BGH, Urteil vom 27. Oktober 2022 - III ZR 211/20

20.12.2022

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

Verkündet am:

27. Oktober 2022

HoratschkiJustizangestellteals Urkundsbeamtinder Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: nein


BGB §§ 31, 826 Ga


Zur sekundären Darlegungslast bei Vorgängen innerhalb eines Unternehmens, die auf eine Kenntnis seiner verfassungsmäßigen Vertreter von der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in sogenannten Diesel-Fällen schließen lassen (Anschluss an BGH, Urteile vom 8. März 2021 - VI ZR 505/19, NJW 2021, 1669 Rn. 27 f und vom 16. September 2021 - VII ZR 192/20, WM 2021, 2056 Rn. 26 f; Fortführung von Senat, Urteil vom 4. August 2022 - III ZR 230/20, juris).


BGH, Urteil vom 27. Oktober 2022 - III ZR 211/20 - OLG Köln, LG Köln


Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren, in dem bis zum 6. Oktober 2022 Schriftsätze eingereicht werden konnten, durch die Richter Dr. Remmert, Reiter, Dr. Kessen, Dr. Herr und Liepin

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 28. August 2020 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

[1] Die Klägerin nimmt aus abgetretenem Recht ihres Ehemannes (im Folgenden: Zedent) die Beklagte wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung auf Schadensersatz in Anspruch.

[2] Der Zedent erwarb am 29. Mai 2009 bei einem Autohaus einen neuen Audi A4 2.0l TDI zum Preis von 42.900,01 €. Das Fahrzeug, dessen Herstellerin die Beklagte ist, ist mit einem von der Volkswagen AG hergestellten Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet. Es verfügt über eine von der Volkswagen AG entwickelte Motorsteuerungssoftware. Diese sah hinsichtlich der Abgasrückführung zwei Betriebsmodi vor, und zwar einen hinsichtlich des Stickstoffausstoßes optimierten Betriebsmodus 1 mit einer verhältnismäßig hohen Abgasrückführungsrate sowie einen Betriebsmodus 0 mit einer erheblich geringeren Abgasrückführungsrate. Die Motorsteuerungssoftware vermochte zu erkennen, ob das Fahrzeug auf einem technischen Prüfstand zur Ermittlung der Emissionswerte (NEFZ-Prüfzyklus) eingesetzt oder im Straßenverkehr betrieben wurde, und schaltete im NEFZ-Prüfzyklus in den Modus 1. Auf diese Art und Weise wurde sichergestellt, dass bei der Prüfung nach den Maßgaben der Euro 5-Abgasnorm geringere Stickoxidemissionen gemessen und dementsprechend die gesetzlichen Stickoxidgrenzwerte eingehalten wurden. Dagegen schaltete die Motorsteuerungssoftware in den Modus 0, wenn das Fahrzeug im Straßenverkehr eingesetzt wurde.

[3] Am 22. September 2015 räumte die Volkswagen AG im Rahmen einer aktienrechtlichen Ad-hoc-Mitteilung und einer im Wesentlichen gleichlautenden Pressemitteilung erstmals die Verwendung der Motorsteuerungssoftware ein. Das Kraftfahrt-Bundesamt ordnete daraufhin an, die Abschalteinrichtung in den betroffenen Fahrzeugen zu entfernen. In der Folgezeit wurden Software-Updates für eine Vielzahl verschiedener Fahrzeug- und Motortypen freigegeben. Die Klägerin ließ im Jahr 2017 das Software-Update installieren.

[4] Die Klägerin hat geltend gemacht, ihr stehe gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB zu. Das Inverkehrbringen des Fahrzeuges mit einer manipulierten Motorsteuerungssoftware stelle eine sittenwidrige Schädigung dar. Hätte "sie beziehungsweise ihr Ehemann" hiervon gewusst, hätte "er" das Fahrzeug nicht erworben. Die Beklagte habe vorsätzlich gehandelt. Die Entwicklung des Motors und der entsprechenden Steuerungssoftware sei eine gemeinschaftliche Entscheidung der Vorstände der Konzernunternehmen gewesen, zwischen denen teilweise auch Personenidentität bestanden habe.

