II ZB 11/05
BUNDESGERICHTSHOF
vom
6. März 2006
in der Rechtsbeschwerdesache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 116 Satz 1 Nr. 1
Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten zuzumuten ist, die Prozesskosten aufzubringen, wenn die Kosten aus der verwalteten Vermögensmasse nicht aufgebracht werden können.
BGH, Beschluss vom 6. März 2006 - II ZB 11/05 - OLG Hamm, LG Siegen
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 6. März 2006 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und die Richter Dr. Kurzwelly,
Münke, Dr. Strohn und Dr. Reichart
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers werden die Beschlüsse des 27. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 21. Juni 2005 und der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Siegen vom 20. Januar 2005 aufgehoben.
Dem Antragsteller wird für das Verfahren erster Instanz Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung bewilligt.
Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Beschwerdewert: 155.000,00
Gründe:
[1] I. Der Antragsteller ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der F. GmbH (im Folgenden: Schuldnerin). Die Schuldnerin war im Sep-
tember 1999 von der Antragsgegnerin zu 2 als deren Alleingesellschafterin mit einem Stammkapital von 155.000,00 gegründet worden. Auf dem Konto der Schuldnerin ging das Stammkapital am 22. September 1999 in voller Höhe ein. Geschäftsführer der Schuldnerin waren die Antragsgegnerin zu 2 und ihr Vater, der Antragsgegner zu 1. Im November 1999 erwarb die Schuldnerin zumindest weite Teile des einzelkäufmännischen Unternehmens des Antragsgegners zu 1. Der Antragsteller geht davon aus, dass der Erwerb auf der Grundlage einer bereits vor Gründung der Schuldnerin getroffenen Abrede und damit im Wege
einer verdeckten Sachübernahme erfolgte. Im Oktober 2001 veräußerte und übertrug die Antragsgegnerin zu 2 ihren Geschäftsanteil an der Schuldnerin auf die Antragsgegnerin zu 3.
[2] Der Antragsteller hat für die Klage, mit der er die Antragsgegner auf Zahlung des - aus dem Gesichtspunkt der verdeckten Sachübernahme - offenen Einlagebetrages von 155.000,00 in Anspruch nehmen will, um die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nachgesucht. Landgericht und Oberlandesgericht haben den Antrag wegen Fehlens der Voraussetzungen des § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO abgewiesen. Mit seiner vom Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde, für deren Durchführung der Senat Prozesskostenhilfe bewilligt hat, verfolgt er sein Begehren weiter.
[3] II. Die statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und - ohne Einschränkung - zur Bewilligung der vom Antragsteller für das Verfahren erster Instanz begehrten Prozesskostenhilfe.
[4] 1. Das Beschwerdegericht hat dem Antragsteller Prozesskostenhilfe versagt, weil nach seiner Ansicht den wirtschaftlich Beteiligten die Aufbringung der Kosten zumutbar ist. In Abgrenzung zur bisherigen Rechtsprechung meint das Beschwerdegericht, jedem Großgläubiger sei ein Prozesskostenvorschuss in der Höhe zuzumuten, wie er ihn aufbringen müsste, wenn er den durch die Prozessführung des Insolvenzverwalters zu erwartenden, zusätzlich auf ihn entfallenden Betrag im Wege der Einzelklage geltend machte.
[5] 2. Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde mit Erfolg.
[6] a) Zutreffend geht das Beschwerdegericht allerdings davon aus, dass die Klage Aussicht auf Erfolg hat. Im Hinblick auf den Erwerb von Teilen des einzelkaufmännischen Unternehmens des Antragsgegners zu 1 durch die Schuldnerin kommt eine verdeckte Sachübernahme, die einen Anwendungsfall der Regeln über die verdeckte Sacheinlage darstellt, in Betracht. Die hierfür erforderliche Abrede zwischen der Schuldnerin und der Antragsgegnerin zu 2 wird bei Vorliegen eines - hier gegebenen - sachlichen und zeitlichen Zusammenhangs vermutet (BGHZ 132, 133, 139). Eine Identität des Inferenten mit dem Auszahlungsempfänger bzw. dem Gläubiger des Gegengeschäfts ist, wie der Senat entschieden hat (BGHZ 153, 107, 111; 132, 133, 136; 113, 335, 345 f.), für den sachlichen Zusammenhang nicht erforderlich. Daher steht der Annahme einer Erfolgsaussicht der Klage nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin zu 2 Einlageschuldnerin ist, der Kaufpreis für den Erwerb von Teilen des einzelkaufmännischen Unternehmens des Antragsgegners zu 1 jedoch an diesen geflossen ist.
