IX ZR 15/08

05.03.2009

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

Verkündet am:

5. März 2009

BürkJustizhauptsekretärinals Urkundsbeamtinder Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


ZVG § 154 Satz 1


Das Versorgungsunternehmen, das für das verwaltete Grundstück Energie und Wasser liefert, kann "Beteiligter" im Sinne von § 154 Satz 1 ZVG sein.

ZVG § 155 Abs. 1

Zu den vorweg zu berichtigenden Ausgaben der Verwaltung gehören Kosten für Energie und Wasser, die aufgrund der vom Verwalter abgeschlossenen oder fortgesetzten Lieferungsverträge entstehen.


BGH, Urteil vom 5. März 2009 - IX ZR 15/08 - OLG Schleswig, LG Itzehoe


Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 5. März 2009 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter und Richter Prof. Dr. Gehrlein, Vill, Dr. Fischer und Grupp

für Recht erkannt:

Die Revision gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 21. Dezember 2007 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

[1] Am 5. Juni 2001 ordnete das zuständige Amtsgericht auf Antrag einer Gläubigerin die Zwangsverwaltung für den Gebäudekomplex "T. " in T. an und bestellte den Beklagten zum Zwangsverwalter. Bei dem Gebäudekomplex handelt es sich um eine Wohn- und Geschäftsgebäudeanlage, dessen Räumlichkeiten an unterschiedliche Nutzer vermietet waren. Die Klägerin, ein kommunales Versorgungsunternehmen, lieferte für die Gebäudeanlage Gas, Strom und Wasser. Mit Schreiben vom 14. Juni 2001 teilte der Beklagte der Klägerin die Anordnung der Zwangsverwaltung und seine Bestellung zum Verwalter mit. Er bat sie, die Rechnungen für alle Verbrauchsstellen, die der Allgemeinversorgung sämtlicher Mieter in der verwalteten Anlage dienten, ab sofort an ihn zu erteilen.

[2] Die Klägerin setzte ihre Lieferungen fort. In der Folgezeit entrichtete der Beklagte lediglich (Abschlags-)Zahlungen auf Allgemeinstrom (21.465,39 €), Heizungsstrom (5.598,35 €) sowie Gas (158.328 €), während er bezüglich der Wasserlieferungen keine Zahlungen an die Klägerin erbrachte. Für die Mieter der zwangsverwalteten Anlage erstellte er Betriebskostenabrechnungen, in die er die von der Klägerin erteilten Rechnungen für Allgemeinstrom, Gas und Wasser einstellte. Am 19. November 2004 wurde die Gebäudeanlage zwangsversteigert, worauf das Amtsgericht das Zwangsverwaltungsverfahren aufhob und dem Beklagten aufgab, zum 9. Februar 2005 die Schlussrechnung zu erstellen. Der Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 1. Dezember 2004 die Aufhebung der Zwangsverwaltung mit und meldete mit sofortiger Wirkung die Verbrauchsstellen auf die Ersteherin der Gebäudeanlage um.

[3] Für den Bezug von Allgemeinstrom im Jahre 2004 erhielt der Beklagte von der Klägerin eine als Schlussrechnung bezeichnete Abrechnung vom 16. Dezember 2004, auf die er keine Zahlungen leistete. Weitere Abrechnungen der Klägerin hat der Beklagte nach seinem Vorbringen erst mit Schreiben vom 8. April 2005 erhalten. Zuvor hatte er seine Schlussrechnung als Zwangsverwalter erstellt und als Überschuss an die Gläubigerin insgesamt 389.970,69 € ausgezahlt.

[4] Die Klägerin macht geltend, der Beklagte hätte vor Auszahlung des Überschusses angemessene Rücklagen bilden müssen, um die noch offen stehenden Ansprüche aus den erfolgten Versorgungslieferungen erfüllen zu können. Das Landgericht hat der Klage - unter Zurückweisung im Übrigen - in Höhe von 86.242,87 € stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten blieb ohne Erfolg. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

