IX ZB 128/10

21.07.2011

BUNDESGERICHTSHOF

vom

21. Juli 2011

in dem Insolvenzverfahren


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


InsO §§ 6, 7, § 78 Abs. 1, 2 Satz 3


Das Beschlussaufhebungsverfahren findet bei nichtigen Beschlüssen der Gläubigerversammlung nicht statt.


BGH, Beschluss vom 21. Juli 2011 - IX ZB 128/10 - AG Neu-Ulm, LG Memmingen


Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richter Raebel, Dr. Pape, Grupp und die Richterin

Möhring

am 21. Juli 2011

beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Memmingen vom 14. Juni 2010 wird auf Kosten der weiteren Beteiligten zu 1 bis 3 als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 ? festgesetzt.

Gründe:

[1] I. Am 1. Februar 2010 eröffnete das Insolvenzgericht auf Eigenantrag der Schuldnerin das Insolvenzverfahren und lud die Verfahrensbeteiligten zum "Berichtstermin sowie Termin zur Beschlussfassung über die eventuelle Wahl eines anderen Insolvenzverwalters, über die Einsetzung eines Gläubigerausschusses sowie "über die in den §§ 66, 100, 149, 157, 160, 162, 233 InsO bezeichneten Angelegenheiten". Die Versammlung fand am 10. März 2010 statt. Neben dem Insolvenzverwalter, der Schuldnerin und den Gläubigern mit unbestrittenen Forderungen (die weiteren Beteiligten zu 5 und 6) nahmen an ihr die weiteren Beteiligten zu 1 bis 3 teil, deren Forderungen durch den Insolvenzverwalter unter Hinweis auf § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO bestritten waren. Der Insolvenzverwalter erstrebte Vorratsbeschlüsse zu besonders bedeutsamen Rechtshandlungen sowie zur Betriebsveräußerung (§§ 160, 162 InsO). Eine Einigung über die Stimmrechte der weiteren Beteiligten zu 1 bis 3 kam nicht zustande. Der Rechtspfleger setzte sie auf 0 ? fest. Die stimmberechtigten Gläubiger erteilten dem Insolvenzverwalter die erbetenen Zustimmungen.

[2] Am 23. März 2010 haben die weiteren Beteiligten zu 1 bis 3 die Feststellung beantragt, dass der Beschluss der Gläubigerversammlung vom 10. März 2010 betreffend die nach §§ 160, 162 InsO zustimmungsbedürftigen Geschäfte nichtig und die Stimmrechtsentscheidung des Rechtspflegers unwirksam sei. Der Rechtspfleger des Insolvenzgerichts hat die Anträge abgelehnt und die weiteren Beteiligten zu 1 bis 3 auf die Feststellungsklage sowie auf § 18 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 RPflG verwiesen. Gegen diesen Beschluss haben diese sofortige Beschwerde eingelegt, die das Landgericht als unbegründet zurückgewiesen hat. Hiergegen wendet sich die Rechtsbeschwerde, mit der die weiteren Beteiligten zu 1 bis 3 weiterhin die Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses der Gläubigerversammlung und der Unwirksamkeit der Stimmrechtsentscheidung des Rechtspflegers begehren.

[3] II. Die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 2 und 3 ist gemäß § 4 InsO, § 577 Abs. 1, § 575 Abs. 1 ZPO unzulässig, weil sie verspätet eingelegt worden ist. Ihrem Verfahrensbevollmächtigten wurde der angefochtene Beschluss am 18. Juni 2010 zugestellt, die Rechtsbeschwerde hätte mithin beim Bundesgerichtshof bis zum 19. Juli 2010 (einem Montag) eingehen müssen. Tatsächlich ging innerhalb dieser Frist nur eine Rechtsbeschwerdeschrift des weiteren Beteiligten zu 1 ein. Erst in dessen Rechtsbeschwerdebegründung, die am 21. September 2010 beim Bundesgerichtshof eingegangen ist, haben sich die weiteren Beteiligten zu 2 und 3 der Rechtsbeschwerde angeschlossen.

[4] III. Die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 1 ist insoweit unstatthaft, als er mit ihr die Feststellung der Unwirksamkeit der Stimmrechtsentscheidung erreichen möchte. Denn insoweit ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Der weitere Beteiligte hätte nur nach Maßgabe des § 18 Abs. 3 RPflG Rechtspflegererinnerung einlegen können.

