IV ZR 228/12

19.06.2013

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

Verkündet am:

19. Juni 2013

SchickJustizangestellteals Urkundsbeamtinder Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


AVB Feuerversicherung, hier § 3 Nrn. 1 und 3 a) AFB 87


Der Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen für Aufräumungs-, Abbruch- oder Schadenminderungskosten nach § 3 Nrn. 1 und 3 a) AFB 87 setzt nicht voraus, dass der Versicherungsnehmer diese Aufwendungen seinerseits bereits erbracht oder zumindest entsprechende Zahlungsverpflichtungen begründet hat.


BGH, Urteil vom 19. Juni 2013 - IV ZR 228/12 - OLG Frankfurt am Main, LG Wiesbaden


Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, die Richter Wendt, Felsch, die Richterin

Harsdorf-Gebhardt und den Richter Dr. Karczewski auf die mündliche Verhandlung vom 19. Juni 2013

für Recht erkannt:

Auf die Rechtsmittel der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 15. Juni 2012 im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, als ihre Berufung zurückgewiesen und die Klage auf Abschlagszahlungen für Aufräumungs- und Abbruchkosten in Höhe von 181.250 ? sowie für Schadenminderungskosten in Höhe von 27.070 ? zuzüglich darauf entfallender Zinsen unter Änderung des Urteils des Landgerichts Wiesbaden vom 9. November 2011 abgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Berufung der Beklagten gegen das vorbezeichnete Urteil des Landgerichts zurückgewiesen und die Beklagte weiter verurteilt, an die Klägerin 4% Zinsen aus 208.320 ? für die Zeit vom 15. März 2004 bis 20. November 2007 zu zahlen.

Gemäß § 319 ZPO wird das vorbezeichnete Urteil des Oberlandesgerichts dahingehend berichtigt, dass der Klägerin Zinsen aus jeweils 200.000 ? in Höhe von einem Prozentpunkt über dem Basiszinssatz nicht für die Zeit vom 1. Oktober 2009 bis zum 20. Mai 2010, sondern nur für die Zeit vom 31. Oktober 2009 bis zum 20. Mai 2010 zustehen.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin 1/3, die Beklagte 2/3. Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

[1] Die Klägerin fordert - soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse - von ihrem beklagten Feuerversicherer nach einem Brand, bei dem das versicherte Büro- und Verwaltungsgebäude am 14. März 2004 erheblich beschädigt wurde, Abschlagszahlungen für Aufräumungs- und Abbruchkosten sowie für Schadenminderungskosten.

[2] In den dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Allgemeinen Bedingungen für die Feuerversicherung (AFB 87) heißt es dazu unter anderem:

"§ 3 Versicherte Kosten

1. Aufwendungen, auch erfolglose, die der Versicherungsnehmer zur Abwendung oder Minderung des Schadens ... für geboten halten durfte, hat der Versicherer zu ersetzen. ....

2. Für die Kosten der Ermittlung und Feststellung des Schadens gilt § 66 VVG.

3. Soweit dies vereinbart ist ..., ersetzt der Versicherer auch die infolge eines Versicherungsfalles notwendigen Aufwendungen

a) für das Aufräumen der Schadenstätte einschließlich des Abbruchs stehengebliebener Teile, für das Abfahren von Schutt und sonstigen Resten zum nächsten Ablagerungsplatz und für das Ablagern oder Vernichten (Aufräumungs- und Abbruchkosten);

...

§ 16 Zahlung der Entschädigung

1. Ist die Leistungspflicht des Versicherers dem Grunde und der Höhe nach festgestellt, so hat die Auszahlung der Entschädigung binnen zwei Wochen zu erfolgen. Jedoch kann einen Monat nach Anzeige des Schadens als Abschlagszahlung der Betrag beansprucht werden, der nach Lage der Sache mindestens zu zahlen ist.