[5] Die Klägerin hat Erstattung des Kaufpreises nebst Delikts- sowie Verzugszinsen abzüglich einer nach einer Gesamtlaufleistung von 350.000 km zu berechnenden Nutzungsentschädigung, Feststellung des Annahmeverzugs und Erstattung außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten begehrt. Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 17.927,23 € nebst Rechtshängigkeitszinsen verurteilt und dabei eine Gesamtlaufleistung von 250.000 km zugrunde gelegt. Mit der Berufung hat die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung weiterer 7.135,08 € sowie von Delikts- und Verzugszinsen beantragt. Die Beklagte hat mit ihrer Berufung die Abweisung der Klage beantragt. Das Berufungsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 21.859,56 € und von Verzugszinsen verurteilt und die weitergehenden Berufungen der Parteien zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe

[6] Die Revision hat Erfolg. Sie führt, soweit das Berufungsgericht zum Nachteil der Beklagten erkannt hat, zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

[7] I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner - in BeckRS 2020, 51756 veröffentlichten - Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB. Schädigungshandlung sei das Inverkehrbringen des mit der fraglichen Umschaltlogik versehenen Fahrzeugs. Mit der Inverkehrgabe bringe der Hersteller konkludent zum Ausdruck, dass das Fahrzeug über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfüge; dies setze voraus, dass es den für deren Erhalt und Fortdauer einzuhaltenden Vorschriften tatsächlich entspreche. Das Fahrzeug habe indes entgegen dem konkludenten Erklärungswert nicht über eine dauerhaft ungefährdete Betriebserlaubnis verfügt. Die Täuschung sei ursächlich für den Kaufvertragsabschluss gewesen; es entspreche der Lebenserfahrung, dass die Klägerin vom Kauf des Fahrzeugs Abstand genommen hätte, wenn ihr bekannt gewesen wäre, dass die Typgenehmigung zu Unrecht erteilt worden sei.

[8] Die Täuschungshandlung der Beklagten sei als sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB zu qualifizieren. Bei der Beklagten hätten die subjektiven Voraussetzungen einer Haftung gemäß §§ 826, 31 BGB vorgelegen. Sie könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, an der Entwicklung des Motors und der in diesem eingesetzten Steuerungssoftware nicht beteiligt gewesen zu sein. Es sei von einer Kenntnis der Beklagten und einem kollusiven Zusammenwirken mit der Volkswagen AG auszugehen. Zumindest habe die Beklagte das Vorhandensein einer Abschaltlogik für möglich gehalten und bedingt vorsätzlich gehandelt, als sie den Motor gleichwohl eingesetzt habe. Den entsprechenden Behauptungen der Klägerin sei sie im Rahmen der sie treffenden sekundären Darlegungslast nicht hinreichend entgegengetreten. Zwar liege die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen von §§ 826, 31 BGB beim Geschädigten, die Beklagte treffe aber eine sekundäre Darlegungslast.

[9] Die Klägerin habe hinreichende Anhaltspunkte für eine Kenntnis des Vorstands der Beklagten von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung vorgetragen. Sie habe dargelegt, der Vorstand habe von dem Einsatz der manipulierten Motorsteuerungssoftware in dem Motor gewusst und diesen gleichwohl in ihre Fahrzeuge einbauen und in Verkehr bringen lassen. Auch wenn der Motor von der Volkswagen AG entwickelt worden sei, seien die maßgeblichen Entscheidungen zur Verwendung der Motorsteuerungssoftware auch vom Vorstand der Beklagten getroffen und gebilligt worden. Es habe Überkreuzregelungen im Vorstand der Beklagten und der Volkswagen AG gegeben und entsprechend Personenidentität bestanden, aufgrund derer die wesentlichen Entscheidungen von denselben Entscheidungsträgern getroffen worden seien. Für einen Vorsatz der Beklagten spreche überdies der Umstand, dass es sich bei der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung um eine grundlegende, weltweit alle Fahrzeuge mit Motoren der Serie EA189 betreffende Strategieentscheidung gehandelt habe, die mit erheblichen Risiken für den gesamten Konzern und persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidenden Personen verbunden gewesen sei. Weitergehender Vortrag sei der Klägerin nicht möglich gewesen. Es sei zudem bezeichnend, dass gegen den "Chef" der Beklagten R. S. sowie weitere ihrer Techniker ein Strafverfahren wegen des Vorwurfes des Betruges geführt werde.

