I ZR 174/04
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Verkündet am:
6. Dezember 2007
Walz
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
HGB § 412 Abs. 1 Satz 1
Allein aufgrund des Umstands, dass ein
Transportfahrzeug mit besonderen technischen Verladevorrichtungen
einschließlich einer Hebebühne zum Einsatz kommt und die Parteien
des Beförderungsvertrags keine Bedienung der Verladevorrichtung
durch den Absender vereinbart haben, kann nicht angenommen werden,
dass die beförderungssichere Verladung des Transportguts abweichend
von § 412 Abs. 1 Satz 1 HGB dem Frachtführer obliegt.
Der Frachtführer kann aber dann zur beförderungssicheren
Verladung des Gutes verpflichtet sein, wenn er im Rahmen laufender
Geschäftsbeziehungen die Verladetätigkeit übernommen hatte, so dass
der Absender nach Treu und Glauben annehmen durfte, der Frachtführer
werde auch weiterhin so verfahren.
BGH, Urt. v. 6. Dezember 2007 - I ZR 174/04 - OLG
Frankfurt a.M., LG Darmstadt
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die
mündliche Verhandlung vom 6. Dezember 2007 durch den Vorsitzenden
Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Pokrant, Dr. Schaffert,
Dr. Bergmann und Dr. Koch
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 22.
Zivilsenats in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main
vom 14. Oktober 2004 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht
zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
[1] Die Klägerin ist Transportversicherer der DV GmbH in
M. (im Weiteren: Versicherungsnehmerin). Sie nimmt die Beklagte aus
übergegangenem Recht ihrer Versicherungsnehmerin wegen Beschädigung
von Transportgut auf Schadensersatz in Anspruch.
[2] Die Versicherungsnehmerin beauftragte die Beklagte am
31. August 2000 mit dem Transport von Computerhardware von ihrem
Sitz in L. nach H. . Beim Verladen des Gutes stürzte ein
Festplattenturm von der Hebebühne des Transportfahrzeugs auf die
Straße und wurde beschädigt.
[3] Die Klägerin hat vorgetragen, es habe zwischen ihrer
Versicherungsnehmerin und der Beklagten eine Vereinbarung bestanden,
dass das zu befördernde Gut von dem Verlader "ab Rampe"
bereitgestellt werde. Es sei dann Sache des Fahrers der Beklagten
gewesen, das Transportgut sachgerecht auf das Fahrzeug zu verbringen
und dort beförderungssicher zu stauen. Auf diese Weise seien die der
Beklagten erteilten Transportaufträge bis zu dem hier in Rede
stehenden Auftrag auch stets abgewickelt worden. Die Beschädigung
des Gutes sei daher in der Obhut der Beklagten beim Beladen des
Transportfahrzeugs entstanden. Eine Beladepflicht der Beklagten
ergebe sich im Übrigen auch aus dem Umstand, dass sie für den
Transport ein Spezialfahrzeug eingesetzt habe, das wegen seiner
Ausstattung mit einer Hebebühne in besonderem Maße für den Transport
von hochempfindlicher Computerhardware geeignet gewesen sei.
[4] Die Klägerin hat behauptet, der an dem Festplattenturm
entstandene Schaden belaufe sich einschließlich der für die
Schadensfeststellung aufgewandten Kosten auf 189.380,84 DM. Diesen
Betrag habe sie abzüglich eines Selbstbehalts in Höhe von 250 DM an
ihre Versicherungsnehmerin ausgezahlt.
[5] Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 96.701,06 EURO (=
189.130,84 DM) nebst Zinsen zu zahlen.
[6] Nach Darstellung der Beklagten hat sie sich nicht
verpflichtet, das Beladen des LKW zu übernehmen. Etwas anderes
ergebe sich auch nicht aus den unstreitigen Umständen des Falles.
Der Schaden sei von einem Mitarbeiter der Versicherungsnehmerin
verursacht worden, der den Computerschrank auf die herabgelassene
Hebebühne des LKW gerollt und dort ungesichert abgestellt habe mit
der Folge, dass der Schrank von der Hebebühne heruntergerollt und
auf den Hof gestürzt sei. Die Beklagte hat ferner die Höhe des
behaupteten Schadens bestritten.