2. Die Entschädigung ist seit Anzeige des Schadens mit 1 Prozent unter dem Basiszinssatz im Sinne von § 1 Abs. 1 Diskontsatz-Überleitungsgesetz zu verzinsen, mindestens jedoch mit 4 Prozent und höchstens mit 6 Prozent pro Jahr, soweit nicht aus anderen Gründen ein höherer Zins zu entrichten ist.

..."

[3] Ausweislich des Versicherungsscheins aus dem Jahre 2002 erstreckt sich der vereinbarte Versicherungsschutz auch auf Aufräumungs- und Abbruchkosten i.S. von § 3 Nr. 3 AFB 87.

[4] Im Juni 2004 vereinbarten die Parteien die Durchführung des Sachverständigenverfahrens nach § 15 AFB 87. Die Klägerin benannte dafür den Sachverständigen W. , die Beklagte den Sachverständigen S. . Die Sachverständigen sollten die Schadenhöhe, den Versicherungswert des Gebäudes unmittelbar vor Schadeneintritt, ferner schadenbedingte Aufräumungs-, Abbruch-, Schutz- und Bewegungskosten ermitteln.

[5] Am 14. Oktober 2004 erklärte die Beklagte den Rücktritt vom Versicherungsvertrag und dessen Arglistanfechtung. Im anschließenden Rechtsstreit wurde - rechtskräftig seit September 2009 - festgestellt, dass die Beklagte dem Grunde nach verpflichtet ist, der Klägerin den durch den Brand entstandenen Schaden gemäß den Versicherungsbedingungen und den im Sachverständigenverfahren zu treffenden Feststellungen zu ersetzen.

[6] Der Sachverständige S. bezifferte in seinem Gutachten vom 12. August 2005 den Zeitwertschaden des Gebäudes auf 654.729 ?, die Aufräumungs- und Abbruchkosten auf 181.250 ? und die Schadenminderungskosten auf 27.070 ?. Im Gutachten vom 21. November 2007 ermittelte der Sachverständige W. einen Gebäude-Zeitwertschaden von 491.000 ?, Aufräumungs- und Abbruchkosten von 397.000 ? und Schadenminderungskosten von ebenfalls 27.070 ?. Das abschließende Gutachten des nachfolgend eingeleiteten Obmann-Verfahrens steht noch aus.

[7] Die Klägerin meint, die Beklagte sei jedenfalls zur Zahlung eines Abschlags einerseits für die Aufräumungs- und Abbruchkosten, andererseits für die Schadenminderungskosten in der sich jeweils aus den beiden genannten Sachverständigengutachten ergebenden Mindesthöhe (181.250 ? und 27.070 ?) verpflichtet.

[8] Die Beklagte verweigert die Abschlagszahlung im Wesentlichen mit der Begründung, die Klägerin fordere Abschläge für so genannte Nachweispositionen, die erst nach Ausgabe der entsprechenden Beträge durch die Klägerin erstattungsfähig seien.

[9] Das Landgericht hat dem Klagebegehren im Wesentlichen stattgegeben. Lediglich die für die Zeit vom 15. März 2004 bis 20. November 2007 begehrten Zinsen hat es der Klägerin nicht zugesprochen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht diese Entscheidung insoweit aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin wegen des Zinsanspruchs hat nur teilweise Erfolg gehabt. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren im Umfang der Zulassung der Revision weiter.

Entscheidungsgründe:

[10] Das Rechtsmittel hat Erfolg.