[7] b) Ebenfalls zutreffend nimmt das Beschwerdegericht an, dass die Prozesskosten nicht aus der verwalteten Vermögensmasse aufgebracht werden können (§ 116 Satz 1 Nr. 1 1. Halbsatz ZPO), weil die vorhandenen Mittel der Gemeinschuldnerin bereits nicht ausreichen, um die Kosten des Insolvenzverfahrens zu decken.
[8] c) Danach kommt es entscheidend darauf an, ob es den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten nicht zuzumuten ist, die Prozesskosten aufzubringen (§ 116 Satz 1 Nr. 1 2. Halbsatz ZPO). Diese Voraussetzung liegt entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts vor.
[9] aa) Wie das Beschwerdegericht im Ansatz nicht verkennt, sind Vorschüsse auf die Prozesskosten nur solchen Beteiligten zuzumuten, welche die erforderlichen Mittel unschwer aufbringen können und für die der zu erwartende Nutzen bei vernünftiger, auch das Eigeninteresse sowie das Prozesskostenrisiko angemessen berücksichtigender Betrachtungsweise bei einem Erfolg der Rechtsverfolgung voraussichtlich deutlich größer sein wird (BGH, Beschl. v. 27. September 1990 - IX ZR 250/89, ZIP 1990, 1490; BAG ZIP 2003, 1947, 1948).
[10] Ob Zumutbarkeit in diesem Sinne vorliegt oder nicht, soll nach Ansicht des Beschwerdegerichts im Rahmen einer komplexen Berechnung festgestellt werden. Hiernach müssen zunächst diejenigen Großgläubiger ermittelt werden, auf die mindestens 5 % der festgestellten Forderungen entfallen. Für diese Gläubiger soll sodann unter Berücksichtigung des Prozess- und des Ausfallrisikos der Betrag berechnet werden, der jeweils auf sie entfiele, wenn der Insolvenzverwalter die Klage gerichtlich geltend machen würde. Sodann sollen für die jeweiligen Gläubiger die Prozesskosten ermittelt werden, die sie aufbringen müssten, wenn sie den auf sie entfallenden Betrag im Wege der Einzelklage geltend machen würden. Sofern die Summe dieser hypothetischen Prozesskosten jedes einzelnen in die Betrachtung einzubeziehenden Gläubigers höher ist als der tatsächlich erforderliche Prozesskostenvorschuss, soll den wirtschaftlich Beteiligten die Finanzierung des Rechtsstreits zumutbar sein.
[11] Dass diese Berechnungsweise in der Praxis gut handhabbar ist, erscheint dem Senat in hohem Maße zweifelhaft. Das Beschwerdegericht selbst hat den Nachweis hierfür jedenfalls nicht geführt, vielmehr ist seine Entscheidung in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft und inkonsequent. Der Senat vermag nicht zu erkennen, dass das von dem Beschwerdegericht entwickelte System - entgegen der dem angefochtenen Beschluss zugrunde liegenden Auffassung - zu eher voraussehbaren und deshalb rechtssicheren Ergebnissen führt. Denn es suggeriert durch seine Mathematisierung lediglich Objektivität, beruht jedoch letztlich entscheidend auf wertenden Elementen, weil z.B. das Ergebnis der Einschätzung des Prozess- und Vollstreckungsrisikos in die Bewertung eingeht.
[12] Die Frage, ob die vom Beschwerdegericht vorgeschlagene Vorgehensweise grundsätzlich abzulehnen ist, kann jedoch offen bleiben. Denn sowohl bei einer konsistenten Anwendung des vom Beschwerdegericht zugrunde gelegten Berechnungsverfahrens (bb) als auch bei einer wertenden Abwägung aller Einzelumstände (cc) gelangt man zu dem Ergebnis, dass den wirtschaftlich Beteiligten die Vorfinanzierung des Prozesses nicht zumutbar ist.
[13] bb) Das Beschwerdegericht nimmt an, dass die einzuklagende Forderung keinem Vollstreckungsrisiko unterliege und sich eine Forderung von 77.500,00 realisieren lasse, während der Antragsteller umgekehrt ein Prozessrisiko nicht für gegeben hält, aber meint, dass allenfalls mit einem Erlös von 50.000,00 gerechnet werden könne. Als Kosten des Insolvenzverfahrens berücksichtigt das Beschwerdegericht bei seinen Berechnungen einen Betrag von 22.617,65 . Dabei übersieht es, worauf die Rechtsbeschwerde mit Recht hinweist, dass dieser Betrag zwar bei einem Erlös von 50.000,00 , wie ihn der Antragsteller annimmt, gerechtfertigt wäre, dass die Kosten des Insolvenzverfahrens, die sich im Wesentlichen nach dem Wert der Insolvenzmasse zur Zeit der Beendigung des Verfahrens bestimmen, § 58 GKG, bei einem Erlös von 77.500,00 jedoch 24.866,11 ausmachen.
