II ZB 15/13

04.11.2014

BUNDESGERICHTSHOF

vom

4. November 2014

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


ZPO §§ 3 ff., 511 Abs. 2


Wird ein mit der Geschäftsführung beauftragter, am Gesellschaftsvermögen aber nicht beteiligter Gesellschafter einer Personen- oder Personenhandelsgesellschaft (hier: eine Komplementär-GmbH) aus der Gesellschaft ausgeschlossen, richtet sich das der Bewertung nach §§ 3 ff. ZPO zugrunde zu legende wirtschaftliche Interesse dieses Gesellschafters an der Nichtigerklärung des Ausschließungsbeschlusses der Gesellschaft nach dem Wert der ihm nach den vertraglichen Vereinbarungen zustehenden Vergütungen (hier: Geschäftsführungs- und Haftungsvergütung).


BGH, Beschluss vom 4. November 2014 - II ZB 15/13 - OLG München, LG München I


Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. November 2014 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bergmann, den Richter Prof. Dr. Strohn, die Richterinnen Caliebe und Dr. Reichart und den Richter Sunder

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 11. Juli 2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Wert des Beschwerdeverfahrens: 538.537,85 € (34.537,85 + 12.000 x 12 x 3,5; §§ 3, 9 ZPO).

Gründe:

[1] I. Die Klägerin, die weder eine Einlage geleistet hat noch am Gesellschaftsvermögen beteiligt ist, wurde als persönlich haftende Gesellschafterin der beklagten GmbH & Co. KG durch Beschluss der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 4. Oktober 2011 aus wichtigem Grund ausgeschlossen. Außerdem wurde beschlossen, den zwischen den Parteien geschlossenen Geschäftsführungsvertrag mit sofortiger Wirkung zu kündigen. Die Klägerin meint, dieser Beschluss sei unwirksam.

[2] Das Landgericht hat die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses der Gesellschafterversammlung mit Urteil vom 28. Januar 2013 abgewiesen. Den Streitwert hat das Landgericht auf 10.000 € festgesetzt.

[3] Gegen das Urteil des Landgerichts hat die Klägerin Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat den Streitwert für das Berufungsverfahren mit Beschluss vom 26. April 2013 vorläufig auf 100 € festgesetzt, weil für den Streitwert der Wert des Gesellschaftsanteils der Klägerin maßgeblich sei. Da die Klägerin keine Einlage erbringen müsse, sei ein substantieller materieller Wert ihres Gesellschaftsanteils nicht erkennbar. Mit Beschluss vom 7. Juni 2013 hat das Berufungsgericht die Klägerin darauf hingewiesen, dass es die Berufung gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO für unzulässig halte, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 € nicht übersteige. Mit Beschluss vom 11. Juni 2013 hat es die Berufung gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig verworfen und den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 100 € festgesetzt. Gegen diesen Beschluss des Berufungsgerichts richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

[4] II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

[5] 1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Sie ist auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. ZPO). Die Entscheidung des Berufungsgerichts verletzt die Klägerin in ihrem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip), das es den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Januar 2013 - XII ZB 167/11, NJW-RR 2013, 1010 Rn. 4; Beschluss vom 25. September 2013 - XII ZB 200/13, NJW 2014, 77 Rn. 4).

[6] 2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft angenommen, dass der Wert des Interesses der Klägerin an der Nichtigerklärung des Ausschließungsbeschlusses den Betrag von 600 € nicht übersteigt.

[7] a) Das Berufungsgericht hat zwar zutreffend gesehen, dass sich der Wert der Klage eines Gesellschafters gegen einen Ausschließungsbeschluss nach der ständigen Rechtsprechung des Senats in der Regel nach dem Wert seiner Beteiligung an der Gesellschaft, also nach dem Wert des Geschäfts­ bzw. Gesellschaftsanteils des ausgeschlossenen Gesellschafters richtet (vgl. nur BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2008 ­ II ZR 39/08, NZG 2009, 518 Rn. 2; Beschluss vom 24. Juni 2014 ­ II ZR 29/13, juris Rn. 4). Dabei wird das Interesse eines Gesellschafter-Geschäftsführers, weiterhin Geschäftsführer der Gesellschaft zu sein und damit die Lenkungs­ und Leitungsmacht in der Hand zu behalten, durch den Wert seines Gesellschaftsanteils begrenzt, mit anderen Worten, das Interesse des sich gegen seinen Ausschluss wehrenden Gesellschafter-Geschäftsführers liegt nicht deshalb über dem Wert seines Geschäftsanteils, weil er gleichzeitig die Geschäftsführerfunktion ausübt bzw. ausgeübt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juni 2011 ­ II ZR 127/10, NZG 2011, 911; Beschluss vom 2. März 2009 ­ II ZR 59/08, GmbHR 2009, 995 Rn. 3, 4).

