BGH, Urteil vom 6. Dezember 2022 - X ZR 120/20

02.01.2023

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

Verkündet am:

6. Dezember 2022

SchönthalJustizangestellteals Urkundsbeamtinder Geschäftsstelle

in der Patentnichtigkeitssache


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


PatG § 14


Ob eine Verbindungsleitung aufgrund ihrer räumlich-körperlichen Beschaffenheit geeignet ist, direkt mit anderen Bauteilen verbunden zu werden, hängt nicht nur von den Anforderungen ab, die der Patentanspruch an die Beschaffenheit der Verbindungsleitung selbst stellt, sondern auch von der im Patentanspruch definierten Beschaffenheit der Bauteile, mit denen sie verbunden wird.

PatG § 82 Abs. 1 und 2

Die nach Versäumung der Frist zur Erklärung über eine Patentnichtigkeitsklage mögliche Entscheidung nach § 82 Abs. 2 PatG erfordert eine sachliche Überprüfung des Klagevorbringens. Lediglich die Tatsachenbehauptungen des Klägers sind als zutreffend zu unterstellen. Die rechtliche Prüfung auf Grundlage dieser Behauptungen hat demgegenüber in gleicher Weise zu erfolgen wie in einem streitigen Verfahren. Diese Beurteilung unterliegt der Überprüfung in der Berufungsinstanz.


BGH, Urteil vom 6. Dezember 2022 - X ZR 120/20 - Bundespatentgericht


Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. Dezember 2022 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Bacher, den Richter Dr. Deichfuß, die Richterin Dr. Kober-Dehm sowie die Richter Dr. Rensen und Dr. Crummenerl

für Recht erkannt:

Die Berufung gegen das Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 2. Dezember 2020 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

[1] Die Beklagte ist Inhaberin des deutschen Patents 10 2008 005 655 (Streitpatents), das am 23. Januar 2008 angemeldet wurde und eine Verbindungsleitung zwischen Einzelfeuerstätte und Schornstein betrifft.

[2] Patentanspruch 1, auf den 23 weitere Ansprüche zurückbezogen sind, lautet:

Verbindungsleitung für eine nach außen hin rauchdichte Verbindung einer Einzelfeuerstätte mit einem Schornstein, die ein Verbindungsrohr aus Metall mit durchgängiger Röhre für einen Rauchdurchlass aufweist, wobei die Enden des Verbindungsrohres so geformt sind, dass das eine Ende direkt auf oder in einen Abgasstutzen aus der Einzelfeuerstätte und das andere Ende direkt auf oder in einen Anschlussstutzen oder eine Aufnahmeöffnung des Schornsteins gesteckt werden kann, und wobei die Verbindungsleitung (10; 20; 30) ein Innenrohr (11; 21; 31) sowie ein dazu koaxiales, das Innenrohr (11; 21; 31) mit radialem Abstand umgebendes Außenrohr (12; 22; 32) umfasst,

dadurch gekennzeichnet,

dass im Zwischenraum zwischen Innenrohr (11; 21; 31) und Außenrohr (12; 22; 32) Isoliermaterial (13; 23; 33) vorgesehen ist,

dass das Innenrohr (11; 21; 31) von einem Ende der Verbindungsleitung (10; 20; 30) bis zu ihrem anderen Ende durchgängig mit radialem Abstand vom Außenrohr (12; 22; 32) umgeben ist,

dass der radiale Abstand zwischen Innenrohr (11; 21; 31) und Außenrohr (12; 22; 32) 10 bis 30 mm beträgt

und dass die Außenflächen des Außenrohres (12; 22; 32) zumindest teilweise eine hitzebeständige Zierbeschichtung aufweisen.

[3] Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus und sei nicht patentfähig.

[4] Das Patentgericht hat die Nichtigkeitsklage am 22. Juni 2020 dem zu diesem Zeitpunkt im Patentregister eingetragenen Vertreter der Beklagten zugestellt. Die Beklagte hat der Klage nicht widersprochen. Das Patentgericht hat das Streitpatent daraufhin ohne mündliche Verhandlung für nichtig erklärt.

