I ZB 7/11
BUNDESGERICHTSHOF
vom
17. August 2011
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
SGG § 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1; SGB V § 116b Abs. 3
Für eine Unterlassungsklage der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs gegen einen Krankenhausbetreiber, mit der erstrebt wird, dem Beklagten zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr radiologisch-diagnostische Untersuchungen als ambulante Leistungen nach § 116b SGB V durchzuführen und/?oder abzurechnen, sofern die Untersuchungen keine vom Leistungskatalog des § 116b Abs. 3 SGB V umfassten Krankheiten zum Gegenstand haben, ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet.
BGH, Beschluss vom 17. August 2011 - I ZB 7/11 - OLG Schleswig, LG Itzehoe
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. August 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Pokrant, Prof. Dr. Büscher, Dr. Kirchhoff und Dr. Koch
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 16. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 14. Januar 2011 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 7.000 ? festgesetzt.
Gründe:
[1] I. Die Klägerin ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Die Beklagte betreibt ein im Sinne von § 108 SGB V zugelassenes Krankenhaus.
[2] Die Klägerin hat behauptet, die Beklagte führe im geschäftlichen Verkehr radiologisch-diagnostische Untersuchungen als ambulante Leistungen nach § 116b SGB V durch, ohne dass die Untersuchungen eine Krankheit zum Gegenstand hätten, die vom Leistungskatalog des § 116b Abs. 3 SGB V erfasst sei. Die Klägerin hat die behauptete Durchführung der Untersuchungen als wettbewerbswidrig beanstandet und die Beklagte auf Unterlassung sowie Ersatz von vorgerichtlichen Abmahnkosten in Anspruch genommen.
[3] Das Landgericht hat den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Itzehoe verwiesen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Klägerin ist erfolglos geblieben (OLG Schleswig, KHR 2010, 177).
[4] Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde will die Klägerin die Fortsetzung des Rechtsstreits vor den ordentlichen Gerichten erreichen.
[5] II. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO, § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 575 ZPO) Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
[6] 1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, der Rechtsweg zu den Sozialgerichten sei gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 SGG eröffnet, weil die Streitigkeit eine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung zum Gegenstand habe und das Unterlassungsbegehren nicht ausschließlich auf wettbewerbsrechtliche Normen gestützt werde, deren Beachtung auch jedem privaten Mitbewerber obliege. Streitgegenstand des Rechtsstreits sei die Frage, ob sich die Beklagte mit ihrem nach § 108 Abs. 1 SGB V zugelassenen Krankenhaus bei den von ihr durchgeführten ambulanten Behandlungen an den Katalog nach § 116b Abs. 3 SGB V gehalten habe. Bei einer ambulanten Behandlung außerhalb der Katalogerkrankungen griffe die Beklagte in den grundsätzlich den niedergelassenen Ärzten zugewiesenen Bereich im Rahmen der Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrags der Krankenkassen ein. Die Rechtsbeziehungen der Leistungserbringer untereinander richteten sich ausschließlich nach den Vorschriften des fünften Buches des Sozialgesetzbuchs. Die Vorschrift des § 69 SGB V schließe es aus, Handlungen der von den Krankenkassen eingeschalteten Leistungserbringer, die der Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrags gegenüber den Versicherten dienen sollten, nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb zu beurteilen.
[7] 2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Für den von der Klägerin geltend gemachten Unterlassungsanspruch ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet.
[8] a) Nach § 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 SGG entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über privatrechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden. Für die Eröffnung des Rechtswegs zu den Sozialgerichten ist deshalb entscheidend, ob es sich um eine Streitigkeit in einer Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung handelt. Nicht von Bedeutung ist nach der Bestimmung des § 51 SGG, ob die Streitigkeit öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Natur ist (BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2003 - I ZB 19/03, GRUR 2004, 444, 445 = WRP 2004, 619 - Arzneimittel-substitution; Beschluss vom 30. Januar 2008 - I ZB 8/07, GRUR 2008, 447 Rn. 13 = WRP 2008, 675 - Treuebonus; Beschluss vom 4. Dezember 2008 - I ZB 31/08, GRUR 2009, 700 Rn. 12 = WRP 2009, 846 - Integrierte Versorgung).
