NotZ 26/06
BUNDESGERICHTSHOF
Verkündet am:
20. November 2006
F r e i t a gJustizamtsinspektorals Urkundsbeamterder Geschäftsstelle
in dem Verfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BNotO § 50 Abs. 1 Nr. 6
Das berufsrechtliche Verfahren zur vorläufigen oder endgültigen Amtsenthebung eines Notars wegen Vermögensverfalls steht grundsätzlich in keinem Nachrangigkeitsverhältnis zum Insolvenzverfahren über das Vermögen des Notars. Es ist daher nicht zurückzustellen, um dem Notar zunächst Gelegenheit zu geben, über ein Insolvenzplanverfahren seine finanziellen Verhältnisse wieder zu ordnen.
BGH, Beschluss vom 20. November 2006 - NotZ 26/06 - OLG Frankfurt
wegen vorläufiger Amtsenthebung
Der Bundesgerichtshof, Senat für Notarsachen, hat auf die mündliche Verhandlung vom 20. November 2006 durch den Vorsitzenden Richter Schlick, die Richter Wendt und Becker sowie die Notare Dr. Lintz und Justizrat Dr. Bauer
beschlossen:
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des 2. Senats für Notarsachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 20. April 2006 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und die dem Antragsgegner im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert für beide Rechtszüge wird auf 25.000 festgesetzt.
Gründe:
I. Der Antragsteller ist seit 1976 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Im Jahr 1990 wurde er zum Notar bestellt. Mit Verfügung vom 28. September 2005 hat der Antragsgegner den Antragsteller gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 6 und 8, § 54 Abs. 1 Nr. 2 BNotO vorläufig seines Amtes als Notar enthoben, weil er in Vermögensverfall geraten sei und die Art seiner Wirtschaftsführung sowie seine wirtschaftlichen Verhältnisse die Interessen der Rechtsuchenden gefährdeten. Den hiergegen gerichteten Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung hat das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 20. April 2006 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers.
II. Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 111 Abs. 4 BNotO, § 42 Abs. 4 BRAO), hat in der Sache indessen keinen Erfolg. Zutreffend hat das Oberlandesgericht festgestellt, dass die Voraussetzungen für die vorläufige Amtsenthebung des Antragstellers vorliegen und der Antragsgegner durch seine Anordnung auch weder die Grenzen des ihm für seine Entscheidung in § 54 Abs. 1 BNotO eingeräumten Ermessens überschritten noch von diesem in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 111 Abs. 1 Satz 2 und 3 BNotO).
1. Der Antragsteller ist in Vermögensverfall geraten (§ 50 Abs. 1 Nr. 6 BNotO).
a) Der Vermögensverfall im Sinne dieser Vorschrift stellt einen insolvenzähnlichen Tatbestand dar, der im Gegensatz zu den Amtsenthebungsgründen des § 50 Abs. 1 Nr. 8 BNotO die Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden in sich schließt. Er setzt über den Eintritt ungeordneter schlechter finanzieller Verhältnisse, die sich in absehbarer Zeit nicht beheben lassen (wirtschaftliche Verhältnisse im Sinne des § 50 Abs. 1 Nr. 8 BNotO), voraus, dass der Notar nicht in der Lage ist, seinen laufenden Verpflichtungen nachzukommen (Senat, Beschlüsse vom 3. November 2003 - NotZ 15/03 = NJW-RR 2004, 710; vom 22. März 2004 - NotZ 23/03 = NJW 2004, 2018). Er wird unter den Voraussetzungen des § 50 Abs. 1 Nr. 6 Hs. 2 BNotO widerleglich vermutet (s. dazu den Senatsbeschluss vom 22. März 2004 - NotZ 23/03 = NJW 2004, 2018). Dies ist hier der Fall; denn am 31. August 2005 hat das Amtsgericht F. das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Antragstellers eröffnet.
Tatsachen, die geeignet wären, die Vermutung zu entkräften, hat weder der Antragsteller vorgetragen noch sind sie sonst ersichtlich. Hierzu wäre erforderlich gewesen, dass der Antragsteller dartut, wie die gegen ihn bestehenden Forderungen auf erfolgversprechende Weise in absehbarer Zeit erfüllt werden sollen und können (vgl. Senat aaO) oder dass im Rahmen des Insolvenzverfahrens die realistische Möglichkeit besteht, mit Zustimmung seiner Gläubiger über ein Insolvenzplanverfahren zu einer umfassenden Regelung seiner Verbindlichkeiten mit Restschuldbefreiung zu gelangen (vgl. § 227 Abs. 1 InsO). Dies ist nicht geschehen.
