V ZB 137/12

08.01.2014

BUNDESGERICHTSHOF

vom

8. Januar 2014

in der Abschiebungshaftsache


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


AufenthG § 11 Abs. 1


Richtlinie 2008/115/EG Art. 11 Abs. 2

a) Bei Bestehen eines unbefristeten Einreiseverbots nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG aF muss nach § 11 Abs. 1 AufenthG nF nachträglich von Amts wegen einzelfallbezogen über eine Befristung befunden werden, sofern an ein Einreiseverbot anknüpfende Maßnahmen getroffen werden sollen; ohne eine solche nachträgliche Entscheidung darf eine unerlaubte Einreise nicht bejaht werden (Umsetzung von EuGH, Urteil vom 19. September 2013

- C-297/12 zu Art. 11 Abs. 2 Richtlinie 2008/115/EG).

b) Jedenfalls in Übergangsfällen darf Haft zur Sicherung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn im Zuge der angestrebten zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung über die erforderliche Befristung nachträglich entschieden worden ist, die Einreise des Betroffenen danach (immer noch) eine unerlaubte war und ein Zeitraum verstrichen ist, der es dem Betroffenen ermöglicht, die von Art. 13 der Richtlinie 2008/115/EG eingeräumten Rechtsbehelfe noch im Bundesgebiet zu ergreifen.


BGH, Beschluss vom 8. Januar 2014 - V ZB 137/12 - LG Hannover, AG Hannover


Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Januar 2014 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richter Dr. Czub und Dr. Roth, die Richterin Dr. Brückner und den Richter Dr. Kazele

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 2. Juli 2012 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 22. März 2012 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Landeshauptstadt Hannover auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 ?.

Gründe:

[1] I. Der Betroffene, ein albanischer Staatsangehöriger, war am 8. April 2009 aus der Bundesrepublik Deutschland nach Albanien abgeschoben worden. Nachdem er im Juli 2011 erfolglos versucht hatte, nach Italien einzureisen, und danach zu einem unbekannten Zeitpunkt erneut in die Bundesrepublik Deutschland eingereist war, wurde er am 3. März 2012 von der Polizei in Gewahrsam genommen. Er war im Besitz eines gültigen albanischen Reisepasses. Mit Bescheid vom 9. März 2012 wurde der Betroffene - gestützt auf die Annahme einer unerlaubten Einreise - unter Androhung einer zwangsweisen Abschiebung aus dem Bundesgebiet ausgewiesen.

[2] Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht nach Anhörung des Betroffenen am 22. März 2012 Sicherungshaft zum Zwecke der Abschiebung angeordnet. Gegen die Haftanordnung hat der Betroffene Beschwerde eingelegt. Nach der am 27. März 2012 vollzogenen Abschiebung nach Albanien hat er seinen Antrag dahin umgestellt, es möge die Verletzung seiner Rechte durch die erstinstanzliche Haftanordnung festgestellt werden. Das Landgericht hat das Rechtsmittel zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde, mit der der Betroffene die Feststellung beantragt, durch die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts in seinen Rechten verletzt worden zu sein.

[3] II. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts ist die Haft zur Sicherung der Abschiebung zu Recht angeordnet worden. Insbesondere sei der Betroffene aufgrund unerlaubter Einreise vollziehbar ausreisepflichtig gewesen. Dem stehe nicht entgegen, dass der Betroffene mit einem gültigen biometrischen Reisepass eingereist sei. Aufgrund der früheren Abschiebung habe nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG aF kraft Gesetzes ein Einreiseverbot bestanden, das nach Satz 3 der Bestimmung nur auf Antrag hätte befristet werden können. Etwas anderes folge auch nicht aus Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (im Folgenden: Richtlinie 2008/115/EG), weil die erste Abschiebung am 8. April 2009 und damit vor der erst am 24. Dezember 2010 abgelaufenen Umsetzungsfrist des Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG durchgeführt worden sei. Die Haftgründe nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 5 AufenthG lägen vor.