[5] Mit ihrer dagegen gerichteten Berufung verteidigt die Beklagte das Streitpatent in der erteilten Fassung. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe:

[6] A. Die Berufung ist zulässig.

[7] Gemäß § 110 Abs. 1 PatG findet die Berufung gegen Urteile der Nichtigkeitssenate des Patentgerichts statt. Unter diesen Tatbestand fällt auch ein Urteil, das nach § 82 Abs. 2 PatG ohne mündliche Verhandlung ergangen ist, weil sich der Nichtigkeitsbeklagte nicht rechtzeitig zur Klage erklärt hat (Benkard/?Hall/?Nobbe, PatG, 11. Aufl., § 82 Rn. 6; Busse/Keukenschrijver, PatG, 9. Aufl., § 82 Rn. 11; Schulte/Voit, PatG, 11. Aufl., § 82 Rn. 8).

[8] B. Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

[9] I. Das angefochtene Urteil ist nicht bereits deshalb aufzuheben, weil die Nichtigkeitsklage - wie die Beklagte geltend macht - nicht ordnungsgemäß zugestellt worden sei.

[10] Das Patentgericht konnte die Klage an den zum Zeitpunkt der Zustellung im Patentregister eingetragenen Vertreter der Beklagten mit gleicher Wirkung wie an diese selbst zustellen (§ 127 Abs. 2 PatG in Verbindung mit § 171 ZPO).

[11] Die Wirksamkeit dieser Zustellung hängt nicht davon ab, ob der Vertreter die Klage an die Beklagte weitergegeben und diese von ihrem Inhalt Kenntnis genommen hat.

[12] II. Das Streitpatent betrifft eine Verbindungsleitung zwischen einer Einzelfeuerstätte und einem Schornstein.

[13] 1. Nach den Ausführungen in der Streitpatentschrift wurden Einzelfeuerstätten im Stand der Technik mit einwandigen Rauch- oder Abgasrohren an den Schornstein angeschlossen. Derartige Installationen würden als Verbindungsleitung bezeichnet und seien insbesondere für Heizungen mit hohen Abgastemperaturen, wie etwa Kaminöfen, seit langem bekannt (Abs. 3 f.).

[14] Für Verbindungsleitungen sei unter anderem vorgeschrieben, dass bestimmte Abstände zu brennbaren Materialien, vor allem in Wänden und Decken, eingehalten werden müssten. Nach den seit November 2007 in Deutschland geltenden neuen Vorschriften gemäß EN 1856-1 und 1856-2 würden die einzuhaltenden Abstände zu brennbaren Materialien für jedes Verbindungsleitungssystem dadurch bestimmt, dass festgelegte Maximaltemperaturen an den brennbaren Materialien nicht überschritten werden dürften. Diese Regelung führe dazu, dass die bis dahin einzuhaltenden Abstände teilweise deutlich vergrößert werden müssten und in bestimmten Einbausituationen die Feuerstätte nicht mehr ohne zusätzliche Schutzmaßnahmen, wie beispielsweise einen Strahlungsschutz, eingebaut werden könne. Insbesondere bei Einzelfeuerstätten in Wohnräumen lehnten Bauherren den Einbau derartiger Vorrichtungen indessen häufig ab (Abs. 5).

[15] Aus dem deutschen Gebrauchsmuster 1 918 388 (D13-7) sei ein Rauchrohr bekannt, das die Wärmeabstrahlung in einem doppelwandigen mittleren Abschnitt aufgrund einer gewissen Isolationswirkung der Luftschicht zwischen dem Innenrohr und dem Außenrohr ein wenig reduziere und dadurch die Brandgefahr für Tapeten und andere Gegenstände in diesem Bereich vermindere. Dieses Bauteil könne nur für Öfen mit Abgasstutzen auf der Hinterseite verwendet werden. Der Ofen müsse in diesem Fall so aufgestellt werden, dass er genau mit diesem Bauteil und ohne weitere Verbindungsstücke an den Schornstein angeschlossen werden könne. Würde man zur Erhöhung der räumlichen Flexibilität zwei solcher Rohre miteinander verbinden, würde an der Verbindungsstelle - ebenso wie beim Abgasstutzen des Ofens und beim Anschluss an den Schornstein - die Wärmeisolierung fehlen, so dass die - ohnehin nur geringe - Wärmeschutzwirkung des doppelwandigen Abschnitts an diesen Stellen unterbrochen wäre (Abs. 6).