[8] b) Das Berufungsgericht ist jedoch rechtsirrig davon ausgegangen, dass der Beteiligung der Klägerin an der Beklagten deshalb kein den Betrag von 600 € übersteigender Wert zukommt, weil sie keine Einlage zu erbringen hat und nicht am Gesellschaftsvermögen beteiligt ist. Das der Bewertung nach § 3 ZPO zugrunde zu legende Interesse des Gesellschafters am Erhalt seiner Gesellschafterstellung kann sich nur dann nach dem Wert seiner Beteiligung am Gesellschaftsvermögen bestimmen, wenn der Gesellschafter nach den seiner Beteiligung an der Gesellschaft zugrundeliegenden Vereinbarungen überhaupt an dem Gesellschaftsvermögen beteiligt sein soll. Dies ist zwar in der Regel der Fall, erforderlich ist eine solche vermögensmäßige Beteiligung eines Gesellschafters aber nicht. Mit der Gesellschafterstellung ist es ohne weiteres vereinbar, dass ein Gesellschafter keine Einlage erbringt, am Gewinn und Verlust sowie am Gesellschaftsvermögen nicht beteiligt ist, sich sein Beitrag vielmehr auf die Geschäftsführung und seine Beteiligung am Geschäftsergebnis auf einen bestimmten Betrag beschränkt (vgl. nur BGH, Urteil vom 6. April 1987 - II ZR 101/86, ZIP 1987, 909, 910 f.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., § 47 III 1 b, S. 1381 f.; Roth in Baumbach/Hopt, HGB, 36. Aufl., § 120 Rn. 23), wie es hier bei der Beteiligung der Klägerin an der Beklagten der Fall ist.

[9] Die Klägerin ist nicht am Gesellschaftsvermögen der Beklagten beteiligt. Ihre Gesellschafterstellung hat sie nur deshalb inne, weil es der im Personengesellschaftsrecht geltende Grundsatz der Selbstorganschaft erfordert, dass die organschaftliche Geschäftsführung der Gesellschaft durch einen Gesellschafter ausgeübt wird. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann die gesellschafterliche Geschäftsführungsbefugnis nicht ohne Gesellschaftsanteil einem Dritten übertragen werden (vgl. nur BGH, Urteil vom 8. Februar 2011 - II ZR 263/09, BGHZ 188, 233 Rn. 21 mwN). Wird einem solchen mit der Geschäftsführung beauftragten, am Gesellschaftsvermögen aber nicht beteiligten Gesellschafter wie hier der Klägerin die Gesellschafter- und Geschäftsführerstellung entzogen, richtet sich das der Bewertung nach §§ 3 ff. ZPO zugrunde zu legende wirtschaftliche Interesse dieses Gesellschafters an der Nichtigerklärung des Ausschließungsbeschlusses der Gesellschaft nach dem Wert seiner Geschäftsführer- und Haftungsvergütung. Diese verliert er mit dem Entzug der Gesellschafterstellung und in deren Höhe ist er daher durch die Abweisung der Klage gegen den Ausschließungsbeschluss im Sinn des § 511 ZPO beschwert.

[10] Hier stehen der Klägerin nach dem Gesellschaftsvertrag als Vergütung 0,3 % zzgl. Umsatzsteuer auf die Summe der Kapitalkonten I zum 31.12. eines jeden Geschäftsjahres und (jedenfalls) 12.000 € monatlich zu (§ 7 GV). Die Summe der Kapitalkonten I betrug zum 31. Dezember 2011 unstreitig 11.512.615,33 €. 0,3% hiervon sind 34.537,85 € netto. Hinzu kommt gemäß § 9 ZPO der 3,5-fache Wert eines Jahresgehalts. Damit übersteigt das wirtschaftliche Interesse der Klägerin den Berufungsstreitwert von 600 € um ein Vielfaches. Die Berufung ist zulässig.

[11] c) Angesichts dessen kommt es nicht mehr darauf an, dass das Berufungsgericht es von seinem Rechtsstandpunkt aus verfahrensfehlerhaft unterlassen hat, die Entscheidung nach § 511 Abs. 4 ZPO nachzuholen (st. Rspr. seit BGH, Urteil vom 14. November 2007 ­ VIII ZR 340/06, NJW 2008, 218 Rn. 12).

[12] 3. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es sich nunmehr im Rahmen der Begründetheit des Rechtsmittels mit der Frage der Wirksamkeit des Ausschlusses der Klägerin befassen kann.

Bergmann Strohn Caliebe

Reichart Sunder

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