II ZB 4/06

05.03.2007

BUNDESGERICHTSHOF

vom

5. März 2007

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


ZPO § 520


Wird der Einspruch gegen ein Versäumnisurteil durch ein kontradiktorisches Urteil wegen Nichtbeachtung der Einspruchsfrist verworfen, so muss sich die Berufungsbegründung mit dieser die Entscheidung allein tragenden Erwägung auseinandersetzen.

ZPO § 341

Ein nach Ablauf der Einspruchsfrist gegen ein Versäumnisurteil erhobener Einspruch ist ohne Sachprüfung und ohne Rücksicht auf das ordnungsgemäße Zustandekommen des ersten Versäumnisurteils zu verwerfen.


BGH, Beschluss vom 5. März 2007 - II ZB 4/06 - OLG Celle, LG Hannover


Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 5. März 2007 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und die Richter Dr. Kurzwelly,

Kraemer, Prof. Dr. Gehrlein und Caliebe

beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 19. Januar 2006 wird auf

Kosten der Beklagten verworfen.

Gegenstandswert: 70.000,00 €

Gründe:

I. Die Klägerin macht Ansprüche aus einem Geschäftsleitervertrag gegen die Beklagte, eine in der Ukraine ansässige Aktiengesellschaft, geltend. Die Klage ist in Deutschland durch Niederlegung bei einer von der Klägerin als Niederlassung der Beklagten bezeichneten GmbH zugestellt worden. Im Termin vom 18. Mai 2004 ist gegen die Beklagte ein Versäumnisurteil ergangen, das ihr unter Bestimmung einer Einspruchsfrist von einem Monat auf diplomatischem Wege am 3. November 2004 an ihrem Sitz in der Ukraine zugestellt worden ist. Gegen das Versäumnisurteil hat die Beklagte am 4. Dezember 2004 Einspruch eingelegt und "höchst vorsorglich" Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Einen im Verhandlungstermin vom 15. März 2005 geschlossenen Widerrufsvergleich hat die Beklagte fristgerecht am 5. April 2005 widerrufen. In dem Schriftsatz hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten im einzelnen dargelegt, dass er zur Entgegennahme der Klageschrift bevollmächtigt sei und der Rechtsstreit vor dem angerufenen Landgericht abschließend entschieden werden könne. Durch Urteil vom 2. August 2005 hat das Landgericht den Einspruch wegen Nichtbeachtung der Einspruchsfrist als unzulässig verworfen (§ 341 ZPO).

Zur Begründung der gegen dieses Urteil gerichteten Berufung hat die Beklagte ausgeführt, das "Versäumnisurteil" des Landgerichts sei aufzuheben, weil die Klage nicht ordnungsgemäß zugestellt und über ihren Wiedereinsetzungsantrag nicht entschieden worden sei. Damit sei der Beklagten, die eingehend zur materiellen Begründetheit der Klage vorgetragen hat, unter Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG jede Möglichkeit genommen worden, sich in einem ordnungsgemäßen Verfahren gegen den geltend gemachten Anspruch zur Wehr zu setzen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung mangels einer ordnungsgemäßen Begründung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.

II. Das Oberlandesgericht hat ausgeführt, die entscheidungserhebliche Erwägung des angefochtenen kontradiktorischen Urteils liege in der tatsächlich gegebenen Nichtbeachtung der Einspruchsfrist. Mit der Fristversäumung, die als solche außer Zweifel stehe, setze sich die Berufung nicht auseinander. Der Umstand, dass die Beklagte einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt habe, ändere an dieser rechtlichen Beurteilung nichts, weil Wiedereinsetzung rechtfertigende Tatsachen weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht worden seien.

III. Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig; entgegen der Auffassung der Beklagten ist weder der Zulassungsgrund der Grundsätzlichkeit (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) noch der der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) gegeben, weil die von der Rechtsbeschwerde angeführten Fragen in diesem Fall nicht entscheidungserheblich sind.

1. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten mangels einer ordnungsgemäßen Begründung zu Recht als unzulässig verworfen.

a) Gemäß § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO hat die Berufungsbegründung die Bezeichnung der Umstände zu enthalten, aus denen sich nach Ansicht des Rechtsmittelführers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Die Berufungsbegründung muss auf den Streitfall zugeschnitten sein und im einzelnen erkennen lassen, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält (BGH, Beschl. v. 25. November 1999 - III ZB 50/99, NJW 2000, 590 f.; Sen.Urt. v. 14. November 2005 - II ZR 16/04, BGH-Report 2006, 452). Es ist klar anzugeben, gegen welche Ausführungen des Urteils der Angriff sich richtet und wie er begründet wird (BGH, Beschl. v. 17. September 1992 - IX ZB 45/92, NJW 1992, 3243 f.).

b) Diesen Anforderungen ist im Streitfall nicht genügt.

