V ZR 11/05

02.12.2005

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

Verkündet am:

2. Dezember 2005

W i l m s,Justizangestellteals Urkundsbeamtinder Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


BGB § 891


Die Richtigkeitsvermutung des Grundbuchs erstreckt sich auch auf den sich aus dem Liegenschaftskataster ergebenden Grenzverlauf.


BGH, Urt. v. 2. Dezember 2005 - V ZR 11/05 - LG Stendal, AG Gardelegen


Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündlichen Verhandlung vom 2. Dezember 2005 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, den Richter Dr. Klein, die Richterin Dr. Stresemann und die Richter Dr. Czub und Dr. Roth

für Recht erkannt:

Die Revision gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Stendal vom 16. Dezember 2004 wird auf Kosten des Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klägerin die außergerichtlichen Kosten der früheren Beklagten zu 2 ganz und die Gerichtskosten erster Instanz zu 14 % trägt; im Übrigen bleibt es bei der Kostenentscheidung des Berufungsgerichts.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

[1] Die Klägerin ist als Eigentümerin des im Grundbuch der Gemeinde I. verzeichneten Grundstücks Flur 3, Flurstück 209/67 eingetragen, der Beklagte als Eigentümer des nördlich angrenzenden Nachbargrundstücks 77/01. Die Parteien streiten über den Verlauf der gemeinsamen Grundstücksgrenze.

[2] Beide Grundstücke sind aus einem Anwesen hervorgegangen, das u.a. mit einem reihenhausartigen Gebäude bebaut war. Im Jahr 1848 veräußerte die Gemeinde I. nach Aufteilung des Grundstücks jeweils eine Wohnung mit zugehörigem Scheunen- und Hofanteil an fünf verschiedene Käufer. Ein Rechtsvorgänger des Beklagten erwarb die nördlichste, ein Rechtsvorgänger der Klägerin die südlich unmittelbar angrenzende Parzelle. Aus steuerlichen Gründen kam es im Jahr 1865 zu einer sog. "Unterverteilung" des gesamten Anwesens durch den Fiskus. Dabei wurden die heute im Eigentum der Parteien stehenden Parzellen dadurch voneinander abgegrenzt, dass zwei Grenzpunkte festgelegt wurden, deren gerade Verbindungslinie Eingang in das Liegenschaftskataster als Grenzlinie der heutigen Flurstücke 77/1 und 209/67 fand. Diese verläuft nördlich der Hauswand und der sich daran anschließenden Mauer- und Zaunbegrenzung. Die Klägerin wurde in Vollzug des notariellen Kaufvertrags vom 10. Juni 1998 als Eigentümerin des Flurstücks 209/67 in das Grundbuch eingetragen. Die als Anlage zu diesem Vertrag erklärte Auflassung verweist auf die Bestimmung zu II.1. des Kaufvertrages, in der das Grundstück katastermäßig bezeichnet ist.

[3] Mit ihrer Klage hat die Klägerin den Beklagten u.a. auf Herausgabe und Unterlassung der weiteren Nutzung derjenigen Fläche in Anspruch genommen, die sich zwischen dieser Grenze und der die tatsächlichen Besitzverhältnisse markierenden Mauer- und Zaungrenze befindet. Sie steht auf dem Standpunkt, für die Bestimmung der Grundstücksgrenze sei die aus dem Liegenschaftskataster ersichtliche Gerade maßgeblich. Jedenfalls habe sie das Eigentum an dem Teilstück kraft guten Glaubens erworben. Der Beklagte ist dem entgegen getreten und hat widerklagend die Feststellung der Grenze entsprechend dem aus der Aufteilung des Jahres 1848 folgenden Besitzstand begehrt, der - so behauptet er - der gegenwärtigen Nutzung entspreche. Auch die Rechtsvorgänger der Klägerin seien stets nur von einem Wegerecht über das Grundstück des Beklagten ausgegangen.

