BGH, Urteil vom 29. Oktober 2019 - KZR 39/19

16.03.2020

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

Verkündet am:

29. Oktober 2019

ZöllerJustizangestellteals Urkundsbeamtinder Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


AEUV Art. 102; GWB aF § 33 Abs. 3; BGB § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt.; AEG aF § 14 Abs. 1 Satz 1, §§ 14e, 14f; Richtlinie 2001/14/EG Art. 4, Art. 30


a) Verstößt ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen gegen Art. 102 AEUV, sind Ansprüche auf Schadensersatz oder Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung nicht durch die Vorschriften des Allgemeinen Eisenbahngesetzes in der bis zum 1. September 2016 geltenden Fassung über die Kontrolle der Wegeentgelte ausgeschlossen. Ein solcher Ausschluss folgt auch nicht aus den Vorschriften der Richtlinie 2001/14/EG.

b) Die Durchsetzung der Ansprüche setzt keine in Bestandskraft erwachsene Feststellung der Bundesnetzagentur voraus, wonach die vom Eisenbahninfrastrukturunternehmen geforderten Wegeentgelte gegen Vorschriften des Allgemeinen Eisenbahngesetzes verstoßen.


BGH, Urteil vom 29. Oktober 2019 - KZR 39/19 - OLG Dresden, LG Leipzig


Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 29. Oktober 2019 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, den Richter Dr. Tolkmitt sowie die Richterinnen Dr. Picker, Dr. Rombach und Dr. Linder

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Kartellsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 17. April 2019 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

[1] Die beklagte DB Netz AG, eine Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn AG, ist ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen im Sinne des § 2 Abs. 1 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG). Sie unterhält rund 87,5 % des Schienennetzes in der Bundesrepublik Deutschland. Die Klägerin ist ein privates Eisenbahnverkehrsunternehmen im Sinne des § 2 Abs. 3 AEG, das Verkehrsleistungen im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) erbringt und für diese Zwecke acht Strecken der Beklagten für planmäßigen Zugverkehr in den Bundesländern Sachsen und Thüringen nutzt.

[2] Die Beklagte war im hier interessierenden Zeitraum vom 12. Dezember 2010 bis zum 31. Dezember 2011, der Netzfahrplanperiode 2010/2011, nach den Vorschriften des Allgemeinen Eisenbahngesetzes und der Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung (ElBV) verpflichtet, privaten Eisenbahnverkehrsunternehmen Zugang zur Eisenbahninfrastruktur zu gewähren.

[3] Zu diesem Zweck schloss die Beklagte mit zugangsberechtigten Unternehmen jeweils Rahmenverträge über die Nutzung der Eisenbahninfrastruktur ab, die im Hinblick auf die zu entrichtenden Nutzungsentgelte auf die jeweils gültigen Trassen- und Anlagenpreislisten Bezug nehmen. Auf Grundlage dieser Rahmenverträge meldeten die Eisenbahnverkehrsunternehmen bestimmte Trassen zur Nutzung an, für die die Beklagte sodann Angebote zur Nutzung unter Ausweis eines Trassenpreises unterbreitete.

[4] Die Parteien schlossen am 23. November 1998 unter Einbeziehung der "Allgemeinen Bedingungen über die Nutzung der Eisenbahninfrastruktur der

DB AG (ABN)" in der jeweils gültigen Fassung einen Rahmennutzungsvertrag. Nach § 5 dieses Vertrags war zwischen den Parteien vereinbart, dass sich das von der Klägerin zu entrichtende Entgelt, aus den jeweils gültigen Trassen- und Anlagepreislisten ergab. Mit Nachtragsvereinbarung vom 22. Oktober 2001 gewährten die Parteien der Beklagten das Recht, nach Inkrafttreten einer neuen Trassen- und Anlagenpreisliste Preisanpassungen vorzunehmen. Mit weiterer Nachtragsvereinbarung vom 30. Juni 2008 verlängerten die Parteien die Vertragslaufzeit des Rahmennutzungsvertrags bis zum 28. Februar 2013.

[5] Mit Wirkung zum 1. Januar 2003 führte die Beklagte ausschließlich für den SPNV "Regionalfaktoren" als einen zusätzlichen Berechnungsfaktor in ihr Trassenpreissystem ein. Diese Regionalfaktoren fanden in unterschiedlichem Umfang für 40 Regionalnetze Anwendung, die die Beklagte als Strecken des SPNV-Grundangebots vorzuhalten hatte, die aber nach ihrer Auffassung keine tragfähige Kosten-Erlös-Struktur aufwiesen. Danach berechnete sich der Trassenpreis nach folgender Formel:

Grundpreis x Produktfaktor x Sonderfaktor (Dampflokfahrt, Lademaßüberschreitung) + Sonderfaktoren (Gewichtsklasse, Radsatzlast, Neigetechnik) x Regionalfaktor

[6] Von dem Regionalfaktor waren 20 % der Streckenkilometer des SPNV-Gesamtangebots betroffen, unter anderem auch das von der Klägerin genutzte "Vogtland-Ostthüringen-Netz" sowie das ebenfalls von ihr genutzte "Ostsachsen-Netz".

[7] Mit an die Beklagte gerichtetem Bescheid vom 5. März 2010 erklärte die Bundesnetzagentur im Rahmen eines von Amts wegen eingeleiteten Verfahrens zur Überprüfung nach § 14f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AEG in der bis zum 1. September 2016 geltenden Fassung (aF) die Regelungen der Beklagten über die Erhebung des Regionalfaktors für die Zeit ab dem 12. Dezember 2010 für ungültig. Zur Begründung führte die Bundesnetzagentur aus, dass die Regionalfaktoren gegen das eisenbahnregulierungsrechtliche Diskriminierungsverbot des § 14 Abs. 1 Satz 1 AEG aF verstießen. Der Regionalfaktor stelle einen diskriminierenden Aufschlag auf den Trassengrundpreis dar, weil die preisliche Differenzierung im SPNV weder durch unterschiedliche Leistungen der Beklagten - und daraus folgenden unterschiedlichen Kosten - noch durch unterschiedliche Tragfähigkeiten der Marktsegmente des SPNV gerechtfertigt sei. Zudem verstoße die Beklagte gegen das für die Festsetzung der Entgeltgrundsätze geltende Transparenz- und Gleichbehandlungsgebot gemäß § 4 Abs. 2 EIBV in Verbindung mit Nr. 2 der Anlage zur EIBV, § 21 Abs. 6 Satz 1 EIBV.