[10] Die Beklagte sei ihrer sekundären Darlegungslast nicht hinreichend nachgekommen. Sie beschränke sich im Wesentlichen auf die Aussage, keine Erkenntnisse über eine Beteiligung des Vorstands an der Entwicklung oder Verwendung der Umschaltlogik zu haben. Demgegenüber gehe sie nicht auf die von der Klägerin behaupteten personellen Verflechtungen und die Kenntnis von beziehungsweise die Beteiligung an der Entwicklung der Steuerungssoftware der als ihre Repräsentanten im Sinne des § 31 BGB zu bewertenden Personen ein. Da die Beklagte nicht konkret darlege, dass und wie ihre Vorstandsmitglieder in der Vergangenheit mit der Volkswagen AG verbunden und in die Entscheidungen um den konzernweiten Einsatz des Motors EA189 eingebunden gewesen seien, könne sie sich nicht auf ihre mangelnde Kenntnis berufen. Der Beklagten sei weiterer Vortrag auch zumutbar. Als Rechtsfolge ihres nicht ausreichenden Vortrags im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast sei der Vortrag der Klägerin als zugestanden anzusehen.

[11] II. Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

[12] Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann ein Kaufpreiserstattungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung nach den §§ 826, 31 BGB nicht bejaht werden. Das Berufungsgericht hat nicht rechtsfehlerfrei angenommen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) der Beklagten die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat, da es die Voraussetzungen für eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten verkannt hat (hierzu 1.). Zudem hat das Berufungsgericht das rechtliche Gehör der Beklagten verletzt, indem es ihr Gegenbeweisangebot zu der von ihm angenommenen Kausalität der Täuschung für den Kaufvertragsabschluss übergangen hat (hierzu 2.).

[13] 1. Die bisher getroffenen Feststellungen tragen nicht die Annahme des Berufungsgerichts, ein verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten habe durch das Inverkehrbringen des von dem Zedenten erworbenen Fahrzeugs mit dem Dieselmotor der Baureihe EA189 vorsätzlich sittenwidrig gehandelt.

[14] a) Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung handelt ein Automobilhersteller gegenüber dem Fahrzeugkäufer sittenwidrig, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt. Ein solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich (vgl. Senat, Urteil vom 13. Januar 2022 - III ZR 205/20, VersR 2022, 1173, Rn. 18; BGH, Urteil vom 26. April 2022 - VI ZR 965/20, VersR 2022, 896 Rn. 10; jew. m.zahlr.w.N.). Ein sittenwidriges Vorgehen des betreffenden Automobilherstellers kommt dabei nicht nur dann in Betracht, wenn dieser den Motor samt "Täuschungssoftware" selbst hergestellt und entwickelt hat, sondern auch dann, wenn seine verfassungsmäßig berufenen Vertreter zumindest wussten, dass die von einem anderen hergestellten Motoren mit einer auf arglistige Täuschung abzielenden Prüfstanderkennungssoftware ausgestattet waren, und sie Fahrzeuge in Kenntnis dieses Umstands mit einem solchen Motor versahen und in den Verkehr brachten (BGH, Urteil vom 26. April 2022 aaO mwN).

