IV ZR 199/03

08.12.2004

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

Verkündet am:

8. Dezember 2004

HeinekampJustizhauptsekretärals Urkundsbeamterder Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: ja


BGB §§ 1980 Abs. 1 Satz 1 und 2, 1960, 166 Abs. 1, 278; InsO § 317 Abs.1


1. Nach Annahme der Erbschaft ist der Erbe trotz eines schwebenden Erbprätendentenstreits und deswegen angeordneter Nachlaßpflegschaft aus § 1980 Abs. 1 Satz 1 BGB verpflichtet, Insolvenzantrag zu stellen.

2. Im Rahmen der Schadensersatzpflicht aus § 1980 Abs. 1 Satz 2 BGB ist dem Erben die schuldhaft verspätete Stellung des Insolvenzantrages durch den Nachlaßpfleger nicht gemäß §§ 166 Abs. 1, 278 BGB zuzurechnen.

3. Das Antragsrecht aus § 317 Abs. 1 InsO hat der Nachlaßpfleger ausschließlich im Interesse des Erben zur Sicherung und Erhaltung des Nachlasses, nicht aber auch im Interesse der Nachlaßgläubiger wahrzunehmen.


BGH, Urteil vom 8. Dezember 2004 - IV ZR 199/03 - OLG München, LG Landshut


Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Seiffert, Wendt, die Richterin

Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung vom 8. Dezember 2004

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 30. Juli 2003 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zu ihrem Nachteil erkannt worden ist.

Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Landshut vom 18. Oktober 2002 wird auch insoweit zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens einschließlich der Kosten des Streithelfers.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über den Nachlaß des am 1. September 1999 verstorbenen Erblassers. Er macht Schadensersatzansprüche gemäß § 1980 Abs. 1 Satz 2 BGB geltend gegen dessen zur Alleinerbin eingesetzte Lebensgefährtin wegen verspäteter Stellung des Insolvenzantrages.

Am 29. September 1999 nahm die Beklagte ausweislich der Niederschrift des Nachlaßgerichts in den beigezogenen Nachlaßakten "nach Hinweis auf die Schuldenhaftung ..." die Erbschaft an und beantragte die Erteilung eines Erbscheins. Die beiden Kinder des Erblassers fochten das Testament an und beantragten ihrerseits, ihnen als gesetzliche Erben einen entsprechenden Erbschein zu erteilen. Daraufhin ordnete das Nachlaßgericht durch Beschluß vom 8. Dezember 1999 Nachlaßpflegschaft "für die unbekannten Erben" an und bestellte den Streithelfer zum Nachlaßpfleger mit dem Wirkungskreis Sicherung und Verwaltung des Nachlasses. Der Erbprätendentenstreit wurde durch Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 24. Juli 2001 zugunsten der Beklagten entschieden. Am 14. Januar 2002 erhielt sie einen Erbschein. Die Pflegschaft wurde am 16. Januar 2002 aufgehoben.

Bereits Ende März 2000 konnten fällige Zahlungen aus dem Nachlaß nicht mehr erbracht werden. Am 28. März 2001 stellte der Streithelfer Insolvenzantrag. Durch Beschluß vom 6. Juni 2001 wurde das Nachlaßinsolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Bis Ende 2001 konnte er den Beteiligten nicht bekanntes Auslandsvermögen des Erblassers von 650.000 DM sicherstellen. Er behauptet, bei rechtzeitiger Antragstellung hätte ein werthaltigerer Nachlaß der Insolvenz zugeführt und damit eine höhere Quote der Nachlaßgläubiger erreicht werden können; außerdem wären geringere Kosten für die Nachlaßpflegschaft entstanden. Die sich daraus ergebende genaue Schadenshöhe stehe aber noch nicht fest.

Das Landgericht hat seine Klage, mit der er unter anderem eine Schadensersatzverpflichtung der Beklagten festgestellt wissen will, insgesamt abgewiesen. Die Berufung hatte bezüglich des Feststellungsbegehrens Erfolg. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung der Entscheidung des Landgerichts.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg. Eine Schadensersatzverpflichtung der Beklagten aus § 1980 Abs. 1 Satz 2 BGB besteht nicht.