[8] Auf den Widerspruch der Beklagten schlossen die Bundesnetzagentur und die Beklagte am 30. Juli 2010 zur Beendigung des Verwaltungsverfahrens ohne abschließende rechtliche Bewertung der Regionalfaktoren durch die Bundesnetzagentur einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, in dem sich die Beklagte verpflichtete, die mit Wirkung zum 1. Januar 2003 eingeführten Regionalfaktoren ab dem 11. Dezember 2011 nicht mehr und im Zeitraum vom 12. Dezember 2010 bis zum 10. Dezember 2011 bestimmte Regionalfaktoren nur noch in reduzierter Höhe zu erheben. Danach belief sich der Regionalfaktor des Ostsachsen-Netzes für das Jahr 2010 auf 1,72 und für das Jahr 2011 auf 1,61, derjenige des Vogtland-Ostthüringen-Netzes für das Jahr 2010 auf 1,52 und für das Jahr 2011 auf 1,43. Die Beklagte informierte die Klägerin mit Schreiben vom 3. September 2010 über den Abschluss des öffentlich-rechtlichen Vertrags und über die sich daraus ergebenden reduzierten Regionalfaktoren für den Nutzungszeitraum ab dem 12. Dezember 2010.

[9] Die Klägerin nahm die von der Beklagten unterbreiteten Angebote zur Nutzung der von ihr angemeldeten Netze, die den unter Anwendung der Regionalfaktoren errechneten Preis enthielten, vorbehaltlos an. Für die Netzfahrplanperiode 2010/2011 belief sich der ausschließlich auf die Regionalfaktoren der beiden Netze entfallende Anteil der von der Klägerin insgesamt entrichteten Trassenentgelte auf 4.444.390,66 €. Mit Schreiben vom 28. November 2014 forderte die Klägerin die Beklagte zur Rückzahlung dieses Betrages auf. Dem trat die Beklagte entgegen.

[10] Das Landgericht hat die auf Zahlung des vorgenannten Betrages gerichtete und auf Ansprüche aus allgemeiner Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB sowie auf Bereicherungs- und Schadensersatzansprüche wegen Verstoßes sowohl gegen das eisenbahnrechtliche Diskriminierungsverbot als auch gegen Vorschriften des europäischen und des nationalen Wettbewerbsrechts, namentlich Art. 102 AEUV und §§ 19, 20 GWB gestützte Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht durch Urteil vom 17. April 2019 zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsantrag in vollem Umfang weiter.

[11] Bereits mit Antrag vom 7. November 2018 hatte die Klägerin bei der Bundesnetzagentur die nachträgliche Überprüfung der Trassenpreise für die Netzfahrplanperiode 2010/2011 beantragt. Sie begehrte, mit Wirkung für die Vergangenheit festzustellen, dass die von der Beklagten im Nutzungszeitraum vom 1. Januar 2003 bis zum 31. Dezember 2003 sowie vom 1. Juli 2004 bis zum 31. Dezember 2011 auf Grundlage der jeweiligen Trassenpreislisten unter Anwendung der Regionalfaktoren geforderten Trassenpreisentgelte für im Einzelnen näher bezeichnete Strecken wegen deren Rechtswidrigkeit ungültig seien. Zudem beantragte sie, die Beklagte zu verpflichten, an die Klägerin wegen der Rechtswidrigkeit der Regionalfaktoren 39,125 Mio. € zu zahlen. Diesen Antrag verwarf die Bundesnetzagentur mit Bescheid vom 11. Oktober 2019 (BK10-18-0262_E) als unzulässig.

Entscheidungsgründe:

[12] Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

[13] I. Das Berufungsgericht hat Ansprüche der Klägerin auf Rückzahlung anteiliger Trassennutzungsentgelte in Höhe des Regionalfaktors aberkannt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

[14] Eine zivilrechtliche Überprüfung der von der Beklagten festgesetzten Trassennutzungsentgelte sei weder nach Maßgabe des § 315 BGB, der eisenbahnrechtlichen Vorgaben der § 14 AEG aF und § 21 ff. EIBV noch anhand der kartellrechtlichen Vorschriften der §§ 19, 20 GWB oder des Art. 102 AEUV möglich. Insoweit stünden der Klägerin weder Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung noch Schadensersatzansprüche gemäß § 823 Abs. 2 BGB, § 33 GWB zu. Dafür fehle eine nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 9. November 2017 - C-489/15, EuZW 2018, 73 - CTL Logistics GmbH/DB Netz AG) vorausgesetzte bestandskräftige Entscheidung der Bundesnetzagentur, mit der festgestellt werde, dass die von der Beklagten erhobenen Regionalfaktoren gegen das eisenbahnrechtliche Diskriminierungsverbot verstießen. Die Erwägungen, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union für einen Anwendungsvorrang der regulierungsrechtlichen Entgeltfestsetzung durch die Bundesnetzagentur vor der allgemeinen zivilrechtlichen Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB durch die Zivilgerichte sprächen, beanspruchten auch für die Frage Geltung, ob es den Zivilgerichten gestattet sei, die von der Beklagten geforderten Trassennutzungsentgelte am Maßstab der unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln, namentlich dem Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung nach Art. 102 AEUV, sowie der entsprechenden Vorschriften des nationalen Kartellrechts zu überprüfen. Danach komme eine Rückforderung missbräuchlich überhöhter Trassenentgelte auf dem Zivilrechtsweg allenfalls dann in Betracht, wenn die Regulierungsbehörde zu dem Ergebnis käme, dass die verlangten Entgelte zu beanstanden seien, und gleichzeitig die Behörde keine Befugnis hätte, die Rückzahlung überhöhter Entgelte anzuordnen. Im Streitfall habe die Bundesnetzagentur aber die geforderten Trassenpreise nicht beanstandet. Vielmehr habe sie die Erhebung des Regionalfaktors für den hier streitgegenständlichen Zeitraum im Wege des öffentlich-rechtlichen Vertrags ausdrücklich akzeptiert und sich damit gegenüber der Beklagten gebunden. Der Bescheid vom 5. März 2010, mit der die Bundesnetzagentur das Trassenpreissystem der Beklagten unter Einschluss der Regionalfaktoren für ungültig erklärt hat, sei nicht bestandskräftig geworden.

[15] II. Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung können die auf einen Verstoß gegen Art. 102 AEUV gestützten Zahlungsansprüche nach § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB, § 33 Abs. 3 GWB in der bis zum 29. Juni 2013 geltenden Fassung (aF) nicht verneint werden.

[16] Mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten ist gemäß Art. 102 Abs. 1 AEUV ist die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Binnenmarkt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen, soweit dies dazu führen kann, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Dieser Missbrauch kann gemäß Art. 102 Abs. 2 AEUV insbesondere in der der unmittelbaren oder mittelbaren Erzwingung von unangemessenen Einkaufs- oder Verkaufspreisen oder sonstigen Geschäftsbedingungen (Buchstabe a) oder in der Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern bestehen, wodurch diese im Wettbewerb benachteiligt werden (Buchstabe c).

