IX ZB 214/10

19.05.2011

BUNDESGERICHTSHOF

vom

19. Mai 2011

in dem Insolvenzeröffnungsverfahren


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


InsO § 14 Abs. 1


Ein Insolvenzantrag ist als rechtsmissbräuchlich zu erachten, wenn mit dem Insolvenzverfahren der ausschließliche Zweck verfolgt wird, einen Konkurrenten aus dem Wettbewerb zu entfernen.


BGH, Beschluss vom 19. Mai 2011 - IX ZB 214/10 - LG Leipzig, AG Leipzig


Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Fischer, Grupp und die Richterin Möhring

am 19. Mai 2011

beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Leipzig vom 15. September 2010 wird auf Kosten der Schuldnerin als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert wird auf 1.000.000 ? festgesetzt.

Gründe:

[1] I. Die Gläubigerin beantragte zunächst wegen einer Darlehensforderung in Höhe von - einschließlich Zinsen - 13.296.940,40 € die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin. Nachfolgend hat sie den Antrag lediglich auf eine Teilforderung in Höhe von 1.000.000 ? gestützt.

[2] Das Amtsgericht hat nach Einholung eines Gutachtens das Insolvenzverfahren eröffnet. Die von der Schuldnerin dagegen eingelegte sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt sie ihr Begehren auf Abweisung des Insolvenzantrags weiter.

[3] II. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, §§ 7, 6 Abs. 1, § 34 Abs. 2 InsO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil kein Zulässigkeitsgrund (§ 574 Abs. 2 ZPO) eingreift. Die geltend gemachten Rügen einer Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG sind nicht begründet.

[4] 1. Soweit die Schuldnerin ein rechtliches Interesse der Gläubigerin an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 14 Abs. 1 InsO) in Abrede stellt, scheidet eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG aus. Insoweit wurde kein entscheidungserhebliches Vorbringen übergangen.

[5] a) Der Antrag eines Gläubigers ist gemäß § 14 Abs. 1 InsO nur zulässig, wenn er ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat. In aller Regel wird einem Gläubiger, dem eine Forderung zusteht und der einen Eröffnungsgrund glaubhaft macht, das rechtliche Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens schon wegen des staatlichen Vollstreckungsmonopols nicht abgesprochen werden können (BGH, Beschluss vom 29. Juni 2006 - IX ZB 245/05, WM 2006, 1632 Rn. 7). Ausnahmsweise fehlt es an einem Rechtsschutzinteresse, wenn der Antrag allein zu dem Zweck gestellt wird, einen Konkurrenten aus dem Wettbewerb zu entfernen (OLG Frankfurt, ZIP 1984, 195; LG Koblenz, Rpfleger 1975, 318; HK-InsO/Kirchhof, 5. Aufl. § 14 Rn. 31; Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO § 14 Rn. 61; MünchKomm-InsO/

Schmahl, 2. Aufl. § 14 Rn. 59). Das Rechtsschutzinteresse entfällt jedoch nur dann, wenn der Gläubiger ausschließlich insolvenzwidrige Zwecke verfolgt. Erstrebt der Gläubiger neben einer quotalen Befriedigung zugleich die Ausschaltung eines zahlungsunfähigen Wettbewerbers, kann ihm ein Rechtschutzinteresse nicht versagt werden (LG Koblenz, aaO S. 319; LG Kempten, MDR 1987, 771, 772; Jaeger/Gerhardt, InsO § 14 Rn. 5; Lang, Das Rechtsschutzinteresse beim Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, 2003 S. 141 ff, 144). Der Nebenzweck, einen insolventen Schuldner an einer weiteren Tätigkeit zu hindern, schließt mit Rücksicht auf den allgemeinen Verkehrsschutz zur Vermeidung einer fortwährenden Gläubigergefährdung das Rechtsschutzinteresse nicht aus (LG Koblenz, aaO; LG Kempten, aaO S. 772; MünchKomm-InsO/

Schmahl, aaO § 14 Rn. 60).

[6] b) Danach kann der Gläubigerin auch nach Berücksichtigung des Vorbringens der Schuldnerin ein Rechtsschutzinteresse nicht versagt werden. Die Gläubigerin verfolgt mit ihrem Antrag nicht den ausschließlichen Zweck, die Schuldnerin als Konkurrentin auszuschalten.