[5] Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

[6] I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Verpflichtung aus § 154 ZVG bestehe nicht nur gegenüber den formell Beteiligten i.S.d. § 9 ZVG, sondern auch gegenüber anderen, materiell Beteiligten. Hierzu gehörten insbesondere diejenigen, denen gegenüber der Zwangsverwalter vertragliche Verpflichtungen für das verwaltete Objekt eingegangen ist. Die analoge Anwendung von § 154 ZVG müsse sich an der gegenwärtigen Reichweite der Haftung des Insolvenzverwalters aus §§ 60 ff InsO orientieren. Danach hafte der Verwalter bei der Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten. Entsprechendes müsse für den Zwangsverwalter bei der Verletzung der ihm obliegenden Pflichten gelten. Im Übrigen ergebe sich eine Ersatzpflicht des Beklagten auch aus § 823 Abs. 2 BGB. § 155 ZVG, § 9 Abs. 1 ZwVwV seien Schutzgesetze zu Gunsten der Gläubiger von Verwaltungskosten. Indem der Beklagte keine Rücklagen für die mindestens bis zum 7. Dezember 2004 begründeten Verbindlichkeiten geschaffen habe, habe er sich gegenüber der Klägerin schadensersatzpflichtig gemacht. Die Höhe des Ersatzanspruchs belaufe sich auf 86.242,87 €. Maßgeblich sei die von der Klägerin am 22. Dezember 2005 vorgelegte Neuberechnung, die nachvollziehbar sei und der der Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten sei. Die vom Beklagten erhobene Einrede der Verjährung greife nicht durch. Die gegen ihn gerichtete Schadensersatzforderung habe nicht vor Auskehr des "Überschusses" an die Gläubiger Anfang 2005 fällig werden können.

[7] II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung stand.

[8] Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Verpflichtungen des § 154 ZVG nicht nur gegenüber den in § 9 ZVG genannten Verfahrensbeteiligten bestehen.

[9] 1. Mit Urteil vom 5. Februar 2009 (IX ZR 21/07, WM 2009, 474) hat der Senat entschieden, dass der Zwangsverwalter allen Personen verantwortlich ist, gegenüber denen ihm das Zwangsversteigerungsgesetz besondere Pflichten auferlegt. Die höchstrichterliche Rechtsprechung zu § 82 KO und § 8 Abs. 1 Satz 2 GesO (BGHZ 99, 151, 154; 100, 346, 352; BGH, Urt. v. 9. März 2006 - IX ZR 55/04, ZIP 2006, 859, 861), wonach der Konkursverwalter für die Verletzung konkursspezifischer Pflichten haftet, lässt sich auf § 154 ZVG übertragen. Die Bestimmungen des § 82 KO einerseits, des § 154 Satz 1 ZVG andererseits entsprachen einander. Sowohl der Konkurs- als auch der Zwangsverwalter sollten "für die Erfüllung der ihm obliegenden Pflichten allen Beteiligten verantwortlich" sein. Auch § 60 InsO regelt eine Verpflichtung zum Schadensersatz wegen der Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten gegenüber "allen Beteiligten". Daher liegt es nahe, den Begriff "alle Beteiligte" im Rahmen des § 154 ZVG in gleicher Weise zu verstehen. Der Wortlaut der Vorschrift lässt es ohne weiteres zu, als "Beteiligten" denjenigen anzusehen, dem gegenüber dem Verwalter aus dem Zwangsversteigerungsgesetz herrührende Pflichten obliegen (BGH, Urt. v. 5. Februar 2009 aaO, S. 476 Rn. 14). Grund der Haftung des Zwangsverwalters aus § 154 ZVG ist nicht die Beteiligung am Verfahren, sondern der ihm obliegende Pflichtenkreis. Daher hat der Verwalter für die Verletzung verwalterspezifischer Pflichten auch denjenigen gegenüber einzustehen, die formell am Verfahren nicht beteiligt sind (BGH, Urt. v. 5. Februar 2009 aaO, Rn. 16).

[10] 2. Der Beklagte hat gegenüber der Klägerin seine verwalterspezifische Pflicht aus § 155 ZVG verletzt. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob auch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 155 ZVG, § 9 Abs. 1 ZwVwV, wie vom Berufungsgericht angenommen, ein Schadensersatzanspruch zu Gunsten der Klägerin abgeleitet werden kann.