[15] Wie das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend annimmt, trägt im Grundsatz derjenige, der einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. Bei der Inanspruchnahme einer juristischen Person hat der Anspruchsteller dementsprechend auch darzulegen und zu beweisen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat (vgl. BGH, Urteile vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 35 und vom 30. Juli 2020 - VI ZR 367/19, NJW 2020, 2804 Rn. 15).

[16] b) Ein Vorstellungsbild im vorgenannten Sinne von Personen, für die die Beklagte gemäß § 31 BGB einzustehen hat, hat das Berufungsgericht nicht rechtsfehlerfrei festgestellt. Es hat ausgeführt, der Vorstand der Beklagten, jedenfalls aber die Mitarbeiter des oberen Managements der Beklagten, hätten über umfassende Kenntnisse vom Einsatz der Software zur Motorsteuerung verfügt und diese gleichwohl unverändert und ohne entsprechenden Hinweis in den von der Beklagten hergestellten Fahrzeugen verbaut, obwohl die materiellen Typgenehmigungsvoraussetzungen gefehlt hätten und dies für die Käufer wesentlich gewesen sei. Diese Feststellung der von der Beklagten bestrittenen Kenntnis ihrer verfassungsmäßig berufenen Vertreter von der Prüfstanderkennungssoftware hat das Berufungsgericht auf die Erwägung gestützt, das entsprechende Vorbringen der insofern beweisbelasteten Klägerin gelte als zugestanden, weil die Beklagte der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast nicht in ausreichendem Maße nachgekommen sei. Das ist aus Rechtsgründen zu beanstanden, weil es an den erforderlichen tatsächlichen Feststellungen zu den Vor-aussetzungen für die vom Berufungsgericht angenommene sekundäre Darlegungslast fehlt.

[17] aa) Eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten zu Vorgängen innerhalb ihres Unternehmens, die auf eine Kenntnis ihrer verfassungsmäßig berufenen Vertreter von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung schließen lassen sollen, setzt jedenfalls voraus, dass das (unstreitige oder nachgewiesene) Parteivorbringen hinreichende Anhaltspunkte enthält, die einen solchen Schluss nahelegen (vgl. Senat, Urteil vom 4. August 2022 - III ZR 230/20, juris Rn. 19; BGH, Urteile vom 8. März 2021 - VI ZR 505/19, NJW 2021, 1669 Rz. 28 und vom 21. Dezember 2021 - VI ZR 875/20, MDR 2022, 308 Rz. 14; jeweils mwN).

[18] bb) Solche hinreichenden Anhaltspunkte bietet das aus dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll ersichtliche, also der Beurteilung des Revisionsgerichts nach § 559 Abs. 1 ZPO unterliegende Parteivorbringen, nicht.

[19] (1) Der Hinweis des Berufungsgerichts auf den Vortrag der Klägerin, es habe Überkreuzregelungen im Vorstand der Beklagten und der Volkswagen AG gegeben und entsprechend Personenidentität bestanden, aufgrund derer die wesentlichen Entscheidungen von denselben Entscheidungsträgern getroffen worden seien, vermag eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten nicht zu begründen.

