V ZB 280/10

24.02.2011

BUNDESGERICHTSHOF

vom

24. Februar 2011

in dem Zwangsverwaltungsverfahren


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


ZVG § 150 Abs. 2; ZPO §§ 758a Abs. 2, 885


Der Beschluss über die Anordnung der Zwangsverwaltung mit der darin enthaltenen Ermächtigung des Zwangsverwalters, sich den Besitz an dem Verwaltungsobjekt zu verschaffen, stellt einen Vollstreckungstitel dar, aufgrund dessen der Gerichtsvollzieher den Schuldner aus dem Besitz setzen und den Zwangsverwalter in den Besitz einsetzen kann; auch wenn die Besitzverschaffung die Wohnung des Schuldners betrifft, bedarf es für diese Zwangsvollstreckung keiner richterlichen Anordnung.


BGH, Beschluss vom 24. Februar 2011 - V ZB 280/10 - LG Bonn, AG Siegburg


Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Februar 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke, Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Czub und die Richterin Weinland

beschlossen:

Auf die Rechtsmittel des Zwangsverwalters werden der Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bonn vom 15. Oktober 2010 aufgehoben und der Beschluss des Amtsgerichts Siegburg vom 15. Juli 2010 abgeändert.

Der Gerichtsvollzieher wird angewiesen, die Durchführung des Vollstreckungsauftrags des Zwangsverwalters vom 8. Februar 2010 nach Maßgabe der in dem Beschwerdeverfahren gestellten Anträge nicht aus den bisherigen Gründen abzulehnen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 1.000 ?.

Gründe:

[1] I. Mit Beschluss vom 16. Dezember 2009 ordnete das Amtsgericht die Zwangsverwaltung des dem Schuldner gehörenden, in dem Eingang dieses Beschlusses näher bezeichneten Grundbesitzes an. Der Beteiligte zu 1 wurde zum Zwangsverwalter bestellt und ermächtigt, sich den Besitz an dem Verwaltungsobjekt zu verschaffen, soweit es sich im Besitz des Schuldners befand; soweit Mieter oder Pächter Besitzer waren, wurde dem Zwangsverwalter der mittelbare Besitz übertragen.

[2] Auf dem Grundstück befindet sich ein Mehrfamilienhaus, in welchem drei Parteien wohnen. Die im Hochparterre und im ersten Obergeschoß gelegenen Räumlichkeiten sind vermietet; das Untergeschoß wird angeblich von dem Schuldner und seiner Ehefrau bewohnt.

[3] Am 8. Februar 2010 beauftragte der Zwangsverwalter den Gerichtsvollzieher, ihn in das Objekt einzuweisen und dem Schuldner näher bezeichnete Mietverträge, Betriebskostenabrechnungen, Kautionszahlungen und Gebührenbescheide für Strom, Wasser und Gas wegzunehmen. Bei dem an demselben Tag durchgeführten Vollstreckungsversuch war der Schuldner nicht zugegen. Ein von ihm bevollmächtigter Mieter händigte dem Gerichtsvollzieher einen Teil der Mietunterlagen aus; er weigerte sich jedoch, dem Zwangsverwalter und dem Gerichtsvollzieher den Zutritt zu der Wohnung des Schuldners zu gewähren. Daraufhin gab der Gerichtsvollzieher den Vollstreckungsversuch auf und stellte dem Zwangsverwalter anheim, eine richterliche Durchsuchungsanordnung herbeizuführen.

[4] Die dagegen erhobene Erinnerung, mit welcher der Zwangsverwalter die Anweisung an den Gerichtsvollzieher angestrebt hat, ihn in den Besitz der in dem Untergeschoß des Gebäudes gelegenen Räume einzuweisen und dem Schuldner näher bezeichnete Mietunterlagen wegzunehmen, hat das Amtsgericht zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde, mit der der Zwangsverwalter die Anweisung an den Gerichtsvollzieher erreichen wollte, ihn in den Besitz der in dem Untergeschoß des Gebäudes gelegenen Räume einzuweisen und dem Schuldner die noch nicht herausgegebenen Mietunterlagen wegzunehmen, ist erfolglos geblieben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Zwangsverwalter sein Verlangen weiter.

[5] II. Nach Ansicht des Beschwerdegerichts stellt die mit der Anordnung der Zwangsverwaltung dem Zwangsverwalter erteilte Ermächtigung zur Inbesitznahme des Verwaltungsobjekts, soweit es sich in dem Besitz des Schuldners befindet, keine ausreichende Grundlage für die zwangsweise Öffnung und Besitzergreifung an der Wohnung dar. Hierfür sei vielmehr eine richterliche Anordnung erforderlich. Erst recht komme die Durchsuchung der Wohnung nach den Mietunterlagen ohne richterlichen Beschluss nicht in Betracht.