[11] a) Nach § 155 Abs. 1 ZVG ist der Verwalter verpflichtet, aus den Nutzungen des Grundstücks die Ausgaben der Verwaltung vorweg zu bestreiten (BGHZ 168, 339, 343 Rn. 9; BGH, Urt. v. 5. Februar 2009 aaO, Rn. 18). Hierzu gehören die verfahrensgegenständlichen Kosten für Strom, Wasser und Gas, die aufgrund der vom Beklagten mit der Klägerin fortgesetzten Lieferungsverträge entstanden sind (vgl. BGH, Beschl. v. 20. November 2008 - V ZB 81/08, NJW 2009, 598, 599 Rn. 12; OLG München NJW-RR 2007, 1025; LG Köln NJW 2009, 599; Stöber, ZVG 18. Aufl. § 155 Rn. 4; § 152 Rn. 8; Haarmeyer/Wutzke/Förster/Hintzen, Zwangsverwaltung 4. Aufl. § 9 ZwVwV Rn. 4; Depr‚/Mayer, Die Praxis der Zwangsverwaltung 4. Aufl. Rn. 207).

[12] b) Dieser Verpflichtung ist der Beklagte schuldhaft nicht nachgekommen. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Beklagte verpflichtet war, Rücklagen zur Zahlung der von ihm bezogenen Energielieferungen zu bilden. Dies gilt insbesondere für den Bezug von Wasser, für den der Beklagte während des gesamten Verwaltungszeitraums keine Abschlagszahlungen an die Klägerin geleistet hat. Entgegen der Ansicht der Revision entlastet den Beklagten nicht, dass die Klägerin erst am 21. Dezember 2005 eine Neuberechnung der Einzellieferungen vorgenommen hat. Das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, dass der Beklagte vor Auskehr des Überschusses an die Gläubigerin am 6. Januar 2005 gehalten war, im Hinblick auf den Erhalt der Teilrechnung vom 16. Dezember 2004 bezüglich des Haus-Stromverbrauchs bei der Klägerin wegen der Abrechnungen für die übrigen Leistungen (Gas, Wasser sowie Heizungsstrom) nachzufragen. Dies hat er unstreitig unterlassen. Die nahe liegende Erwägung des Landgerichts, dass die Klägerin hierauf Ablichtungen ihrer Rechnungen vom 7. Dezember 2004 an den Beklagten versandt hätte, wird auch von der Revision nicht in Abrede gestellt. Den Sachvortrag des Beklagten hinsichtlich der von ihm als nicht rechtzeitig angesehenen Geltendmachung der noch offen stehenden Forderungen der Klägerin hat das Berufungsgericht entgegen der auf § 287 ZPO gestützten Rüge der Revision zur Kenntnis genommen, aber aufgrund der vorstehenden Erwägungen in tatrichterlich zulässiger Würdigung des Prozessstoffes für nicht entscheidungserheblich angesehen. Gleiches gilt für den Einwand des Beklagten, die Neuberechnung der Klägerin sei nicht nachvollziehbar. Auch insoweit hat das Berufungsgericht - auch unter Berücksichtigung der Erwägungen des Landgerichts, wonach der Beklagte selbst die von der Klägerin mitgeteilten Einzelpreise und Energieverbräuche in den Nebenkostenabrechnungen für die Mieter unverändert übernommen habe - in tatrichterlich vertretbarer Würdigung eine nachvollziehbare Darlegung der Berechnung annehmen können.

[13] c) Entgegen der Ansicht der Revision vermag es den Beklagten nicht zu entlasten, dass möglicherweise das Vollstreckungsgericht die vom Verwalter vorgelegte Abrechnung für ordnungsgemäß angesehen hat. Der Verwalter ist für die Einhaltung der verwalterspezifischen Pflichten gegenüber den jeweiligen Beteiligten eigenständig verantwortlich. Allenfalls entgegenstehende Weisungen des Vollstreckungsgerichts, auf die der Beklagte sich aber nicht stützt, hätten Auswirkungen auf die Verwalterhaftung haben können.

[14] d) Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der geltend gemachte Schadensersatzanspruch nicht verjährt ist. Vor Auskehr des den Ersatzanspruch begründenden "Überschusses" an die Gläubigerin am 6. Januar 2005 war der Schaden noch nicht entstanden.

Ganter Gehrlein Vill

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