[7] Der Erwerb der Gesellschaftsanteile ist nicht der alleinige Zweck der Antragstellung. Vielmehr verfolgt die Gläubigerin ausweislich der von dem Beschwerdegericht in Bezug genommenen, seitens der Schuldnerin unbeanstandeten Angaben des Insolvenzverwalters mit der Antragstellung außerdem "einen Rückfluss des eingesetzten Kapitals" und folglich das Ziel einer wenigstens teilweisen Befriedigung ihrer erheblichen Forderungen. Bei dieser Sachlage kann nicht von einem rechtsmissbräuchlichen Antrag ausgegangen werden. Dies gilt auch im Blick auf die Reduzierung der dem Insolvenzantrag zugrunde gelegten Forderung, die auf Kostenerwägungen beruht und nicht dem Ziel dient, eine Teilzahlung der Schuldnerin zu erwirken und wegen weiterer Teilbeträge den Antrag zu wiederholen (vgl. Jaeger/Gerhardt, aaO § 14 Rn. 6;

Uhlenbruck, InsO 13. Aufl. § 14 Rn. 46).

[8] 2. Ebenso bleiben die Gehörsrügen (Art. 103 Abs. 1 GG) ohne Erfolg, mit denen sich die Schuldnerin gegen die Annahme ihrer Zahlungsunfähigkeit (§§ 16, 17 InsO) durch das Beschwerdegericht wendet.

[9] a) Soweit die Schuldnerin die Berücksichtigung einzelner gegen sie gerichteter Forderungen beanstandet, sind etwaige Gehörsverstöße bereits nicht entscheidungserheblich.

[10] aa) Die Rechtsbeschwerde wendet sich nicht gegen die Würdigung des Beschwerdegerichts, wonach es über die Glaubhaftmachung hinaus keines vollen Nachweises der Forderung der Gläubigerin bedurft habe, weil der Eröffnungsgrund nicht nur aus ihrer Forderung hergeleitet werde. Ernsthafte Zweifel am Bestand dieser Forderung (vgl. BGH, Beschluss vom 29. März 2007 - IX ZB 141/06, WM 2007, 1132 Rn. 7 ff; vom 8. November 2007 - IX ZB 201/03, ZInsO 2007, 1275 Rn. 3) sind ohnehin nicht gegeben, weil eine Gesellschaft nach Wegfall des Eigenkapitalersatzrechts die Rückzahlung eines Gesellschafterdarlehens nicht verweigern kann und mithin die Kündigung eines solchen Darlehens für sich genommen keinen rechtlichen Bedenken begegnet (vgl. BGH, Beschluss vom 23. September 2010 - IX ZB 282/09, WM 2010, 2088 Rn. 10). Überdies war auch unter der Geltung des Eigenkapitalersatzrechts die Befugnis des Gesellschafters anerkannt, das Darlehen insbesondere wegen einer Verschlechterung der Vermögensverhältnisse der Gesellschaft aus wichtigem Grund zu kündigen (BGH, Urteil vom 27. November 2000 - II ZR 179/99, WM 2001, 202, 204). Das Eigenkapitalersatzrecht verbot dem Gesellschafter nur den tatsächlichen Abzug des gekündigten Darlehensbetrags.

[11] bb) Da Gesellschafterdarlehen infolge des Fortfalls des eigenkapitalersatzrechtlichen Auszahlungsverbots überdies in die Prüfung der Zahlungsunfähigkeit einzubeziehen sind (BGH, Beschluss vom 23. September 2010, aaO), ist die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin schon mit Rücksicht auf die Forderung der Gläubigerin ungeachtet der im Rahmen der Rechtsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt des Art. 103 Abs. 1 GG beanstandeten sonstigen Forderungen gegeben. Angesichts der Größenordnung dieser Forderung wird die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin nicht dadurch in Frage gestellt, dass einzelne der übrigen gegen sie gerichteten Forderungen nicht fällig oder einredebehaftet sein sollen.

[12] b) Ferner scheidet eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG aus, soweit das Beschwerdegericht angenommen hat, dass die Schuldnerin ihre Zahlungsfähigkeit nicht durch die Veräußerung von Anlagevermögen wieder herstellen konnte.

[13] Das Beschwerdegericht hat das Vorbringen der Schuldnerin, eine Veräußerung von Betriebsvermögen sei ohne die Gefahr einer Rückforderung von Fördergeldern oder Investitionszulagen in Betracht gekommen, ausweislich der Entscheidungsgründe zur Kenntnis genommen. Es hat sich dieser Rechtsansicht jedoch nicht angeschlossen. Bei dieser Sachlage ist den Anforderungen des Art. 103 Abs. 1 GG genügt. Das Prozessgrundrecht gibt keinen Anspruch darauf, dass sich das Gericht mit Vorbringen einer Partei in der Weise aus-einandersetzt, die sie selbst für richtig hält. Aus Art. 103 Abs. 1 GG folgt auch keine Pflicht des Gerichts, der von einer Partei vertretenen Rechtsansicht zu

folgen (BGH, Beschluss vom 21. Februar 2008 - IX ZR 62/07, DStRE 2009, 328 Rn. 5 mwN).

Kayser Gehrlein Fischer

Grupp Möhring

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