I. In der Revisionsinstanz sind die Aktivlegitimation des Klägers, die Alleinerbenstellung der Beklagten und der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Nachlasses Ende März 2000 nicht mehr im Streit. Nicht angegriffen ist ferner, daß der Streithelfer den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit zu diesem Zeitpunkt fahrlässig nicht erkannt hat - nur mit Blick auf die angebliche Überschuldung wendet er sich dagegen, schuldhaft gehandelt zu haben - und daß die Beklagte kein eigenes Verschulden daran trifft, selbst keinen Insolvenzantrag gestellt zu haben.

Die Beteiligten streiten unter anderem weiterhin darüber, ob die Beklagte vor der Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts im Erbscheinsverfahren bzw. vor der Erbscheinserteilung gemäß § 1980 Abs. 1 Satz 1 BGB verpflichtet war, einen Insolvenzantrag zu stellen, und ob ihr in diesem Fall das Vorgehen des Nachlaßpflegers zuzurechnen ist.

Dazu hat das Berufungsgericht ausgeführt:

Nach dem Erbscheinsantrag habe die Beklagte persönlich ohne Einschränkung der Antragspflicht aus § 1980 Abs. 1 Satz 1 BGB unterlegen, rechtzeitig Insolvenzantrag zu stellen. Dabei müsse sie sich die Kenntnis und das Verschulden des Nachlaßpflegers im Zusammenhang mit der erst etwa ein Jahr nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit erfolgten, mithin verspäteten Insolvenzantragstellung zurechnen lassen.

Die Zurechnung des Wissens des Nachlaßpflegers als dem gesetzlichen Vertreter des Definitiverben beruhe auf § 166 BGB, der jedenfalls analog anzuwenden sei. § 1980 Abs. 1 Satz 1 BGB begründe zudem ein Sonderrechtsverhältnis, innerhalb dessen § 278 BGB zur Anwendung komme. Darüber würde zwar auf "quasi indirektem Weg auch eine Pflicht des Nachlaßpflegers zur rechtzeitigen Stellung des Insolvenzantrages hergestellt", die ihn eigentlich nur dem Erben, nicht aber dem Nachlaßgläubiger gegenüber treffen könne. Das entspreche jedoch der Systematik des Gesetzes und der Intention des Gesetzgebers. Dementsprechend habe der Erbe dafür einzustehen, daß der Streithelfer die Zahlungsunfähigkeit zumindest grob fahrlässig nicht erkannt habe.

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Zwar war die Beklagte verpflichtet, nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit unverzüglich Insolvenzantrag zu stellen (1). Eine Schadensersatzverpflichtung läßt sich aus der Verletzung dieser Pflicht ohne eigenes Verschulden indes nicht ableiten, weil ihr die schuldhaft verspätete Antragstellung des Streithelfers nicht zuzurechnen ist (2).

1. Zu Recht hat das Berufungsgericht die Beklagte trotz des Erbprätendentenstreits und der deswegen erfolgten Anordnung der Nachlaßpflegschaft für verpflichtet gehalten, nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit Insolvenzantrag zu stellen. Von dieser Pflicht ist sie - entgegen den Auffassungen der Revision und des Landgerichts - nicht als nur "vorläufige Erbin" entbunden gewesen.

a) § 1980 Abs. 1 Satz 1 BGB legt die Verpflichtung, ab Kenntnis von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Nachlasses unverzüglich Insolvenzantrag zu stellen, dem "Erben" auf. Darunter ist - wie allgemein im Erbrecht - jeder endgültige Erbe zu verstehen (MünchKomm-InsO/Siegmann, § 317 Rdn. 7). Vorläufig ist eine materiell-rechtlich begründete Erbenstellung, sei es aufgrund gesetzlicher Erbfolge oder - wie hier - aufgrund testamentarischer Einsetzung, bis zur Annahme der Erbschaft gemäß § 1943 BGB. Bis dahin steht noch nicht fest, daß der so Berufene auch endgültig Erbe wird. Während dieses Zeitraums braucht er sich um den Nachlaß grundsätzlich nicht zu kümmern (allg. Meinung, vgl. nur Staudinger/Marotzke, BGB [2002] § 1980 Rdn. 15 m.w.N.). Es handelt sich um einen sogenannten "werdenden Erben", für den auch die Insolvenzantragspflicht nicht gelten kann, weil es einen Erben im Sinne von § 1980 Abs. 1 Satz 1 BGB (noch) nicht gibt (vgl. KG MDR 1975, 581 f.; Erman/Schlüter, BGB 11. Aufl. § 1980 Rdn. 5; Soergel/Stein, BGB 13. Aufl. § 1980 Rdn. 5; Bamberger/Roth/Lohmann, BGB § 1980 Rdn. 5; dem hat auch die insolvenzrechtliche Literatur einhellig zugestimmt, vgl. nur Kuhn/Uhlenbruck, KO 11. Aufl. § 217 Rdn. 2; Hess, InsO § 317 Rdn. 5).