[17] 1. Für die Zwecke des Revisionsverfahrens ist - da das Berufungsgericht hierzu keine Feststellungen getroffen hat - zugunsten der Revisionsklägerin zu unterstellen, dass das beanstandete Verhalten der Beklagten einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung sowie eine verbotene Diskriminierung im Sinne des Art. 102 Abs. 2 Buchstabe a, c AEUV darstellt. Ebenso zugunsten der Klägerin zu unterstellen ist, dass das beanstandete Verhalten der Beklagten geeignet ist, den zwischenstaatlichen Handel spürbar zu beeinträchtigen.

[18] 2. Das Missbrauchsverbot gemäß Art. 102 AEUV findet im Streitfall Anwendung. Seine Anwendung ist weder durch Vorschriften des Unionsrechts noch durch solche des nationalen Rechts ausgeschlossen oder eingeschränkt.

[19] a) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bezweckt die Vorschrift des Art. 102 AEUV im System des unverfälschten Wettbewerbs (EuGH, Urteil vom 17. Februar 2011 - C-52/09, Slg. 2011, I-527 = EuZW 2011, 339 Rn. 22, 29 - Konkurrensverket/TeliaSonera Sverige) nicht nur den Schutz der Marktstruktur und damit den Wettbewerb als solchen, sondern auch den Schutz der Interessen einzelner Wettbewerber sowie der Marktgegenseite (EuGH, Urteil vom Februar 1978 ­ C­27/76, Slg. 1978, 207 = NJW 1978, 2439 Rn. 184/194 - United Brands; Urteil vom 4. Juni 2009 - C-8/08, Slg. 2009, I-4529 = EuZW 2009, 505 Rn. 38 - T-Mobile Netherlands BV). Diesem zentralen Schutzzweck entspricht es, dass die Vorschrift des Art. 102 AEUV unmittelbar anwendbar ist und subjektive Rechte begründet, die die mitgliedstaatlichen Gerichte zu wahren haben (EuGH, Urteil vom 30. Januar 1974, C-127/73, Slg. 1974, 51 15/17 - BRT/SABAM; Urteil vom 18. März 1997 - C-282/95, Slg. 1997, I-1503 Rn. 39 = EuZW 1997, 762 - Guérin automobiles/Kommission; Urteil vom 24. Oktober 2018 - C-595/17, WuW 2018, 630 Rn. 35 - Apple Sales International; siehe auch Erwägungsgründe 3, 12 f. der Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, ABl. 2014, L 349, vom 5. Dezember 2014, S. 1).

[20] b) Das Unionsrecht enthält keine Vorschriften, nach denen das Preissetzungsverhalten von Eisenbahninfrastrukturunternehmen, soweit sie den Vorgaben der Richtlinie 2001/14/EG und der zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Vorschriften unterliegen, der Missbrauchskontrolle nach Art. 102 AEUV entzogen wäre.

[21] aa) Dem Primärrecht der Union sind keine das Missbrauchsverbot nach Art. 102 AEUV verdrängenden Vorschriften zu entnehmen. Vielmehr finden die Wettbewerbsregeln nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs im Verkehrssektor Anwendung (vgl. Urteil vom 30. April 1986 - C-209/84, Slg. 1986, I-1425 Rn. 42, 45 - Asjes).

[22] bb) Auch das Sekundärrecht der Union schließt Art. 102 AEUV sowie die aus dieser Vorschrift folgenden subjektiven Rechte der Marktteilnehmer weder aus, noch vermag es das Missbrauchsverbot einzuschränken. Dies folgt aus dem gegebenen Vorrang des Primärrechts vor dem Sekundärrecht der Union (vgl. EuGH, Urteil vom 11. April 1989 - 66/86, Slg. 1989, 803 Rn. 45 = NJW 1989, 2192 ­ Ahmed Saeed Flugreisen). Ein Vorrang der sektorspezifischen Entgeltregulierung gegenüber den höherrangigen Wettbewerbsregeln der Art. 101, 102 AEUV besteht daher - anders als die Revisionserwiderung meint - nicht (vgl. EuGH, Urteil vom 10. Juli 2014 - C-295/12, juris Rn. 128 - Telefónica; Fuchs in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl., Bd. 1, Art. 102 AEUV Rn. 404 mwN; Bulst in Langen/Bunte, Kartellrecht, 13. Aufl., Bd. 2, Art. 102 AEUV Rn. 137, 389; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Aufl., § 1 Rn. 67; Mestmäcker in Festschrift Zuleeg, S. 397; differenzierend Kühne in Festschrift Immenga, 2004, S. 243, 256 f.). Aus diesem Grund können die sektorspezifischen Vorgaben der Richtlinie 2001/14/EG auch nicht gegenüber dem Missbrauchsverbot des Art. 102 AEUV als speziellere Regelung angesehen werden (vgl. Fuchs in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 6. Aufl., Art. 102 AEUV Rn. 404 unter Hinweis darauf, dass der Spezialitätsgrundsatz - lex specialis derogat legem generali - nur für Normen derselben Hierarchieebene gilt). Ungeachtet dessen sind der Richtlinie 2001/14/EG auch keine Vorschriften zu entnehmen, die einen Ausschluss oder eine Einschränkung der Anwendbarkeit des Art. 102 AEUV für die Zwecke der Überprüfung von Wegeentgelten begründeten.

[23] cc) Der Anwendungsbereich des Missbrauchsverbots nach Art. 102 AEUV ist auch nicht deshalb verschlossen, weil es bezüglich des beanstandeten Preissetzungsverhaltens an einer zurechenbaren selbständigen Handlung der Beklagten fehlte.

[24] (1) Staatliche Regulierung kann der Anwendung der Wettbewerbsregeln nur unter engen Voraussetzungen entgegenstehen. Nach der Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs sind die Art. 101, 102 AEUV dann nicht anwendbar, wenn den Unternehmen ein wettbewerbswidriges Verhalten durch nationale Rechtsvorschriften vorgeschrieben wird oder diese Vorschriften einen rechtlichen Rahmen bilden, der selbst jede Möglichkeit für ein Wettbewerbsverhalten ihrerseits ausschließt. In einem solchen Fall hat die Wettbewerbsbeschränkung ihre Ursache nicht in einer selbständigen Verhaltensweise der Unternehmen, wie es die Wettbewerbsregeln voraussetzen. Art. 101, 102 AEUV sind hingegen anwendbar, wenn die nationalen Rechtsvorschriften Raum für Wettbewerb belassen, der durch selbständige Verhaltensweisen der Unternehmen verhindert, eingeschränkt oder verfälscht werden kann (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Dezember 1975 - C-40/73, Slg. 1975, 1663 Rn. 19/23 - Suiker Unie u.a./Kommission; Urteil vom 11. November 1997 - C-359/95 und C-379/95, EuZW 1997, 759 Rn. 34 ­ Ladbroke Racing; Urteil vom 14. Oktober 2010 - C-280/08 P, Slg. 2010, I-9691 Rn. 80 ff. - Deutsche Telekom; Urteil vom 17. Februar 2011 - C-52/09, EuZW 2011, 339 Rn. 49 ff. - TeliaSonera Sverige; EuG, Urteil vom 12. Juli 2001 ­ T­207/98, Slg. 2001, II-2035 Rn. 44 ff. - Tate & Lyle u.a./Kommission). Insofern kann der Umstand, dass eine nationale Regulierungsbehörde einem marktbeherrschenden Unternehmen Anreiz gegeben hat, seine Preisgestaltung beizubehalten, dieses Unternehmen nicht von seiner Verantwortlichkeit nach Art. 102 AEUV entbinden; dieses trägt als marktbeherrschendes Unternehmen besondere Verantwortung dafür, dass es durch sein Verhalten einen wirksamen und unverfälschten Wettbewerb im Binnenmarkt nicht beeinträchtigt (EuGH, aaO, Slg. 2010, I-9691 Rn. 84 - Deutsche Telekom AG). Dies gilt auch dann, wenn die nationale Regulierungsbehörde das beanstandete Entgelt zuvor genehmigt hat (EuGH, Urteil vom 10. April 2008 - T-271/03, Slg. 2008 II-477 =