[6] III. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde (§§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 575 ZPO) ist begründet. Das Beschwerdegericht hat die rechtliche Qualität und den Inhalt des Beschlusses, mit welchem das Amtsgericht die Zwangsverwaltung angeordnet hat, verkannt.

[7] 1. Zweck der Zwangsverwaltung ist es, die laufenden, aus der ordnungsgemäßen Benutzung des von der Beschlagnahme erfassten Grundstücks (vgl. § 148 Abs. 1 ZVG) stammenden Erträge zur Befriedigung des Gläubigers einzusetzen, während dem Schuldner die Substanz des Verwaltungsobjekts ungeschmälert erhalten bleibt. Um diesen Zweck zu erreichen, wird durch die Beschlagnahme dem Schuldner die Verwaltung und Benutzung des Grundstücks entzogen (§ 148 Abs. 2 ZVG). An seine Stelle tritt insoweit der Zwangsverwalter. Damit dieser die damit verbundenen Pflichten (§ 152 ZVG) erfüllen kann, muss er den unmittelbaren - oder, bei vermieteten oder verpachteten Objekten, den mittelbaren - Besitz des Grundstücks erlangen (BGH, Urteil vom 26. September 1985 - IX ZR 88/84, BGHZ 96, 61, 66). Hierzu hat ihm das Vollstreckungsgericht nach § 150 Abs. 2 ZVG durch einen Gerichtsvollzieher oder durch einen sonstigen Beamten das Grundstück zu übergeben oder ihm die Ermächtigung zu erteilen, sich selbst den Besitz daran zu verschaffen. Letzteres ist hier geschehen. Das Amtsgericht hat in dem Anordnungsbeschluss u.a. die Ermächtigung des Zwangsverwalters zur Besitzverschaffung ausgesprochen, sofern sich das Verwaltungsobjekt im Besitz des Schuldners befindet. Da die in dem Hochparterre und in dem Obergeschoß des Gebäudes gelegenen Räume vermietet sind, betrifft die Ermächtigung zur Besitzverschaffung die Räume im Untergeschoß, die der Schuldner - unabhängig davon, ob er dort wohnt - mangels gegenteiliger Feststellungen und Anhaltspunkte jedenfalls in Besitz hat. Diesen Besitz muss er auf den Zwangsverwalter übertragen, indem er diesem die Räume herausgibt. Kommt er seiner Verpflichtung nicht freiwillig nach, geschieht nach § 885 ZPO die Herausgabe in der Weise, dass der Gerichtsvollzieher auf entsprechenden Antrag des Zwangsverwalters den Schuldner aus dem Besitz setzt und den Zwangsverwalter in den Besitz einweist (Böttcher, ZVG, 5. Aufl., § 150 Rn. 11; Engels in Dassler/Schiffhauer/Hintzen/Engels/Rellermeyer, ZVG, 13. Aufl., § 150 Rn. 33; Eickmann, Zwangsversteigerungs- und Zwangsverwaltungsrecht, 2. Aufl., S. 404; unklar Zöller/Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 885 Rn. 3). Der dafür notwendige Vollstreckungstitel ist der Beschluss über die Anordnung der Zwangsverwaltung zusammen mit der Ermächtigung des Zwangsverwalters zur Besitzverschaffung (Senat, Beschluss vom 14. April 2005 - V ZB 6/05, NJW-RR 2005, 1032 mit umfangreichen Nachweisen).

[8] 2. Für diese Maßnahme des Gerichtsvollziehers ist - vorbehaltlich der Regelung in § 758a Abs. 4 ZPO - keine besondere richterliche Anordnung notwendig, auch wenn sie mit dem zwangsweisen Öffnen und Betreten der Räume verbunden ist. Das gilt selbst dann, wenn es sich um die Wohnräume des Schuldners handelt. Sie unterliegen zwar dem besonderen Schutz des Art. 13 GG, der auch bei Zwangsvollstreckungsmaßnahmen eingreift (BVerfGE 51, 97, 106 ff.). Aber nicht jeder Eingriff in die durch die Vorschrift des Art. 13 Abs. 1 GG grundsätzlich gewährleistete Unverletzlichkeit der Wohnung steht unter dem in Art.13 Abs. 2 GG enthaltenen Vorbehalt der richterlichen Anordnung, sondern nur die Durchsuchung der Wohnung. Darum geht es hier jedoch nicht. Eine Durchsuchung liegt nur dann vor, wenn ein Betreten der Wohnung der ziel- und zweckgerichteten Suche nach Personen oder Sachen oder zur Ermittlung eines nicht bereits offenkundigen Sachverhalts, d.h. dem Aufspüren dessen dient, was der Wohnungseigentümer von sich aus nicht herausgeben oder offen legen will (BVerfGE 51, 97, 106 f.; 75, 318, 372; BVerfG, NJW 2000, 943, 944). Danach ist hier die verfassungsrechtlich durch Art. 13 Abs. 2 GG und auf der Ebene des einfachen Rechts durch § 758a ZPO besonders gesicherte Geheimsphäre des Schuldners (vgl. BGH, Beschluss vom 10. August 2006 - I ZB 126/05, NJW 2006, 3352, 3353) nicht betroffen. Es soll weder nach Personen oder Sachen gesucht noch sollen nicht offenkundige Tatsachen ermittelt werden, sondern es soll - wie bereits ausgeführt - dem Zwangsverwalter der unmittelbare Besitz durch Herausgabe der Räume verschafft werden. Erfolgt dies im Wege der Zwangsvollstreckung (§ 885 Abs. 1 ZPO) aufgrund des Anordnungsbeschlusses nebst der Ermächtigung zur Besitzverschaffung, ist dafür nach § 758a Abs. 2 ZPO keine richterliche Anordnung notwendig (Böttcher, ZVG, 5. Aufl., § 150 Rn. 12; Engels in Dassler/Schiffhauer/