Ausweislich des Gutachtens des zwischenzeitlich zum Insolvenzverwalter über das Vermögen des Antragstellers bestellten Rechtsanwalts H. vom 22. August 2005 bestehen gegen den Antragsteller Forderungen aus Bankkrediten und der Inanspruchnahme aus einer Bürgschaft in Höhe von 1.632.168,59 und aus Privatdarlehen in Höhe von 854.943,85 sowie Steuerschulden in Höhe von 449.592,30 . Hinzu kommen noch Verbindlichkeiten gegenüber Sozialversicherungsträgern, Lohnempfängern und aus Lieferungen und Leistungen in Höhe von rund 55.000 . Die Forderungen gegen den Antragsteller belaufen sich also auf rund 3.000.000 .
Das Aktivvermögen des Antragstellers besteht demgegenüber lediglich aus vier Eigentumswohnungen, deren Verkehrswert der Insolvenzverwalter aufgrund ihm vorliegender Gutachten vom 24. September 2003 auf insgesamt etwa 186.000 angesetzt hat. Die Wohnungen sind mit Grundschulden in Höhe von 469.979,51 belastet, die der Absicherung eines Kredits der Volksbank M. dienen, der noch in Höhe von 20.361,96 zur Rückzahlung offen steht. Die sonstige - mit Fortführungswerten angesetzte - Aktivmasse beläuft sich auf rund 96.000 , von denen vorab die Kosten des Insolvenzverfahrens in Höhe von etwa 40.000 zu bestreiten sind. Zur Schuldentilgung steht darüber hinaus ein im Eigentum der Ehefrau des Antragstellers stehendes Wohnanwesen zur Verfügung, das zur Sicherung dreier den Eheleuten gewährten Bankkrediten mit einer Grundschuld in Höhe von 1.022.583 belastet ist. Die Verbindlichkeiten aus diesen Krediten belaufen sich auf 1.224.170,41 . Nach dem in der mündlichen Verhandlungen vor dem Senat korrigierten Angaben des Antragstellers kann das Anwesen, für das seit April 2005 Zwangsverwaltung und Zwangsvollstreckung angeordnet ist, zu einem Preis von 1.500.000 veräußert werden.
Selbst wenn - was unrealistisch erscheint - die Eigentumswohnungen des Antragstellers zu den vom Insolvenzverwalter angesetzten Verkehrswerten und das Wohnanwesen der Ehefrau zu dem nach Behauptung des Antragstellers erzielbaren Verkaufpreis verwertet werden könnten sowie die übrige Aktivmasse mit dem vollen nach Abzug der Kosten des Insolvenzverfahrens verbleibenden Fortführungswert schuldmindernd abgesetzt wird, verbleiben danach restliche Gesamtverbindlichkeiten des Antragstellers von rund 1.300.000 . Dass sich diese durch die Verwertung weiterer gestellter Sicherheiten oder sonstiger Vermögensgegenstände in namhaftem Umfang verringern lassen könnten, ist nicht ersichtlich. Soweit der Antragsteller demgegenüber seine Vermögensverhältnisse günstiger bewertet wissen will, greifen seine Einwände nicht durch:
Eine verbindliche Vereinbarung mit dem Finanzamt F. , dass dieses in erheblichem Umfang auf die angefallenen Säumniszuschläge verzichtet, ist nicht vorgelegt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass noch eine realistische Aussicht besteht, die vier Eigentumswohnungen des Antragstellers für insgesamt 327.000 zu veräußern. Der Insolvenzverwalter hat die von ihm angesetzten niedrigeren Verkehrswerte auf ihm vorliegende Gutachten gestützt. Inwieweit diese unzutreffend sein sollen, hat der Antragsteller nicht aufgezeigt. Dem Umstand, dass es ihm in der Vergangenheit gelungen ist, andere Eigentumswohnungen derselben Anlage zu vergleichsweise höheren Preisen zu veräußern, kann demgegenüber angesichts der derzeitigen Schwäche des Immobilienmarktes keine ausschlaggebende Bedeutung zukommen. Im Übrigen hat das Oberlandesgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass durch den vom Antragsteller erwarteten Mehrerlös seine Verbindlichkeiten nicht in einem Umfang reduziert würden, der eine abweichende Bewertung seiner ungeordneten schlechten finanziellen Verhältnisse zuließe. Denn unter Berücksichtigung der Ertragslage der Rechtsanwalts- und Notarskanzlei des Antragstellers stehen diesem nach Abzug der laufenden Kosten und Unterhaltsverpflichtungen nach den Berechnungen des Insolvenzverwalters monatlich nur etwa 4.420 zur Verfügung, die zur Schuldentilgung eingesetzt werden könnten. Dass dies - insbesondere auch vor dem Hintergrund der für die Verbindlichkeiten weiter auflaufenden Zinsen - nicht ausreicht, um in einem überschaubaren Zeitraum die Schulden des Antragstellers in einem Umfang abzubauen, der die Annahme rechtfertigen könnte, die Vermögensverhältnisse des Antragstellers seien wieder geordnet, hat das Oberlandesgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt und wird auch durch die letztlich zur Insolvenz führende, sich stetig verschlechternde wirtschaftliche Lage des Antragstellers bestätigt.