[16] 2. Vor diesem Hintergrund betrifft das Streitpatent das technische Problem, eine Verbindungsleitung mit technisch möglichst einfachen und preisgünstigen Mitteln dahingehend weiterzubilden, dass die zu brennbaren Materialien einzuhaltenden Abstände deutlich reduziert werden können und darüber hinaus die ästhetische Gestaltung verbessert wird (Abs. 7).

[17] 3. Zur Lösung schlägt Patentanspruch 1 eine Verbindungsleitung vor, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen (Merkmalsgliederung des Patentgerichts in eckigen Klammern):

1. Die Verbindungsleitung (10; 20; 30) dient einer nach außen hin rauchdichten Verbindung einer Einzelfeuerstätte mit einem Schornstein [M1].

2. Die Verbindungsleitung (10; 20; 30) weist ein Verbindungsrohr aus Metall mit durchgängiger Röhre für einen Rauchdurchlass auf [M2], wobei

2.1 die Enden des Verbindungsrohres so geformt sind, dass das eine Ende direkt auf oder in einen Abgasstutzen aus der Einzelfeuerstätte [M3] und das andere Ende direkt auf oder in einen Anschlussstutzen oder eine Aufnahmeöffnung des Schornsteins gesteckt werden kann [M4];

2.2 sie ein Innenrohr (11; 21; 31) und ein dazu koaxiales Außenrohr (12; 22; 32) umfasst [M5], wobei

2.2.1 das Innenrohr (11; 21; 31) von einem Ende der Verbindungsleitung bis zu ihrem anderen Ende durchgängig mit radialem Abstand vom Außenrohr (12; 22; 32) umgeben ist [M7] und

2.2.2 der radiale Abstand zwischen Innenrohr (11; 21; 31) und Außenrohr 10 bis 30 mm beträgt [M8].

3. Im Zwischenraum zwischen Innenrohr (11; 21; 31) und Außenrohr (12; 22; 32) ist Isoliermaterial vorgesehen [M6].

4. Die Außenflächen des Außenrohres (12; 22; 32) weisen zumindest teilweise eine hitzebeständige Zierbeschichtung auf [M9].

[18] 4. Einige Merkmale bedürfen näherer Erörterung.

[19] a) Eine Verbindungsleitung im Sinne von Merkmal 1 ist von einem Schornstein zu unterscheiden.

[20] In diesem Zusammenhang ist unerheblich, welche Bezeichnungen für eine derartige Verbindungsleitung in der Streitpatentschrift (Rauchrohr, Abgasrohr, Abs. 4) oder im allgemeinen Sprachgebrauch (Ofenrohr) verwendet werden. Schon aus der Vorgabe in Merkmal 1, dass eine Verbindungsleitung im Sinne des Streitpatents der Verbindung mit dem Schornstein dient, ergibt sich, dass ein Schornstein keine Verbindungsleitung in diesem Sinne sein kann.

[21] Anders als die Klägerin meint, geht auch die Beschreibung des Streitpatents durchgehend von dieser Unterscheidung aus. Übereinstimmend mit Merkmal 1 des Patentanspruchs ist in der Streitpatentschrift ausgeführt, dass eine Installation, mit der eine Einzelfeuerstätte an einen Schornstein angeschlossen wird, als Verbindungsleitung bezeichnet wird (Abs. 4).

[22] Die Streitpatentschrift nimmt im Zusammenhang mit der Schilderung des Standes der Technik zwar auch auf doppelwandige Rohrsysteme aus Edelstahl Bezug, die anderen Zwecken dienen. Sie hebt insoweit aber hervor, dass derartige Systeme als Schornsteine eingesetzt würden und daher nicht direkt an die Feuerstätte angeschlossen werden könnten. Deshalb sei es erforderlich, zwischen der Feuerstätte und dem doppelwandigen Edelstahl-Schornsteinsystem zumindest eine einwandige Verbindungsleitung zu installieren. Die marktüblichen doppelwandigen Schornsteine verfügten nicht über die notwendigen doppelwandigen Zusatz-Bauteile, um sie direkt an den Abgasstutzen der Feuerstätte anschließen zu können, wie dies die erfindungsgemäße Verbindungsleitung ermögliche (Abs. 12 f.).

