IX ZB 417/02
BUNDESGERICHTSHOF
vom
6. Oktober 2005
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Art. 103 Abs. 1 GG; § 577 Abs. 4 Satz 1, § 128 Abs. 4 ZPO, § 13 Abs. 1 Satz 1 AVAG
Das Grundrecht auf rechtliches Gehör gebietet es, den Parteien nach Aufhebung und Zurückverweisung im wieder eröffneten und fortzusetzenden Beschwerdeverfahren ausreichend Gelegenheit zu geben, sich erneut zur Sache zu äußern.
BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2005 - IX ZB 417/02 - OLG Nürnberg, LG Regensburg
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Fischer, die Richter Dr. Ganter, Kayser, Vill und die Richterin Lohmann
am 6. Oktober 2005
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin wird der Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 22. Juli 2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten dieses Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren sind nicht zu erheben.
Gründe:
I. Die Parteien streiten um die Vollstreckbarerklärung eines am 2. Juni 1998 vom Landesgericht St. Pölten auf Antrag der Rechtsbeschwerdegegnerin erlassenen Versäumnisurteils. Mit Beschluss vom 24. März 2000 hat das Landgericht Regensburg auf Antrag der Gläubigerin entschieden, dass dieses Versäumnisurteil mit der Vollstreckungsklausel zu versehen ist (§ 7 AVAG a.F.). Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Schuldnerin hat das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 28. März 2001 zurückgewiesen.
Auf die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin hat der Senat den Beschluss des Oberlandesgerichts aufgehoben und die Sache an das Beschwerdegericht zurückverwiesen, weil der Beschluss des Beschwerdegerichts nicht mit gesetzmäßigen Gründen versehen war (BGH, Beschl. v. 20. Juni 2002 - IX ZB 56/01, NJW 2002, 2648).
Der Beschluss des Senats vom 20. Juni 2002 ist dem Rechtsbeschwerdeführer am 8. Juli 2002 zugestellt worden. Das Beschwerdegericht hat die Rückkehr der Akten den Parteien nicht mitgeteilt. Mit Beschluss vom 22. Juli 2002 hat es die sofortige Beschwerde der Schuldnerin erneut zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die neuerliche Rechtsbeschwerde der Schuldnerin.
II. Die gemäß § 15 AVAG statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Rechtssache zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert, § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 ZPO.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Beschwerdegericht hat die Schuldnerin in ihrem Grundrecht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, indem sie ihr vor der angegriffenen Entscheidung vom 22. Juli 2002 keine ausreichende Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat.
Mit der Entscheidung des Senats vom 20. Juni 2002 wurde die Beschwerdeinstanz wieder eröffnet und fortgesetzt (RGZ 158, 196; Zöller/
Gummer, ZPO 25. Aufl. § 563 Rn. 2, § 577 Rn. 4; Musielak/Ball, ZPO 3. Aufl. § 563 Rn. 7 f, § 577 Rn. 4).
Anders als im Berufungsverfahren, in dem gemäß § 563 Abs. 1 ZPO eine neue mündliche Verhandlung erforderlich ist, kann im Beschwerdeverfahren die Entscheidung zwar ohne mündliche Verhandlung ergehen, § 13 Abs. 1 Satz 1 AVAG, § 128 Abs. 4 ZPO. Den Parteien muss jedoch Gelegenheit gegeben werden, sich erneut zur Sache zu äußern. Dies ergibt sich schon daraus, dass neue Anträge gestellt und neue Angriffs- und Verteidigungsmittel vorgebracht werden können (Musielak/Ball, aaO § 563 Rn. 7, § 577 Rn. 4; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO 21. Aufl. § 565 Rn. 6). Insbesondere können zwischenzeitlich neue Tatsachen eingetreten oder bekannt geworden sein, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
Es kann dahinstehen, ob das Beschwerdegericht den Parteien in diesen Fällen die Rückkehr der Akten vom Rechtsbeschwerdegericht mitteilen und eine Frist zur Äußerung setzen muss. Dies wird allerdings im Regelfall zumindest zweckmäßig sein, um den Parteien Klarheit über den weiteren Verfahrensablauf zu verschaffen.
Die Parteien haben nach einer Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts, in der die Sache zurückverwiesen wird, allerdings ohnehin davon auszugehen, dass die Akte alsbald zurückgeleitet und das Verfahren fortgesetzt wird. Es obliegt ihnen deshalb auch ohne Aufforderung, binnen angemessener Frist Stellung zu nehmen, wenn sie von ihrem Grundrecht auf rechtliches Gehör Gebrauch machen wollen. Die vom Beschwerdegericht eingehaltene Frist von zwei Wochen nach Zustellung der zurückverweisenden Entscheidung war aber jedenfalls zu kurz. Eine Frist von zwei Wochen reicht zwar in einem Beschwerdeverfahren regelmäßig noch aus, um einer Partei Gelegenheit zu geben, auch ohne gerichtliche Aufforderung auf einen Schriftsatz der Gegenseite zu erwidern, jedenfalls wenn dieser nur Rechtsausführungen enthält und zusätzliche Informationen des Verfahrensbevollmächtigten durch die Partei nicht erforderlich sind (BVerfG ZIP 1986, 1336, 1337; Zöller/Gummer, aaO § 571 Rn. 15). Im vorliegenden Fall waren zwei Wochen jedoch zu kurz. Die Beschwerdeführerin, die ihren Sitz in Ungarn hat, musste nach Zustellung des Senatsbeschlusses an ihren Verfahrensbevollmächtigten beim Bundesgerichtshof von diesem zunächst informiert werden und sodann für das fortzusetzende Verfahren vor dem Beschwerdegericht einen anderen Anwalt (erneut) mandatieren und diesen gegebenenfalls über zwischenzeitlich eingetretene oder bekannt gewordene tatsächliche Änderungen informieren, damit diese dem Beschwerdegericht vorgetragen werden konnten. Hierfür war eine Frist von zwei Wochen nicht ausreichend, zumal eine besondere Eilbedürftigkeit nicht erkennbar war.
Die Entscheidung des Beschwerdegerichts kann auch auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs beruhen. Das Beschwerdegericht hat in seine Entscheidung die Aktivlegitimation der Antragstellerin für die zu vollstreckende Forderung aus einem Rückabtretungsvertrag vom 23. März 2001 abgeleitet, in dem die Firma N. GmbH die ihr von der Gläubigerin übertragenen Forderungen aus dem zu vollstreckenden Versäumnisurteil vom 2. Juni 1998 an die Antragstellerin zurückabgetreten und zugleich ermächtigt hat, diese Forderung in einem Streitverfahren für sich selbst einzutreiben.
Hätte das Beschwerdegericht der Schuldnerin eine angemessene Frist zur Stellungnahme eingeräumt, hätte diese vorgetragen und durch Urkunde unter Beweis gestellt, dass dieser Rückabtretungsvertrag vom 23. März 2001 von den Vertragsparteien durch Vereinbarung vom 28. September 2002 seinerseits wieder aufgehoben worden sei. Im ersten Beschwerdeverfahren, das mit Beschluss vom 28. März 2001 abgeschlossen worden war, hatte sie diesen im Rahmen des Anerkennungsverfahrens zu berücksichtigenden Umstand (§ 12 Abs. 1 AVAG) noch nicht vortragen können.
Wegen des bezeichneten Verfahrensfehlers ordnet der Senat gemäß § 8 GKG a.F. an, dass Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren nicht zu erheben sind.
Fischer Ganter Kayser
Vill Lohmann