Die Berufungsbegründung geht nicht einmal ansatzweise auf den das landgerichtliche Urteil allein tragenden Gesichtspunkt der Versäumung der Einspruchsfrist ein. Sie befasst sich lediglich mit der - für die Rechtzeitigkeit des Einspruchs - unerheblichen Frage der ordnungsgemäßen Zustellung der Klage. Es hätte dagegen zumindest der Darlegung bedurft, dass die Fristversäumung wegen des behaupteten Zustellungsmangels unschädlich ist. Die Beklagte hat jedoch, wie die irrige Bezeichnung des angefochtenen Urteils als "Versäumnisurteil" in Verbindung mit der Geltendmachung des vermeintlichen Zustellungsmangels belegt, verkannt, dass sich ihr Rechtsmittel tatsächlich nicht gegen ein - gemäß § 514 Abs. 1 ZPO ohnehin der Anfechtung im Berufungsrechtszug entzogenes - Versäumnisurteil, sondern gegen ein den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil als unzulässig verwerfendes kontradiktorisches Urteil (§ 341 ZPO) richtet.

2. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hatte das Oberlandesgericht bei seiner Entscheidung über die Zulässigkeit der gegen die Verwerfung des Einspruchs gerichteten Berufung nicht in eine Prüfung einzutreten, ob die förmlichen Voraussetzungen - insbesondere eine ordnungsgemäße Klagezustellung und Terminsladung (§ 335 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ZPO) - für den Erlass des - mit dem verspäteten Einspruch angefochtenen - Versäumnisurteils vom 18. Mai 2004 vorlagen.

a) Ergeht gegen eine Partei, die gegen ein zu ihrem Nachteil erwirktes erstes Versäumnisurteil fristgerecht Einspruch eingelegt hat, wegen ihrer Säumnis im Einspruchstermin ein zweites Versäumnisurteil, so kann eine hiergegen eingelegte Berufung nicht darauf gestützt werden (vgl. § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO), dass das erste Versäumnisurteil nicht prozessordnungsgemäß zustande gekommen ist (BGHZ 141, 351, 355). Die beschränkte Prüfungsbefugnis beruht auf dem die rechtliche Ausgestaltung des Versäumnisverfahrens prägenden Gedanken, im Interesse der Prozessbeschleunigung eine - auch durch ein fehlerhaftes - Versäumnisurteil gewarnte Partei zu besonders sorgfältiger Prozessführung anzuhalten (BGHZ 97, 341, 345). Im Unterschied zur Anfechtung eines zweiten Versäumnisurteils fehlt es im Streitfall bereits an einem fristgerechten Einspruch gegen das der Beklagten - zugleich mit der Bestimmung über die Verlängerung der Einspruchsfrist (§ 339 Abs. 2 ZPO) - ordnungsgemäß an ihrem Sitz in der Ukraine zugestellte erste Versäumnisurteil. Die Beklagte hätte dieses Versäumnisurteil fristgerecht mit einem Einspruch anfechten müssen, um den Eintritt der formellen und materiellen Rechtskraft zu verhindern. Infolge der tatsächlich eingetretenen Fristversäumung war der Einspruch gemäß § 341 ZPO ohne Sachprüfung und ohne Rücksicht auf das ordnungsgemäße Zustandekommen des ersten Versäumnisurteils zu verwerfen (BGHZ 97, 341, 345; MünchKommZPO/Rimmelspacher 2. Aufl. (AB) § 514 Rdn. 20).

b) Rechtliches Gehör ist der Beklagten, selbst wenn die Klage und die Terminsladung zum 18. Mai 2004 nicht ordnungsgemäß zugestellt worden wären, durch die fehlerfreie Zustellung des Versäumnisurteils und der damit eröffneten Möglichkeit des Einspruchs gewährt worden (BGHZ 97, 341, 347 f.).

c) Der Rechtsbeschwerde kann im übrigen nicht darin gefolgt werden, es handele sich um ein mangels Rechtshängigkeit der Klage wirkungsloses Urteil (vgl. hierzu Sen.Beschl. v. 5. Dezember 2005 - II ZB 2/05, NJW-RR 2006, 565). Sie verschweigt nämlich, dass der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte in seinem Schriftsatz, in dem er den vor dem Landgericht geschlossenen Vergleich widerrufen hat, ausdrücklich erklärt hat: "Abschließend ist festzuhalten, dass ich ausdrücklich zur Entgegennahme der Klageschrift seitens der Beklagten und der Zustellung der Klageschrift ebenso bevollmächtigt bin wie zu erklären, dass allein aus prozessökonomischen Gründen der Rechtsstreit vor dem

angerufenen Landgericht Hannover abschließend entschieden werden kann." Damit ist ein etwaiger Zustellungsmangel geheilt.

Goette Kurzwelly Kraemer

Gehrlein Caliebe

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