IX ZR 181/05
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Verkündet am:
11. Januar 2007
BürkJustizhauptsekretärinals Urkundsbeamtinder Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 540
Zu den Anforderungen an die tatbestandlichen Darstellungen im Berufungsurteil.
BGH, Urteil vom 11. Januar 2007 - IX ZR 181/05 - LG Bremen, AG Bremen
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 11. Januar 2007 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Fischer, die Richter Raebel, Dr. Kayser, Cierniak und die Richterin Lohmann
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Bremen vom 29. September 2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Berufungsurteil und das Revisionsverfahren werden nicht erhoben.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Beklagte pfändete aus einem Unterhaltstitel einen im Besitz des Schuldners, ihres geschiedenen Ehemannes, befindlichen PKW.
Mit der Behauptung, er sei Sicherungseigentümer des Kraftfahrzeugs, hat der Kläger Drittwiderspruchsklage erhoben. Das Amtsgericht hat die Vollstreckungsmaßnahme antragsgemäß für unzulässig erklärt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht die Klage abgewiesen; wegen der tatsächlichen Feststellungen hat es auf das angefochtene Urteil und wegen der Berufungsanträge auf das Protokoll der Berufungsverhandlung Bezug genommen. Mit seiner zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Dem Erfolg der Drittwiderspruchsklage stehe der Einwand des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens entgegen, weil die Berufung des Klägers auf das Sicherungseigentum am Fahrzeug eine unzulässige Rechtsausübung darstelle.
II. Das Berufungsurteil ist aufzuheben, weil es mangels einer Darstellung der Änderungen oder Ergänzungen, die die erstinstanzlichen Feststellungen in der Berufungsinstanz erfahren haben, eine revisionsrechtliche Nachprüfung nicht zulässt.
Auf das Berufungsverfahren ist die Zivilprozessordnung in der seit dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung anzuwenden, weil die mündliche Verhandlung vor dem Amtsgericht am 7. Dezember 2004 geschlossen worden ist (§ 26 Nr. 5 EGZPO). Demgemäß gilt für den Inhalt des Berufungsurteils § 540 ZPO. Danach bedarf dieses zwar keines Tatbestandes. An dessen Stelle muss das Berufungsurteil jedoch die Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen enthalten (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Mangelt es daran, fehlt dem Berufungsurteil die für die revisionsrechtliche Nachprüfung nach §§ 545, 559 ZPO erforderliche tatsächliche Beurteilungsgrundlage. In einem solchen Fall ist das Berufungsurteil grundsätzlich von Amts wegen aufzuheben, und die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Von der Aufhebung und Zurückverweisung kann ausnahmsweise nur dann abgesehen werden, wenn sich die notwendigen tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung hinreichend deutlich aus den Urteilsgründen ergeben (BGHZ 156, 216, 218; BGH, Urt. v. 6. Juni 2003 - V ZR 392/02, NJW-RR 2003, 1290).
Hier enthält das Berufungsurteil zwar eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil, nicht aber eine Darstellung der Änderungen oder Ergänzungen, die der Sachverhalt in zweiter Instanz erfahren hat. Die tatsächliche Grundlage der Entscheidung ergibt sich auch nicht aus den Urteilsgründen. Der Andeutung auf Seite 3 des Urteils lässt sich zwar entnehmen, dass der Kläger nach dem zweitinstanzlichen Parteivortrag den PKW veräußert hat. Ohne nähere Feststellungen hierzu vermag der Senat nicht zu beurteilen, ob dieser Umstand der (fortdauernden) Zulässigkeit der Drittwiderspruchsklage entgegensteht (s. dazu Ziffer III. 1.). Eine revisionsrechtliche Nachprüfung des Berufungsurteils ist daher mangels tatbestandlicher Beurteilungsgrundlage nicht möglich.
III. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Die vom Kläger, dem Sicherungsnehmer, offenbar während des Berufungsverfahrens betriebene Verwertung des Kraftfahrzeugs könnte bereits die Unzulässigkeit seiner Drittwiderspruchsklage herbeigeführt haben. Das ist zum einen der Fall, wenn der Pfandgegenstand lastenfrei an einen Dritten veräußert wird (Stein/Jonas/Münzberg, 22. Aufl. ZPO § 771 Rn. 13). Zwar mag der Drittwiderspruchskläger seinen Klageantrag unverändert weiter verfolgen können, wenn er die Einstellung der Zwangsvollstreckung und die Aufhebung der Vollstreckungsmaßregel gemäß § 775 Nr. 1, § 776 Satz 1 ZPO herbeiführt, indem er aufgrund eines vorläufig vollstreckbaren Interventionsurteils Sicherheit leistet (vgl. Stein/Jonas/Münzberg, aaO § 771 Rn. 13); zulässig bleibt die Drittwiderspruchsklage ferner, wenn die Parteien die Aufhebung der Pfändung gegen Hinterlegung eines entsprechenden Betrages vereinbaren (BGHZ 72, 334, 337). Anders verhält es sich weiterhin aber auch, wenn, wie von der Beklagten, der Vollstreckungsgläubigerin, wiederholt selbst vorgetragen, der gepfändete PKW freigegeben worden sein sollte (vgl. BGHZ 58, 207, 214; OLG Hamm NJW-RR 1991, 1343, 1344 zur Freigabe durch den erstinstanzlich verurteilten Vollstreckungsgläubiger vor Einlegung der Berufung; Thomas/Putzo, 27. Aufl. ZPO § 771 Rn. 23; auch Stein/Jonas/Münzberg, aaO § 771 Rn. 13 für den Fall, dass nach Freigabe eine erneute Vollstreckung ausscheidet; a.A. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 65. Aufl. § 771 Rn. 3; vgl. auch BGHZ 72, 334, 338; BGH, Urt. v. 27. November 2003 - IX ZR 310/00, NJW-RR 2004, 1220, 1221). Eine Surrogation findet nicht statt (MünchKomm/Oechsler, BGB 4. Aufl. Anh. §§ 929-936 Rn. 41, 52; Palandt/Bassenge, BGB 66. Aufl. § 930 Rn. 32).