[9] Von einer Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung ist auszugehen, wenn der Gegenstand des Streits Maßnahmen betrifft, die unmittelbar der Erfüllung der den Krankenkassen nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs obliegenden öffentlich-rechtlichen Aufgaben dienen. Wird der wettbewerbsrechtliche Anspruch dagegen nicht auf einen Verstoß gegen Vorschriften des SGB V, sondern ausschließlich auf wettbewerbsrechtliche Normen gestützt, deren Beachtung auch jedem privaten Mitbewerber obliegt, handelt es sich nicht um eine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 SGG (BGH, Beschluss vom 9. November 2006 - I ZB 28/06, GRUR 2007, 535 Rn. 13 = WRP 2007, 641 - Gesamtzufriedenheit; BGH, GRUR 2008, 447 Rn. 14 - Treuebonus; BGH, GRUR 2009, 700 Rn. 13 - Integrierte Versorgung).
[10] Als Maßnahme im vorgenannten Sinn sind auch Handlungen der Leistungserbringer anzusehen, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Erfüllung der gesetzgeberischen Ziele aufgrund des öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrags stehen (vgl. BGH, GRUR 2008, 447 Rn. 18 - Treuebonus; Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Aufl., § 12 Rn. 2.3). Dies ergibt sich - wie das Beschwerdegericht zutreffend dargelegt hat - aus § 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 SGG, § 69 SGB V. Der Gesetzgeber hat in der Gesetzesbegründung zur Änderung der genannten Vorschriften (BT-Drucks. 14/1245, S. 68) ausdrücklich klargestellt, dass es dem gesetzgeberischen Ziel entspricht, alle aus den Rechtsbeziehungen des vierten Kapitels des SGB V (§§ 69 bis 140h SGB V) resultierenden Streitigkeiten, auch soweit Dritte hiervon betroffen sind, den Sozialgerichten zuzuweisen, ohne dass auf die von der Rechtsprechung bis dahin angenommene Doppelnatur des Handelns abzustellen ist (vgl. BGH, Urteil vom 2. Oktober 2003 - I ZR 117/01, GRUR 2004, 247, 249 = WRP 2004, 337 - Krankenkassenzulassung; Ahrens/Bornkamm, Der Wettbewerbsprozess, 6. Aufl., Kap. 15 Rn. 28 ff.). Damit sollte der Streit, ob das Handeln einer gesetzlichen Krankenversicherung öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Natur ist, für die Rechtswegzuweisung nicht mehr von Bedeutung sein.
[11] Die Vorschrift des § 69 SGB V gilt auch für die Beziehungen der Leistungserbringer untereinander, soweit es um Handlungen in Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrags der Krankenkassen geht (BGH, GRUR 2004, 247, 249 - Krankenkassenzulassung; BGH, Urteil vom 23. Februar 2006 - I ZR 164/03, GRUR 2006, 517 Rn. 23 = WRP 2006, 747 - Blutdruck-messungen; BGH, Beschluss vom 16. Januar 2008 - KVR 26/07, BGHZ 175, 333 Rn. 18; BSG, Urteil vom 23. März 2011 - B 6 KA 11/10 R, juris Rn. 17, mwN). Die Zuständigkeit der Sozialgerichte ist auch dann gegeben, wenn eine Partei, wie das Beschwerdegericht in Bezug auf die Klägerin festgestellt hat, gleichsam als Repräsentant von Leistungserbringern Ansprüche gegen einen anderen Leistungserbringer geltend macht (vgl. BGH, GRUR 2004, 444, 445 - Arzneimittelsubstitution).
[12] b) Das Beschwerdegericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass eine Handlung der Beklagten im Rahmen ihres öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrags unmittelbar Gegenstand der Streitigkeit ist.