[4] Das Amtsgericht hat die - ursprünglich auch gegen die Ehefrau des Beklagten erhobene, später aber insoweit zurückgenommene - Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht dem Herausgabe- und Unterlassungsbegehren stattgegeben und die Widerklage abgewiesen; die Kosten des Rechtstreits hat es vollen Umfangs dem Beklagten auferlegt. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe:

[5] I. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Klägerin habe das Eigentum an der streitgegenständlichen Fläche infolge Auflassung und Grundbucheintragung jedenfalls nach § 892 BGB gutgläubig erworben. Für den Gutglaubenschutz sei der durch die Bestandsangaben des Grundbuchs seit 1865 ausgewiesene Grenzverlauf maßgebend, der sich aus dem Liegenschaftskataster ergebe. Nach der dort vermerkten Grenzlinie sei die Teilfläche dem von der Klägerin erworbenen Flurstücks 209/67 zugewiesen. Eine eventuelle Unrichtigkeit dieser Zuweisung sei der Klägerin nicht bekannt gewesen.

[6] II. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung in der Hauptsache stand; die Revision hat lediglich im Kostenpunkt teilweise Erfolg.

[7] 1. Das Berufungsgericht hat der auf § 985 BGB und § 1004 BGB gestützten Herausgabe- und Unterlassungsklage im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Dabei kann offen bleiben, ob die Klägerin das Eigentum hieran - wie das Berufungsgericht meint - gutgläubig nach § 892 BGB erworben hat, weil ihre Eigentümerstellung schon nach § 891 BGB zu vermuten ist und der Beklagte diese Vermutung nicht widerlegt hat.

[8] a) § 891 Abs. 1 BGB knüpft die Vermutung der Rechtsinhaberschaft an die Grundbucheintragung. Da im Rechtsverkehr Klarheit darüber bestehen muss, auf welchen konkreten Teil der Erdoberfläche sich ein eingetragenes Recht bezieht, besteht heute Einigkeit darüber, dass sich die Richtigkeitsvermutung des Grundbuches auch auf den sich aus dem Liegenschaftskataster ergebenden Grenzverlauf erstreckt (RGZ 73, 125, 129; BayObLGZ 1987, 410, 412 f.; OLG Frankfurt, OLGZ 1985, 156, 157 f.; OLG Nürnberg, MDR 1976, 666; OLG Celle, NJW 1956, 632, 633; Bengel/Simmerding, Grundbuch, Grundstück, Grenze, 5. Aufl., Anh. zu § 22 GBO Rdn. 1 f.; Demharter, GBO, 25. Aufl., § 2 Rdn. 26; Erman/Lorenz, BGB, 11. Aufl., § 891 Rdn. 7; Lutter, AcP 164, 122, 138; MünchKomm-BGB/Wacke, 4. Aufl., § 891 Rdn. 11; Palandt/Bassenge, BGB, 64. Aufl., § 891 Rdn. 6; Soergel/Stürner, BGB, 13. Aufl., § 891 Rdn. 8; Soergel/Bauer, aaO, § 920 Rdn. 3; Staudinger/Gursky, BGB [2002], § 891 Rdn. 21 ff.; Staudinger/Roth, aaO, § 920 Rdn. 2). Nach § 2 Abs. 2 GBO werden die Grundstücke im Grundbuch nach dem Liegenschaftskataster benannt. Der Grenzverlauf kann danach in aller Regel über die in Spalte 3 b des Bestandsverzeichnisses des Grundbuches eingetragene Parzellennummern in Verbindung mit der Katasterkarte erschlossen werden. So liegt es auch hier.

