IX ZB 230/10

09.02.2012

BUNDESGERICHTSHOF

vom

9. Februar 2012

in dem Insolvenzverfahren


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


InsVV § 1 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2; InsO § 213


Ansprüche auf Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung sind in der Insolvenz der GmbH bei der Berechnungsgrundlage für die Vergütung des Verwalters in der Höhe zu berücksichtigen, in der ihre Einziehung erforderlich ist, um alle Masse- und Insolvenzgläubiger zu befriedigen. In diesem Fall mindern Zahlungen Dritter an Insolvenzgläubiger, die im eröffneten Verfahren erfolgen, nicht die Berechnungsgrundlage für die Vergütung des Verwalters.


BGH, Beschluss vom 9. Februar 2012 - IX ZB 230/10 - LG Chemnitz, AG Chemnitz


Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, den Richter Vill, die Richterin Lohmann und die Richter Dr. Fischer und Dr. Pape

am 9. Februar 2012

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Chemnitz vom 18. Oktober 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 3.845,78 € festgesetzt.

Gründe:

[1] I. Über das Vermögen der Schuldnerin wurde am 1. Oktober 2007 das Insolvenzverfahren eröffnet und der weitere Beteiligte als Insolvenzverwalter bestellt. Die Schuldnerin beantragte am 16. März 2009, das Verfahren mit Zustimmung der zwischenzeitlich befriedigten Gläubiger einzustellen.

[2] Der Verwalter beantragte, unter Zugrundelegung einer Berechnungsgrundlage von 12.587,23 € die Vergütung auf 3.524,42 € und die Auslagen auf 1.074,13 €, jeweils zuzüglich 19 v.H. Umsatzsteuer festzusetzen, zusammen 5.472,27 €. In die Berechnungsgrundlage stellte er einen Anspruch auf Zahlung einer ausstehenden Einlage gegenüber dem ehemaligen Gesellschafter der Schuldnerin in Höhe von 12.250 ? ein. Die Schuldnerin hat der Berücksichtigung der Einlageforderung widersprochen, weil im maßgeblichen Zeitpunkt der Beendigung (Einstellung) des Verfahrens Beträge zur Befriedigung der Gläubiger nicht mehr erforderlich gewesen seien.

[3] Das Insolvenzgericht hat die Vergütung des Verwalters auf 3.524,42 €, die Auslagen auf 1.072,93 € festgesetzt, zuzüglich Umsatzsteuer zusammen 5.470,84 €. Dabei hat es bei der Berechnungsgrundlage die ausstehende Stammeinlage in Höhe von 12.250 ? berücksichtigt. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde der Schuldnerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt sie weiter das Ziel, dass bei der Berechnungsgrundlage die ausstehende Stammeinlage nicht berücksichtigt wird.

[4] II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 6, 7, 64 Abs. 3 InsO, Art. 103f EGInsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). Sie führt zur Aufhebung und Zurückverweisung, § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO, § 4 InsO.

[5] 1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, die ausstehende Stammeinlage sei bei der Berechnungsgrundlage in voller Höhe zu berücksichtigen, weil der Anspruch hierauf zur Insolvenzmasse gehört habe und die zwischenzeitliche Befriedigung der Gläubiger keine andere Beurteilung rechtfertige.

[6] Die Rechtsbeschwerde meint demgegenüber, die Vergütung berechne sich nach dem Schätzwert der Masse zur Zeit der Beendigung des Verfahrens. Zu diesem Zeitpunkt sei die Einlageforderung mit null zu bewerten, weil sie für Zwecke des Insolvenzverfahrens nicht mehr benötigt werde. Für die Liquidation der GmbH könne nur eingefordert werden, was hierfür erforderlich sei. Für das Insolvenzverfahren könne nichts anderes gelten.

[7] 2. Die Auffassung des Beschwerdegerichts hält rechtlicher Prüfung nicht in vollem Umfang stand.

[8] a) Im Falle der Einstellung des Insolvenzverfahrens nach § 213 InsO bemisst sich die Berechnungsgrundlage für die Vergütung des Verwalters nach dem Schätzwert der Masse zur Zeit der Beendigung des Verfahrens, § 1 Abs. 1 Satz 2 InsVV. Forderungen, die in die Masse fallen und dort noch vorhanden sind, sind mit ihrem Verkehrswert zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juni 2005 - IX ZB 230/03, ZIP 2005, 1324, 1325), unabhängig davon, ob sich der Verwalter mit ihnen befasst hat; ob die Forderung auch noch zu einem späteren Zeitpunkt eingezogen werden könnte oder verjährt, ist unerheblich (BGH, Beschluss vom 17. März 2011 - IX ZB 145/10, ZInsO 2011, 839 Rn. 12 mwN; st. Rspr.)

[9] b) Voraussetzung der Berücksichtigung der Forderung ist allerdings, dass diese vom Verwalter überhaupt hätte realisiert werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juni 2005, aaO S. 1325 unter 2 a).