[11] I. Das Berufungsgericht meint, der Klägerin stünden die begehrten Abschlagszahlungen für Aufräumungs-, Abbruch- und Schadenminderungskosten in Höhe von insgesamt 208.320 ? nicht zu, weil sie solche Kosten bisher selbst nicht aufgewendet habe, diese demnach noch nicht angefallen seien. Mit dem Begriff der "Aufwendungen" verdeutliche § 3 Nr. 3 Buchst. a AFB 87, dass der Versicherungsnehmer Ersatz erst verlangen könne, wenn er selbst einen tatsächlichen Aufwand gehabt habe, mithin Aufräumungs-, Abbruch- oder Schadenminderungsarbeiten tatsächlich durchgeführt und diesbezüglich Verbindlichkeiten begründet worden seien. Das könne der durchschnittliche Versicherungsnehmer dem Bedingungswortlaut entnehmen, denn schon der allgemeine Sprachgebrauch lege es nahe, dass dem Ersetzen von Aufwendungen zunächst der tatsächliche Einsatz entsprechender Mittel vorausgegangen sein müsse. Der Ausdruck habe aber auch eine spezifische Bedeutung in der Rechtssprache, wo er - im Gegensatz zum Schaden - freiwillige Vermögensopfer bezeichne. Solche müssten zunächst erbracht sein, ehe sie ersetzt werden könnten. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer erkenne auch, dass § 3 AFB 87 keine Vorschussregelung darstelle. Den danach versicherten Kosten liege - anders als bei einem Schaden an versicherten Sachen, der sich abstrakt berechnen lasse - noch keine bereits eingetretene Vermögenseinbuße zugrunde. Nichts anderes gelte für die in § 3 Nr. 1 AFB 87 genannten Aufwendungen zur Schadenminderung.

[12] Der Zweck des Versicherungsvertrages stehe diesem Auslegungsergebnis nicht entgegen, selbst wenn der Versicherungsnehmer regelmäßig nicht in der Lage sei, die zum Teil erheblichen Kosten aus eigenen Mitteln vorzuschießen. Zur Erfüllung ersatzfähiger Aufwendungen genüge es, dass er einen entsprechenden Auftrag erteile und sich nachweisbar mit einer Verpflichtung belaste, die er noch nicht aus eigenen Mitteln beglichen haben müsse. Zudem könne der Versicherungsnehmer für die Schadenminderung vom Versicherer einen Vorschuss verlangen. Eine solche Vorschussforderung erhebe die Klägerin hier allerdings nicht.

[13] Mit der Vereinbarung des Sachverständigenverfahrens hätten die Parteien die vorgenannten Voraussetzungen des Kosten- oder Aufwendungsersatzes nach § 3 AFB 87 nicht konkludent abbedungen, zumal die Rechtswirkungen des Sachverständigenverfahrens durch sein Scheitern inzwischen ohnehin entfallen seien.

[14] II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

[15] 1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte nach § 3 Nr. 1 und Nr. 3 Buchst. a AFB 87 i.V.m. § 16 Nr. 1 Satz 2 AFB 87 wegen der Schadenminderungskosten und der Aufräumungs- und Abbruchkosten Anspruch auf Abschlagszahlungen in Höhe von 20.070 ? und 181.250 ?.

[16] Anders als das Berufungsgericht meint, setzt dieser Anspruch nicht voraus, dass der Versicherungsnehmer die diesbezüglichen Aufwendungen seinerseits bereits erbracht oder zumindest entsprechende Zahlungsverpflichtungen begründet hat.

[17] a) Das ergibt die Auslegung von § 3 Nr. 1 und Nr. 3 Buchst. a AFB 87.

[18] Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach gefestigter Rechtsprechung des Senats so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an (Senatsurteile vom 11. Dezember 2002 - IV ZR 226/01, BGHZ 153, 182, 185 f.; vom 23. Juni 1993 - IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83, 85; jeweils m.w.N.). Der Versicherungsnehmer, dem die Entstehungsgeschichte einer Klausel in der Regel nicht bekannt ist, wird - wie auch das Berufungsgericht im Ansatz zutreffend annimmt - zunächst von ihrem Wortlaut ausgehen.

[19] aa) Dem Wortlaut des § 3 Nr. 1 und Nr. 3 Buchst. a AFB 87 kann er entnehmen, dass sich das Leistungsversprechen des Versicherers im Falle eines Brandes i.S. des § 1 Nr. 1 Buchst. a AFB 87 nicht darauf beschränkt, ihm die in § 2 AFB 87 aufgezählten Sachen zu ersetzen, soweit solche durch den Brand beschädigt sind, sondern der Versicherer auch für die Vermögenseinbußen aufkommt, die dem Versicherungsnehmer aus Maßnahmen zur Schadenminderung sowie aus Aufräumungs- und Abbrucharbeiten entstehen. Dass die letztgenannten Versicherungsleistungen jeweils eine Vorleistung oder zumindest eine vertragliche Verpflichtung des Versicherungsnehmers voraussetzten, erschließt sich dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer daraus nicht.

