IX ZR 189/08

03.12.2009

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

Verkündet am:

3. Dezember 2009

HauckJustizsekretärinals Urkundsbeamtinder Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


InsO § 36 Abs. 1, §§ 129, 134, 143; ZPO § 850a, § 850b Abs. 1 Nr. 1


a) Eine nach den Vorschriften des Zwangsvollstreckungsrechts bedingt pfändbare Berufsunfähigkeitsrente fällt im Insolvenzverfahren insoweit in die Insolvenzmasse, als sie im Rahmen einer Billigkeitsentscheidung für pfändbar nach den für Arbeitseinkommen geltenden Vorschriften erklärt wird.

b) Die Billigkeitsprüfung, bei der alle in Betracht kommenden Umstände des Einzelfalls zu würdigen sind, obliegt dem Insolvenzgericht, wenn der Insolvenzverwalter beantragt, bedingt pfändbare Bezüge des Schuldners für pfändbar zu erklären, um sie wie Arbeitseinkommen zur Masse zu ziehen; streiten Insolvenzverwalter und Schuldner um die Massezugehörigkeit von bedingt pfändbaren Einkünften des Schuldners oder ist die Frage der Pfändbarkeit im Rahmen eines Anfechtungsprozesses zu beantworten, muss die Billigkeitsentscheidung vom Prozessgericht getroffen werden.


BGH, Urteil vom 24. September 2009 - IX ZR 189/08 - OLG Stuttgart, LG Tübingen


Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 24. September 2009 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter, den Richter Vill, die Richterin Lohmann, die Richter Dr. Fischer und Dr. Pape

für Recht erkannt:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 24. September 2008 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

[1] Der Kläger ist Verwalter in dem am 20. Juli 2005 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Ehemannes der Beklagten (fortan Schuldner). Der Schuldner, der als Vorstand mehrerer Unternehmen tätig war, hatte bei der G. Versicherung (nachfolgend Versicherung) eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen. Hieraus standen ihm im Versicherungsfall jährlich 60.000 €, zahlbar in monatlichen Teilbeträgen von jeweils 5.000 € zu. Mit schriftlicher Erklärung vom 14. Oktober 2003 übertrug der Schuldner die Rechte aus dieser Versicherung auf die Beklagte. Mit Schreiben vom 2. September 2005 erkannte die Versicherung ihre Leistungspflicht aus der Berufsunfähigkeitsversicherung rückwirkend ab August 2002 an. Sie kündigte an, zum 1. Oktober 2005 die monatlichen Zahlungen aufzunehmen und den in der Vergangenheit aufgelaufenen Betrag an die Beklagte auszuzahlen. Im Januar 2006 erklärte der Insolvenzverwalter die Anfechtung der Abtretung an die Beklagte nach § 134 InsO. Mit der Klage begehrt er die Auskehrung der von der Versicherung an die Beklagte gezahlten Beträge und Rückgewähr der auf sie übertragenen Berufsunfähigkeitsversicherung an die Masse.

[2] Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht sie abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Anfechtungsanspruch weiter.

Entscheidungsgründe:

[3] Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

[4] I. Das Berufungsgericht hat gemeint, die Übertragung der Versicherungsnehmerstellung auf die Beklagte stelle mangels Gläubigerbenachteiligung keine anfechtbare Rechtshandlung dar. Die Rente aus der Berufsunfähigkeitsversicherung unterliege nicht dem Insolvenzbeschlag. Als arbeitsentgeltähnliches Einkommen im Sinne des § 850 Abs. 3 lit. b ZPO sei sie nach § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO pfändungsgeschützt und könne nicht zur Insolvenzmasse gezogen werden. Der Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen stehe grundsätzlich auch Geschäftsführern und Vorstandsmitgliedern wegen ihrer laufenden Dienst- und Versorgungsbezüge zu. Nach zutreffender, überwiegend vertretener Auffassung fielen Berufsunfähigkeitsrenten unter die Pfändungsschutzbestimmung des § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO, weil sie die materiellen Lebensbedingungen des Versicherten, die durch die Gesundheitsbeeinträchtigung gefährdet seien, sichern sollten. Es komme nicht darauf an, dass die Rente aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung gezahlt werde.

