BGH, Urteil vom 7. Mai 2019 - VI ZR 512/17

02.07.2019

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

Verkündet am:

7. Mai 2019

OlovcicJustizangestellteals Urkundsbeamtinder Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


BGB § 826 (B, Gg); GmbHG § 43


a) Bei mittelbaren Schädigungen setzt ein Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB voraus, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (Fortführung Senatsurteil vom 20. Februar 1979 - VI ZR 189/78, NJW 1979, 1599, 1600, juris Rn. 16 ff.; BGH, Urteil vom 11. November 1985

- II ZR 109/84, BGHZ 96, 231, 236 f., juris Rn. 15).

b) Die Verpflichtung des Geschäftsführers einer GmbH aus § 43 Abs. 1 GmbHG, dafür zu sorgen, dass sich die Gesellschaft rechtmäßig verhält und ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkommt, besteht grundsätzlich nur gegenüber der Gesellschaft, nicht hingegen im Verhältnis zu außenstehenden Dritten (Bestätigung Senatsurteil vom 10. Juli 2012 - VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26 Rn. 22 f.; ferner BGH, Urteil vom 18. Juni 2014 - I ZR 242/12, BGHZ 201, 344 Rn. 23 - Geschäftsführerhaftung).

c) Zur Haftung des Geschäftsführers einer GmbH gegenüber den Gesellschaftsgläubigern wegen eines zur Insolvenz der Gesellschaft führenden "Griffs in die Kasse".


BGH, Urteil vom 7. Mai 2019 - VI ZR 512/17 - OLG Karlsruhe, LG Konstanz


Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 7. Mai 2019 durch die Richterin von Pentz als Vorsitzende, den Richter Offenloch, die Richterinnen Dr. Oehler und Dr. Roloff und den Richter

Dr. Allgayer

für Recht erkannt:

Auf die Revision des Beklagten zu 2 wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 29. Dezember 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

[1] Die Klägerin nimmt den Beklagten zu 2 als Geschäftsführer einer insolventen GmbH im Wege des Schadensersatzes für Verbindlichkeiten der GmbH in Anspruch.

[2] Der Beklagte zu 2 war Geschäftsführer der ehemaligen Beklagten zu 1, einer GmbH, die eine Mühle betrieb (nachfolgend "GmbH"). Die Klägerin, die ein landwirtschaftliches Unternehmen betreibt, belieferte die GmbH in den Monaten Juli und August 2012 mit Weizen. Die GmbH lagerte den Weizen zunächst ein und verkaufte ihn dann zu von der Klägerin bestimmten Zeitpunkten zum jeweiligen Tagespreis; die aus den Verkäufen erzielten Erlöse flossen auf ein Konto der GmbH. Die Klägerin bezog ihrerseits von der GmbH Saatgut, Dünger und Ähnliches. Zwischen der Klägerin und der GmbH bestand eine Kontokorrentabrede, nach der die Auszahlung des Differenzguthabens von der GmbH an die Klägerin im Februar des Folgejahres erfolgen sollte. Eine solche Zahlung erfolgte jedoch nicht. Vielmehr stellte der Beklagte zu 2 am 30. Juli 2013 einen Insolvenzantrag für die GmbH, der in der Folgezeit mangels Masse abgewiesen wurde. Grund für die Unfähigkeit der GmbH, die Forderungen der Klägerin und einer Vielzahl weiterer Landwirte zu bedienen, war, dass der Beklagte zu 2 mehrere hunderttausend Euro aus dem Vermögen der GmbH entnommen und für betriebsfremde Zwecke verwendet hatte.

[3] Unter anderem mit der Behauptung, sie habe an die GmbH Weizen im Wert von 84.591,97 € geliefert, wovon nach Verrechnung mit Gegenforderungen in Höhe von 9.043,73 € noch eine Restforderung in Höhe von 75.514,05 € bestehe, verlangt die Klägerin vom Beklagten zu 2 Ersatz ihres Schadens. Sie hat in den Vorinstanzen die Auffassung vertreten, der Beklagte zu 2 hafte für ihre Forderungen wegen Insolvenzverschleppung und Betrugs sowie wegen Verletzung von Geschäftsführerpflichten.