[20] Zum einen ist der Vortrag der Klägerin zu den Tätigkeiten der Herren Dr. W. , H. und Ha. - soweit er deren Kenntnisse von der Motorsteuerungssoftware betrifft und sich daher hieraus Schlussfolgerungen für den vorliegenden Fall ziehen lassen - nicht unstreitig (vgl. Berufungsurteil S. 16 und 18). Zum anderen rügt die Revision zu Recht, dass die Klägerin zu diesen Personen vorgetragen hat, sie seien lediglich bis zum Jahr 2007 bei der Beklagten als verfassungsmäßig berufene Vertreter tätig gewesen (Schriftsatz vom 4. Juli 2019, S. 2 ff - GA I 176 ff), die Volkswagen AG habe die Entwicklung an dem Motor aber erst in demselben Jahr abgeschlossen (aaO S. 10, GA I 184), so dass aus dem Klägervortrag nicht geschlossen werden könne, die Genannten seien an der Entscheidung der Beklagten beteiligt gewesen, den Motor mit der fraglichen Manipulationssoftware in dem von dem Zedenten im Jahr 2009 erworbenen Fahrzeug einzusetzen. Soweit die Klägerin dem nunmehr entgegenhält, die Entscheidung über den Einsatz des Motors im Bereich der Beklagten sei bereits in den Jahren 2005/2006 getroffen worden, erfolgt dieser Vortrag erst im Revisionsverfahren (Seite 8 der Revisionserwiderung). Das Berufungsgericht hat hierzu keine Feststellungen getroffen. Gleiches gilt für den Vortrag in der Revisionserwiderung (S. 5 f), die Beklagte habe "vergleichbare Manipulationen" eingesetzt, so dass die entsprechende Kenntnis nicht mit dem Ausscheiden der genannten Personen aus führenden Positionen im Vorstand und auf der Führungsebene der Beklagten verschwunden sei. Insoweit bleibt zudem unklar, was die Klägerin konkret mit "vergleichbar" vortragen möchte, da erhebliche Unterschiede zwischen verschiedenen unzulässigen Abschalteinrichtungen bestehen (vgl. etwa Senat, Urteil vom 13. Januar 2022 aaO Rn. 28).

[21] (2) Soweit das Berufungsgericht zugrunde gelegt hat, dass es sich bei der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung um eine grundlegende, weltweit alle Fahrzeuge mit Motoren der Serie EA189 betreffende Strategieentscheidung gehandelt habe, ist dies insofern nicht unstreitig, als die Kenntnis der im Bereich der Beklagten entscheidenden Personen von dem Vorhandensein der fraglichen Abschalteinrichtung betroffen ist. Auch insofern können der Beurteilung im Revisionsverfahren weder der neue Vortrag der Klägerin im Revisionsverfahren noch Feststellungen aus anderen Verfahren (vgl. Revisionserwiderung S. 7 f) zugrunde gelegt werden.

[22] (3) Schließlich ergibt sich auch aus der Feststellung, dass gegen R.

S. sowie Techniker der Beklagten ein Strafverfahren wegen des Vorwurfs des Betrugs geführt werde (Berufungsurteil S. 17), kein hinreichender Anhaltspunkt für die erforderliche Kenntnis von verfassungsmäßig berufenen Vertretern der Beklagten vom Einsatz der konkreten Manipulationssoftware. Die Revision rügt insofern zu Recht, dass nach dem Vortrag der Klägerin dieses Verfahren Kenntnisse R. S. erst nach Aufdeckung der Abgas-Manipulationen in den USA betrifft (Schriftsatz der Klägerin vom 4. Juli 2019, S. 5 - GA I 179) und die Beklagte darauf hingewiesen hatte, dass die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht den Motor EA189 zum Gegenstand hätten (Schriftsatz der Beklagten vom 18. Juli 2019, S. 4 - GA II 256). Soweit das Berufungsgericht aus den von ihm genannten "allgemein zugänglichen Quellen" weitere Kenntnisse gehabt haben sollte, waren diese jedenfalls nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung und hätten daher nur dann ohne Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verwertet werden können, wenn das Berufungsgericht der Beklagten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hätte (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Januar 2022 - III ZR 195/20, NJW-RR 2022, 499 Rn. 8 mwN).

[23] 2. Darüber hinaus tragen die bisher getroffenen Feststellungen nicht die Annahme des Berufungsgerichts, die Täuschung durch die Beklagte sei ursächlich für den Kaufvertragsabschluss gewesen. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt, indem es die von ihm angenommene Ursächlichkeit unter Verweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25. Mai 2020 (aaO Rn. 49 ff) auf einen Satz der Lebenserfahrung gestützt hat, jedoch davon abgesehen hat, sich mit dem von der Beklagten angebotenen Gegenbeweis auf "Vernehmung der Klagepartei" für die Behauptung zu befassen, dass der Kaufvertrag auch in Kenntnis der "verheimlichten" Umstände geschlossen worden wäre. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung lässt sich dies nicht damit rechtfertigen, dass das Beweisangebot unzulässig, da auf eine Ausforschung gerichtet gewesen sei.