[23] b) Eine Einzelfeuerstätte im Sinne der Merkmale 1 und 2.1 ist eine Vorrichtung, in der durch Verbrennen eines geeigneten Stoffs Wärme erzeugt und an die Umgebung abgegeben wird.

[24] Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des Merkmals und aus der Funktion, die ihm nach der Erfindung zukommt.

[25] Die Beschreibung des Streitpatents enthält keine eigenständige Definition des Begriffs. Als Beispiel wird ein Kaminofen angeführt (Abs. 3, 11, 19 und 50). Patentanspruch 1 gibt jedoch keine bestimmte Bauart vor. Patentanspruch 2 sieht demgegenüber zwingend vor, dass es sich um einen Kaminofen handelt.

[26] c) Besondere Bedeutung kommt der Ausgestaltung der Verbindungsleitung gemäß Merkmalsgruppe 2 zu.

[27] aa) Nach der Beschreibung sorgt der nach der Merkmalsgruppe 2.2 vorgesehene doppelwandige Aufbau der Verbindungsleitung für eine extrem wirksame Wärmedämmung und einen maximalen Wärmegradienten zwischen der Innen- und der Außenseite. Deshalb lägen selbst bei Heizanlagen mit relativ hoher Abgastemperatur die Außenflächen der Verbindungsleitung auch im Betriebszustand meist bei Zimmertemperatur, so dass der einzuhaltende Mindestabstand zu brennbaren Materialien minimiert werden könne (Abs. 10). Der in Merkmal 2.2.2 vorgesehene radiale Abstand der beiden Rohre im Bereich zwischen 10 und 30 mm reiche aus, um die Abstrahlungswärme so weit zu reduzieren, dass die einzuhaltenden Abstände zu brennbaren Materialien nicht größer seien als nach den bisherigen Vorschriften (Abs. 11).

[28] bb) Zu Recht hat das Patentgericht angenommen, dass sich aus den Merkmalen 1 und 2.1 lediglich Anforderungen an die Eignung der geschützten Leitung für die genannten Einsatzzwecke ergeben, nicht aber die Vorgabe, dass die Leitung für diesen Zweck verwendet werden muss.

[29] (1) Funktions- und Zweckangaben definieren den durch das Patent geschützten Gegenstand regelmäßig lediglich dahin, dass er geeignet sein muss, für die im Patentanspruch genannte Funktion und den dort genannten Zweck verwendet zu werden (BGH, Urteil vom 3. November 2020 - X ZR 85/19, GRUR 2021, 462 Rn. 49 - Fensterflügel; Urteil vom 24. April 2018 - X ZR 50/16, GRUR 2018, 1128 Rn. 12 - Gurtstraffer).

[30] (2) Im Streitfall ist den Merkmalen 1 und 2.1 danach zu entnehmen, dass die Verbindungsleitung so ausgestaltet sein muss, dass mit ihr der Abgasstutzen einer Einzelfeuerstätte mit dem Anschlussstutzen oder der Aufnahmeöffnung eines Schornsteins verbunden werden kann, und zwar durch direktes Aufstecken auf diese beiden Teile.

[31] Diese Anforderung setzt nicht zwingend voraus, dass alle für das Aufstecken erforderlichen Teile einstückig an der Verbindungsleitung ausgebildet oder fest mit dieser verbunden sind. Die Beschreibung sieht vielmehr vor, dass die Leitung aus mehreren Teilabschnitten bestehen kann, zu denen auch Eckstücke, Bögen oder T-Stücke gehören können (Abs. 23 f.). Die Patentansprüche 7 und 8 sehen einen Schutz für solche Ausgestaltungen ausdrücklich vor.