[9] Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt sich aus dem Inhalt der Flurkarte des Liegenschaftskatasters, dass die streitgegenständliche Fläche Bestandteil des der Klägerin zugeordneten Flurstücks 209/67 ist. Die Grenze zwischen den Grundstücken der Parteien wird - entsprechend der Unterverteilung aus dem Jahr 1865 - durch die gerade Linie markiert. Dementsprechend ist zu vermuten, dass sich das Eigentum der Klägerin bis zu der in der Flurkarte vermerkten Grenze erstreckt. Soweit die Revision in diesem Zusammenhang rügt, es sei zwischen den Parteien umstritten, welche Angaben den Katasterunterlagen zu entnehmen seien, steht dem die die Darstellung im Berufungsurteil als unstreitig entgegen (§ 314 ZPO). Im Übrigen haben die Parteien im Berufungsrechtszug übereinstimmend vorgetragen, dass die sachverständig festgestellte Grenze so im Liegenschaftskataster seit dem Jahr 1865 beschrieben ist; Streit hat allenfalls noch darüber bestanden, ob die aus der Katasterkarte ersichtliche Grenze zutreffend ermittelt wurde.

[10] Dass die Grenzziehung aus den Unterlagen der Steuerverwaltung in das Liegenschaftskataster ohne Überprüfung durch eine eigenständige Vermessung übernommen wurde, steht der Anwendung von § 891 BGB nicht entgegen. Für den Eintritt der Richtigkeitsvermutung sind die Umstände, die zu einer Eintragung geführt habe, ohne Belang (RGZ 73, 125, 130). Selbst eine Verletzung von Verfahrensvorschriften im Zusammenhang mit der Grundbucheintragung lässt die Vermutung - abgesehen von hier nicht einschlägigen Nichtigkeitsfällen (vgl. Senat, BGHZ 7, 64, 69 für den Fall einer durch erhebliche Bedrohung erreichten Grundbucheintragung) - nicht entfallen (Senat, Urt. v. 26. September 1969, V ZR 135/66, WM 1969, 1352, 1353 f.).

[11] b) Die aus § 891 Abs. 1 BGB folgende Eigentumsvermutung hat der Beklagte nicht widerlegt. Für eine Widerlegung genügt nicht, dass die Vermutung erschüttert wird. Vielmehr muss der volle Beweis des Gegenteils erbracht werden (Senat, Urt. v. 16. November 1979, V ZR 93/77, NJW 1980, 1047, 1048 f.; Urt. v. 10. Dezember 2004, V ZR 120/04, MDR 2005, 439, 440 f.). Dabei erstreckt sich der zu erbringende Gegenbeweis auf jede sich aus dem Grundbuch ergebende oder von dem Eingetragenen behauptete Erwerbsmöglichkeit (Senat, Urt. v. 23. März 1979, V ZR 163/75, NJW 1979, 1656; Urt. v. 24. Februar 1984, V ZR 177/82, NJW 1984, 2157; Urt. v. 6. Dezember 1996, V ZR 177/95, WM 1997, 883). Diesen Gegenbeweis hat der Beklagte nicht erbracht.

[12] aa) Zwar hat der Beklagte unter Bezug auf den Kaufvertrag aus dem Jahr 1848 nachvollziehbar dargelegt, dass die damaligen Vertragsparteien von einer Grundstücksgrenze ausgingen, die sich an der damals vorhandenen Bebauung orientierte. Diese Darlegungen lassen indessen allenfalls den Schluss zu, dass die im Zuge der Unterverteilung im Jahr 1865 festgelegte und in die Flurkarte übernommene Grenze den damaligen Eigentumsverhältnissen widersprach. Offen bleibt jedoch, ob dieser mögliche Widerspruch in der Folgezeit durch gutgläubigen Eigentumserwerb der Klägerin oder ihrer Rechtsvorgänger beseitigt wurde. Entgegen der Annahme der Revision hat das Berufungsgericht nicht festgestellt, dass der Beklagte Eigentümer der Teilfläche war. Vielmehr hat es die Eigentumslage im Hinblick auf § 892 BGB gerade offen gelassen. Die Möglichkeit gutgläubigen Erwerbs insbesondere durch die Rechtsvorgänger der Klägerin räumt der Beklagte nicht aus.