[5] II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand. § 850b Abs. 1 ZPO ist auch im Insolvenzverfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass bedingt pfändbare Bezüge des Schuldners in die Insolvenzmasse fallen, soweit dies nach den Umständen des Falles, insbesondere nach der Art des beizutreibenden Anspruchs und der Höhe der Bezüge der Billigkeit entspricht. In diesem Umfang ist die unentgeltliche Übertragung dieser Bezüge auch anfechtbar.

[6] 1. Die Revision ist der Auffassung, die §§ 850 ff ZPO seien im Rahmen des Insolvenzverfahrens nur anwendbar, soweit in § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO (in der hier anwendbaren Fassung des Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze vom 26.10.2001, BGBl. I S. 2710) auf sie verwiesen werde. Regelungen, auf die nicht Bezug genommen werde, wie etwa der hier anzuwendende § 850b Abs. 1 ZPO, hätten im Insolvenzverfahren keine Wirkung. Dies folge aus der ausdrücklichen Verweisung auf § 850a ZPO in § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO. Obwohl § 850a ZPO die Unpfändbarkeit bestimmter Gegenstände regele und damit die Übernahme in die Insolvenzordnung eigentlich schon aus § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO abzuleiten wäre, habe der Gesetzgeber ausdrücklich auf die Vorschrift verwiesen. Hieraus sei zu entnehmen, dass solche Regelungen über die Unpfändbarkeit in den §§ 850 ff ZPO, auf die in § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht ausdrücklich Bezug genommen werde, im Insolvenzverfahren auch nicht anwendbar seien. Die Berufsunfähigkeitsrente sei deshalb ungeachtet ihrer Unpfändbarkeit gemäß § 850b Abs. 1 ZPO in die Insolvenzmasse gefallen. Wirke sich die Unpfändbarkeit nach § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO im Insolvenzverfahren nicht aus, sei die für eine Anfechtung nach § 134 InsO gemäß § 129 Abs. 1 InsO erforderliche Gläubigerbenachteiligung gegeben.

[7] 2. Die Auffassung der Revision trifft nur insoweit zu, als bedingt pfändbare Bezüge im Sinne des § 850b ZPO in die Insolvenzmasse fallen, soweit dies der Billigkeit entspricht. Im Übrigen dürfen entsprechende Zahlungen nicht von der Masse vereinnahmt werden.

[8] a) Ansprüche aus einer privaten Berufsunfähigkeitsrente sind nach § 850b Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO nur bedingt pfändbar (vgl. BGHZ 70, 206, 207 ff; OLG Jena OLGR 2001, 51; OLG Karlsruhe InVo 2002, 238; OLG München VersR 1997, 1520; OLG Oldenburg NJW-RR 1994, 479; OLG Saarbrücken VersR 1995, 1227, 1228; Hülsmann MDR 1994, 537; ders. VersR 1996, 308; Hk-ZPO/Kemper, 3. Aufl. § 850b Rn. 3; MünchKomm-ZPO/Smid, 3. Aufl. § 850b Rn. 3; Prütting/Gehrlein/Ahrens, ZPO § 850b Rn. 3; Zöller/Stöber, ZPO 28. Aufl. § 850b Rn. 2; Schuschke/Walker/Kessal-Wulf, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz 4. Aufl. § 850b Rn. 9; Stöber, Forderungspfändung 14. Aufl. Rn. 1007). Geschützt sind auch rückständige Beträge, die in einer Summe geleistet werden (BGH, Urt. v. 24. September 1987 - III ZR 49/86, NJW 1988, 819, 820; Prütting/Gehrlein/Ahrens, aaO Rn. 4; Zöller/Stöber, aaO Rn. 2). Der Bundesgerichtshof hat bereits ausgesprochen (Beschl. v. 19. März 2009 - IX ZA 2/09, ZInsO 2009, 915, 916 Rn. 6), dass eine von § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO erfasste Todesfallversicherung nicht Bestandteil der Insolvenzmasse ist (der Beschluss vom 15. November 2007 - IX ZB 34/06, ZInsO 2008, 40 ff betraf demgegenüber eine nicht unter Pfändungsschutz stehende Rente). Ob auch Ansprüche aus einer privaten Berufsunfähigkeitsrente aufgrund ihrer grundsätzlichen Unpfändbarkeit nach § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht zur Masse gezogen werden dürfen, oder ob sie gemäß § 35 Abs. 1 InsO in die Insolvenzmasse fallen, hat der Bundesgerichtshof bislang nicht entschieden.