[32] Die in der Beschreibung als besonders vorteilhaft geschilderte Ausgestaltung, dass das Ende jedes Teilstücks so ausgebildet ist, dass es direkt auf oder in ein anderes Teilstück oder den Abgasstutzen des Wärmeerzeugers gesteckt werden kann (Abs. 24), hat hingegen weder in Patentanspruch 1 noch in den Patentansprüchen 7 und 8 Niederschlag gefunden. Anspruch 8 sieht lediglich vor, dass ein Teilstück in das andere, nicht aber, dass es auch direkt auf oder in den Abgasstutzen gesteckt werden kann. Damit bleibt die Möglichkeit offen, erst am Ende der Leitung ein Teilstück anzubringen, das auf oder in den Abgasstutzen gesteckt werden kann.

[33] (3) Ob eine Leitung die danach erforderliche Eignung aufweist, hängt, wie das Patentgericht zu Recht angenommen hat, nicht nur von den Anforderungen ab, die Patentanspruch 1 an die Beschaffenheit der Verbindungsleitung selbst stellt, sondern auch von der im Patentanspruch definierten Beschaffenheit der Bauteile, mit denen sie verbunden wird. Je geringer die Anforderungen sind, die an diese Bauteile gestellt werden, umso geringer sind konsequenterweise die Anforderungen an die Ausgestaltung der Verbindungsleitung.

[34] Hieraus hat das Patentgericht zu Recht den Schluss gezogen, dass den Merkmalen 1 und 2.1 keine näheren Anforderungen an die räumlich-körperliche Ausgestaltung der beiden Enden der Verbindungsleitung zu entnehmen sind, weil Patentanspruch 1 nicht vorgibt, wie der Abgasstutzen einer Einzelfeuerstätte und der Anschlussstutzen oder die Aufnahmeöffnung eines Schornsteins beschaffen sein müssen.

[35] Dass im Stand der Technik bestimmte Ausgestaltungen üblich und zumindest zum Teil durch Normen vorgegeben waren, führt entgegen der Auffassung der Berufung nicht zu einer abweichenden Beurteilung, weil Patentanspruch 1 auf solche Ausgestaltungen oder Normen nicht Bezug nimmt. Selbst aus einer Bezugnahme auf übliche oder handelsübliche Produkte ergäben sich insoweit keine relevanten Beschränkungen, weil das Streitpatent nicht näher ausführt, wie der Kreis solcher Produkte zu bestimmen ist.

[36] d) Hinsichtlich des Isoliermaterials zwischen den beiden Rohren enthält Merkmal 3 nur rudimentäre Vorgaben.

[37] aa) Nach der Beschreibung soll das Isoliermaterial nicht brennbar im Sinne der Feuerwiderstandsklasse A1 der Norm DIN 4102 sein. Dafür kämen Steinwolle, Glaswolle oder mineralische Vliese, Matten oder Ringe in Betracht (Abs. 38-41, Abs. 50).

[38] Diese speziellen Anforderungen haben in Patentanspruch 1 keinen Niederschlag gefunden. Nur die Ansprüche 21 bis 24 legen nähere Details hierzu fest.

[39] bb) Der Vorgabe, dass es sich um Isoliermaterial handeln muss, und den hierauf bezogenen Ausführungen in der Beschreibung ist allerdings zu entnehmen, dass es sich um ein eigens zu diesem Zweck angebrachtes Material handeln muss. Nicht ausreichend ist damit eine Isolierwirkung, die allein durch die zwischen den beiden Rohren befindliche Luft verursacht wird.

[40] Dies ergibt sich insbesondere aus den Ausführungen, wonach schon durch ein doppelwandiges Rohrsystem eine Reduzierung der Abstrahlung erreicht werde, die Abstrahlungswärme durch Verwendung von Dämmstoffen aber nochmals deutlich reduziert werden könne (Abs. 38).

[41] e) Eine Zierbeschichtung im Sinne von Merkmal 4 ist eine zusätzlich auf das Rohr aufgebrachte Schicht, mit der dem Rohr ein anderes Aussehen verliehen werden kann.

[42] aa) Entgegen der Auffassung der Berufung kommt diesem Merkmal technische Wirkung zu.