[20] bb) Die Ansicht des Berufungsgerichts, der von der Klausel verwendete Begriff der Aufwendung impliziere bereits nach dem allgemeinen Sprachgebrauch eine dem Versicherungsnehmer schon entstandene Vermögenseinbuße in dem Sinne, dass er entweder entsprechende Mittel bereits ausgegeben oder zumindest - etwa durch verbindliche Vergabe von Arbeitsaufträgen - eine entsprechende Verpflichtung begründet haben müsse, teilt der Senat nicht (vgl. ähnlich wie hier zum Begriff der "Kosten": OLG Hamm VersR 1998, 1152 f.; OLG Celle VersR 2010, 383, 385 f.).

[21] Ein solch eingeschränktes Verständnis des Aufwendungsbegriffs in der Umgangssprache, welches etwa zur Folge hätte, den Begriff einer "künftigen Aufwendung" (oder auch "künftiger Kosten") als paradox anzusehen, lässt sich nicht feststellen. "Aufwendung" bezeichnet nach dem allgemeinen Sprachgebrauch den zweckgerichteten Einsatz finanzieller oder sachlicher Mittel oder von Arbeitskraft. Eine zeitliche Komponente des Inhalts, dass er allein rückblickend auf bereits entstandenen, geschehenen oder eingesetzten Mitteleinsatz bezogen werden könne, wohnt dem Aufwendungsbegriff nicht inne. Der Begriff kann mithin auch auf künftige Sachverhalte zielen und dabei zum Ausdruck bringen, dass jemand infolge bestimmter Ursachen gezwungen sein wird oder auch freiwillig beabsichtigt, Aufwendungen vorzunehmen. Ohne begleitende Einschränkungen und Erläuterungen, welche verdeutlichen, dass Aufwendungen bei einer Person bereits angefallen oder von ihr veranlasst sein sollen, bringt allein das Substantiv "Aufwendungen" selbst bei gleichzeitiger Benennung ihres Zwecks nicht zum Ausdruck, ob der damit angesprochene Mitteleinsatz bereits geschehen ist oder nur geboten erscheint, aber noch aussteht. Mithin kann insbesondere nicht davon die Rede sein, dass das Wort Aufwendungen einen solchen - ausschließlich retrospektiven - Sinngehalt dem Versicherungsnehmer sogar verdeutlichte.

[22] Daran ändert die Formulierung in § 3 Nr. 1 AFB 87 nichts, wonach der Versicherer "Aufwendungen, auch erfolglose, die der Versicherungsnehmer zur Abwendung oder Minderung des Schadens ... für geboten halten durfte", zu ersetzen hat. Dem Berufungsgericht ist zwar darin zuzustimmen, dass dieser Text den Rückblick auf bereits betriebenen Aufwand anspricht. Die im Imperfekt gehaltene Formulierung vermittelt dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer allerdings nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit, dass er für den Erhalt der Versicherungsleistung auf jeden Fall vorleistungspflichtig sein soll. Er kann den Satz auch dahin verstehen, dass sich die Frage, ob er Aufwendungen zur Schadenminderung für geboten halten durfte, nur bei bereits vorgenommenen, aber objektiv erfolglosen Aufwendungen zur Schadenabwehr oder -minderung stellt und sich die von der Klausel geforderte rückblickende Prognose mithin auch nur auf solche Aufwendungen bezieht, während es für andere (noch ausstehende) - objektiv zur Schadenminderung geeignete - Aufwendungen darauf nicht ankommt. Die Klausel kann mithin ebenso gut dahin verstanden werden, dass sie kein allgemeines Vorleistungserfordernis für erstattungsfähige Aufwendungen aufstellt, sondern eine Entschädigung beansprucht werden kann, wenn deren Höhe anderweitig belegt ist, etwa - wie hier - durch sogar unstreitige Feststellungen der herangezogenen Sachverständigen.