Hintzen/Engels/Rellermeyer, ZVG, 13. Aufl., § 150 Rn. 36; Haarmeyer/

Wutzke/Förster/Hintzen, Zwangsverwaltung, 4. Aufl., § 150a Rn. 20; Wolf in Hintzen/Wolf, Zwangsvollstreckung, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung, Rn. 7.26 und 7.30; Depr‚/Mayer, Die Praxis der Zwangsverwaltung, 5. Aufl., Rn. 507).

[9] 3. Der von dem Zwangsverwalter dem Gerichtsvollzieher erteilte Auftrag ist auch darauf gerichtet, die Herausgabevollstreckung wegen näher bezeichneter, bei dem Schuldner vorhandener Betriebskostenabrechnungen für die Mieter, Gebühren- und Steuerbescheide sowie Versicherungsprämienrechnungen vorzunehmen. Für diese nach § 883 ZPO durchzuführende Vollstreckung stellt der Beschluss über die Anordnung der Zwangsverwaltung nebst der Ermächtigung zur Besitzbeschaffung ebenfalls eine ausreichende Vollstreckungsgrundlage dar; denn die in § 150 Abs. 2 ZVG normierte Herausgabepflicht erstreckt sich nicht nur auf die von der Beschlagnahme erfassten, sondern auch auf die sonst für die Tätigkeit des Zwangsverwalters notwendigen Gegenstände, zu denen die ein Miet- oder Pachtverhältnis betreffenden Urkunden gehören (Senat, Beschluss vom 14. April 2005 - V ZB 6/05, NJW-RR 2005, 1032). Da nach § 152 Abs. 2 ZVG dann, wenn - wie hier - das Grundstück vor der Beschlagnahme einem Mieter überlassen wurde, der Mietvertrag auch gegenüber dem Zwangsverwalter wirksam ist, erfordert eine ordnungsgemäße Verwaltung des Grundstücks, dass dieser anstelle des Schuldners in die Lage versetzt wird, von den Mietern zu zahlende Betriebskosten einzufordern oder etwaige Überschüsse aus Vorauszahlungen an sie zurückzuzahlen. Das ist dem Zwangsverwalter nur möglich, wenn ihm die Berechnungsgrundlagen vorliegen. Die Vollstreckungshandlung (§ 883 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO) kann der Gerichtsvollzieher nach der zwangsweisen Öffnung der Wohnung des Schuldners (siehe vorstehend unter 2.) vornehmen.

[10] 4. Nach alledem hat der Gerichtsvollzieher die Durchführung des Vollstreckungsauftrags zu Unrecht mit der Begründung abgelehnt, er dürfe die Wohnung des Schuldners nicht ohne richterlichen Beschluss öffnen. Deshalb wird er nunmehr, soweit die sonstigen Vollstreckungsvoraussetzungen (noch) vorliegen, die nach §§ 883, 885 ZPO erforderlichen Vollstreckungshandlungen vorzunehmen haben.

[11] 5. Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass die dem Zwangsverwalter von dem Amtsgericht erteilte Bescheinigung über die Verwalterbestellung nicht als Vollstreckungstitel oder Nachweis der Existenz des Titels ausreicht. Sie enthält nicht die in den Anordnungsbeschluss aufgenommene Ermächtigung des Zwangsverwalters zur Besitzverschaffung.

[12] IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO (vgl. Senat, Beschluss vom 14. April 2005 - V ZB 6/05, NJW-RR 2005, 1032, 1033).

Krüger Lemke Schmidt-Räntsch

Czub Weinland

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