[9] b) Nach ganz herrschender Meinung fallen nur bedingt pfändbare Ansprüche nicht in die Insolvenzmasse (OLG Hamm ZInsO 2006, 878, 881; LG Köln NZI 2004, 36, 37 [für den Anspruch des Schuldners gegen seine private Krankenversicherung auf Erstattung der Heilbehandlungskosten]; LG Mönchengladbach ZInsO 2009, 1074, 1075; ZInsO 2009, 1076, 1077; LG Hildesheim ZInsO 2009, 1961, 1963 f; Braun/Bäuerle, InsO 3. Aufl. § 36 Rn. 3; FK-InsO/Schumacher, 5. Aufl. § 36 Rn. 20; Graf-Schlicker/Kexel, InsO § 36 Rn. 18; HK-InsO/Eickmann, 5. Aufl. § 36 Rn. 7; HmbKomm-InsO/Lüdtke, 3. Aufl. § 36 Rn. 14 f; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO § 35 Rn. 77; Jaeger/Henckel, InsO § 36 Rn. 19; MünchKomm-InsO/Lwowski/Peters, 2. Aufl. § 35 Rn. 435; MünchKomm-InsO/Peters, aaO § 36 Rn. 43; Nerlich/Römermann/Andres, InsO § 36 Rn. 38; Prütting/Gehrlein/Ahrens, aaO Rn. 33; Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 36 Rn. 28; Kohte, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. S. 785 Rn. 14, S. 802 Rn. 74; zur Konkursordnung LG Hamburg VersR 1957, 366; Heilmann, KTS 1966, 79, 80; Jaeger/Henckel, KO § 1 Rn. 75). Dies soll auch für Ansprüche aus einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung gelten. Zur Begründung wird ausgeführt, in die Insolvenzmasse falle nur, was für alle Gläubiger pfändbar sei. Die erweiterte Pfändbarkeit nach § 850b Abs. 2 ZPO führe nicht zur Einbeziehung in die Insolvenzmasse, weil die Pfändbarkeitsentscheidung nur zugunsten des Antragstellers wirke. Die dort vorgesehene Abwägung zwischen den Interessen des Schuldners und denen eines Gläubigers sei im Insolvenzverfahren nicht möglich. Der Versuch, die Interessenabwägung in das Insolvenzverfahren zu verlagern und dort eine Billigkeit der Pfändung für alle Gläubiger herbeizuführen, widerspreche dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers. Dieser habe § 850b ZPO bewusst nicht in die Verweisung in § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO aufgenommen. § 850b Abs. 2 ZPO stelle eine Ausnahmeregelung dar, die bei größeren Bezügen des Schuldners und einer besonderen Notlage eines einzelnen Gläubigers einen Ausgleich nach Billigkeit ermöglichen solle (LG Hildesheim aaO).