[13] Die kassenärztliche Versorgung von Patienten beruht im Wesentlichen auf der vertragsärztlichen Versorgung und der Krankenhausbehandlung (vgl. Wannagat/Lindemann, Sozialgesetzbuch V, Stand: Oktober 2004, § 95 Rn. 7). Durch die Vorschriften der §§ 116a f. SGB V soll zur Verbesserung der Qualität und der Effizienz der Patientenversorgung eine Teilöffnung der Krankenhäuser zur ambulanten Behandlung erfolgen (vgl. BT-Drucks. 15/1170, S. 2). Während durch § 116a SGB V Versorgungslücken in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung geschlossen werden sollen (vgl. Wannagat/Grühn aaO Stand: März 2005, § 116a Rn. 3), lässt § 116b Abs. 3 SGB V die ambulante Behandlung in zugelassenen Krankenhäusern zu, wenn die Behandlung in hochspezialisierten Bereichen erfolgt, eine seltene Erkrankung vorliegt oder besondere Behandlungsabläufe erforderlich sind (vgl. Hencke in Peters, Handbuch der Krankenversicherung - Sozialgesetzbuch V, Stand: September 2008, § 116b Rn. 3 b). Werden die im vierten Kapitel des Sozialgesetzbuchs V ausdrücklich normierten Ausnahmen durch einen Leistungserbringer oder eine Krankenkasse überschritten, so liegt eine Handlung vor, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrag steht.
[14] Aus den von der Rechtsbeschwerde angeführten Senatsentscheidungen vom 9. November 2006 (GRUR 2007, 535 - Gesamtzufriedenheit) und 30. Januar 2008 (GRUR 2008, 447 - Treuebonus) ergibt sich nichts anderes. In dem der erstgenannten Entscheidung zugrundeliegenden Fall wurden die geltend gemachten Ansprüche allein auf wettbewerbsrechtliche Vorschriften gestützt, deren Beachtung jedem privaten Mitbewerber obliegt. Im zweiten Fall waren die gesetzgeberischen Ziele der Zuzahlungspflicht allenfalls mittelbar betroffen.
[15] Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch betrifft entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht den Bereich der Krankenbehandlung, der dem Privatrecht und damit auch dem Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten unterstellt ist, sondern die Krankenversicherung. Im Ansatz zutreffend geht die Rechtsbeschwerde zwar davon aus, dass Rechtsstreitigkeiten aus dem Arzt-Patientenverhältnis gemäß § 76 Abs. 4 SGB V nicht als Angelegenheiten der Krankenversicherungen im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 SGG anzusehen sind, so dass diese gemäß § 13 GVG vor den ordentlichen Gerichten zu verhandeln sind (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/?Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 9. Aufl., § 51 Rn. 21; Hommel in Peters/Sauter/?Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Stand: April 2002, § 51 Rn. 266; Rohwer/Kahlmann, SGG, Stand: 2006, § 51 Rn. 56-15). Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist jedoch nicht die Behandlung der jeweiligen Patienten einschließlich der daraus resultierenden rechtlichen Folgen, sondern die sozialrechtliche Zulässigkeit der Behandlung durch ein nach § 108 SGB V zugelassenes Krankenhaus. Dementsprechend stützt die Klägerin ihr Unterlassungsbegehren auch auf einen Verstoß gegen § 116b SGB V. Die von der Klägerin behaupteten Verstöße der Beklagten haben nicht nur eine reflexartige Wirkung auf den öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrag der Krankenkassen, sondern betreffen diesen unmittelbar.
[16] Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kommt es für die Beurteilung der Frage, ob der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten oder zu den Sozialgerichten eröffnet ist, nicht darauf an, dass ein möglicher Verstoß gegen §§ 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 116b SGB V Gegenstand des Rechtsstreits ist. Entscheidend ist, dass der von der Klägerin behauptete Verstoß gegen § 116b SGB V in direktem Zusammenhang mit dem öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrag steht und die Streitigkeit sich daher nicht ausschließlich nach wettbewerbsrechtlichen Normen beurteilt (hier §§ 3, 4 Nr. 11 UWG), deren Beachtung jedem privaten Mitbewerber obliegt.
[17] III. Danach ist die Rechtsbeschwerde der Klägerin mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Bornkamm Pokrant Büscher
Kirchhoff Koch