[10] Eine Forderung der Masse, der eine aufrechenbare Forderung entgegensteht, ist nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 InsVV nur mit dem Überschuss zu berücksichtigen. Es kommt darauf an, ob die sich gegenüberstehenden Forderungen aufrechenbar oder verrechenbar sind, weil nur dann ein Überschuss zur Masse gezogen werden kann (BGH, Beschluss vom 21. Januar 2010 - IX ZB 197/06, ZIP 2010, 436 Rn. 8).

[11] Für eine Forderung, deren Erfüllung aus anderen Gründen verweigert werden kann, gilt dies entsprechend. Sie zählt zur Berechnungsgrundlage nur insoweit, als sie tatsächlich durchsetzbar ist. Ein höherer Verkehrswert kommt ihr dann nicht zu. Soweit die Realisierung des Anspruchs nicht erforderlich gewesen wäre, um alle Insolvenzgläubiger und Massegläubiger zu befriedigen, ist der Wert vergütungsrechtlich nicht zu berücksichtigen (BGH, Beschluss vom 29. März 2007 - IX ZB 153/06, ZIP 2007, 1070 Rn. 20 aE).

[12] c) Ansprüche auf Kapitalaufbringung und Kapitelerhaltung können in der Liquidation der GmbH nur realisiert werden, soweit sie zur Liquidation der Gesellschaft erforderlich sind, also etwa zum Zwecke der Beendigung der laufenden Geschäfte oder zur Befriedigung aller Gläubiger. Ein darüber hinausgehender Forderungseinzug wäre sinnlos, weil der eingezogene Betrag anschließend den Gesellschaftern wieder zur Verfügung gestellt werden müsste. Der Anspruch kann deshalb insoweit nicht durchgesetzt werden (BGH, Urteil vom 18. November 1969 - II ZR 83/68, NJW 1970, 469, 470, insoweit in BGHZ 53, 71 nicht abgedruckt; Müller, DB 2003, 1939; Michalski/Nerlich, GmbHG § 69 Rn. 25; MünchKomm-GmbHG/H.F. Müller, § 69 Rn. 15; Baumbach/Hueck/

Haas, GmbHG, 19. Aufl. § 69 Rn. 4; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 10. Aufl., § 69 Rn. 23; Paura in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, § 69 Rn. 23). Fragen des Innenausgleichs stellen sich hier nicht

[13] Ist über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet worden, gilt dies entsprechend. Zu befriedigen sind hier allerdings nicht nur alle Insolvenzgläubiger, sondern auch die Massegläubiger. Einzuziehen sind deshalb auch die Beträge, die zur Deckung der Kosten des Insolvenzverfahrens erforderlich sind, § 53 InsO. Dazu gehört die Vergütung des Verwalters, § 54 Nr. 2 InsO. Die genannten Ansprüche sind deshalb hier in der Höhe einzuziehen, in welcher der Erlös für die Begleichung aller Massekosten und Insolvenzforderungen erforderlich ist.

[14] d) Da sich damit die Berechnungsgrundlage für die Vergütung des Verwalters nach der Höhe der einziehbaren Forderung richtet, die Höhe der einziehbaren Forderung ihrerseits aber wiederum nach der Höhe der Vergütung, muss für die Höhe der einziehbaren Forderung im Wege der Annäherung als Wert ein Betrag geschätzt werden (§ 4 InsO, § 287 ZPO), bei dessen Zugrundlegung alle Insolvenz- und Masseforderungen gedeckt sind.

[15] e) An dieser Berechnung ändert vorliegend nichts der Umstand, dass sich ein Dritter bereit erklärt hat, die Kosten des Insolvenzverfahrens zu tragen. Die Berechnungsgrundlage wird dadurch nicht berührt.

[16] f) Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 InsVV ist allerdings der Schätzwert der Masse zur Zeit der Beendigung des Verfahrens maßgebend. Durch die Befriedigung der Insolvenzforderungen durch einen Dritten sinkt der Betrag, der mit den Ansprüchen auf Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung zu diesem Zeitpunkt noch durchgesetzt werden könnte.

[17] Das führt aber in diesem Zusammenhang nicht zu einer Absenkung der Berechnungsgrundlage. Andernfalls könnte mit Zahlungen Dritter die Berechnungsgrundlage bis auf die Höhe der Verwaltervergütung und damit auf die Mindestvergütung gedrückt werden. Das würde der Systematik der gesetzlichen Verwaltervergütung nicht gerecht. Zahlungen Dritter an die Insolvenzgläubiger können in diesem Zusammenhang nicht anders bewertet werden, als hätte der Verwalter die genannten Ansprüche in der erforderlichen Höhe eingezogen.

[18] 3. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif. Das Beschwerdegericht wird festzustellen haben, in welcher Höhe die streitige Forderung hätte eingezogen werden müssen, damit alle Insolvenzgläubiger und Massegläubiger hät-

ten befriedigt werden können. Die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgten Drittzahlungen sind dabei außer Acht zu lassen.

Kayser Vill Lohmann

Fischer Pape

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