[10] c) Entgegen dieser teilweise noch auf die Rechtslage nach der Konkursordnung zurückgehenden Auffassung hält es der Senat nicht für gerechtfertigt, im Insolvenzverfahren nur § 850b Abs. 1 ZPO, nicht aber § 850b Abs. 2 und 3 ZPO anzuwenden. Auch wenn § 850b ZPO in § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht ausdrücklich erwähnt wird, ist die Vorschrift trotzdem im Insolvenzverfahren insgesamt entsprechend anzuwenden. Die Vollstreckung in das sonstige bewegliche Vermögen des Schuldners hat nicht zu einer vollständigen Befriedigung der Insolvenzgläubiger geführt und wird voraussichtlich auch nicht dazu führen. Dies folgt schon aus der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Eine Billigkeitsprüfung, bei der alle in Betracht kommenden Umstände zu würdigen sind, kann es auch im Insolvenzverfahren geben. Sie obliegt dem Insolvenzgericht, wenn der Insolvenzverwalter beantragt, bedingt pfändbare Bezüge des Schuldners für vollstreckbar zu erklären, um sie wie Arbeitseinkommen zur Masse zu ziehen. Streiten Insolvenzverwalter und Schuldner um die Massezugehörigkeit von Einkünften, die unter § 850b Abs. 1 InsO fallen oder ist die Frage der Pfändbarkeit - wie vorliegend - im Rahmen eines Anfechtungsprozesses zu beantworten, kann die Entscheidung auch vom Prozessgericht getroffen werden (vgl. für die Billigkeitsprüfung nach § 850c Abs. 4 ZPO BGH, Versäumnisurt. v. 19. Mai 2005 - IX ZR 37/06, ZInsO 2009, 1395, 1396 f Rn. 16, 18).

[11] aa) Der Wortlaut des § 36 InsO ist nicht aussagekräftig. Insbesondere das Argument, § 850b ZPO sei im Insolvenzverfahren nicht anzuwenden, weil in § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht auf die Vorschrift verwiesen werde, ist nicht tragfähig. Es wird schon durch den Umstand widerlegt, dass auch die herrschende Meinung § 850b Abs. 1 ZPO trotz fehlender Erwähnung im Insolvenzverfahren anwenden will. Dass es eines Hinweises auf § 850b Abs. 1 ZPO nicht bedurft habe, weil diese Vorschrift schon nach der Grundregel des § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO in der Insolvenz zu beachten sei, ist nicht stichhaltig, weil es dann auch keines ausdrücklichen Verweises auf § 850a ZPO in § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO bedurft hätte.

[12] bb) Aus der Begründung des Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze vom 26.10.2001 (BGBl. I S. 2710) ergibt sich nicht, dass der Gesetzgeber die Anwendung des § 850b InsO im Insolvenzverfahren ausschließen wollte (vgl. BT-Drucks. 14/6468 S. 17). Ausdrücklich ist dort zu § 850b ZPO nichts zu finden. Sinn und Zweck der Änderung des § 36 Abs. 1 InsO war es, Lösungen für Situationen bereitzustellen, in denen neben den pauschalierten Pfändungsfreigrenzen Regelungen erforderlich sind, die besonderen von der Norm abweichenden Fallkonstellationen Rechnung tragen. Der Gesetzgeber wollte unter dem Blickwinkel des im Insolvenzverfahren herrschenden Prinzips der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung zwischen den Vorschriften unterscheiden, die die Pfändbarkeit für alle Gruppen erweitern oder beschränken (§§ 850c, 850e Nr. 2, 2 a, § 850f Abs. 1 ZPO), und denen, die die Pfändbarkeit für bestimmte Gläubiger und Gläubigergruppen modifizieren (§ 850d, § 850f Abs. 2 ZPO). Eine Einschränkung der unverändert gebliebenen Grundregel des § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO war nicht Gegenstand der am 1. Dezember 2001 in Kraft getretenen Gesetzesänderung (vgl. die Begründung des Rechtsausschusses zu § 36 InsO aaO). Eine entsprechende Anwendung der §§ 850 ff ZPO sollte dann gerechtfertigt sein, "wenn der Zweck der jeweiligen zwangsvollstreckungsrechtlichen Regelung mit dem Ziel der Gesamtvollstreckung in Einklang steht".