[43] Merkmal 4 betrifft nicht die ästhetische Ausgestaltung der Zierschicht und damit nicht eine ästhetische Formschöpfung im Sinne von § 1 Abs. 3 Nr. 2 PatG, sondern eine technische Maßnahme, die eine solche Ausgestaltung ermöglicht, nämlich die Aufbringung einer zusätzlichen Schicht auf die Außenflächen des Außenrohrs, die die Möglichkeit eröffnet, dem Rohr ein Erscheinungsbild zu geben, das von demjenigen eines nicht beschichteten Rohrs abweicht.

[44] bb) Hinsichtlich des eingesetzten Materials gibt Merkmal 4 lediglich vor, dass die Beschichtung hitzebeständig sein muss.

[45] Nach der Beschreibung kann die Zierbeschichtung eine Lack-, Ofensilber- oder Bronzeschicht sein oder in einer Pulverbeschichtung bestehen (Abs. 20). Patentanspruch 1 enthält keine diesbezüglichen Vorgaben. Solche finden sich nur in Anspruch 3.

[46] III. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

[47] Der Gegenstand des Streitpatents werde durch den im Produktkatalog DURATECH des Anbieters Simpson Dura-Vent (Stand: Oktober 2005, D1-1) offenbarten Stand der Technik vorweggenommen. D1-1 zeige mit dem dort beschriebenen Kaminrohr (Duratech Chimney), das beispielsweise aus Gerad- (Chimney Pipe) und Winkelrohren (Elbows) bestehe, Bauteile für eine Verbindungsleitung im Sinne von Merkmal 1, die auch für eine nach außen hin rauchdichte Verbindung einer Einzelfeuerstätte mit einem Schornstein geeignet seien. Das in D1-1 gezeigte Geradrohr (Figuren S. 7) entspreche dem Verbindungsrohr gemäß Merkmal 2. Ein solches Geradrohr offenbare auch Merkmal 2.1, da das Streitpatent keine konkreten Angaben zu Abmessungen und Geometrie der Stutzen und der Aufnahmeöffnung enthalte. Die den Innenaufbau einer DURATECH Chimney Pipe darstellende Figur (S. 2) offenbare die Merkmalsgruppe 2.2 und Merkmal 3. Nach der in D1-1 gezeigten Tabelle (S. 7) betrage der Unterschied zwischen dem Außendurchmesser B und dem Innendurchmesser A bei allen Ausführungen zwischen 24 und 25 mm. Schließlich werde auch Merkmal 4 offenbart. Die baugleiche Alternative DURATECH Chimney Pipe weise in der als Variante B bezeichneten Ausführung ein mit schwarzem Lack gestrichenes galvanisiertes Außenblech auf (Galvalume Painted Black, S. 7). Da die DuraTech Chimney Pipe für Abgastemperaturen von bis zu 2100 °F (1149 °C) geprüft und geeignet sei, müsse der schwarze Anstrich eine hitzebeständige Zierbeschichtung im Sinne von Merkmal 4 sein.

[48] IV. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren stand.

[49] 1. Der Umstand, dass die Beklagte der Nichtigkeitsklage in erster Instanz nicht widersprochen hat, hat nicht zur Folge, dass die Entscheidung des Patentgerichts einer inhaltlichen Überprüfung durch das Berufungsgericht entzogen wäre.

[50] Hat sich der Nichtigkeitsbeklagte nicht innerhalb der nach § 82 Abs. 1 PatG zu setzenden Frist von einem Monat zur Klage erklärt, kann das Patentgericht von der in § 82 Abs. 2 PatG vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch machen, der Klage ohne mündliche Verhandlung auf der Grundlage der Behauptungen des Klägers stattzugeben. Die Entscheidung nach § 82 Abs. 2 PatG erfordert eine sachliche Überprüfung des Klagevorbringens. Lediglich die Tatsachenbehauptungen des Klägers sind als zutreffend zu unterstellen. Die rechtliche Prüfung auf Grundlage dieser Behauptungen hat demgegenüber in gleicher Weise zu erfolgen wie in einem streitigen Verfahren.