[7] Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen
gerichtete Berufung ist erfolglos geblieben.
[8] Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die
Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt, das
Rechtsmittel zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
[9] I. Das Berufungsgericht hat - in Übereinstimmung mit
dem Landgericht - eine Haftung der Beklagten für den in Rede
stehenden Schaden verneint, weil dieser nicht während der Obhutszeit
der Beklagten eingetreten sei. Dazu hat es ausgeführt:
[10] Die Verpflichtung zur Verladung des Transportgutes
obliege gemäß § 412 Abs. 1 Satz 1 HGB grundsätzlich dem Absender der
Ware. Den Frachtführer treffe eine Beladungspflicht nur dann, wenn
dies zwischen den Parteien des Beförderungsvertrags ausdrücklich
oder konkludent vereinbart sei oder sich aus den besonderen
Umständen des konkreten Einzelfalls ergebe. Eine ausdrückliche
Vereinbarung habe die Klägerin selbst nicht vorgetragen. Von einer
konkludent zustande gekommenen Vereinbarung zwischen der Beklagten
und der Versicherungsnehmerin könne ebenfalls nicht ausgegangen
werden, weil die Klägerin hierzu keinerlei Tatsachen vorgetragen
habe. Ebenso wenig könne eine Beladungspflicht der Beklagten aus den
Umständen des vorliegenden Falls hergeleitet werden. Der Umstand,
dass das Transportfahrzeug mit einer Hebebühne ausgerüstet gewesen
sei, reiche dafür nicht aus. An dieser Beurteilung ändere sich auch
dann nichts, wenn die Behauptung der Klägerin zutreffe, die
Hebebühne sei von dem Fahrer der Unterfrachtführerin bedient worden.
Eine solche Tätigkeit stelle lediglich eine bloße Gefälligkeit dar.
[11] Eine Verpflichtung der Beklagten zum Beladen des
bereitgestellten Transportfahrzeugs könne schließlich auch nicht auf
eine zwischen der Beklagten bzw. ihrem Unterfrachtführer und der
Versicherungsnehmerin wiederholt praktizierte Art und Weise der
Verladung gestützt werden. Die Klägerin habe zwar behauptet, die
Abwicklung der Transportaufträge sei stets in der Weise gehandhabt
worden, dass die Absenderin die Ware an einem dafür bestimmten Ort
abgestellt und der jeweilige Fahrer sie sodann auf das
Transportfahrzeug verbracht und dort verstaut habe. Für diesen von
der Beklagten bestrittenen Vortrag habe die Klägerin jedoch keinen
Beweis angetreten. Ihr Beweisangebot auf Seite 3 der Klageschrift
beziehe sich ganz offensichtlich nicht auf die von ihr behaupteten
Verlademodalitäten. Gleiches gelte für den in der
Berufungsbegründung auf Seite 4 enthaltenen Beweisantritt.
[12] II. Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung
des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das
Berufungsgericht. Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben,
da das Berufungsgericht einem erheblichen Beweisantrag der Klägerin
rechtsfehlerhaft nicht nachgegangen ist.
[13] 1. Das Berufungsgericht ist im rechtlichen Ansatz
zutreffend davon ausgegangen, dass die beförderungssichere Verladung
des Transportgutes gemäß § 412 Abs. 1 Satz 1 HGB grundsätzlich dem
Warenversender obliegt, sofern sich aus den Umständen oder der
Verkehrssitte nicht etwas anderes ergibt. Richtig ist auch die
Annahme des Berufungsgerichts, dass es sich bei § 412 Abs. 1 Satz 1
HGB um eine dispositive Norm handelt, von der durch ausdrückliche
oder konkludente Parteivereinbarung abgewichen werden kann (vgl. nur
Koller, Transportrecht, 6. Aufl., § 412 HGB Rdn. 7).
[14] 2. Die Revision wendet sich erfolglos dagegen, dass
das Berufungsgericht aus den unstreitigen Umständen des Streitfalls
nicht auf einen Übergang der Beladungspflicht von der
Versicherungsnehmerin auf die Beklagte geschlossen hat.