[13] cc) Sinn und Zweck des § 850b ZPO gebieten es, die Vorschrift insgesamt im Insolvenzverfahren entsprechend anzuwenden. Die Regelung dient der Existenzsicherung des Schuldners. Die grundsätzliche Unpfändbarkeit, die nur im Einzelfall und unter bestimmten Voraussetzungen nach § 850b Abs. 2 ZPO ganz oder teilweise aufgehoben werden kann, soll dafür sorgen, dass dem Schuldner das Existenzminimum verbleibt (BGHZ 70, 206, 211; MünchKomm-ZPO, aaO § 850b Rn. 1; Zöller/Stöber, aaO § 850b ZPO Rn. 1). Dieser Zweck schließt es - entgegen der Auffassung der Revision - aus, dass Gegenstände des § 850b Abs. 1 ZPO im Insolvenzverfahren uneingeschränkt in die Masse fallen. Dies wäre mit dem an Art. 1 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 GG) ausgerichteten Vollstreckungsrecht nicht zu vereinbaren. Dem Schuldner ist zumindest so viel zu belassen, wie er zur Absicherung seines Existenzminimums benötigt (vgl. BGH, Urt. v. 10. Januar 2008 - IX ZR 94/06, ZInsO 2008, 204, 205 Rn. 16 unter Bezugnahme auf die Begründung des Gesetzgebers zum Gesetz zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge vom 26. März 2007, BGBl. I S. 368). Weiterer Zweck ist ein angemessener Interessenausgleich zwischen Schuldner und Gläubiger (BGHZ 70, 206, 211 f; Prütting/Gehrlein/Ahrens, aaO Rn. 2). Bedingt pfändbare Bezüge sollen wie Arbeitseinkommen pfändbar sein, wenn die Vollstreckung in das sonstige bewegliche Vermögen des Schuldners nicht zu einer Befriedigung geführt hat und die Pfändung der Billigkeit entspricht. Dies gilt auch im Insolvenzverfahren. Der (drohende) Ausfall der Gläubiger bei ihrer Befriedigung ist dort handgreiflich. Ein überragendes Interesse des Schuldners, das es ausschließt, das Interesse der Gesamtheit der Gläubiger an ihrer Befriedigung zu berücksichtigen, besteht nicht. Vielmehr würde es einen Wertungswiderspruch bedeuten, wenn der Schuldner in der Individualvollstreckung bedingt pfändbare Bezüge wie Arbeitseinkommen abführen müsste, weil dies der Billigkeit entspricht, in der Gesamtvollstreckung diese jedoch einschränkungslos behalten könnte. Das Insolvenzverfahren würde sich für den Schuldner günstiger darstellen, als die Einzelvollstreckung. Außerhalb des Verfahrens wäre den Gläubigern der Zugriff auf bedingt pfändbare Bezüge des Schuldners verwehrt, weil sie dem Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO unterliegen. Dies würde nach § 294 Abs. 1 InsO auch noch für die gesamte Wohlverhaltensphase gelten. Diese Bevorteilung des Schuldners im Insolvenzverfahren wäre grob unbillig. Die Gläubigerinteressen, denen § 850b ZPO zumindest auch gerecht werden will, kämen überhaupt nicht zum Tragen. Der Grundsatz der gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger würde verletzt.