[5] IV. Auch soweit der weitere Beteiligte zu 1 gestützt auf den Einladungsmangel (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2008 - IX ZB 140/07, NZI 2008, 430 Rn. 3) die Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses der Gläubigerversammlung vom 10. März 2010 erreichen möchte, ist die Rechtsbeschwerde gemäß § 574 Abs. 1 ZPO unstatthaft. Die Befugnis zur Rechtsbeschwerde setzt voraus, dass bereits die Erstbeschwerde statthaft war. War die sofortige Beschwerde unstatthaft, fehlt es für das Verfahren vor dem Rechtsbeschwerdegericht an einer Grundlage. Ein für den Beschwerdeführer vom Gesetz nicht vorgesehener Rechtsmittelzug kann auch durch eine Fehlentscheidung des ersten Rechtsmittelgerichts nicht eröffnet werden. Die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde hat das Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu prüfen (BGH, Beschluss vom 25. Juni 2009 - IX ZB 161/08, NZI 2009, 553 Rn. 5, 7; vom 23. Oktober 2003 - IX ZB 369/02, NZI 2004, 166; vom 6. Mai 2004 - IX ZB 104/04, NZI 2004, 447; vom 21. Dezember 2006 - IX ZB 81/06, NZI 2007, 166 Rn. 6; vom 20. Mai 2010 - IX ZB 223/07, NZI 2010, 648 Rn. 5). An der Statthaftigkeit der Erstbeschwerde fehlt es.

[6] 1. In der Insolvenzordnung finden sich keine Regelungen zur Feststellung der Nichtigkeit eines Beschlusses der Gläubigerversammlung und zur Beschwerdemöglichkeit bei Ablehnung dieser Feststellung. Die Norm des § 78 InsO findet, wie das Beschwerdegericht zutreffend ausführt, unmittelbar keine Anwendung, weil sie die Wirksamkeit des Beschlusses der Gläubigerversammlung voraussetzt, der aufgehoben werden soll. Nichtige Beschlüsse bedürfen keiner besonderen Aufhebungsentscheidung, sondern sie sind ipso iure unwirksam (Jaeger/Gerhardt, InsO, § 78 Rn. 3; Kübler in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2006, § 78 Rn. 5; MünchKomm-InsO/Ehricke, 2. Aufl., § 78 Rn. 10; Nerlich/Römermann/Delhaes, InsO, 2008, § 78 Rn. 3; Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 78 Rn. 8; FK-InsO/Schmitt, 6. Aufl., § 78 Rn. 10; HmbKomm-InsO/Preß, 3. Aufl., § 78 Rn. 6).

[7] Die beanstandeten Beschlüsse der Gläubigerversammlung vom 10. März 2010 zu Punkt 4 der Tagesordnung (Zustimmung zu den Rechtshandlungen nach §§ 160, 162 InsO) sind nichtig, weil die Tagesordnung nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht worden ist. In dem Ankündigungsbeschluss hat das Insolvenzgericht nämlich nur die maßgeblichen Paragraphen aufgezählt. Zu einer ordnungsgemäßen Bekanntmachung der Tagesordnung gehört jedoch, wie der Senat bereits entschieden hat, eine wenigstens schlagwortartige Bezeichnung der Tagesordnungspunkte. Die in der Bekanntmachung mitgeteilte Paragraphenkette genügt diesen Anforderungen nicht. Wegen dieser formellen Mängel der Tagesordnung hätte der Beschluss zu den §§ 160, 162 InsO durch die Gläubigerversammlung nicht gefasst werden dürfen und ist deswegen nichtig (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2008 - IX ZB 104/07, NZI 2008, 430 Rn. 3).

[8] 2. Eine analoge Anwendung des § 78 InsO auf nichtige Beschlüsse kommt nicht Betracht.

[9] a) Allerdings wird in Literatur und Rechtsprechung die Auffassung vertreten, das Insolvenzgericht könne die Nichtigkeit eines Beschlusses der Gläubigerversammlung analog § 78 InsO feststellen. Dies wird damit begründet, dass die Grenze zwischen unwirksamen Beschlüssen und wirksamen, deren Aufhebung im Verfahren nach § 78 begehrt werde, bisweilen fließend sei (vgl.