[4] Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts teilweise abgeändert und der Klage in Höhe von 60.018,65 € stattgegeben. Mit seiner vom erkennenden Senat zugelassenen Revision begehrt der Beklagte zu 2 die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

[5] I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, zwar habe das Landgericht einen Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten zu 2 gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 15a Abs. 1 InsO zu Recht verneint; denn es sei nicht bewiesen, dass die GmbH schon im Juli oder August 2012, als die Klägerin ihr den Weizen geliefert habe, zahlungsfähig oder überschuldet gewesen sei. Der Beklagte zu 2 hafte der Klägerin aber aus § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung auf Schadensersatz. Aufgrund der Vereinbarung mit der Klägerin, die Erlöse aus dem Verkauf des Weizens bis zur endgültigen Abrechnung auf dem Konto der GmbH zu belassen, habe eine Treuepflicht des Beklagten zu 2 der Klägerin gegenüber bestanden. Diese Treuepflicht habe der Beklagte zu 2 durch die Entnahmen aus dem Vermögen der GmbH verletzt. Denn wirtschaftlich betrachtet habe er damit das den Landwirten zustehende Geld entnommen und für seine privaten Zwecke verbraucht. Der Beklagte zu 2 habe mit Schädigungsvorsatz gehandelt; das (Berufungs-)Gericht sei nämlich davon überzeugt, dass der Beklagte zu 2 mit der naheliegenden Möglichkeit, die Landwirte nicht bezahlen zu können, gerechnet und dies billigend in Kauf genommen habe, möge er auch gehofft haben, mit dem Einsatz des aus der GmbH entnommenen Geldes an eine Millionenerbschaft im Ausland zu gelangen.

[6] II. Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Auf die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts lässt sich ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen den Beklagten zu 2 aus eigenem Recht nicht stützen.

[7] 1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen den Beklagten zu 2 aus § 826 BGB nicht bejaht werden. Die Feststellungen tragen jedenfalls nicht die Würdigung des Berufungsgerichts, der Beklagte zu 2 habe die Klägerin sittenwidrig geschädigt.

[8] a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögenschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (Senatsurteil vom 28. Juni 2016 - VI ZR 536/15, NJW 2017, 250 Rn. 16 mwN). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (vgl. Senatsurteil vom 20. Februar 1979 - VI ZR 189/78, NJW 1979, 1599, 1600, juris Rn. 16 ff.; BGH, Urteil vom 11. November 1985 - II ZR 109/84, BGHZ 96, 231, 236 f., juris Rn. 15). Ob das Verhalten des Schädigers sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB ist, ist dabei eine Rechtsfrage, die der uneingeschränkten Kontrolle des Revisionsgerichts unterliegt (Senatsurteil vom 28. Juni 2016 - VI ZR 536/15, NJW 2017, 250 Rn. 15, mwN).

[9] b) Nach diesen Grundsätzen kann das Verhalten des Beklagten zu 2 im Verhältnis zur Klägerin auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen nicht als sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB beurteilt werden. Offen bleiben kann dabei, ob das Verhalten des Beklagten zu 2 der Klägerin gegenüber als sittenwidrig zu beurteilen wäre, wenn den Beklagten zu 2 dieser gegenüber - wie das Berufungsgericht meint - eine Treuepflicht getroffen und er diese Pflicht durch die Entnahmen verletzt hätte. Denn auf die bisherigen Feststellungen kann eine Treuepflicht des Beklagten zu 2 gegenüber der Klägerin nicht gestützt werden.

[10] aa) Eine Treuepflicht ergibt sich nicht aus der Stellung des Beklagten zu 2 als Geschäftsführer der GmbH als solcher. Zwar umfassen die Pflichten zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung, die dem Geschäftsführer einer GmbH gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG obliegen, auch die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass sich die Gesellschaft rechtmäßig verhält und ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkommt (Senatsurteile vom 10. Juli 2012 - VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26 Rn. 22; vom 15. Oktober 1996 - VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370, 375, juris Rn. 15; BGH, Urteil vom 28. April 2008 - II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 Rn. 38

- GAMMA; jeweils mwN); ob dies auch für privatvertragliche Verpflichtungen der GmbH gilt, ist umstritten (vgl. nur Rowedder/Schmidt-Leithoff/Schnorbus, GmbHG, 6. Aufl., § 43 Rn. 39, mwN). Letzteres kann im Streitfall aber dahinstehen. Denn eine solche Pflicht besteht grundsätzlich nur gegenüber der Gesellschaft, nicht hingegen im Verhältnis zu außenstehenden Dritten wie der Klägerin (Senatsurteil vom 10. Juli 2012 - VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26 Rn. 22 f.; ferner BGH, Urteil vom 18. Juni 2014 - I ZR 242/12, BGHZ 201, 344 Rn. 23

- Geschäftsführerhaftung).