WuW/E EU-R 1429 Rn. 120 - Deutsche Telekom/Kommission; EuGH, aaO, Slg. 2010, I-9691 Rn. 80 ff. - Deutsche Telekom).

[25] (2) Nach diesen Grundsätzen ist die Beklagte Normadressatin des Missbrauchsverbots nach Art. 102 AEUV, weil die Vorschriften der Richtlinie 2001/14/EG - und die in ihrer Umsetzung ergangenen Regelungen der §§ 14 ff. AEG aF - den Betreibern von Eisenbahninfrastruktureinrichtungen Handlungsspielräume bei der Festsetzung der Wegeentgelte belassen. Zwar verpflichten Art. 4 Abs. 5 Richtlinie 2001/14/EG und § 14 Abs. 1 Satz 1 AEG aF Infrastrukturunternehmen auf die Erhebung nichtdiskriminierender Wegeentgelte und unterwerfen Art. 30 der Richtlinie und § 14f AEG aF diese Entgelte einer Kontrolle durch die Regulierungsstelle. Allerdings ergibt sich nach der Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs aus Art. 4 Abs. 1 Richtlinie 2001/14/EG, dass die Mitgliedstaaten den Betreibern der Eisenbahninfrastruktur bei der Entgeltrahmenregulierung Unabhängigkeit in der Geschäftsführung zu gewähren haben (EuGH, aaO, EuZW 2017, 74 Rn. 77 f - CTL Logistics). Insbesondere muss dem Infrastrukturbetreiber ein gewisser Spielraum bei Berechnung der Entgelthöhe verbleiben (EuGH, aaO, EuZW 2017, 74 Rn. 77 f. - CTL Logistics). Diesen Gestaltungsspielraum hat auch die Bundesnetzagentur als zuständige Regulierungsstelle bei der Überprüfung der Wegeentgelte zu berücksichtigen (vgl. Gerstner in Hermes/Sellner, AEG, 2. Aufl., § 14f Rn. 49). Soweit derartige von der Richtlinie bewusst eröffnete Handlungsspielräume aufgrund der zu unterstellenden Marktbeherrschung der Beklagten nicht hinreichend von Wettbewerb kontrolliert werden, ist die Ausnutzung derselben ohne weiteres am Maßstab des Art. 102 AEUV zu messen (vgl. Monopolkommission, 7. Sektorgutachten "Mehr Qualität und Wettbewerb auf der Schiene" Tz. 170 ff., 182).

[26] c) Vorschriften des nationalen Rechts sind aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts, den die nationalen Gerichte und Behörden nach der ständigen Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs zu beachten haben (vgl. nur EuGH, Urteil vom 4. Dezember 2018 - C-378/17, NZA 2019, 27 Rn. 35 ff. ­ Minister for Justice and Equality), von vornherein ungeeignet, die Wegeentgelte einer Kontrolle nach Art. 102 AEUV zu entziehen. Derartige Regelungen sind aber auch nicht ersichtlich.

[27] 3. Die Vorschriften des § 33 Abs. 3 GWB aF und des § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB sind anwendbar, soweit sie Erstattungsansprüche der Klägerin wegen eines Verstoßes gegen das Missbrauchsverbot nach Art. 102 AEUV gewähren. Regelungen des nationalen Rechts oder solche des Unionsrechts stehen dem nicht entgegen. Insbesondere werden die Vorschriften nicht durch die Vorgaben der sektorspezifischen Regulierung ausgeschlossen.

[28] a) Gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB ist derjenige, der durch die Leistung eines anderen etwas ohne rechtlichen Grund erlangt hat, dem anderen zur Herausgabe verpflichtet. Werden von einem marktbeherrschenden Unternehmen unter Verstoß gegen Art. 102 Satz 2 Buchstabe a, c AEUV unangemessene oder diskriminierende Preise verlangt, so sind die Verträge soweit die Preise missbräuchlich überhöht sind, nach § 134 BGB wegen des Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig (allgemeine Meinung, vgl. nur Bulst in Langen/Bunte, Kartellrecht Bd. 2, 13. Aufl., Art. 102 AEUV Rn. 393; K. Schmidt in Immenga/?Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Bd. I, Anh. 2 VO 1/2003 Rn. 7; Nothdurft in Langen/Bunte, Kartellrecht Bd. 1, 13. Aufl., § 19 GWB Rn. 488, jeweils mwN); im Übrigen behält der Vertrag seine Wirksamkeit (vgl. BGH, Urteil vom 7. März 2017 - EnZR 56/15, NZKart 2017, 245 Rn. 23). Soweit das Entgelt missbräuchlich überhöht ist, fehlt es an einem rechtlichen Grund für die Leistung an das marktbeherrschende Unternehmen und ist diese an den Vertragspartner herauszugeben. Des Weiteren gewährt § 33 Abs. 3 Satz 1 GWB aF dem Betroffenen Schadensersatzansprüche gegen denjenigen, der einen Verstoß gegen Art. 82 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (jetzt Art. 102 AEUV) oder gegen Vorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vorsätzlich oder fahrlässig begeht.

[29] b) Die Vorschriften des Kartellschadensersatzrechts sowie die des Rechts der ungerechtfertigten Bereicherung dienen, soweit sie Erstattungsansprüche des Eisenbahnverkehrsunternehmens als Rechtsfolge eines Verstoßes des Infrastrukturunternehmens gegen das Missbrauchsverbot aus Art. 102 AEUV begründen, der Verwirklichung im Primärrecht der Union verankerter subjektiver Rechte der Marktteilnehmer, denen unmittelbare Geltung zukommt.