[51] Zu dieser Prüfung gehört auch die Beurteilung der Frage, ob eine Entgegenhaltung oder eine aufgrund des Klagevortrags als wahr zu unterstellende Vorbenutzung den Gegenstand des angegriffenen Patents offenbart oder nahelegt. Diese Beurteilung unterliegt der Überprüfung in der Berufungsinstanz.

[52] 2. Zu Recht ist das Patentgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 durch D1-1 vollständig offenbart ist.

[53] a) D1-1 offenbart ein für alle Brennstoffe geeignetes Abgassystem (All Fuel Chimney System), das aus einer Abgasanlage (Chimney) besteht, die je nach Bedarf und baulichen Gegebenheiten mit unterschiedlichen Komponenten, beispielsweise einem Rauchrohr (Stovepipe), installiert werden kann bzw. muss.

[54] Typische Installationen zeigen die nachfolgend wiedergegebenen Figuren auf Seite 6 der D1-1.

[55] aa) In den drei Figuren der oberen und in den beiden äußeren Figuren der unteren Reihe wird die Feuerstätte (jeweils ohne Bezugszeichen) über ein Rauchrohr (1) (Stovepipe) mit dem Schornsteinrohr (4) (Chimney Pipe) verbunden. Je nach den baulichen Gegebenheiten sind zusätzlich ein Deckenanschlusskasten (2), ein Dachraumdämmschutz (5), Winkelstücke (9), T-Stücke (11), eine Wanddurchführung (3) oder eine Abschlussmanschette (18) angebracht.

[56] Als mit der Abgasanlage kombinierbare Rauchrohre werden ein doppelwandiges Rohr (DVL Stovepipe) und ein einwandiges Rohr (DURABLACK Stovepipe) angeboten (S. 4). Das doppelwandige Rauchrohr wird als luftisoliert bezeichnet. Es ermögliche, die Abstände zu reduzieren, die zu brennbaren Materialien einzuhalten seien, und verbessere die Ofenleistung, weil sich damit hohe Abgastemperaturen aufrechterhalten ließen, die für einen starken, gleichmäßigen Zug sorgten (S. 4).

[57] bb) Eine Installation ohne Rauchrohr ist in der mittleren Figur der unteren Reihe dargestellt. Dort ist ein offener Kamin direkt mit einem Schornsteinrohr (4) verbunden.

[58] b) Damit sind die Merkmale 1, 2 und 2.1 offenbart.

[59] aa) Wie die Berufung im Ansatz zu Recht geltend macht, wird das als Chimney Pipe bezeichnete Rohr (4) in D1-1 allerdings nicht als Verbindungsleitung im Sinne dieser Merkmale eingesetzt. Diese Funktion hat vielmehr das als Stovepipe bezeichnete Rohr (1).

[60] Bei der mittleren Figur in der unteren Reihe ist das Rohr (4) zwar auf der einen Seite ohne Zwischenschaltung eines anderen Rohres mit der Feuerstätte verbunden. Es fehlt aber die Verbindung mit einem Schornstein auf der anderen Seite, denn das Rohr (4) fungiert selbst als Schornsteinrohr.

[61] bb) Zu Recht hat das Patentgericht jedoch angenommen, dass dieser Umstand der Offenbarung der Merkmale 1, 2 und 2.1 durch das in D1-1 als Chimney Pipe bezeichnete Rohr (4) nicht entgegensteht, weil auch dieses Rohr nach seiner räumlich-körperlichen Beschaffenheit zum Anschluss an den Abgasstutzen einer Einzelfeuerstätte und an einen Anschlussstutzen oder eine Aufnahmeöffnung eines Schornsteins geeignet ist.

[62] Hinsichtlich des Anschlusses an einen Schornstein ergibt sich diese Eignung schon daraus, dass das Rohr (4) aus mehreren miteinander verbindbaren Teilen bestehen kann. Damit ist es objektiv möglich, ein oder mehrere solcher Rohre als Schornsteinrohr einzusetzen und daran ein oder mehrere Rohre derselben Bauart als Verbindungsleitung anzuschließen. Dass D1-1 diese Eignung nicht erwähnt, ist unerheblich. Für die neuheitsschädliche Offenbarung reicht aus, dass die Vorrichtung diese Eignung aufgrund ihrer offenbarten räumlich-körperlichen Ausgestaltung aufweist.