Jaeger/Gerhardt, InsO, § 78 Rn. 3; MünchKomm-InsO/Ehricke, 2. Aufl., § 78 Rn. 10; Uhlenbruck InsO, 13. Aufl., § 78 Rn. 8). Auch wenn nichtige Beschlüsse der Gläubigerversammlung ipso iure keine Rechtswirkungen entfalteten und deshalb keiner Aufhebung bedürften, sei ein Aufhebungs- oder Nichtigkeitsfeststellungsbeschluss zur Klarstellung der Rechtslage nicht nur als zulässig, sondern als wünschenswert anzusehen (LG Cottbus, Beschluss vom 16. März 2007, 7 T 484/06, juris Rn. 20, 35; AG Duisburg, NZI 2010, 303 f; Kübler in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2006, § 78 Rn. 14; MünchKomm-InsO/Ehricke, 2. Aufl., § 78 Rn. 10; wohl auch Nerlich/Römermann/Delhaes, InsO, 2008, § 78 Rn. 4). Daraus wird auf das Recht zur Beschwerde analog § 78 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsO geschlossen (vgl. Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 78 Rn. 8; Kübler in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2006, § 78 Rn. 14; LG Cottbus, Beschluss vom 16. März 2007 - 7 T 484/06, juris Rn. 20, 35).

[10] Andere Stimmen halten Insolvenz- und Beschwerdegericht nicht für befugt, die Nichtigkeit eines Beschlusses der Gläubigerversammlung festzustellen. Das Insolvenzgericht sei funktional nicht zu einer Sachentscheidung berufen. Die Sachargumente für oder gegen die Nichtigkeit brauche und dürfe es nicht zur Kenntnis nehmen. Eine weiter reichende Entscheidungsbefugnis habe auch das Beschwerdegericht nicht (Kirchhof, ZInsO 2007, 1196, 1197; Blank, EWiR 2008, 373, 374; Pape, ZInsO 2000, 469, 474). Ist § 78 InsO nicht - auch nicht entsprechend - anwendbar, ist sowohl gegen die feststellende wie auch gegen eine die Feststellung ablehnende Entscheidung des Rechtspflegers keine Beschwerde nach § 78 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsO gegeben. Wegen der Sperrwirkung des § 6 Abs. 1 InsO gelangt diese Auffassung deshalb dazu, dass der Richter des Insolvenzgerichts abschließend über den Rechtsbehelf zu entscheiden hat (vgl. § 11 Abs. 2 RPflG).

[11] b) Der Bundesgerichtshof hat die Frage noch nicht entschieden. In seinem Beschluss vom 20. März 2008 (IX ZB 104/07, NZI 2008, 430) hat der Senat sich zur Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde nicht geäußert. Er hat die Rechtsbeschwerde als unzulässig nach § 574 Abs. 2 InsO verworfen und dabei ausgeführt, auf den Fall eines nichtigen Beschlusses der Gläubigerversammlung finde § 78 InsO unmittelbar keine Anwendung. In dem umgekehrten Fall, in dem das Insolvenzgericht die Nichtigkeit eines in der Gläubigerversammlung gefassten Beschlusses festgestellt hatte, hat der Senat ausgeführt, diese Entscheidung unterliege gemäß § 6 Abs. 1 InsO keiner Beschwerde, ohne sich allerdings mit der Frage der analogen Anwendung des § 78 InsO auseinanderzusetzen (BGH, Beschluss vom 20. Mai 2010 - IX ZB 223/07, NZI 2010, 648 Rn. 6).

[12] Der Senat sieht keinen Raum für eine entsprechende Anwendung des § 78 InsO. Nach § 6 InsO unterliegen Entscheidungen des Insolvenzgerichts nur in den Fällen dem Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde, in denen das Gesetz dies ausdrücklich vorsieht. Zweck dieser Regelung ist es, den zügigen Ablauf des Insolvenzverfahrens als Vollstreckungsverfahren zu gewährleisten (vgl. Uhlenbruck/Pape, InsO, 13. Aufl. § 6 Rn. 2). Das spricht dagegen, durch Analogien die Beschwerdemöglichkeiten nach der Insolvenzordnung zu erweitern. Für eine analoge Anwendung des § 78 Abs. 2 Satz 3 InsO besteht schon kein dringender Bedarf. Nichtige Beschlüsse sind unbeachtlich. Die Unwirksamkeit kann jeder Zeit und in jedem Zusammenhang von jedermann geltend gemacht werden (Jaeger/Gerhardt, InsO, § 78 Rn. 3; Kübler in Kübler/Prütting/

Bork, InsO, 2006, § 78 InsO Rn. 14). Daher wird in das Recht des Rechtsbe-

schwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz nicht erheblich eingegriffen, wenn ihm die Möglichkeit versagt wird, die Nichtigkeit eines Beschlusses der Gläubigerversammlung im Insolvenzverfahren feststellen zu lassen.

Kayser Raebel Pape

Grupp Möhring

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