[14] dd) Zwar ist eine Abwägung zwischen den Interessen des Schuldners und den Einzelinteressen der Gläubiger, wie sie § 850b Abs. 2 InsO für die Individualzwangsvollstreckung vorsieht, im Insolvenzverfahren nicht möglich (BGH, Beschl. v. 7. Mai 2009 - IX ZB 211/08, ZInsO 2009, 1071, 1072, NZI 2009, 443, 444 Rn. 11 mit insoweit zustimmender Anmerkung Ahrens, NZI 2009, 423, 424). Abgewogen werden können aber die Interessen des Schuldners gegen das Gesamtinteresse der Gläubiger. Auch wenn die Art des beizutreibenden Anspruchs hier keine Bedeutung hat, weil es um eine Gesamtvollstreckung geht, sind Billigkeitsentscheidungen möglich (vgl. zu den maßgeblichen Abwägungskriterien BGH, Beschl. v. 19. März 2004 - IXa ZB 57/03, NJW 2004, 2450, 2451; v. 5. April 2005 - VII ZB 15/05, NJW-RR 2005, 869, 870; v. 12. Dezember 2007 - VII ZB 47/07, NJW-RR 2008, 412, 414 Rn. 21; Prütting/Gehrlein/Ahrens, aaO Rn. 24 ff). So kann etwa bei der Bestimmung des pfändbaren Betrags auf den Anlass und die Art der Leistung, die der Schuldner bezieht, deren Höhe sowie die ihm im Fall der Pfändung verbleibenden Bezüge Rücksicht genommen werden. Bezieht er beispielsweise eine Rente wegen Verletzung des Körpers oder der Gesundheit, können von ihm dargelegte erhöhte Bedürfnisse in Rechnung gestellt werden. Sind die Bezüge - wie vorliegend - besonders hoch, kann dies zu einer entsprechend erhöhten Pfändbarkeit führen. Erforderlich ist auch hier eine umfassende und nachvollziehbare Gesamtwürdigung, in die alle in Betracht kommenden Umständen des Einzelfalls einfließen (vgl. BGH, Beschl. v. 19. März 2004 aaO; v. 12. Dezember 2008 aaO). Sind keine besonderen Umstände ersichtlich, kann die Pfändbarkeit auch anhand der Freigrenzen des § 850c Abs. 1 ZPO bestimmt werden. Diese Vorschrift, auf die in § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO ausdrücklich verwiesen ist, belegt im Übrigen auch, dass eine Bestimmung der Pfändbarkeit nach billigem Ermessen dem Insolvenzverfahren durchaus nicht fremd ist. Die Regelung des § 850c Abs. 4 ZPO, nach der ein Unterhaltsberechtigter bei der Bestimmung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens des Schuldners auf Antrag ganz oder teilweise außer Betracht bleiben kann, wenn er über eigene Einkünfte verfügt, gilt auch im Insolvenzverfahren (vgl. BGH, Beschl. v. 7. Mai 2009 aaO; vgl. ferner Beschl. v. 6. Juli 2006 - IX ZB 220/04, KTS 2007, 353).

[15] 3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts kann deshalb keinen Bestand haben. Die am 14. Oktober 2003 erfolgte Übertragung der Versicherungsnehmerstellung ist durch Rückübertragung auf den Schuldner rückgängig zu machen. Eine Übertragung der Versicherung auf den Kläger kommt nicht in Betracht, weil die Masse nur im Rahmen der entsprechenden Anwendung des § 850b Abs. 2 ZPO auf die Versicherungsleistungen zugreifen kann. Das Stammrecht muss dem Schuldner erhalten bleiben. Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Auszahlung der von dem Versicherer an die Beklagte während des Insolvenzverfahrens gezahlten Beträge, soweit das Berufungsgericht diese für pfändbar erklärt. Insoweit unterliegen die Zahlungen der Anfechtung nach § 134 InsO.

[16] III. Das angefochtene Urteil ist somit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil sie noch nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Aufgrund des von den Parteien zu ergänzenden Vortrags wird das Berufungsgericht zu entscheiden haben, in welchem Umfang die Pfändung der vom Schuldner an die Beklagte ab

getretenen Ansprüche aus der Berufsunfähigkeitsversicherung der Billigkeit entspricht.

Ganter Vill Lohmann

Fischer Pape

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