG die Privatisierungsgrundsätze im maßgeblichen Zeitpunkt ­ hier also bei Abschluss des Kaufvertrages ­ in ständiger Praxis gehandhabt hat und in welchem Umfang sie infolgedessen als Privatisierungsstelle des Bundes (vgl. Senat, Urteil vom 25. September 2009 ­ V ZR 13/09, ZfIR 2010, 69 Rn. 8), der auch die Privatisierungsaufgabe nach § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 6 TreuhG übertragen worden ist, aufgrund des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) gebunden ist.

[13] aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts begründen ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften nicht wie Gesetze und Rechtsverordnungen schon durch ihr Vorhandensein Rechte des Bürgers. Entscheidend ist vielmehr, wie die zuständigen Behörden die Verwaltungsvorschrift im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger Praxis gehandhabt haben und in welchem Umfang diese infolgedessen durch den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebunden sind (BVerwGE 34, 278, 281; 36, 323, 327; 44, 136, 138; 52, 193, 199; 58, 45, 51; 152, 211 Rn. 24; NVwZ-RR 1996, 47, 48; NJW 1996, 1766, 1767; ZIP 2020, 2122 Rn. 6 f.). Dem entspricht die Rechtsprechung der mit verwaltungsähnlichen Materien befassten Senate des Bundesgerichtshofs (Beschlüsse vom 11. Dezember 2018 ­ EnVR 48/17, WM 2019, 1126 Rn. 21 und vom 20. Juli 2020 ­ NotZ [Brfg] 5/19, ZNotP 2020, 480 Rn. 4). Auch der erkennende Senat geht davon aus, dass eine interne Leitlinie nur durch eine entsprechende Praxis der adressierten Stelle und die an eine solche Praxis anknüpfende Verpflichtung zur Gleichbehandlung Außenwirkung erlangen kann.

[14] bb) Deshalb erlangen die zur Umsetzung von § 1 Abs. 6 TreuhG erlassenen Privatisierungsgrundsätze 2010, anders als der 23. Zivilsenat des Kammergerichts meint (Urteil vom 19. September 2019 - 23 U 76/18, unveröff., Umdruck S. 6/7, Gegenstand des Parallelverfahrens V ZR 248/19 vor dem Senat, Wiedergabe in AgrarB 2020, 184), nicht schon durch ihre Veröffentlichung, sondern nur durch eine entsprechende ständige Praxis der BVVG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und nur in deren Rahmen Außenwirkung (vgl. BVerwGE 152, 211 Rn. 24 und BVerwG, ZIP 2020, 2122 Rn. 6). Daran ändert es nichts, dass die Privatisierungsgrundsätze auf Außenwirkung angelegt waren (Dombert, AUR 2013, 331, 333) und den Pächtern der BVVG den für die Erhaltung ihrer Betriebe notwendigen sog. Direkterwerb ermöglichen sollten (Zschau, BzAR 2014, 139). Diese Zielsetzung besagt nämlich nichts über die Bedingungen, unter denen die Regelungen der Privatisierungsgrundsätze einklagbare Rechte der Erwerber begründen. Verwaltungsvorschriften werden regelmäßig erlassen, um die Praxis nachgeordneter Behörden zu vereinheitlichen und ggf. auch, um sie ­ wie hier ­ im Rahmen der Gesetze in eine bestimmte Richtung zu lenken (vgl. BVerwGE 100, 335, 339). Die öffentliche Bekanntgabe entsprechender Verwaltungsvorschriften führt auch dazu, dass diejenigen, die mit den adressierten Stellen der Verwaltung zu tun haben, deren zu erwartende Verwaltungspraxis besser überblicken und einschätzen können. Das ändert aber nichts an der Natur der Verwaltungsvorschrift als interner Regelung mit unmittelbarer Bindungswirkung nur für die mit den Vorschriften adressierten Stellen (vgl. BVerwG, ZTR 2021, 110 Rn. 39). Die Entscheidung für eine Steuerung der Verwaltungspraxis durch Verwaltungsvorschriften ist regelmäßig auch eine Entscheidung dafür, diese Vorschriften bei Bedarf flexibel ändern zu können (vgl. dazu BVerwGE 152, 211 Rn. 25) und den Betroffenen nicht unmittelbar Ansprüche einzuräumen. Das ändert sich nur und erst, wenn die Verwaltungsvorschriften in ständiger Praxis umgesetzt werden und dadurch unter dem Gesichtspunkt einer Verpflichtung zur Gleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 GG Rechte der Betroffenen gegenüber der Verwaltungsbehörde entstehen.