[30] Aus dem Grundsatz der unmittelbaren Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln folgt, dass die Gerichte der Mitgliedstaaten, die im Rahmen ihrer Zuständigkeit das Unionsrecht anzuwenden haben, dessen volle Wirkung gewährleisten müssen. Die volle Wirksamkeit der Wettbewerbsregeln setzt dabei voraus, dass jedermann sich vor Gericht auf einen Verstoß gegen Art. 101, 102 AEUV berufen und Ersatz des Schadens verlangen kann, der ihm durch gegen diese Bestimmung verstoßende Absprachen entsteht (vgl. nur EuGH, Urteil vom 13. Juli 2006 - C-295/04, Slg. 2006, I-6641 = EuZW 2006, 529 Rn. 59 - Manfredi), weil ein solcher Anspruch die Durchsetzungskraft der Wettbewerbsregeln der Union erhöht und geeignet ist, von - oft verschleierten - Vereinbarungen oder Verhaltensweisen abzuhalten, die den Wettbewerb beschränken oder verfälschen können. Auf diese Weise können Schadensersatzklagen vor den nationalen Gerichten wesentlich zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Union beitragen (vgl. EuGH, Urteil vom 6. November 2012 - C-199/11, EuZW 2013, 24 Rn. 42 - Europäische Gemeinschaft/Otis u.a.). Bei der Anwendung der einzelstaatlichen Regelungen über Voraussetzungen und Durchsetzung des Anspruchs auf Schadensersatz haben die nationalen Gerichte folglich den Effektivitätsgrundsatz zu beachten und mithin dafür Sorge zu tragen, dass die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird (vgl. EuGH, Urteile vom 9. März 1978 - C-106/77, Slg. 1978, 629 Rn. 16 = NJW 1978, 1741 - Simmenthal; vom 20. September 2009 ­ C-453/99, Slg. 2001, I-6297 = EuZW 2001, 715 Rn. 25 ff. - Courage und Crehan; BGH, Urteil vom 11. Dezember 2018 - KZR 26/17, NZKart 2019, 101 Rn. 56; so nunmehr auch Art. 4 der Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, ABl. 2014, L 349 vom 5. Dezember 2014, S. 1 ff.).

[31] c) Die danach bestehenden Ansprüche stehen selbständig neben den Vorschriften der sektorspezifischen Entgeltkontrolle des Eisenbahnregulierungsrechts (vgl. Fuchs in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1, Art. 102 AEUV Rn. 404). Diese Regelungen schränken die primärrechtlich begründeten subjektiven Rechte der Klägerin nicht ein. Insbesondere ist den sektorspezifischen Regelungen nicht zu entnehmen, dass Schadensersatz- und Erstattungsansprüche wegen missbräuchlicher Entgeltforderungen im Sinne des Art. 102 AEUV nur dann geltend gemacht werden können, wenn zuvor die Regulierungsbehörde die fehlende Übereinstimmung der Entgeltbestimmungen mit den Vorschriften des Eisenbahnregulierungsrechts festgestellt hat. Für die Annahme eines solchen Vorbehalts fehlt es sowohl im nationalen Recht als auch im Unionsrecht an der dafür erforderlichen gesetzlichen Grundlage.

[32] aa) Nach der insoweit eindeutigen Regelung des § 33 Abs. 1, 3 GWB aF ist die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs wegen Verstoßes gegen das unionsrechtliche Missbrauchs- und Diskriminierungsverbot nicht davon abhängig, dass die Diskriminierung in einem kartellbehördlichen Verfahren festgestellt worden ist. Für die Vorschrift des § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB gilt nichts anderes. Die im Zeitpunkt der Anspruchsentstehung anzuwendenden Regelungen des Allgemeinen Eisenbahngesetzes alter Fassung enthalten ebenfalls keine Bestimmung, nach der kartellzivilrechtliche Ansprüche im sachlichen Anwendungsbereich der eisenbahnrechtlichen Regulierung ausgeschlossen oder nur durchsetzbar sind, wenn die Regulierungsbehörde die fehlende Übereinstimmung mit den Vorschriften des Eisenbahnregulierungsrechts festgestellt hat.

[33] bb) Auch aus dem Unionsrecht ergeben sich in Bezug auf die zivilrechtliche Durchsetzung der aus Art. 102 AEUV folgenden Pflichten eines marktbeherrschenden Unternehmens - soweit Überschneidungen mit den Vorgaben der Richtlinien 2001/14/EG oder 2012/34/EU bestehen - weder ein Ausschluss zivilrechtlicher Ansprüche noch eine Beschränkung zivilgerichtlicher Entscheidungsbefugnisse.

[34] (1) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 9. November 2017 (EuZW 2018, 73 - CTL Logistics GmbH) zwar entschieden, dass die Richtlinie 2001/14/EG, insbesondere deren Art. 4 Abs. 5 und deren Art. 30 Abs. 1, 3, 5 und 6, dahin auszulegen sind, dass sie der Anwendung einer nationalen Regelung wie derjenigen des § 315 BGB entgegenstehen, wonach die Wegeentgelte im Eisenbahnverkehr von den ordentlichen Gerichten im Einzelfall auf Billigkeit überprüft und gegebenenfalls unabhängig von der in Art. 30 der Richtlinie 2001/14 vorgesehenen Überwachung durch die Regulierungsstelle abgeändert werden können. Eine mit dieser Überwachung durch die Regulierungsstelle kollidierende Entgeltüberprüfung im Zivilrechtsstreit widerspricht danach dem Überwachungskonzept der Richtlinie, insbesondere, aber nicht nur dann, wenn sie zur Entgeltüberprüfung Maßstäbe heranzieht, die in der Richtlinie nicht vorgesehen sind (EuGH, EuZW 2018, 73 Rn. 70 ff. - CTL Logistics; zur Regulierung von Flughafenentgelten vgl. auch Urteil vom 21. November 2019 ­ C­379, juris Rn. 67 ff. - Deutsche Lufthansa AG/Land Berlin).

[35] (2) Diese Rechtsprechung bezieht sich - wie bereits der Antwort des Unionsgerichtshofs unzweifelhaft zu entnehmen ist - ausschließlich auf die zivilrechtliche Kontrolle von Wegeentgelten am Maßstab der individuellen vertraglichen Billigkeit im Sinne des § 315 Abs. 3 BGB. Dies steht in Einklang mit der systematischen Bedeutung, die dem Missbrauchsverbot im Unionsrecht zukommt.