[4] III. Die nach Erledigung der Hauptsache mit dem Feststellungsantrag analog § 62 FamFG ohne Zulassung gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthafte Rechtsbeschwerde (vgl. nur Senat, Beschlüsse vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359, 360; Beschluss vom 28. April 2011 - V ZB 184/10, juris Rn. 6) ist auch im Übrigen zulässig (§ 71 FamFG). Hat - wie hier - bereits das Beschwerdegericht über den Fortsetzungsfeststellungsantrag nach § 62 FamFG entschieden, geht es im Rechtsbeschwerdeverfahren zwar allein um die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung. Dabei ist jedoch inzident auch die Frage der Rechtmäßigkeit der Haftentscheidung zu prüfen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 22. Juli 2010 - V ZB 29/10, InfAuslR 2011, 27 Rn. 4; Beschluss vom 28. April 2011, aaO, Rn. 7 mwN). Den gestellten Antrag legt der Senat im Lichte der Rechtsbeschwerdebegründung entsprechend aus.

[5] IV. Das Rechtsmittel ist begründet. Die Haft zur Sicherung der Abschiebung hätte nicht angeordnet werden dürfen. Jedenfalls aufgrund der übergangsrechtlichen Besonderheiten des Falles war der Betroffene nicht vollziehbar ausreisepflichtig. Dies folgt aus den europarechtlichen Vorgaben von Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG, wie sie von dem Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) - allerdings erst nach Erlass der Beschwerdeentscheidung - durch Auslegung konkretisiert worden sind (vgl. EuGH, Urteil vom 19. September 2013

- C-297/12, Rn. 35 ff.).

[6] 1. Noch zutreffend geht das Beschwerdegericht davon aus, dass den Betroffenen infolge der ersten - am 8. April 2009 durchgeführten - Abschiebung kraft Gesetzes zunächst ein - nicht an eine Einzelfallprüfung anknüpfendes - unbefristetes Einreiseverbot traf (§ 11 Abs. 1 AufenthG aF). Der Gesetzgeber durfte die nach Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG bis zum 24. Dezember 2010 bestehende Umsetzungsfrist ausschöpfen.

[7] 2. Verkannt hat es jedoch die Tragweite, die der Richtlinie 2008/115/EG bei der Anwendung des nationalen Rechts bei Entscheidungen zukommt, die zwar an ein vor Ablauf der Umsetzungsfrist kraft Gesetzes entstandenes unbefristetes Einreiseverbot anknüpfen, jedoch erst - wie hier die Haftanordnung - nach Ablauf der Frist getroffen werden.

[8] a) Die Richtlinie 2008/115/EG enthält keine Übergangsbestimmung. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs folgt daraus, dass die Richtlinie unmittelbar auch auf "die künftigen Auswirkungen eines Sachverhalts" anzuwenden ist, der unter der Geltung der alten Rechtslage entstanden ist (EuGH, Urteil vom 19. September 2013, Filev u.a., C-297/12, Rn. 40; vgl. auch EuGH, Urteil vom 1. März 2012, O'Brien,

C-393/10 = EuZW 2012, 267, 269 Rn. 25). Mit Blick auf die Vorgabe des Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG führt dies dazu, dass bei einem Betroffenen, der nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG aF kraft Gesetzes einem unbefristeten Einreiseverbot unterlag, nachträglich über eine Befristung befunden werden muss, sofern an ein Einreiseverbot anknüpfende Maßnahmen getroffen werden sollen. Ohne eine solche nachträgliche einzelfallbezogene Entscheidung, auf die der Betroffene abgesehen von den Ausnahmetatbeständen des § 11 Abs. 1 Satz 7 AufenthG nF ein subjektives Recht hat (BVerwG, InfAuslR 2013, 141, 142 Rn. 11), darf eine unerlaubte Einreise nicht bejaht werden (vgl. EuGH, Urteil vom 19. September 2013, aaO, Rn. 40 f.). Darüber hinaus hat der Gerichtshof entschieden, dass Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG einer nationalen Vorschrift entgegensteht, die die Befristung von einem entsprechenden Antrag des Betroffenen abhängig macht, und dass dies selbst dann gilt, wenn der Betroffene auf die Möglichkeit der Antragstellung hingewiesen wird (EuGH, Urteil vom 19. September 2013, aaO, Rn. 27 ff.). Über die Frage der (nachträglichen) Befristung ist daher antragsunabhängig zu befinden (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 11 S 2303/12, juris Rn. 8). An dieses Auslegungsergebnis sind die nationalen Gerichte nicht nur gebunden; sie haben ihm auch bei der Anwendung des nationalen Rechts im Wege der Auslegung und Rechtsfortbildung soweit wie möglich Rechnung zu tragen (ausführlich dazu BGH, Urteil vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05, BGHZ, 179, 27, 33 ff. mwN auch zur Rspr. des EuGH).