[14] Mit Recht rügt die Beschwerde des Weiteren eine inkonsequente Behandlung der für den Ausfall anerkannten Forderungen durch das Beschwerdegericht. Dieses zählt die V.bank B. eG mit einer für den Ausfall festgestellten Gesamtforderung von 88.269,51 zwar zu dem Kreis der Gläubiger, denen ein Prozesskostenvorschuss zumutbar ist. Es berücksichtigt die für den Ausfall anerkannten Forderungen - bei Abzug von Drittrechten in Höhe von 2.100,50 sind dies insgesamt 111.103,22 - jedoch nicht bei der Berechnung der für den Fall der Rechtsverfolgung zu erwartenden Quotenerhöhung. Auf Grund dieses Fehlers geht das Beschwerdegericht zu Unrecht von einer aus der beabsichtigten Klage resultierenden Quotenerhöhung von 19,7 % aus statt von ca. 12,88 %. Legt man die letztgenannte geringere Quote zugrunde, so ergeben sich hieraus nach dem Berechnungsmodus des Beschwerdegerichts für die Einzelgläubiger in der Summe zumutbare Prozesskosten in Höhe von 7.887,30 . Dieser Betrag liegt unter den für die Prozessführung erforderlichen Kosten in Höhe von 8.087,80 , so dass aus Sicht des Beschwerdegerichts Prozesskostenhilfe hätte gewährt werden müssen.
[15] cc) Zu keinem anderen Ergebnis gelangt man, wenn man - wie in der bewährten Praxis üblich - die Entscheidung offen auf eine wertende Abwägung aller Gesamtumstände des Einzelfalls stützt. Dazu gehört zunächst die Berücksichtigung der Tatsache, dass die im Falle der Rechtsverfolgung zu erwartende Insolvenzquote ebenso wie die Quotenerhöhung unter 13 % liegt. Zu berücksichtigen sind außerdem das vom Beschwerdegericht mit 50 % veranschlagte Prozessrisiko sowie das von ihm einseitig ohne jede Rückfrage beim Antragsteller zu Unrecht vernachlässigte Vollstreckungsrisiko, das den Antragsteller zu einem Forderungsabschlag von 68 % veranlasst hat. In Betracht zu ziehen ist ferner die Gläubigerstruktur. Es handelt sich um 34 Einzelgläubiger, von denen das Beschwerdegericht insgesamt sieben Großgläubiger benannt hat. Selbst wenn man - darin dem Beschwerdegericht folgend - die Bundesagentur für Arbeit sowie die Deutsche Angestellten Krankenkasse als Sozialleistungsträger außer Betracht lässt (zur alten Rechtslage Senat, Beschl. v. 7. Juli 1997 - II ZB 7/97, ZIP 1997, 1553, 1554; BGHZ 119, 372, 378; zweifelnd für die
InsO etwa OLG Dresden ZinsO 2004, 275 m.w.Nachw.), verbleiben fünf Großgläubiger, von denen der größte, nämlich die V.bank B. eG, zudem nur
für den Ausfall anerkannte Forderungen inne hat. Alle fünf Großgläubiger zu einem gemeinsamen Kostenvorschuss zu bewegen, erfordert einen hohen Koordinationsaufwand seitens des Insolvenzverwalters, zumal bekanntermaßen die Gefahr groß ist, dass jeder einzelne Gläubiger auf die Finanzierung der Kosten durch die anderen vertraut. Das macht eine Prozessfinanzierung durch die wirtschaftlich Beteiligten wenig wahrscheinlich. Zieht man schließlich noch in Betracht, dass der Rechtsverfolgung des Insolvenzverwalters im Rahmen eines geordneten Insolvenzverfahrens grundsätzlich ein eigenständiges, schutzwürdiges Interesse beizumessen ist (BGHZ 119, 372, 376 f.; BGH, Beschl. v. 27. September 1990 - IX ZR 250/89, ZIP 1991, 1490, 1491) und dies gerade für die hier in Rede stehende Forderung wegen Verstoßes gegen die Kapitalaufbringungsvorschriften gilt, führt auch die wertende Abwägung der
Gesamtumstände des Einzelfalles zu dem Ergebnis, dass es den wirtschaftlich Beteiligten nicht zuzumuten ist, die Prozesskosten aufzubringen.
Goette Kurzwelly Münke
Strohn Reichart