[24] a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (zB BVerfGE 65, 293, 295 f; 70, 288, 293; 83, 24, 35). Dazu gehört es, erhebliche Beweisanträge zu berücksichtigen (BVerfGE 60, 247, 249; 65, 305, 307; 69, 141, 143 f). Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfGE 69, 141, 144; Senat, Urteile vom 23. Juni 2016 - III ZR 308/15, NJW 2016, 3024 Rn. 18 sowie vom 7. Februar 2019 - III ZR 498/16, NJW 2019, 1137 Rn. 33).

[25] Der Beweisführer ist grundsätzlich nicht gehindert, Tatsachen zu behaupten, über die er keine genauen Kenntnisse hat, die er aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält. Ein unzulässiger Ausforschungsbeweis liegt erst dann vor, wenn der Beweisführer ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" aufstellt. Bei der Annahme von Willkür ist jedoch Zurückhaltung geboten. In der Regel liegt sie nur bei Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte vor (vgl. Senat, Urteil vom 7. Februar 2019 aaO Rn. 37 mwN). Das gilt in besonderer Weise für ein Beweisangebot des eigentlichen Beweisgegners, das auf die Erschütterung eines Anscheinsbeweises für das Vorliegen einer inneren Tatsache zielt. Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass der Erfahrungssatz die Wirkung einer unwiderlegbaren Fiktion erhält. Jedenfalls ist der Beweisführer auf etwaige Bedenken gegen die Zulässigkeit des Beweisangebots hinzuweisen (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl., vor § 284 Rn. 8c; Jäckel, Das Beweisrecht der ZPO, 3. Aufl., Rn. 271; vgl. auch BGH, Urteil vom 8. Mai 2002 - I ZR 28/00, NJW-RR 2002, 1433, 1435).

[26] b) Nach diesen Maßstäben hätte das Berufungsgericht von der Erhebung des angebotenen Beweises - insbesondere ohne vorherigen Hinweis und ohne Begründung - nicht absehen dürfen. Dabei liegt es nahe, das Beweisangebot als Antrag auf Vernehmung des Zedenten als Zeugen zu verstehen, wie dies auch die Revision geltend macht. Denn sowohl die Parteien als auch das Gericht haben an entscheidenden Stellen den Zedenten als Klagepartei bezeichnet und von einer Kaufentscheidung der Klägerin - und nicht des Zedenten - gesprochen (so etwa bei den Ausführungen im Berufungsurteil zur Kausalität [S. 10 unten]). Jedenfalls hätte das Berufungsgericht das Beweisangebot nicht ohne weiteres übergehen dürfen, sondern die Beklagte auf dessen Unklarheit hinweisen müssen.

[27] 3. Das Berufungsurteil erweist sich nach derzeitigem Sach- und Streitstand auch nicht deshalb als richtig, weil - wie die Revisionserwiderung ausführt - ein Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, Art. 4 Abs. 2, Art. 5 VO 715/2007/EG nicht verneint werden könne. Dem steht bereits entgegen, dass das Berufungsgericht insbesondere zu den subjektiven Voraussetzungen einer solchen Haftung bisher keine Feststellungen getroffen hat.

[28] III. Soweit das Berufungsgericht zum Nachteil der Beklagten entschieden hat, ist das Berufungsurteil daher aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine Klageabweisung durch den Senat scheidet aus, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Da beide Vorinstanzen den Vortrag der Klägerin - anders als der Senat - als ausreichend angesehen haben, muss ihr noch Gelegenheit gegeben werden, ergänzend zu einer etwaigen Kenntnis der Beklagten von der unzulässigen Abschalteinrichtung zum Erwerbszeitpunkt vorzutragen (vgl. Senat, Urteil vom 4. August 2022 aaO Rn. 31 mwN).

Remmert Reiter Kessen

Herr Liepin

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