[23] cc) Der Begriff der Aufwendungen hat auch in der Rechtssprache keine festen Konturen, die es rechtfertigen, ihn ausschließlich in dem vorgenannten, einschränkenden Sinn zu verstehen. Eine gesetzliche Definition findet sich nicht. Soweit der Begriff in Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches verwendet wird (vgl. etwa §§ 256, 284, 304, 670 BGB), bezeichnet er in Abgrenzung zu unfreiwillig erlittenen Schäden die freiwillige Aufopferung von Vermögenswerten im Interesse eines anderen (vgl. die Nachweise bei Palandt/Grüneberg, BGB 72. Aufl. § 256 Rn. 1 und Palandt/Sprau aaO § 670 Rn. 3). Es liegt auf der Hand, dass der Begriff, soweit er im Versicherungsrecht und insbesondere in Allgemeinen Versicherungsbedingungen Verwendung findet, nicht diese Abgrenzungsfunktion erfüllt. Das zeigt sich schon daran, dass § 3 AFB 87 ersichtlich keine fremdnützigen Aufwendungen zum Gegenstand hat, sondern solche, die der Versicherungsnehmer zur Beseitigung oder Minderung eines ihm entstandenen Schadens - und mithin auch nicht freiwillig - im eigenen Interesse einsetzt. Soweit das Berufungsgericht meint, die in § 3 AFB 87 versprochenen Versicherungsleistungen unterschieden sich vom Ersatz für Gebäude- und sonstige Sachschäden dadurch, dass eine erstattungsfähige Vermögenseinbuße beim Versicherungsnehmer erst durch den tatsächlichen Einsatz der Aufwendungen einträte (ähnlich für den Begriff der "notwendigen Kosten": OLG Celle VersR 2009, 631; OLG Frankfurt am Main VersR 2011, 111; LG Köln VersR 2007, 792; AG Recklinghausen VersR 2006, 70; AG Trier NJW-RR 2003, 889 f.; Höra in van Bühren, Handbuch Versicherungsrecht 4. Aufl. § 3 Rn. 62; Knappmann in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 2 VHB 92 Rn. 3; Martin, SVR 3. Aufl. W I Rn. 25, 26), vermag der Senat dies nicht nachzuvollziehen. Ein Schaden - und damit eine Vermögenseinbuße - ist bei einem Versicherungsnehmer, auf dessen ehemals bebautem Grundstück sich nur noch Brandreste des versicherten Gebäudes befinden, die eine bestimmungsgemäße Nutzung des Grundstücks - auch im Hinblick auf einen Wiederaufbau - verhindern, bereits eingetreten. Der Mitteleinsatz zur Beseitigung einer solchen Beeinträchtigung ist mithin Schadenbeseitigungsaufwand und nicht freiwilliges Vermögensopfer.

[24] Auch in anderen Versicherungszweigen wird der Begriff der Aufwendung nicht im Sinne eines freiwilligen, fremdnützigen Vermögensopfers verwendet. So wird dem Versicherungsnehmer einer Krankheitskostenversicherung in aller Regel der Ersatz von Aufwendungen für notwendige Heilbehandlungen und sonstige vereinbarte Leistungen versprochen.

[25] Im Rechnungswesen und im Steuerrecht werden Kosten von Aufwendungen unterschieden, während der Begriff der Kosten in der Überschrift des § 3 AFB 87 als Oberbegriff verwendet wird, unter den insbesondere Aufwendungen des Versicherungsnehmers fallen sollen.

[26] Ein einheitliches Verständnis des Begriffs der Aufwendungen in der Rechtssprache, welches es rechtfertigen könnte, bei der Klauselauslegung vom allgemeinen, dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer geläufigen Sprachverständnis abzurücken, lässt sich nach allem nicht feststellen.