Es sind auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Vermögensverhältnisse des Antragstellers dadurch in absehbarer Zeit wieder geordnet werden könnten, dass im Rahmen des Insolvenzverfahrens ein Insolvenzplanverfahren durchgeführt und hierdurch eine Schuldbefreiung des Antragstellers ermöglicht wird. Ein Auftrag der Gläubiger an den Insolvenzverwalter, einen Insolvenzplan aufzustellen, oder gar ein bestätigter Insolvenzplan liegen bisher nicht vor. Ob es hierzu kommen wird, ist völlig ungewiss. Zwar hat der Antragsteller nunmehr die Bestätigung einer Firma A.
e. K. vorgelegt, wonach diese bereit sei, ihm 150.000 zur Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens zur Verfügung zu stellen. Die Hintergründe, Voraussetzungen und einzelnen Bedingungen dieses Angebots sind jedoch völlig ungeklärt. Hierauf hat bereits der Hessische Anwaltsgerichtshof in seinem Beschluss vom 3. Juni 2006 zu Recht hingewiesen, mit dem er den Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen hat, mit dem dieser sich gegen den Widerruf seiner Rechtsanwaltszulassung gewandt hatte. Auch der Insolvenzverwalter hat sich in seinem Schreiben vom 22. Juni 2006 an den Antragsteller höchst zurückhaltend zu diesem Angebot geäußert und lediglich dessen insolvenzrechtliche Prüfung zugesagt. Dass das Angebot zwischenzeitlich die Aufstellung eines Insolvenzplans in irgendeiner Weise befördert hätte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Sachlage unterscheidet sich somit grundlegend von der Fallgestaltung, über die die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts in ihrem Beschluss vom 31. August 2005 (NJW 2005, 3057) entschieden hat.
Zu Unrecht beruft sich der Antragsteller auch darauf, der Antragsgegner sei gehalten gewesen, das Verfahren über die vorläufige Amtsenthebung zurückzustellen, um ihm - dem Antragsteller - Gelegenheit zu geben, gestützt auf ein Insolvenzplanverfahren seine finanziellen Verhältnisse wieder zu ordnen. Das berufsrechtliche Verfahren zur vorläufigen oder endgültigen Amtsenthebung eines Notars wegen Vermögensverfalls steht grundsätzlich in keinem Nachrangigkeitsverhältnis zum Insolvenzverfahren über das Vermögen des Notars. Ist der Notar in Vermögensverfall geraten, so sind hieraus die durch die Bundesnotarordnung vorgegebenen berufsrechtlichen Konsequenzen zu ziehen. Diese sieht nicht vor, dass dem Notar zunächst Gelegenheit zu geben wäre, seine Vermögensverhältnisse wieder zu ordnen, auch dann nicht, wenn das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Notars eröffnet wird. Im Gegenteil wird gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 6 Hs. 2 BNotO in diesem Fall der Eintritt des Vermögensverfalls vermutet und damit die Feststellung des Amtsenthebungsgrundes nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 Hs. 1 BNotO verfahrensrechtlich erleichtert. Dementsprechend hat die Justizverwaltung auch im vorläufigen Amtsenthebungsverfahren das ihr durch § 54 Abs. 1 BNotO eingeräumte Ermessen nicht notwendig dahin auszuüben, vor einer Entscheidung über die vorläufige Amtsenthebung zunächst den Gang des Insolvenzverfahrens zumindest bis zu dem Zeitpunkt abzuwarten, in dem geklärt ist, ob ein Insolvenzplanverfahren mit der Folge möglicher Restschuldbefreiung eingeleitet wird. Das Insolvenzverfahren kann somit Wirkungen für das berufsrechtliche Verfahren erst dann zeitigen, wenn sein Ablauf die Annahme