[13] bb) Allerdings scheidet ein Eigentumserwerb an der Teilfläche eines Grundstücks schon dann aus, wenn sich die Auflassung (§§ 873, 925 BGB) nicht auf diese erstreckt (vgl. BayObLG DNotZ 1998, 820, 823). Vorliegend kann jedoch zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass der Klägerin auch die Teilfläche aufgelassen wurde.

[14] In der als Anlage zum Kaufvertrag erklärten Auflassung wird Bezug genommen auf den Kaufvertrag, in dem das Grundstück nicht anhand der örtlichen Gegebenheiten, sondern katastermäßig bezeichnet wurde. Da der Beklagte in den Tatsacheninstanzen nicht behauptet hat, die notariell beurkundete Auflassung gebe das von beiden Auflassungsparteien übereinstimmend Gewollte nicht richtig wieder, ist kein Raum für die Heranziehung der allgemeinen Regeln zur rechtlichen Behandlung einer Falschbezeichnung, wonach ein übereinstimmender tatsächlicher Wille den Inhalt des Rechtsgeschäfts bestimmt und dem Wortlaut der Vereinbarung vorgeht (vgl. Senat, Urt. v. 7. Dezember 2001, NJW 2002, 1038, 1039 m.w.N.). Da auch der Schriftsatz des Beklagten vom 28. Januar 2004 - entgegen den Darlegungen der Revision in der mündlichen Verhandlung - kein Vorbringen zum Inhalt der Auflassung enthält, hatte das Berufungsgericht keine Veranlassung zu einem Hinweis nach § 139 ZPO; eine Aufklärungsrüge hat die Revision denn auch nicht erhoben.

[15] Allerdings nimmt die Revision auf Vortrag des Beklagten Bezug, wonach die Klägerin noch bis in das Jahr 2002 hinein davon ausgegangen sei, nicht Eigentümerin der Teilfläche zu sein; auch die Rechtsvorgänger der Klägerin seien lediglich von einem Wegerecht an dem Flurstück des Beklagten ausgegangen. Daraus ergibt sich jedoch nicht ohne weiteres, dass die Vertragsparteien entgegen der Urkundenlage den Gegenstand der Auflassung übereinstimmend nur nach örtlichen Merkmalen bestimmt haben. Da stets damit gerechnet werden muss, dass insbesondere Zaun- und Mauergrenzen nicht exakt die wirkliche Grundstücksgrenze markieren, ist bei verständiger Würdigung der Interessenlage bei katastermäßiger Bezeichnung in der Regel davon auszugehen, dass ein Eigentumsübergang im Umfang der sich aus dem Kataster ersichtlichen Grenzen erreicht werden soll.

[16] 2. Die Abweisung der Widerklage ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Da die Grundstücksgrenzen aufgrund der nicht ausgeräumten Eigentumsvermutung des § 891 Abs. 1 BGB festgestellt werden können, ist für eine auf Grenzverwirrung gestützte Klage nach § 920 Abs. 1 BGB kein Raum (vgl. OLG Celle, NJW 1956, 632, 633 f.; Palandt/Bassenge, aaO, § 920 Rdn. 2; Soergel/Bauer, aaO, § 920 Rdn. 3; Staudinger/Roth, aaO, § 920 Rdn. 2; MünchKomm-BGB/Säcker, aaO, § 920 Rdn. 1).

[17] 3. Dagegen hält die Kostenentscheidung des Berufungsurteils einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand, soweit dem Beklagten die Kosten des ersten Rechtszugs vollen Umfangs auferlegt worden sind. Da die Klägerin ihre zunächst auch gegen die Ehefrau des Beklagten erhobene Klage wieder zurückgenommen hat, fallen ihr - was von Amts zu berücksichtigen ist - insoweit die Kosten zur Last (§ 269 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

[18] III. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Krüger Klein Stresemann

Czub Roth

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