[27] dd) Selbst bei intensivem Studium der übrigen Bedingungen wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer wegen der besonderen Regelung zur Sicherstellung des Wiederaufbaus als Voraussetzung für die Erstattung der so genannten Neuwertspitze in § 11 Nr. 5 AFB 87 nicht darauf kommen, dass Ähnliches von ihm auch im Rahmen des § 3 AFB 87 erwartet wird (vgl. dazu auch OLG Celle VersR 2010, 383, 385 f.).

[28] ee) Hier tritt noch hinzu, dass § 16 Nr. 1 Satz 2 AFB dem Versicherungsnehmer einen Anspruch auf Abschlagszahlungen einräumt, den die Klägerin verfolgt.

[29] Dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer erschließt sich in Anbetracht dieses Leistungsversprechens erst recht nicht, dass er Schadenminderungs- oder Aufräumungs- und Abbruchkosten erst ersetzt verlangen kann, nachdem er selbst damit in Vorlage getreten ist oder entsprechende Verpflichtungen begründet hat.

[30] Bei dem Verständnis Allgemeiner Versicherungsbedingungen darf der durchschnittliche Versicherungsnehmer auch seine eigenen Interessen in den Blick nehmen. Er schließt eine Feuerversicherung in der Regel deshalb ab, weil der Brand des versicherten Gebäudes für ihn mit hohen Schäden verbunden ist, die er aus Eigenmitteln nicht beheben kann. Das gilt nicht nur für den Wiederaufbau, sondern auch für damit verbundene vorbereitende Maßnahmen, etwa zum Schutz der weiter verwertbaren Gebäudeteile, und die Beseitigung und Entsorgung von Brandresten. Wie der Versicherer weiß, zielt der Versicherungsnehmer mit dem Abschluss der Versicherung darauf ab, im Falle eines Brandschadens die erforderlichen Mittel zur Schadenbeseitigung an die Hand zu bekommen. Verspricht ihm der Versicherer mithin nicht nur die Erstattung der Aufwendungen für Schadenminderung und Aufräumungs- und Abbruchkosten, sondern stellt darüber hinaus noch Mindestabschlagszahlungen in Aussicht, deren Wesen darin besteht, dass sie im Vorgriff auf die Feststellung der endgültigen Höhe der Versicherungsleistung erfolgen, um dem Versicherungsnehmer schnell eine gewisse Liquidität zu verschaffen, wird der Versicherungsnehmer nicht auf den Gedanken kommen, seine Aufwendungen seien erst zu ersetzen, wenn er selbst damit in Vorlage getreten oder verbindliche Verpflichtungen eingegangen sei.

[31] b) Die Höhe der Abschlagszahlungen hat das Landgericht zutreffend aufgrund der Mindestfeststellungen aus den im Sachverständigenverfahren eingeholten Gutachten der Sachverständigen W. und S. festgesetzt. Den divergierenden Werten beider Gutachten bei den Aufräumungs- und Abbruchkosten hat es durch die Wahl des von dem Sachverständigen S. ermittelten, deutlich geringeren Betrages ausreichend Rechnung getragen; das gilt auch hinsichtlich der in der Berufungsbegründung der Beklagten vorgebrachten allgemeinen Bedenken. Sie hat nicht konkret aufgezeigt, inwieweit selbst dieser Betrag, der um mehr als 200.000 ? hinter dem Wert zurückbleibt, den der Sachverständige W. angesetzt hat, nach Lage der Dinge unangemessen sein soll.

[32] 2. Über die vom Landgericht festgesetzten Verzugszinsen seit Erstattung des Gutachtens des Sachverständigen W. hinaus ist die Abschlagszahlung ab dem 15. März 2004, dem Tag der Schadenanzeige, bis zum Einsetzen der Verzugszinsen aufgrund der vertraglichen Regelung in § 16 Nr. 2 AFB 87 mit einem Zinssatz von 4 Prozent zu verzinsen.

Mayen Wendt Felsch

Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski

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