b) Dieser Schwebezustand wird durch die Annahme der Erbschaft beendet, der "werdende Erbe" wird zum endgültigen (Erman/Schlüter, aaO § 1943 Rdn. 1). Seine dadurch begründete Pflichtenstellung einschließlich der Insolvenzantragspflicht aus § 1980 Abs. 1 Satz 1 BGB wird nicht dadurch wieder in Frage gestellt, daß andere (Erbprätendenten) seine Erbenstellung in Zweifel ziehen. Der wirkliche Erbe wird dadurch nicht erneut zum "werdenden Erben" im vorgenannten Sinne. Das läßt sich - entgegen der Ansicht des Streithelfers - auch nicht aus § 1960 Abs. 2 BGB ableiten.

Unklarheiten über den endgültigen Erben im Sinne von § 1960 Abs. 1 BGB können zwar gemäß § 1960 Abs. 2 BGB als Sicherungsmaßnahme unter anderem auch eine Nachlaßpflegschaft erfordern. Die Anordnung einer solchen Pflegschaft bildet aber kein die Endgültigkeit der Erbenstellung ausschließendes oder aufhebendes Hindernis. Die Bestellung eines Nachlaßpflegers "für denjenigen, der Erbe wird", erfolgt gerade auch für den aus tatsächlichen Gründen noch unbekannten Erben, bei dem die Annahme naturgemäß noch ausstehen muß. Diesen Fall eines noch "werdenden Erben" hat ersichtlich auch der Streithelfer im Blick. Er trifft damit aber nicht die hier gegebene Situation, in der die durch Annahme endgültig begründete Erbenstellung des (wahren) Erben von dritter Seite bezweifelt wird und der Streit darüber einer gerichtlichen Klärung zugeführt werden muß. Wortlaut und Regelungsgehalt des § 1960 Abs. 2 BGB geben nichts dafür her, daß die Erbenstellung in diesen Fällen wieder nur als vorläufige zu behandeln sein sollte. Auch § 1980 Abs. 1 Satz 1 BGB erlaubt insbesondere wegen der damit sonst verbundenen Rechtsunsicherheit keine Unterscheidung danach, ob eine Erbenstellung unangefochten besteht oder ob der Erbe in einem Prätendentenstreit befangen ist. Es wäre nicht gerechtfertigt, ihn allein deswegen von seinen gesetzlichen Pflichten als Erben zu entbinden, weil die Wirksamkeit seiner Erbschaftsannahme, von der er selber ausgeht, in Zweifel gezogen wird und dadurch eine Nachlaßpflegschaft erforderlich wird. Fehlen ihm dann die erforderlichen Kenntnisse, hat er für eine dadurch begründete Nichterfüllung seiner Pflichten nicht einzustehen. Hat er sie aber, gibt es keinen Grund, warum er seinen Pflichten - unter dem Druck sonst gegebener Ersatzpflichten - nicht nachzukommen hätte.

2. Ebenfalls zutreffend hat das Berufungsgericht den Nachlaßpfleger als gesetzlichen Vertreter des Erben angesehen. In dieser Eigenschaft und nicht etwa als Vertreter des Nachlasses bzw. treuhänderische Amtsperson hat er nach nahezu einhelliger richtiger Auffassung seiner Hauptaufgabe, der Sicherung und Erhaltung des Nachlasses, für den wirklichen Erben nachzukommen mit nach außen grundsätzlich unbeschränkter Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis (vgl. BGHZ 94, 312, 314; 49, 1, 5; BGH, Urteile vom 21. Dezember 1988 - VIII ZR 277/87 - JR 1990, 458 unter II 2; vom 6. Oktober 1982 - IVa ZR 166/81 - NJW 1983, 226; vom 22. Januar 1981 - IVa ZR 97/80 - NJW 1981, 2299 unter II und Beschluß vom 20. Februar 1968 - V BLw 34/67 - RdL 1968, 98 unter II 1 b; RGZ 151, 57, 62; Soergel/Stein, aaO § 1960 Rdn. 25, 34; Erman/Schlüter, aaO § 1960 Rdn. 19; Staudinger/Marotzke, BGB [2000] § 1960 Rdn. 23; MünchKomm-BGB/Leipold, 4. Aufl. § 1960 Rdn. 29; a.A. Draschka, Rpfleger 1992, 281, 282 f.).