[9] b) Vor diesem Hintergrund scheitert eine antragsunabhängige nachträgliche Befristung des ursprünglich kraft Gesetzes entstandenen Einreiseverbots nicht daran, dass der Betroffene keinen Antrag auf eine nachträgliche Befristung gestellt hat. Die innerstaatliche Regelung des § 11 Abs. 1 AufenthG nF lässt eine richtlinienkonforme Rechtsanwendung zu.

[10] aa) Der Wortlaut der Bestimmung stellt kein Hindernis für die gebotene europarechtskonforme Rechtsanwendung dar. Nach der Formulierung des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ist das Einreiseverbot "auf Antrag" zu befristen. Dass dies "nur" auf Antrag geschehen darf, ist der sprachlichen Fassung der Norm nicht zu entnehmen (vgl. auch § 22 Nr. 2 VwVfG) und entspricht auch nicht der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, NVwZ 2013, 365, 369 Rn. 33: Befristung in Ausnahmefällen von Amts wegen). Davon abgesehen markiert der Gesetzeswortlaut zwar eine Grenze für die Auslegung. Das steht jedoch einer davon abweichenden Inhaltsbestimmung nicht entgegen, sofern die Voraussetzungen für eine (Rechts-)

Analogie bzw. für eine teleologischen Reduktion vorliegen (vgl. auch BGH, Urteil vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05, aaO, S. 34 f.). Nichts anderes gilt, wenn verfassungs- oder europarechtliche Vorgaben eine bestimmte Deutung gebieten. Die Grenze zulässiger Auslegung / Rechtsfortbildung ist erst dann überschritten, wenn der Norm - entgegen einer eindeutigen und widerspruchsfreien Entscheidung des Gesetzgebers - ein bestimmter Sinngehalt beigelegt wird (vgl. auch BGH, Urteil vom 26. November 2008, aaO, S. 34 f.). Der Richter darf eine Vorschrift nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und durch eine judikative Lösung ersetzen, die so im Parlament nicht erreichbar war (BVerfGE 82, 6, 12). So verhält es sich hier jedoch nicht.

[11] bb) Das mit der Neufassung verfolgte gesetzgeberische Anliegen bestand vor allem darin, die Regelung des § 11 Abs. 1 AufenthG richtlinienkonform anzupassen. Hierzu sollte u.a. an dem bisherigen Modell der antragsgebundenen Befristung festgehalten werden (BT-Drucks. 17/5470, S. 21), das - entgegen im Gesetzgebungsverfahren vereinzelt geäußerter Kritik (vgl. BT-Drucks. 17/6497, S. 12) - für richtlinienkonform erachtet wurde (vgl. auch BT-Ausschussdrucks. 17 [4] 282 I, wonach das Antragserfordernis nach der Rechtsprechung des EuGH zur nationalen Verfahrensautonomie deshalb nicht den nationalen Umsetzungsspielraum überschreite, weil keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich seien, dass dadurch die Wirksamkeit der Befristungsregelung untergraben werde). Auf der Grundlage der nunmehr mit Bindungswirkung ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs zu Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG beruht diese Rechtsauffassung auf einer Fehleinschätzung der europarechtlichen Vorgaben. Somit steht die konkrete Regelungsabsicht hinsichtlich einer antragsgebundenen Befristung nicht lediglich in Widerspruch zu einem

generellen, allgemein formulierten Umsetzungswillen, sondern zur konkret geäußerten - von der Annahme der Richtlinienkonformität getragenen - Umsetzungsabsicht des Gesetzgebers. Deshalb ist auszuschließen, dass der Gesetzgeber auch dann am Antragserfordernis festgehalten hätte, wenn bereits damals klar gewesen wäre, dass dies nicht in Einklang mit der Richtlinie steht. Bei einer solchen Sachlage begegnet die richtlinienkonforme Umsetzung in nationales Recht keinen durchgreifenden Bedenken (vgl. auch BGH, Urteil vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05, aaO, S. 36 f.; Urteil vom 21. Dezember 2011 - VIII ZR 70/08, BGHZ 192, 148, 162 f.; Roth in Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, 2. Aufl., § 14 Rn. 53b).