2. Vorsorglich weist der Senat außerdem darauf hin, dass er der Auffassung des Berufungsgerichts, dem Erfolg der Drittwiderspruchsklage stehe der Einwand des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens entgegen, nicht beizupflichten vermag. Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob der Senat dem von der Vorinstanz herangezogenen Urteil des Oberlandesgerichts Bremen vom 11. Juli 1989 (OLGZ 1990, 73, 74 f; zweifelnd Stein/Jonas/Münzberg, aaO § 771 Rn. 58 Fn. 342) folgen kann. Der hier zu beurteilende Fall liegt, soweit dies nach den unzureichenden Feststellungen der Vorinstanz beurteilt werden kann, anders. Das Oberlandesgericht Bremen hat auf die besonderen Umstände des dort zur Entscheidung anstehenden Einzelfalls abgestellt und insbesondere hervorgehoben, dass es der Sicherungsnehmerin ausschließlich darum gegangen sei, das Sicherungsgut für die Sicherungsgeberin (ihre Tochter) zu erhalten und den Erlös aus dem Verkauf einzelner Gegenstände an diese auszukehren. Der Übertragung dieser Rechtsgrundsätze auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt steht schon entgegen, dass das Berufungsgericht selbst davon ausgeht, der Kläger habe das Fahrzeug "zu eigennützigen Zwecken" verwertet. Diesem Gesichtspunkt hält die Vorinstanz lediglich entgegen, dass durch die Pfändung ein Pfändungspfandrecht an dem Fahrzeug entstanden sei, das "nunmehr" vorgehe; diese Annahme begegnet jedoch durchgreifenden Bedenken, wenn, was die Vorinstanz nicht in Frage gestellt hat, der Kläger das Sicherungseigentum an dem Fahrzeug zuvor erworben hatte (vgl. RGZ 156, 395, 397 f; BGHZ 20, 88, 100 f; 56, 339, 351; 119, 75, 86 ff).
Der von dem Berufungsgericht in den Vordergrund gestellte zeitliche Abstand zwischen dem Eintritt des Sicherungsfalles und der vom Kläger in Angriff genommenen Verwertung stellt demgegenüber kein entscheidendes Indiz dar. Denn der Sicherungseigentümer, der nicht unmittelbarer Besitzer der Sache ist, ist grundsätzlich nicht verpflichtet, das Sicherungsgut zu verwerten (Serick,
Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübertragung Band III S. 467; Palandt/
Bassenge, BGB 66. Aufl. § 930 Rn. 29). Ob dies anders zu beurteilen ist, wenn der Sicherungsgeber den Sicherungsnehmer zur Verwertung auffordert (so
Serick, aaO) und ob eine solche Rechtspflicht für eine Arglisteinrede des beklagten Vollstreckungsgläubigers fruchtbar gemacht werden kann, bedarf hier keiner Entscheidung. Erst recht ist der Sicherungsnehmer nicht verpflichtet, mit der Verwertung unverzüglich zu beginnen (BGH, Urt. v. 24. Oktober 1979 - VIII ZR 298/78, NJW 1980, 226, 227; v. 26. September 2006 - XI ZR 156/05, ZIP 2006, 2307, 2308). Selbst aus der Verpflichtung des Dritten gegenüber dem Schuldner, sein Recht aufzugeben, weil die gesicherte Forderung erloschen ist, folgt keine unzulässige Rechtsausübung im Verhältnis zum vollstreckenden Gläubiger (OLG Kiel SchlHA 1905, 152, 153; Stein/Jonas/Münzberg, aaO § 771 Rn. 58).
3. Die Wiedereröffnung des Berufungsrechtszugs gibt dem Landgericht gegebenenfalls auch Gelegenheit, auf eine sachgerechte, den materiell-rechtlichen und prozessualen Erfordernissen Rechnung tragende Antragstellung hinzuwirken (§ 139 ZPO).
4. Der Senat hat von § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG Gebrauch gemacht.
Fischer Raebel Kayser
Cierniak Lohmann