Aus dieser Vertreterstellung des Nachlaßpflegers allein läßt sich jedoch entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts noch nicht ableiten, daß dem Erben seine Beteiligung bei der Frage, ob und gegebenenfalls wann Insolvenzantrag zu stellen ist, über §§ 166 Abs. 1, 278 BGB zuzurechnen ist. Beide Zurechnungsnormen setzen voraus, daß der Dritte - Vertreter bzw. Gehilfe - im Pflichtenkreis des Schuldners gegenüber seinem Gläubiger eingesetzt ist. Das ist hier indes nicht der Fall. Der Streithelfer hat nicht die der Beklagten den Nachlaßgläubigern gegenüber obliegende Aufgabe, rechtzeitig Insolvenzantrag zu stellen, wahrzunehmen und auch nicht wahrgenommen. Er ist insoweit auch nicht aus einer vom Erben abgeleiteten oder eigenen Pflichtenstellung den Nachlaßgläubigern gegenüber damit befaßt gewesen. Danach scheidet eine Zurechnung aus.

a) Nach ganz herrschender und zutreffender Meinung ergibt sich aus der Aufgabenstellung des Nachlaßpflegers, den Nachlaß zu sichern und zu verwalten, nicht, daß auch er aus § 1980 Abs. 1 Satz 1 BGB den Nachlaßgläubigern gegenüber verpflichtet ist; das ist allein der Erbe persönlich (vgl. KG aaO; Soergel/Stein, aaO Rdn. 34 und § 1980 Rdn. 9; Staudinger/Marotzke, BGB [2002] § 1980 Rdn. 20; MünchKomm-BGB/

Leipold, aaO Rdn. 50; Lange/Kuchinke, Erbrecht 5. Aufl. § 49 IV 3; FK-InsO/Schallenberg/Rafiqpoor, § 317 Rdn. 19; Uhlenbruck/Lüer, InsO 12. Aufl. § 317 Rdn. 3, 7; Nerlich/Römermann/Riering, § 317 InsO Rdn. 7; Jaeger/Weber, KO 8. Aufl. §§ 217-220 Anm. 24; Kilger/

K. Schmidt, Insolvenzgesetze 17. Aufl. § 217 KO Anm. 2; a.A. Draschka, aaO; Ziegltrum, Sicherungs- und Prozeßpflegschaft S. 163). Nur für die Nachlaßverwaltung als Sonderfall der Nachlaßpflegschaft (vgl. §§ 1975 BGB, 317 Abs. 1 InsO, 780 Abs. 2 ZPO, 106 Abs. 1 Satz 1 KostO) ordnet § 1985 Abs. 2 BGB eine entsprechende Anwendung des § 1980 BGB an, weil auch nur der Nachlaßverwalter und nicht der allgemeine Nachlaßpfleger gemäß § 1975 BGB verpflichtet ist, die Nachlaßgläubiger zu befriedigen. Der Nachlaßpfleger ist gemäß § 2012 Abs. 1 Satz 2 BGB lediglich verpflichtet, den Nachlaßgläubigern Auskunft über den Nachlaßbestand zu erteilen. Aus seiner Berechtigung gemäß § 317 Abs. 1 InsO, die Eröffnung eines Nachlaßinsolvenzverfahren zu beantragen, kann er im Innenverhältnis zum Erben bei Meidung einer Schadensersatzpflicht dazu sogar verpflichtet sein, um eine Verkürzung des Nachlasses und damit einen Schaden des Erben abzuwenden (einhellige Ansicht, vgl. nur

MünchKomm-BGB/Leipold, aaO Rdn. 60; MünchKomm-InsO/Siegmann, aaO; Staudinger/Marotzke, aaO; FK-InsO/Schallenberg/Rafiqpoor, aaO Rdn. 20; Ziegltrum, aaO S. 162 f.). Eine Pflichtenstellung im Verhältnis zu den Nachlaßgläubigern wird darüber hingegen weder originär noch derivativ begründet.