[36] Das Verhältnis von Missbrauchsverbot zu sektorspezifischer Entgeltkontrolle wird - anders als das Verhältnis sektorspezifischer Entgeltkontrolle zu zivilrechtlicher Billigkeitskontrolle - vom Vorrang des Primär- gegenüber dem Sekundärrecht bestimmt (vgl. EuGH, Urteil vom 11. April 1989 - 66/86, Slg. 1989, 803 Rn. 45 = NJW 1989, 2192 - Ahmed Saeed Flugreisen). Dieser Vorrang steht einem Ausschluss kartellzivilrechtlicher Erstattungsansprüche durch die Richtlinie 2001/14/EG von vornherein entgegen. Dies entspricht der Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach den Gerichten die Zuständigkeit zur Anwendung des Art. 102 AUEV nicht abgesprochen werden darf, weil dies bedeuten würde, dass den Unionsbürgern Rechte genommen würden, die ihnen aufgrund des Vertrags selbst zustehen (EuGH, Urteil vom 30. Januar 1974 ­ C-127/73, Slg. 1974, 51 15/17 - BRT/SABAM; Urteil vom 10. Juli 1980 - C-37/79, Slg. 1980, 2481 Rn. 13 - Marty/Estee Lauder; vgl. auch GA Mengozzi, Schlussanträge vom 24. November 2016 - C-489/15 Rn. 61 in Bezug auf den im Streitfall maßgeblichen Normenkonflikt).

[37] Aus den Gewährleistungen des Art. 102 AEUV folgt aber nicht nur, dass die Vorgaben der Richtlinie 2001/14/EG kartellzivilrechtliche Ansprüche der Eisenbahnverkehrsunternehmen im Streitfall nicht ausschließen können. Der Grundsatz der unmittelbaren Anwendung des Missbrauchsverbots nach Art. 102 AEUV steht auch einem Vorbehalt entgegen, nach dem kartellzivilrechtliche Ansprüche nur dann durchgesetzt werden können, wenn die Regulierungsbehörde zuvor einen Verstoß festgestellt hat. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs bedarf die Verhängung von aus Art. 102 AEUV sich ergebenden Rechtspflichten eines marktbeherrschenden Unternehmens keiner vorherigen behördlichen Verbotsentscheidung (EuGH, Urteil vom 24. Oktober 2018 - C-595/17, WuW 2018, 630 Rn. 35 - Apple Sales International; EuG, Urteil vom 22. März 2000 - T-125/97, Slg. 2000, II-1733 Rn. 80 - Coca-Cola/Kommission; vgl. auch Art. 1 Abs. 3 Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. 2003, L 1 vom 4. Januar 2003, S. 1 ff.). Zudem fällt gemäß Art. 6 VO 1/2003/EG die Anwendung der Art. 81, 82 EV (jetzt Art. 101, 102 AEUV) in die Zuständigkeit der einzelstaatlichen Gerichte. Zwar sind diese bei der Prüfung von zivilrechtlichen Ansprüchen wegen eines Verstoßes gegen das Verbot nach Art. 102 AEUV gemäß Art. 16 VO 1/2003 an die Entscheidungen der Europäischen Kommission und nach den Vorgaben des Art. 9 der Richtlinie 2014/104/EU an Entscheidungen der nationalen Wettbewerbsbehörden gebunden. Die Gerichte bleiben aber auch bei der Einleitung eines Verfahrens durch die Kommission für die Anwendung des Art. 102 AEUV zuständig (EuGH, Urteil vom 14. Dezember 2000 - C-344/98, Slg. 2000, I-11369 = EuZW 2001, 113 Rn. 47 ­ Masterfoods). Gemäß Art. 16 VO 1/2003 müssen es die Gerichte der Mitgliedstaaten dabei vermeiden, Entscheidungen zu erlassen, die einer Entscheidung der Kommission in einem bereits anhängigen Verfahren zuwiderlaufen. Vergleichbare Verpflichtungen der nationalen Gerichte bei der Anwendung des Art. 102 AEUV gegenüber der zuständigen Regulierungsstelle bestehen nach den Richtlinien 2001/14/EG und 2012/34/EU indes nicht. Dafür gibt es angesichts der selbständigen Zwecke der primärrechtlichen Missbrauchskontrolle nach Art. 102 AEUV auch keinen Anlass. Vielmehr sind, soweit die von der sektorspezifischen Regulierung eröffneten Handlungsspielräume eines marktbeherrschenden Infrastrukturunternehmens nicht hinreichend von Wettbewerb kontrolliert werden, diese am primärrechtlichen Maßstab des Art. 102 AEUV zu messen.

[38] (3) Zudem könnte selbst ein weitergehendes Regelungsziel der Richtlinie nicht zur selbständigen Begründung einer Einschränkung der Ansprüche von Eisenbahnverkehrsunternehmen herangezogen werden. Dem stünde entgegen, dass der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem dienen darf (s. nur EuGH, Urteil vom 29. Juni 2017 - C-579/15 Rn. 33 - Poplawski; st. Rspr.). Kann das nationale Recht nicht richtlinienkonform ausgelegt werden, darf sich ein Einzelner zwar gegenüber dem Staat unmittelbar auf die Bestimmungen einer Richtlinie berufen, sofern diese inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind (EuGH, Urteil vom 6. November 2018 - C-569/16, NJW 2019, 499 Rn. 70 - Bauer; Urteil vom 19. Januar 1982 - Rs. 8/81, NJW 1982, 499 Rn. 23 ff. - Becker). Ansprüche gegenüber Dritten oder Einschränkungen von Rechten Dritter wie hier Ansprüche von Eisenbahnverkehrsunternehmen bei einem Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung eines Eisenbahnverkehrsunternehmens kann eine Richtlinie hingegen nicht begründen, da dies darauf hinausliefe, der Europäischen Union die Befugnis zuzuerkennen, mit unmittelbarer Wirkung zu Lasten Einzelner Verpflichtungen anzuordnen. Solches darf sie außerhalb des Primärrechts jedoch nur dort, wo ihr die Befugnis zum Erlass von Verordnungen zugewiesen ist (EuGH, Urteil vom 7. August 2018 - C-122/17, RIW 2018, 674 Rn. 42 - Smith; Urteil vom 26. Februar 1986 Rn. 152/84, NJW 1986, 2178 Rn. 48 - Marshall).

[39] Dies entspricht nicht nur der Kompetenzordnung zwischen Union und Mitgliedstaaten. Es entspricht im Streitfall zudem der unionsrechtlichen Verpflichtung der Mitgliedstaaten, bei der Umsetzung des Unionsrechts zu gewährleisten, dass das in Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gewahrt ist (s. dazu zuletzt EuGH, Urteil vom 19. Dezember - C-752/18, juris Rn. 34 - Deutsche Umwelthilfe/Freistaat Bayern). Ein effektiver gerichtlicher Schutz der durch Art. 102 AEUV eingeräumten Rechte gegenüber dem Betreiber einer Eisenbahninfrastruktureinrichtung wäre nicht gewährleistet, wenn die Eisenbahnverkehrsunternehmen bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche verfahrensrechtliche Voraussetzungen beachten müssten, die weder zum Zeitpunkt der Anspruchsentstehung noch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Geltendmachung gesetzlich bestimmt und damit für die Berechtigten erkennbar waren.