[15] Das Berufungsgericht hat angenommen, der Einsatz
eines mit einer Hebebühne ausgerüsteten Transportfahrzeugs
rechtfertige für sich allein nicht den Schluss auf eine Verlagerung
der Beladungsverpflichtung vom Warenversender auf den Frachtführer,
da die Bedienung einer solchen Einrichtung keinerlei konkrete
Vorkenntnisse erfordere und von jedermann per Knopfdruck vorgenommen
werden könne. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen
Nachprüfung im Ergebnis stand. Entgegen der Auffassung der Revision
kann nicht allein aufgrund des Umstands, dass im Streitfall ein
Transportfahrzeug mit besonderen technischen Verladevorrichtungen
einschließlich einer Hebebühne zum Einsatz gekommen ist und die
Parteien keine Bedienung der Verladevorrichtung durch den Absender
vereinbart haben, angenommen werden, die beförderungssichere
Verladung des Transportguts habe der Beklagten oblegen.
[16] Wie die vertraglichen Pflichten verteilt sind,
ergibt sich - vorbehaltlich einer späteren (einvernehmlichen)
Änderung - zunächst grundsätzlich aus den von den Parteien bei
Abschluss des Frachtvertrages getroffenen Abreden. Zu den
"Umständen" i.S. des § 412 Abs. 1 Satz 1 HGB zählen daher in erster
Linie solche Gegebenheiten, die bereits zum Zeitpunkt des
Vertragsschlusses vorgelegen haben. Dementsprechend kommt es im
Streitfall darauf an, ob nach der Vorstellung der Vertragsparteien
zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses besondere technische
Verladevorrichtungen zum Einsatz kommen sollten (vgl. Koller aaO §
412 HGB Rdn. 9). Im Streitfall fehlt es jedoch an Feststellungen,
dass die Versicherungsnehmerin und die Beklagte bereits bei
Abschluss des Frachtvertrages davon ausgegangen sind, wegen der Art
der zu befördernden Güter oder aus anderen Gründen sei der Einsatz
eines Transportfahrzeugs mit einer Hebebühne erforderlich.
[17] 3. Mit Erfolg beanstandet die Revision aber die
Annahme des Berufungsgerichts, eine Verpflichtung der Beklagten zum
Beladen des Transportfahrzeugs könne auch nicht auf eine vor dem
streitgegenständlichen Schadensfall zwischen der
Versicherungsnehmerin und der Beklagten bzw. deren Unterfrachtführer
wiederholt praktizierte Art und Weise der Verladung von Transportgut
gestützt werden.
[18] Das Berufungsgericht ist im rechtlichen Ansatz
zutreffend davon ausgegangen, dass der Frachtführer abweichend von §
412 Abs. 1 Satz 1 HGB zur beförderungssicheren Verladung des Gutes
verpflichtet sein kann, wenn er im Rahmen laufender
Geschäftsbeziehungen die Verladetätigkeit übernommen hatte, so dass
der Absender nach Treu und Glauben annehmen durfte, der Frachtführer
werde auch weiterhin so verfahren (vgl. Koller aaO § 412 HGB Rdn.
7). Rechtsfehlerhaft ist jedoch die weitere Annahme des
Berufungsgerichts, die Klägerin habe für eine derartige von ihr
behauptete Abwicklung der Transportaufträge zwischen der
Versicherungsnehmerin und der Beklagten keinen Beweis angetreten.
Die Revision rügt mit Erfolg, dass die Beurteilung des
Berufungsgerichts gegen § 286 ZPO verstößt.