[12] cc) Soweit das Bundesverwaltungsgericht auch mit Blick auf die Neufassung des § 11 Abs. 1 AufenthG bislang grundsätzlich am Antragserfordernis festgehalten und lediglich die Anforderungen hieran abgemildert hat (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2012 - 1 C 14/12, InfAuslR 2013, 141-143 Rn. 11; vgl. aber BVerwG, NVwZ 2013, 365, 369 Rn. 33), nötigt dies schon deshalb nicht zu einer Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes nach § 2 Abs. 1 RsprEinhG, weil sich die maßgebende Rechtslage mit der nunmehr ergangenen

- sämtliche Gerichte der Bundesrepublik Deutschland bindenden - Entscheidung des Gerichtshofs vom 19. September 2013 (C-297/12) wesentlich geändert hat. Das schließt eine Verpflichtung zur Vorlage jedenfalls aus (vgl. nur Senat, Urteil vom 30. September 2005 - V ZR 275/04, BGHZ 164, 190, 196 mwN).

[13] 3. Auf dieser Grundlage darf jedenfalls in Übergangsfällen der vorliegenden Art die Haft zur Sicherung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn im Zuge der angestrebten zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung über die ursprünglich nicht erforderliche Befristung nachträglich entschieden worden ist, die Einreise des Betroffenen danach (immer noch) eine unerlaubte war und ein Zeitraum verstrichen ist, der es dem Betroffenen ermöglicht, die von Art. 13 der Richtlinie 2008/115/EG eingeräumten Rechtsbehelfe noch im Bundesgebiet zu ergreifen (zu Letzterem VGH Mannheim, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 11 S 2303/12, juris Rn. 8). Dabei ist es aus haftrechtlicher Sicht unerheblich, ob die erforderliche nachträgliche Befristung im Rahmen der für die Haftanordnung notwendigen Rückkehrentscheidung (dazu etwa Senat Beschluss vom 14. März 2013 - V ZB 135/12, NVwZ 2013, 1027, 1028 Rn. 7) oder durch einen eigenständigen Verwaltungsakt getroffen worden ist (zur gesetzlichen Systematik vgl. BVerwG, InfAuslR 2013, 141, 142 Rn. 11 mwN). Für die haftrechtliche Prüfung kommt es nur darauf an, ob hierüber befunden worden ist oder nicht.

[14] Dem steht nicht entgegen, dass der Haftrichter grundsätzlich nicht zu prüfen hat, ob die zuständige Behörde die Abschiebung bzw. Zurückschiebung zu Recht betreibt (Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726, 728 Rn. 23 mwN); die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden unterliegt der Kontrolle durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Hier tritt jedoch die Besonderheit hinzu, dass erst seit der Entscheidung des Gerichtshofs vom 19. September 2013 und damit erst nach Erlass des Ausreisebescheids Klarheit darüber hergestellt wurde, dass das ursprünglich kraft Gesetzes bestehende Einreiseverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG aF nunmehr stets und unabhängig von einer Antragstellung auch einer nachträglichen einzelfallbezogenen Konkretisierung bedarf. Bei dieser Sachlage darf die grundsätzlich bestehende Funktionsteilung zwischen den Verwaltungs- und den

Zivilgerichten nicht zu Lasten des Betroffenen gehen (zu diesem Gesichtspunkt vgl. auch Senat, Beschluss vom 3. Februar 2011 - V ZB 12/10, juris Rn. 8). Jedenfalls im Zusammenhang mit Rückkehrentscheidungen, die auf eine unerlaubte Einreise gestützt werden, wäre es unverhältnismäßig, wenn auch in solchen Übergangsfällen das Fehlen einer Entscheidung über eine nachträgliche Befristung hingenommen würde. Eine gegenteilige Sichtweise würde auch der Bedeutung des Richtervorbehalts bei Freiheitsentziehungen (Art. 104 Abs. 2 GG; vgl. BVerfGE 105, 239, 248; BVerfGK 7, 87, 98; Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010, aaO), den Anforderungen, die von Verfassungs wegen an ein faires Verfahren zu stellen sind (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 GG), und dem Erfordernis einer effektiven Umsetzung europarechtlicher Vorgaben (vgl. dazu auch Schmidt-Räntsch in Riesenhuber, aaO, § 23 Rn.75) nicht gerecht.

[15] 4. Da die nach allem notwendige Entscheidung über eine nachträgliche Befristung nicht getroffen worden ist - insbesondere enthält der auf eine unerlaubte Einreise abhebende Bescheid vom 9. März 2012 keine solche Entscheidung - war die Haftanordnung rechtswidrig.

[16] V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO.

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