[15] d) Auf dieser Grundlage haben die Kläger die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Schadensersatz wegen der Verletzung vorvertraglicher Pflichten gemäß § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB schon nicht dargelegt. Die BVVG wendet zwar die Privatisierungsgrundsätze 2010 an. Hier kommt es aber darauf an, ob die BVVG gegenüber einem Erwerber auch verpflichtet war, auf dessen Verlangen ein Verkehrswertgutachten für die anzukaufenden Flächen einzuholen und ihm die Flächen zu dem in dem eingeholten Gutachten ermittelten Wert zu verkaufen. Das wäre nur der Fall, wenn die BVVG Nr. 2.2.3 Abs. 5 PG 2010 bei Abschluss des Vertrags in ständiger Praxis so gehandhabt hätte. So liegt es hier jedoch nicht.

[16] aa) In Nr. 2.2.3 Abs. 5 PG 2010 ist eine entsprechende Verpflichtung schon nicht klar und eindeutig geregelt. Danach ermittelt die BVVG den Kaufpreis entsprechend § 5 Abs. 1 FlErwV unter Berücksichtigung von Ausschreibungsergebnissen. In dieser Vorschrift sind die inhaltlichen Vorgaben für die Ermittlung des Verkehrswerts, zu dem die Flächen verkauft werden sollen, geregelt. Sie sieht in Satz 4 zwar die Möglichkeit vor, eine abweichende Bestimmung durch ein Verkehrswertgutachten des Gutachterausschusses zu verlangen, aber nur für den ­ hier nicht gegebenen ­ Fall, dass von regionalen Wertansätzen abgewichen werden soll. In Nr. 2.2.3 Abs. 5 Satz 2 PG 2010 ist zudem kein Anspruch auf Einholung eines Gutachtens, sondern nur bestimmt, dass dies geschehen kann. Ob sich das damit eingeräumte Ermessen, wie das Kammergericht in seinem erwähnten Urteil vom 19. September 2019 (23 U 76/18, unveröffentlicht, Wiedergabe in AgrarB 2020, 184) meint, in solchen Erwerbsfällen stets auf null reduziert, muss hier nicht geklärt werden.

[17] bb) Eine Verwaltungsvorschrift unterliegt nämlich keiner eigenständigen richterlichen Auslegung wie eine Rechtsnorm. Maßgeblich ist gerade auch in Fällen, in denen der Wortlaut in einer Verwaltungsvorschrift ­ wie hier ­ unklar und darum auslegungsbedürftig ist, wie die zuständigen Stellen die Verwaltungsvorschrift im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger Praxis gehandhabt haben (BVerwG, NJW 1996, 1766, 1767). Für die Pflichtverletzung kommt es deshalb entscheidend darauf an, ob die BVVG in dem Zeitraum, in dem der Vertrag der Parteien geschlossen wurde ­ Oktober 2012 ­, in ständiger Praxis auf Verlangen des Erwerbers ein Verkehrswertgutachten eingeholt und dem Erwerber die Flächen zu dem Wert verkauft hat, den das Gutachten ergab. Die Kläger haben nach den Feststellungen des Berufungsgerichts vorgetragen, die Beklagte habe jedenfalls seit 2011 durchgängig abgelehnt, ein Gutachten einholen zu lassen. Von dem in den Privatisierungsgrundsätzen 2010 als Anlage 2 beigefügten Muster für eine Gutachterbeauftragung sei seit 2011 in keinem Fall Gebrauch gemacht worden. Etwas anderes ergibt auch nicht der im Berufungsurteil wiedergegebene Vortrag der BVVG, sie habe bis zum Jahr 2011 bei mehr als 1.000 Vertragsschlüssen nur 27 Gutachten in Auftrag gegeben. Danach bestand in dem maßgeblichen Zeitraum Oktober 2012 gerade keine ständige Praxis der BVVG, auf Verlangen des Erwerbers ein Gutachten einzuholen und die Flächen zu einem Kaufpreis in Höhe des in dem Gutachten festgestellten Werts zu verkaufen (vgl. auch Felgentreff/Schulz, BzAR 2014, 402).

[18] cc) Jedenfalls aus diesem Grund scheidet auch die Annahme einer individualvertraglichen Selbstbindung der BVVG speziell gegenüber den Klägern aus. Eine solche Selbstbindung kann sich jedenfalls nicht daraus ergeben, dass die BVVG die Übersendung des Vertragsentwurfs mit einem Dank für die vorhergehende Übersendung von Unterlagen "zur Vorbereitung eines Flächenerwerbs nach den Privatisierungsgrundsätzen 2010" verbunden hat. Nichts lässt erkennen, dass die BVVG damit von ihrer ständigen Praxis abweichen und in einem für sie zentralen Punkt für den konkreten Vertrag ein von ihrer ständigen Praxis abweichendes Verständnis einzelner Regelungen der Privatisierungsgrundsätze 2010 (vgl. oben Rn. 17) zugrunde legen wollte.