[11] bb) Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts kann eine dem Beklagten zu 2 der Klägerin gegenüber obliegende Treuepflicht auch nicht aus der zwischen der GmbH und der Klägerin geschlossenen Vereinbarung abgeleitet werden.

[12] (1) Aus vertraglichen Beziehungen erwachsen grundsätzlich nur den Vertragspartnern Pflichten, nicht hingegen Dritten. Dies gilt auch für den Geschäftsführer einer GmbH, wenn es um die vertraglichen Beziehungen der von ihm vertretenen GmbH geht; auch er ist insoweit Dritter und aus den für die GmbH geschlossenen Verträgen deshalb grundsätzlich nicht persönlich verpflichtet (vgl. Senatsurteil vom 10. Juli 2012 - VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26 Rn. 26; ferner Baumbach/Hueck/Zöller/Noack, GmbHG, 21. Aufl., § 43 Rn. 68, mwN). Anderes kann etwa im Rahmen des § 311 Abs. 3 BGB oder dann gelten, wenn der Geschäftsführer im primär für die GmbH abgeschlossenen Vertrag auch persönlich Pflichten übernommen hat, er insoweit also in eigenem Namen gehandelt hat und damit auch selbst Vertragspartner geworden ist.

[13] Das Berufungsgericht hat keine Umstände festgestellt, die im Streitfall eine solche Beurteilung rechtfertigen. Hinsichtlich des genauen Inhalts der zwischen der Klägerin und der GmbH bestehenden "Kontokorrentabrede" beschränken sich die Feststellungen des Berufungsgerichts darauf, es habe die Vereinbarung bestanden, die Erlöse aus dem Verkauf des Weizens bis zur endgültigen Abrechnung auf einem Konto der GmbH zu belassen. Dass der Beklagte damit auch eine persönliche Pflicht übernommen hat, lässt sich daraus nicht ableiten. Die Annahme des Berufungsgerichts, es habe eine Treuepflicht des Beklagten zu 2 bestanden, erschöpft sich in einer bloßen Rechtsbehauptung.

[14] (2) Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus den von der Revision in Bezug genommenen Urteilen des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1989 (VI ZR 335/88, BGHZ 109, 297) und vom 12. März 1996 (VI ZR 90/95, NJW 1996, 1535) sowie des XI. Zivilsenats vom 24. Januar 2006 (XI ZR 384/03, BGHZ 166, 84). Zwar wurden hier Garanten- (Senatsurteil vom 5. Dezember 1989 - VI ZR 335/88, BGHZ 109, 297, 302 ff., juris Rn. 13 ff.; ferner Senatsurteil vom 12. März 1996 - VI ZR 90/95, NJW 1996, 1535, 1537, juris Rn. 21) bzw. Treuepflichten (BGH, Urteil vom 24. Januar 2006 - XI ZR 384/03, BGHZ 166, 84 Rn. 127) des Geschäftsführers einer GmbH gegenüber einem Vertragspartner der GmbH bejaht. Allen Fällen lag aber - anders als im Streitfall - die Verletzung eines absolut geschützten Rechtsguts im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB zugrunde.

[15] 2. Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Insbesondere kann auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen nicht davon ausgegangen werden, dass die GmbH nach den getroffenen Absprachen Gelder der Klägerin treuhänderisch zu verwahren gehabt, sie damit eine Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des § 266 StGB getroffen und der Beklagte zu 2 diese gegenüber der Klägerin bestehende Vermögensbetreuungspflicht der GmbH verletzt hätte (vgl. dazu Senatsurteil vom 24. April 2018 - VI ZR 250/17, NJW 2018, 3093 Rn. 13 ff.). Auch ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten zu 2 aus § 823 Abs. 2 BGB iVm

§§ 266, 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB kann damit auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen schon dem Grunde nach nicht bejaht werden.

von Pentz Offenloch Oehler

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