[40] (4) Vor diesem Hintergrund kann den geltend gemachten Ansprüchen - anders als im alleinigen Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/14/AEUV (vgl. EuGH, aaO, EuZW 2018, 73 Rn. 95 - CLT Logistics; ebenso Urteil vom 21. November 2019, aaO, juris Rn. 67 ff. - Deutsche Lufthansa AG) - die Berechtigung auch nicht mit der Begründung abgesprochen werden, dass die zivilrechtliche Durchsetzung individueller Ansprüche eine Ungleichbehandlung der Zugangsberechtigten deshalb nach sich ziehen könne, weil einige dieser Zugangsberechtigten Rückzahlungsansprüche nicht geltend machten. Diesem Gesichtspunkt, der dem Grundsatz der einheitlichen Wirkung der Regulierungsentscheidung Rechnung trägt (EuGH, aaO, EuZW 2018, 73 Rn. 94 - CLT Logistics), kommt im Rahmen der Anwendung des Art. 102 AEUV keine maßgebliche Bedeutung zu. Das primärrechtliche Missbrauchsverbot begründet subjektive Rechte der Zugangsberechtigten gegenüber dem marktbeherrschenden Infrastrukturbetreiber, die unabhängig von den Vorgaben der Richtlinie 2001/14/EG und der dort vorgesehenen Entgeltkontrolle entstehen. Dies bezeichnet auch den wesentlichen Unterschied zwischen dem Missbrauchs- und Diskriminierungsverbot des Art. 102 AEUV und dem von der Regulierungsstelle zu wahrenden sekundärrechtlichen Diskriminierungsverbot des Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2001/14/EG. Wollte man die von Art. 102 AEUV gewährten Rechte dem Kollektiv der Zugangsberechtigten unterordnen, stünde dies in unauflösbarem Widerspruch zu der primärrechtlich begründeten individuellen Befugnis der Marktteilnehmer zur zivilrechtlichen Durchsetzung der Wettbewerbsregeln.

[41] Ebenso wenig greift nach den vorstehenden Erwägungen der Einwand der Revisionserwiderung durch, wonach eine zivilgerichtliche Kontrolle der Wegeentgelte der ausschließlichen Zuständigkeit der Bundesnetzagentur zur Überprüfung dieser Entgelte entgegenstehe. Eine solche ausschließliche Zuständigkeit besteht allein im Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/14/EG. Sie erstreckt sich jedoch, wie sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 102 AEUV ergibt und wie Art. 6 VO 1/2003 - und nur insoweit deklaratorisch - feststellt, nicht auf die Anwendung des Art. 102 AEUV.

[42] Fehl geht schließlich die Auffassung der Revisionserwiderung, die von der Richtlinie 2001/14/EG eröffneten und für die Zwecke der Regulierung zu beachtenden Gestaltungsspielräume des Eisenbahninfrastrukturbetreibers würden durch eine zivilgerichtliche Durchsetzung des Art. 102 AEUV unzulässig eingeschränkt. Diese Annahme beruht auf einem unzutreffenden Verständnis der Zwecke des Art. 102 AEUV. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es gerade die zentrale Aufgabe des Missbrauchsverbots, die vom Wettbewerb nicht hinreichend kontrollierten Handlungsspielräume eines marktbeherrschenden Unternehmens der Kontrolle durch die Wettbewerbsbehörden und die Zivilgerichte zu unterwerfen.

[43] III. Eine Aussetzung des Rechtsstreits in analoger Anwendung des § 148 ZPO im Hinblick auf das Verwaltungsverfahren bei der Bundesnetzagentur ist nicht geboten.

[44] 1. Um bei der Anwendung des Art. 102 AEUV den Zwecken und Wirkungen der sektorspezifischen Regulierung, auf die der Gerichtshof hinweist (EuGH, aaO, EuZW 2018, 73 Rn. 94 ff. ­ CTL-Logistics), Rechnung zu tragen (vgl. Immenga/Mestmäcker in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 6. Aufl., Einl. EU A Rn. 71), können die Zivilgerichte zwar gegebenenfalls verpflichtet sein, den Ausgang eines bei der Regulierungsstelle anhängigen Verfahrens abzuwarten. Denn nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes sind alle Träger öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten folglich auch die Gerichte, nach Art. 5 EUV verpflichtet, alle zur Erfüllung der unionsrechtlichen Verpflichtungen geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen und von solchen Maßnahmen abzusehen, die geeignet sind, die Verwirklichung der Ziele des Vertrags zu gefährden (EuGH, Urteil vom 14. Dezember 2000 ­ C­344/98, Slg. 2000, I-11369 = EuZW 2001, 113 Rn. 49 - Masterfoods). Insofern sind auch Feststellungen, die die Bundesnetzagentur als zuständige Regulierungsstelle im Sinne des Art. 30 Richtlinie 2001/14/EG sowie des Art. 55 Richtlinie 2012/34/EU im Rahmen der Entgeltkontrolle nach den Vorschriften des AEG aF trifft, bei der Anwendung des Art. 102 AEUV zu berücksichtigen.

[45] 2. Im Streitfall ist jedoch nicht zu erwarten, dass die Bundesnetzagentur - wenn überhaupt - in absehbarer Zeit in eine Sachprüfung der hier beanstandeten Wegeentgelte eintritt.

[46] Die Bundesnetzagentur hat sich von Amts wegen mit der von der Klägerin beanstandeten Entgeltregelung und den auf Grundlage der Regionalfaktoren berechneten Wegeentgelte für den hier interessierenden Zeitraum in der Sache befasst und diese Entgelte gemäß Beschluss vom 5. März 2010 für diskriminierend im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 AEG befunden. Sie hat das Verfahren jedoch durch Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags unter Absenkung der Regionalfaktoren mit Rechtsbindungswillen einvernehmlich beendet. Den Antrag der Klägerin auf Feststellung der Ungültigkeit der von der Beklagten auf Grundlage ihres Trassenpreissystems einschließlich der von der Klägerin beanstandeten Regionalfaktoren erhobenen Entgelte mit Bescheid vom 11. Oktober 2019 hat die Bundesnetzagentur als unzulässig verworfen und dies im Wesentlichen - und im Lichte der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zumindest vertretbar (BVerwG, N&R 2015, 55; Buchholz 442.09, § 14f AEG Nr. 1; OVG Münster, DVBl. 2015, 986; vgl. auch Gerstner in Hermes/Sellner, AEG, 2. Aufl., § 14 f. Rn. 25; Staebe, EReG, § 68 Rn. 17; Linsmeier/Röckrath, EuZW 2019, 412, 413 f.) - damit begründet, dass nach dem intertemporal anwendbaren Verfahrensrecht des in Umsetzung der Richtlinie 2012/34/EU erlassenen Eisenbahnregulierungsgesetzes das beanstandete Verhalten bereits nicht rügefähig sei, weil sich die Anträge auf nicht mehr gültige, in der Vergangenheit liegende Zugangsentgelte richteten und es - auch unter Berücksichtigung unionsrechtlicher und verfassungsrechtlicher Vorgaben - sowohl unter Geltung des Eisenbahnregulierungsgesetzes als auch des Allgemeinen Eisenbahngesetztes alter Fassung an einer Ermächtigungsgrundlage fehle, welche es ihr erlaube, Feststellungen mit Wirkung für die Vergangenheit zu treffen oder Rückerstattungen überzahlter Entgelte anzuordnen. Danach fehlt es sowohl im Allgemeinen Eisenbahngesetz als auch im Eisenbahnregulierungsgesetz bereits an einer Befugnis der Bundesnetzagentur zur rückwirkenden Überprüfung von bereits gezahlten Wegeentgelten.