[63] Hinsichtlich des Anschlusses an eine Einzelfeuerstätte ergibt sich die Eignung aus der mittleren Figur in der unteren Reihe der oben wiedergegebenen Abbildung. Dass es sich bei der dort gezeigten Feuerstätte um einen Kamin handelt, ist unerheblich, weil Patentanspruch 1 keine besonderen Anforderungen an die Art der Einzelfeuerstätte vorsieht.

[64] cc) Dass die in D1-1 offenbarten Rohre möglicherweise nicht den in Deutschland geltenden technischen Normen entsprechen, führt entgegen der Auffassung der Berufung nicht zu einer anderen Beurteilung.

[65] Zwar verweist die Beschreibung des Streitpatents an verschiedenen Stellen auf die für Abgasanlagen und deren Bauteile geltenden Normen DIN EN 1856-1 und 1856-2 (Abs. 5, 7). Patentanspruch 1 enthält indessen keine vergleichbaren Vorgaben.

[66] c) Wie auch die Berufung nicht in Zweifel zieht, weist das in D1-1 als Chimney Pipe bezeichnete Rohr (4) ferner die Merkmale 2.2 bis 3 auf.

[67] Das Rohr ist über seine gesamte Länge doppelwandig gestaltet und der Zwischenraum zwischen Innen- und Außenrohr ist mit Isoliermaterial gefüllt.

[68] Die vom Patentgericht aufgrund der in D1-1 offenbarten Abmessungen getroffenen Feststellungen zum Abstand der beiden Rohre lassen ebenfalls keinen Fehler erkennen.

[69] d) Schließlich ist auch Merkmal 4 offenbart.

[70] Wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, wird das in D1-1 als Chimney Pipe bezeichnete Rohr (4) in einer galvanisierten Ausführung (Galvalume) angeboten, die optional schwarz lackiert (painted black) sein kann (S. 7).

[71] Jedenfalls bei dieser Lackierung handelt es sich um eine zusätzliche Schicht, mit der dem Rohr ein abweichendes Aussehen verliehen werden kann. Damit ist eine Zierbeschichtung im Sinne von Merkmal 4 offenbart.

[72] Wie das Patentgericht ebenfalls zutreffend angenommen hat, ist der Angabe, dass das Rohr für Temperaturen bis 2100 °F geprüft und zertifiziert ist (S. 7), zu entnehmen, dass diese Beschichtung hitzebeständig ist.

[73] 3. Hinsichtlich der weiteren Patentansprüche ergibt sich keine abweichende Beurteilung.

[74] a) Die nach Patentanspruch 2 erforderliche Eignung zum Anschluss an einen Kaminofen ist durch das einen Kamin zeigende Ausführungsbeispiel in D1-1 für sich gesehen allerdings nicht offenbart. Sie ergibt sich aber aus dem bereits oben aufgezeigten Umstand, dass die Patentansprüche keine näheren Anforderungen an die Beschaffenheit eines Anschlussstutzens definieren, und daraus, dass es grundsätzlich möglich ist, einen Kaminofen mit einem Anschlussstutzen auszurüsten, wie er in D1-1 für einen Kamin dargestellt ist.

[75] b) Hinsichtlich der weiteren Patentansprüche zeigt die Berufung keine Gesichtspunkte auf, die die Beurteilung durch das Patentgericht in Frage stellen könnten.

[76] V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 2 PatG und § 97 Abs. 1 ZPO.

Bacher Deichfuß Kober-Dehm

Rensen Crummenerl

Verlagsadresse

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Aachener Straße 222

50931 Köln

Postanschrift

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Postfach 27 01 25

50508 Köln

Kontakt

T (0221) 400 88-99

F (0221) 400 88-77

info@rws-verlag.de

© 2024 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Erweiterte Suche

Seminare

Rubriken

Veranstaltungsarten

Zeitraum

Bücher

Rechtsgebiete

Reihen



Zeitschriften

Aktuell