I ZR 26/11
BUNDESGERICHTSHOF
vom
30. November 2011
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 543 Abs. 2 Nr. 2, § 547 Nr. 6
Die Beurteilung der Frage, ob die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO) zuzulassen ist, wenn der absolute Revisionsgrund des § 547 Nr. 6 ZPO geltend gemacht wird und dieser auch vorliegt, hängt maßgeblich davon ab, mit welcher Intensität sich die fehlende Begründung auf die Entscheidung auswirkt.
BGH, Beschluss vom 30. November 2011 - I ZR 26/11 - OLG München, LG München I
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. November 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Pokrant, Dr. Schaffert, Dr. Koch und Dr. Löffler
beschlossen:
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 26. Januar 2011 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Streitwert: 41.806 ?.
Gründe:
[1] I. Die Klägerin ist Transportversicherer der W. GmbH in Schönberg/?Bayern. Sie nimmt die Beklagte als Rechtsnachfolgerin der Spedition H. KG aus übergegangenem und abgetretenem Recht ihrer Versicherungsnehmerin wegen des Verlustes von Transportgut (Mobilfunktelefone) auf Schadensersatz (62.709 ?) und Freistellung von vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltsgebühren (1.761,08 ) in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage wegen Verjährung der geltend gemachten Ansprüche abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede nicht durchgreifen lassen und entschieden, dass die Beklagte unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens der Versicherungsnehmerin von einem Drittel für den Verlust des Gutes Schadensersatz in Höhe von 41.806 ? schuldet und darüber hinaus verpflichtet ist, die Klägerin von Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.530,58 freizustellen (OLG München, TranspR 2011, 147).
[2] II. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Berufungsgerichts ist zurückzuweisen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die auf die Verletzung von Verfahrensgrundrechten gestützten Rügen nicht durchgreifen und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts auch im Übrigen nicht erfordern (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
[3] 1. Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet zwar mit Recht, dass das Berufungsurteil für den der Klägerin vom Berufungsgericht zuerkannten Freistellungsanspruch keine Begründung enthält, so dass insoweit der absolute Revisionsgrund des § 547 Nr. 6 ZPO vorliegt. Dieser Umstand erfordert im Streitfall aber nicht die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO).
[4] a) Nach der Systematik der Zivilprozessordnung können absolute Revisionsgründe grundsätzlich nur im Rahmen einer statthaften und auch im Übrigen zulässigen Revision geltend gemacht werden (BGH, Beschluss vom 21. Dezember 1962 - I ZB 27/62, BGHZ 39, 333, 335; BAG, Beschluss vom 20. Februar 2001 - 4 AZR 677/00, NZA 2001, 912; Musielak/Ball, ZPO, 8. Aufl., § 547 Rn. 2). Das Vorliegen eines absoluten Revisionsgrunds indiziert daher nicht ohne weiteres das Bestehen eines Zulassungsgrunds im Sinne von § 543 Abs. 2 ZPO (Musielak/Ball aaO § 547 Rn. 2; MünchKomm.ZPO/Wenzel, 3. Aufl., § 543 Rn. 18; aA Zöller/Heßler, ZPO, 29. Aufl., § 543 Rn. 15b).
[5] b) Die Nichtzulassungsbeschwerde weist allerdings zutreffend darauf hin, dass der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs entschieden hat, dass die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen ist, wenn ein absoluter Revisionsgrund nach § 547 Nr. 1 bis 4 ZPO geltend gemacht wird und vorliegt (Beschluss vom 15. Mai 2007 - X ZR 20/05, BGHZ 172, 250 Rn. 8 ff.). Der X. Zivilsenat hat seine Entscheidung damit begründet, dass die in § 547 Nr. 1 bis 4 ZPO aufgeführten absoluten Revisionsgründe ebenso wie Verfahrensgrundrechte zu behandeln sind. Die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des erkennenden Gerichts könne sich als Entziehung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) darstellen; die fehlende gesetzliche Vertretung einer Partei könne deren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzen. Zudem stimmten die absoluten Revisionsgründe des § 547 Nr. 1 bis 4 ZPO mit den Nichtigkeitsgründen des § 579 Abs. 1 ZPO überein, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens und die Beseitigung eines rechtskräftigen Urteils rechtfertigten. Der Gesetzgeber habe mit der Qualifikation schwerwiegender Verfahrensfehler als absolute Revisionsgründe und als Nichtigkeitsgründe deutlich gemacht, dass es nicht erträglich erscheine, der betroffenen Partei abzuverlangen, die auf der Grundlage eines solchen Verfahrensfehlers ergangene Entscheidung hinzunehmen. Es erscheine auch verfassungsrechtlich nicht unbedenklich, der Partei in einem solchen Fall das nach der Verfahrensordnung vorgesehene Rechtsmittel zu versagen und sie auf ein Wiederaufnahmeverfahren zu verweisen (BGHZ 172, 250 Rn. 11 ff.).
[6] c) Die vom X. Zivilsenat angestellten Erwägungen treffen für den in § 547 Nr. 6 ZPO normierten absoluten Revisionsgrund nicht in gleicher Weise zu. Eine Nichtigkeitsklage nach § 579 ZPO kann nicht mit Erfolg darauf gestützt werden, dass ein rechtskräftig gewordenes Endurteil (§ 578 Abs. 1 ZPO) nicht mit Gründen im Sinne von § 547 Nr. 6 ZPO versehen ist. Ebenso wenig rechtfertigt der absolute Revisionsgrund des § 547 Nr. 6 ZPO eine Restitutionsklage gemäß § 580 ZPO. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Revision gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen ist, wenn der absolute Revisionsgrund des § 547 Nr. 6 ZPO geltend gemacht wird und dieser auch vorliegt, ist vielmehr darauf abzustellen, mit welcher Intensität sich die fehlende Begründung auf die Entscheidung auswirkt. Dies hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab mit der Folge, dass eine fehlende Begründung nicht in jedem Fall zur Zulassung der Revision führt.
[7] Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht lediglich einen Nebenanspruch mit einem im Vergleich zum geltend gemachten Hauptanspruch geringen Betrag von 1.530,58 nicht begründet. Dem Nebenanspruch haben die Parteien in den Vorinstanzen keine nennenswerte Bedeutung beigemessen. Die Klägerin ist darauf lediglich kurz in ihrer Klageschrift vom 17. Juni 2009 eingegangen. Die Beklagte und ihre Streithelferin sind dem Freistellungsverlangen der Klägerin in den Vorinstanzen nicht ausdrücklich entgegengetreten. Unter diesen Umständen ist es nicht geboten, die Revision wegen unterlassener Begründung des der Klägerin zuerkannten Freistellungsanspruchs nach § 543 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO zuzulassen.
[8] 2. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO abgesehen.
[9] III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Bornkamm Pokrant Schaffert
Koch Löffler