[47] Vor diesem Hintergrund kann die Verpflichtung zu loyaler Zusammenarbeit zwischen den das Unionsrecht anwendenden Gerichten und Behörden nicht dazu zwingen, der Klägerin einen weiteren Stillstand bei der gerichtlichen Prüfung ihres Schadensersatzbegehrens abzuverlangen, weil anderenfalls die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte im Widerspruch zur Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs praktisch unmöglich gemacht oder zumindest übermäßig erschwert würde. Im Übrigen ist bei dieser Sachlage auch nicht die Gefahr einer Rechtswegspaltung für die hier geltend gemachten Ansprüche zu besorgen.

[48] IV. Es stellt sich vorliegend keine Frage zur Auslegung des Unionsrechts, die ein Vorabentscheidungsersuchen an den Unionsgerichtshof erfordert. Im Hinblick auf die aus dem Primärrecht (Art. 102 AEUV) abgeleiteten subjektiven Rechte der Klägerin unterliegt es keinem vernünftigen Zweifel (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - 282/81, Slg. 1982, 3415 Rn. 16 = NJW 1983, 1257 - C.I.L.F.I.T.), dass Art. 102 AEUV sowie die Anspruchsgrundlagen des nationalen Rechts, die zur Verwirklichung der aus dem Missbrauchsverbot abgeleiteten Rechte erforderlich sind, unabhängig davon Anwendung finden, ob die Richtlinie 2001/14/EG und in deren Umsetzung § 14 Abs. 1 Satz 1 AEG aF die Beklagte auf die Erhebung nichtdiskriminierender Wegenutzungsentgelte verpflichtet und die von der Beklagten geforderten Entgelte einer Kontrolle durch die Bundesnetzagentur unterwirft.

[49] Soweit das Berufungsgericht ebenso wie einzelne Landgerichte (LG Frankfurt a.M., Urteil vom 9. Mai 2018 ­ 2­06 O 38/17, N&R 2018, 248; LG Leipzig, Urteil vom 6. Juli 2018 ­ 01 HK O 3365/14; LG Berlin, Urteil vom 30. Oktober 2018, 16 O 495/15 Kart, N&R 2019, 59) und Teile der Literatur (Gerstner EuZW 2018, 79 ff.; Staebe, ERegG, Einf Rn. 51; ders. EuZW 2018, 118, 121; Karakus, EuR 2018, 477; Freise, TranspR 2018, 425, 431; dagegen Bremer/?Scheffczyk, NZKart 2018, 121, 122 f.; Baumgartner/Hauf, TranspR 2019, 69, 70 f., diess. EuZW 2018, 1028, 1029 ff.) aus der Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs zur Auslegung der Richtlinie 2001/14/EG einen Ausschluss kartellzivilrechtlicher Ansprüche der Eisenbahnverkehrsunternehmen ableiten oder diese Ansprüche unter den Vorbehalt einer rechtskräftigen Entscheidung der Bundesnetzagentur stellen, nach der die geforderten Entgelte nicht in Einklang mit den Vorschriften des Allgemeinen Eisenbahngesetztes alter Fassung stehen, ergibt sich daraus nichts anderes. Diese Auffassungen berücksichtigen weder die aufgezeigten - und nach ständiger Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs unzweifelhaften - Wirkungen der primärrechtlichen Gewährleistungen des Art. 102 AEUV und der damit verbundenen Befugnis zur gerichtlichen Durchsetzung zivilrechtlicher Ersatzansprüche noch das Erfordernis einer Umsetzung des vermeintlichen Richtliniengebots in eine gesetzliche Regelung, die Beschränkungen der Durchsetzbarkeit individueller Ansprüche ausdrücklich anordnete und damit den Eisenbahnverkehrsunternehmen vor Augen führte, was sie zur Wahrung ihrer Rechte zu beachten hätten.

[50] V. Da sich das Urteil des Berufungsgerichts nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO), ist es aufzuheben (§ 562 ZPO). Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, weil das Berufungsgericht - nach seinem rechtlichen Standpunkt folgerichtig - keine Feststellungen zu den Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 102 AEUV getroffen hat. Die Sache ist daher zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).

[51] VI. Für das wiederzueröffnende Berufungsverfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

[52] 1. Das Berufungsgericht wird für die Beurteilung, ob der Klägerin wegen der von der Beklagten geforderten Entgelte Ansprüche aus § 33 Abs. 3 GWB aF oder nach § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB - jeweils in Verbindung mit Art. 102 AEUV - zustehen, die von der Bundesnetzagentur getroffene Entscheidung vom 5. Oktober 2010 berücksichtigen können, wonach die von der Beklagten im Trassenpreissystem 2010/2011 verwendeten Regionalfaktoren im Widerspruch zu dem nach § 14 Abs. 1 AEG aF geltenden eisenbahnrechtlichen Diskriminierungsverbot stand. Dass die Entscheidung der Regulierungsbehörde keine Bestandskraft erlangt hat, sondern das von der Bundesnetzagentur von Amts wegen eingeleitete Verfahren durch eine einvernehmliche Regelung zwischen der Bundesnetzagentur und der Beklagten beendet worden ist, steht dem nicht entgegen. Der öffentlich-rechtliche Vertrag, an dem weder die Klägerin noch ein anderes Eisenbahnverkehrsunternehmen beteiligt worden ist, kann jedenfalls gegenüber den Eisenbahnverkehrsunternehmen keine Wirkung entfalten. Die Beklagte wiederum ist nicht gehindert, im wiedereröffneten Berufungsverfahren Einwände gegen die Beurteilung der Bundesnetzagentur in ihrem Bescheid vom 5. März 2010 zu erheben.

[53] 2. Für die Beurteilung der Frage, ob das beanstandete Verhalten der Beklagten geeignet ist, den zwischenstaatlichen Handel spürbar zu beeinträchtigen, wird das Berufungsgericht in Rechnung stellen müssen, dass es angesichts des flächendeckend anwendbaren Trassenpreissystems der Beklagten nicht fern liegt, dass das Preissetzungsverhalten der Beklagten den Zugang von Wettbewerbern aus anderen Mitgliedstaaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erschweren geeignet ist (vgl. dazu Bekanntmachung der Kommission, Leitlinien

über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags, Rn. 23, 97, ABl. 2004, C 101, 81 vom 27. April 2004, S. 1 ff.).

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