[19] a) Die Klägerin hat in der Klageschrift vorgetragen,
ihre Versicherungsnehmerin habe die Beklagte regelmäßig mit der
Beförderung von hochempfindlicher Computerware beauftragt. Die
Aufträge seien stets in der Weise abgewickelt worden, dass die
Versenderin die Ware jeweils "ab Rampe" bereitgestellt habe. Es sei
dann Sache des Fahrers der Beklagten gewesen, das Gut sachgerecht
auf das Transportfahrzeug zu bringen und dort beförderungssicher zu
stauen. In ihrer Berufungsbegründung hat die Klägerin ausdrücklich
erklärt, dass sie an ihrem Vortrag hinsichtlich der
Verlademodalitäten festhalte. Darüber hinaus hat sie dargelegt, dass
die geübte Praxis der Beklagten bekannt gewesen sei und deshalb in
den schriftlichen Transportaufträgen der Versicherungsnehmerin an
die Beklagte nicht habe gesondert erwähnt werden müssen.
[20] Das Berufungsgericht ist mit Recht davon
ausgegangen, dass der Vortrag der Klägerin zu den Verlademodalitäten
den Schluss auf eine zumindest konkludente Vereinbarung hinsichtlich
einer Verlagerung der Verladepflicht von der Versenderin (=
Versicherungsnehmerin der Klägerin) auf die Beklagte zulässt. Die
Klägerin hat in diesem Zusammenhang geltend gemacht, ihre
Versicherungsnehmerin habe die Beklagte gerade deshalb laufend mit
Transporten von hochempfindlicher Computerware beauftragt, weil sie
auf Computertransporte spezialisiert gewesen sei. Die Beklagte ist
diesem Vorbringen nicht substantiiert entgegengetreten.
[21] b) Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts hat
die Klägerin diesen Vortrag unter Beweis gestellt. Sie hat hierzu
bereits in der Klageschrift (GA 3) den Zeugen T. benannt. Mit der
Berufungsbegründung hat die Klägerin gerügt, das Landgericht habe
"den gesamten Sachvortrag auf Seite 3 der Klageschrift
einschließlich des dortigen Beweisantrittes übergangen, wonach im
Rahmen der von der Beklagten abgewickelten Transportaufträge die zu
befördernde Ware vom Verlader 'ab Rampe' bereitgestellt wurde und es
dann Sache des Fahrers der Beklagten war, die Ware sachgerecht auf
das Fahrzeug zu verbringen und dort beförderungssicher zu stauen".
Zudem enthält die Berufungsbegründung zusammenhängenden Vortrag der
Klägerin zu den Verlademodalitäten und dazu, dass der Beklagten
diese Umstände bekannt gewesen seien. Am Ende des Absatzes folgt
erneut das Beweisangebot Zeugnis T. . Das Berufungsgericht konnte
nicht davon ausgehen, dass sich dieses Beweisangebot lediglich auf
den unmittelbar vorangegangenen Satz und nicht auf den gesamten
Absatz bezog.
[22] Das Berufungsgericht durfte das Beweisangebot
(Zeugnis T. ) auch nicht mit der Begründung unberücksichtigt lassen,
der Zeuge sei als Leiter der Vertriebsabteilung der
Versicherungsnehmerin nicht mit der tatsächlichen Abwicklung von
Transportaufträgen befasst gewesen und könne daher keine Angaben
dazu machen, wie die Beladung in früheren Fällen und insbesondere im
konkreten Fall vor sich gegangen sei. Die Ablehnung eines
Beweisantrages wegen Ungeeignetheit des Beweismittels kommt nur ganz
ausnahmsweise in Betracht, wenn es völlig ausgeschlossen erscheint,
dass das Beweismittel zu dem Beweisthema sachdienliche Erkenntnisse
erbringen kann (vgl. BVerfG NJW 1993, 254, 255; BGH, Urt. v.
26.11.2003 - IV ZR 438/02, NJW 2004, 767, 769).
[23] Hiervon kann im Streitfall schon deshalb nicht
ausgegangen werden, weil der Zeuge T. zur maßgeblichen Zeit nicht
nur Vertriebsleiter, sondern auch Geschäftsführer der
Versicherungsnehmerin der Klägerin war. Unter diesen Umständen
durfte es das Berufungsgericht nicht von vornherein als
ausgeschlossen erachten, dass er zu den praktizierten
Verlademodalitäten Angaben machen kann.
[24] III. Danach ist das Berufungsurteil auf die Revision
der Klägerin aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das
Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Bornkamm Pokrant Schaffert
Bergmann Koch