rechtfertigt, es werde über ein Insolvenzplanverfahren in überschaubarer Zeit eine Neuordnung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Notars gelingen; denn erst dann ist die Vermutung des § 50 Abs. 1 Nr. 6 Hs. 2 BNotO entkräftet. Ein anderes Verständnis ist auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen unter dem Aspekt der grundrechtlich geschützten Berufsfreiheit des Notars geboten. Die gesetzlichen Regelungen über die - vorläufige - Amtsenthebung eines Notars bei Vermögensverfall dienen dem Schutz der Interessen der Rechtsuchenden vor den Gefahren, die sich aus der wirtschaftlichen Notlage des Notars für seine Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und die sonstige Korrektheit seiner Amtsführung ergeben können. Diesen Interessen durfte der Gesetzgeber und darf die Landesjustizverwaltung - auch bei der Ermessensausübung nach § 54 Abs. 1 BNotO - den Vorrang vor den Interessen des Notars an der weiteren Ausübung seines Amtes einräumen; denn es handelt sich bei der - vorläufigen - Amtsenthebung in diesen Fällen grundsätzlich um eine Maßnahme, die erforderlich und geeignet ist, den Schutz der Interessen der Rechtsuchenden zu gewährleisten, und die trotz ihrer erheblichen Belastung für den betroffenen Notar nicht außer Verhältnis zu dem mit ihr verfolgten Zweck steht.
2. Durch die zerrütteten wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers (s. oben a) werden die Interessen der Rechtsuchenden gefährdet (§ 50 Abs. 1 Nr. 8 BNotO). Dies wird hier durch das Verhalten des Antragstellers im Zusammenhang mit dem von ihm beurkundeten Kaufvertrag S. /K. in besonderer Weise belegt, worauf das Oberlandesgericht im Ergebnis zutreffend hingewiesen hat.
Der Antragsteller hatte sich von der späteren Käuferin K. im Dezember 2004 ein Darlehen über 60.000 gewähren lassen. Obwohl er dieses Darlehen bis zum Abschluss des Kaufvertrages am 21. März 2005 nicht wie erhofft aus dem Erlös des Verkaufs einer weiteren Eigentumswohnung zurückzuzahlen vermochte und sich bewusst war, dass die Käuferin K. zur Begleichung des von ihr mit den Eheleuten S. verabredeten Kaufpreises von 245.000 die ihm zur Verfügung gestellten 60.000 benötigte, beurkundete er den Kaufvertrag. Die Käuferin K. war schließlich gezwungen, zur Begleichung der restlichen 60.000 einen Kredit aufzunehmen und die entsprechenden weiteren Kosten zu tragen.
Diese Vorgänge zeigen deutlich, dass der Antragsteller aufgrund seiner wirtschaftlichen Notlage private und amtliche Angelegenheiten vermengte und hierdurch die Interessen der von ihm unparteiisch und unabhängig zu betreuenden Rechtsuchenden in erheblichem Umfang gefährdete. Danach bedarf es keiner weiteren Erörterung, ob auch die Art der Wirtschaftsführung des Antragstellers entsprechende Gefahren begründete.
3. Der Antragsgegner hat das ihm durch § 54 Abs. 1 BNotO eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Gerade im Hinblick auf das unter b) dargestellte Verhalten des Antragstellers durfte es der Antragsgegner für erforderlich halten, den sofortigen Schutz der Interessen der Rechtsuchenden durch die vorläufige Amtsenthebung des Antragstellers zu gewährleisten. Mildere, den Antragsteller weniger belastende und in geringerem Maße in seine Berufsfreiheit eingreifende Maßnahmen, standen hierfür nicht zur Verfügung.
Seine sofortige Beschwerde muss daher ohne Erfolg bleiben.
Schlick Wendt Becker
Lintz Bauer