b) Bei dieser gesetzlich festgelegten Aufgabenbeschreibung und

-wahrnehmung des Nachlaßpflegers fehlt es an der von beiden Vorschriften für eine Zurechnung vorausgesetzten Risikozuordnung aufgrund arbeitsteiligen Einsatzes Dritter für den Schuldner. Der Nachlaßpfleger wird insoweit gerade nicht wie ein Vertreter für den Erben tätig und er nimmt auch nicht tatsächlich eine ähnliche Stellung wie ein Vertreter ein (vgl. BGHZ 83, 293, 296; 55, 307, 311). Er handelt auch nicht faktisch als Hilfsperson für den Erben im Zusammenhang mit der Erfüllung einer diesem obliegenden Verbindlichkeit; seine Rechtsbeziehung zu dem Erben spielt - was ganz generell für das rechtliche Verhältnis zwischen Schuldner und Gehilfen gilt - diesbezüglich keine Rolle (vgl. BGHZ 62, 119, 124). Lag aber die Erfüllung der Pflicht des Erben aus § 1980 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht im Aufgabenbereich des Nachlaßpflegers, der mithin gegenüber den Nachlaßgläubigern auch nicht "pflegerisch" tätig zu werden hatte, kann die Nichterfüllung durch ihn dem Erben nicht schaden, die Grundsätze des § 278 BGB können dann nicht zum Tragen kommen (so schon RGZ 159, 337, 352 für den Testamentsvollstrecker). Tritt er insofern nicht im Rechtsverkehr gegenüber den Nachlaßgläubigern für den Erben auf, wenn er den Insolvenzantrag stellt oder ihn nicht stellt oder ihn herauszögert und verspätet stellt, ist es auch nicht möglich, sein entsprechendes Wissen und Verhalten dem Erben zuzurechnen.

c) Schutzwürdige Belange der Nachlaßgläubiger werden dadurch nicht berührt.

Nachlaßgläubiger können nicht darauf vertrauen, daß Nachlaßpfleger ohne entsprechenden Auftrag in ihrem Interesse tätig werden, zumal eine sofortige Einleitung eines Insolvenzverfahrens etwa bei nur kurzfristiger Zahlungsunfähigkeit mit Blick auf die Gefahr einer ungünstigen Verwertung von Nachlaßgegenständen zu diesem Zeitpunkt keineswegs stets auch den Vermögensinteressen des Erben entsprechen muß. Auf die Tätigkeit des Nachlaßpflegers hat der Erbe ohnehin keine Einflußmöglichkeiten.

Aus der Sicht des Insolvenzgerichts kann sich dieser Erbe als bloßer Erbprätendent darstellen, der ein Antragsrecht aus § 317 Abs. 1

InsO nicht hat. Er dürfte deshalb auch kaum in der Lage sein, ein Insolvenzverfahren in Gang zu setzen, weil es nicht Aufgabe des Insolvenzgerichts ist, die Erbenstellung zu klären (MünchKomm-InsO/Siegmann, aaO Rdn. 2; vgl. auch OLG Düsseldorf ZIP 1998, 870, 871 f.; LG Wuppertal ZIP 1999, 1536). Müßte sich der Erbe das Pflegerwissen und -verhalten indes zurechnen lassen, bedeutete dies tatsächlich eine Haftungsverschärfung. Ohne Pflegschaftsanordnung wäre ihm eine vom Insolvenzgericht akzeptierte Antragstellung nicht möglich und er wäre insoweit haftungsfrei. Die Nachlaßpflegschaft wird aber gerade nicht zum Schutz von Vermögensinteressen Dritter eingerichtet, sondern sie soll allein die des Erben schützen.

Die Nachlaßgläubiger können dagegen der Pflegschaftseinrichtung entnehmen, daß die Erfüllung der Antragspflicht aus § 1980 Abs. 1 Satz 1 BGB derzeit nicht unbedingt gewährleistet ist. Den damit verbundenen Gefahren können sie mit ihrem Auskunftsanspruch aus § 2012 Abs. 1 Satz 2 BGB und ihrem eigenen Antragsrecht aus § 317 Abs. 1

InsO begegnen.

Für eine Ausweitung der Haftung des Erben über eine (entsprechende) Anwendung der §§ 166 Abs. 1 Satz 1, 278 BGB besteht danach weder ein rechtliches noch ein praktisches Bedürfnis.

Terno Seiffert Wendt

Dr. Kessal-Wulf Felsch

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