[19] e) Eine Verletzung von Schutzpflichten gemäß § 241 Abs. 2 BGB kann auch nicht darin gesehen werden, dass die BVVG den Klägern keine Nachberechnungsklausel angeboten oder nachvollziehbare Einwände der Kläger gegen den Kaufpreis unberücksichtigt gelassen hätte. Die BVVG war nicht verpflichtet, den Klägern eine Nachberechnungsklausel anzubieten. Solche Klauseln wurden zwar in Verträgen über den Erwerb landwirtschaftlicher Flächen durch Pächter der BVVG nach § 3 AusglLeistG häufig vorgesehen (vgl. Senat, Urteil vom 12. Dezember 2014 - V ZR 109/14, NJW-RR 2015, 1008 Rn. 12). In den Privatisierungsgrundsätzen 2010 sind solche Klauseln aber nicht (mehr) vorgesehen; dass sie dennoch in ständiger Praxis vorgesehen worden sein sollen, behaupten die Kläger nicht (vgl. dazu auch Felgentreff/Schulz, BzAR 2014, 402 f.). Ob die BVVG, worauf die von den Bundesministerien der Finanzen und für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz am 26. April 2013 veröffentlichten Protokollnotizen (Abdruck in BzAR 2013, 242) schließen lassen, auf Grund einer ständigen Praxis i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG verpflichtet war, konkrete, etwa anhand eines bereits eingeholten Verkehrswertgutachtens nachvollziehbare Einwände gegen ihren Kaufpreisvorschlag zu berücksichtigen, bedarf keiner Entscheidung. Die Kläger haben nicht geltend gemacht, sie hätten solche Einwände vorgetragen, sondern nur, sie hätten vergeblich versucht, den Kaufpreisvorschlag durch ein Verkehrswertgutachten überprüfen zu lassen; dazu war die BVVG aber nicht verpflichtet.

[20] f) Es bedarf keiner Entscheidung darüber, ob behördeninternen Leitlinien ausnahmsweise dann Außenwirkung zukommen kann, wenn die Entscheidung der Stelle, an die sich die Leitlinien richten, unter keinem denkbaren Gesichtspunkt mehr vertretbar oder in sonstiger Weise willkürlich ist (vgl. OVG Münster, DVBl 2019, 383 Rn. 76, 77). Dass die BVVG seit 2011 auch bei einem entsprechenden Verlangen des Erwerbers keine Gutachten mehr einholt, kann angesichts der Unschärfe der Formulierung in Nr. 2.2.3 Abs. 5 PG 2010 und des Umstands nicht als willkürlich angesehen werden, dass die erwähnten Protokollnotizen zu den Privatisierungsgrundsätzen 2010 festhalten, dass "die BVVG [...] den Marktwert der Flächen im Rahmen des Direkterwerbs weiterhin [Hervorhebung nur hier] auf der Grundlage ihres Vergleichspreissystems ermitteln [wird]."

[21] g) Im Übrigen wäre ein Anspruch der Kläger verjährt. Er unterliegt als Schadensersatzanspruch, anders als der von dem Landgericht angenommene, aber nicht gegebene Bereicherungsanspruch (dazu Senat, Urteile vom 25. Januar 2008 ­ V ZR 118/07, NJW-RR 2008, 824 Rn. 20 f., vom 6. Februar 2009 ­ V ZR 26/08, NVwZ-RR 2009, 412 Rn. 30 und vom 12. Dezember 2014 - V ZR 109/14, NJW-RR 2015, 1008 Rn. 18), nicht einer Verjährungsfrist von zehn Jahren nach § 196 BGB, sondern der regelmäßigen Verjährung von drei Jahren nach § 195 BGB. Diese Verjährungsfrist beginnt nach § 199 Abs. 1 BGB mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Dieser Zeitpunkt trat spätestens bei Abschluss des Kaufvertrages am 11. Oktober 2012 ein. Zu diesem Zeitpunkt war den Klägern klar, dass die BVVG ein Gutachten nicht einholen und nur zu dem dann auch vereinbarten Kaufpreis verkaufen wollte. Zu einer Hemmung durch Verhandlungen (vgl. § 203 BGB) ist es nicht gekommen, da die BVVG ein entsprechendes Ansinnen der Kläger umgehend zurückgewiesen hat (vgl. Erman/Schmidt-Räntsch, BGB, 16. Aufl., § 203 Rn. 5b). Die Verjährungsfrist begann deshalb am 1. Januar 2013 und war daher bei Einreichung der Klage am 24. April 2017 bereits abgelaufen.

[22] III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Stresemann Schmidt-Räntsch Göbel

Haberkamp Hamdorf

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