VI ZR 221/07

08.07.2008

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

Verkündet am:

8. Juli 2008

Holmes,Justizangestelleals Urkundsbeamtinder Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


EGZPO § 15 a; NRWGüSchlG § 10


Das Gütestellen- und Schlichtungsgesetz NRW beschränkt die örtliche Zuständigkeit der anerkannten "weiteren Gütestellen" nicht auf den Landgerichtsbezirk, in dem die Parteien wohnen.


BGH, Urteil vom 8. Juli 2008 - VI ZR 221/07 - LG Bonn, AG Siegburg


Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 8. Juli 2008 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller und die Richter Dr. Greiner, Wellner, Stöhr und Zoll

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Bonn vom 2. August 2007 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

[1] Über das im Landgerichtsbezirk Bonn liegende Grundstück der Kläger verläuft die Zufahrt zum Haus der Beklagten, zu deren Gunsten eine Baulast im Baulastenverzeichnis eingetragen ist, die sie zur Nutzung der Zuwegung berechtigt.

[2] Nachdem die Kläger ihr Grundstück eingezäunt und mit einem verschließbaren Tor versehen hatten, kam es zwischen den Parteien zum Streit. Deswegen baten die Kläger mit Schreiben vom 11. Oktober 2006 den als Gütestelle nach dem Gütestellen- und Schlichtungsgesetz NRW anerkannten Rechtsanwalt T. in Hamm um Durchführung des Schlichtungsverfahrens und die Erstellung einer Erfolglosigkeitsbescheinigung. Aus ihrer Sicht könne ein Schlichtungsverfahren zu keiner Erledigung der Angelegenheit führen, nur hilfsweise stellten sie den Antrag auf außergerichtliche Streitschlichtung. Die Beklagte erwiderte, sie halte die Durchführung eines mündlichen Schlichtungstermins "für ideal", wolle aber deshalb nicht ins über 130 km entfernte Hamm reisen. Zuständig seien Gütestellen im Landgerichtsbezirk Bonn, an die das Verfahren abgegeben werden solle. T. verwies darauf, dass seine örtliche Zuständigkeit als Gütestelle weder vom Gesetz noch von seiner Schlichtungsordnung beschränkt werde, und übersandte den Parteien am 31. Oktober 2006 einen schriftlichen Schlichtungsvorschlag. Da die Beklagte mitteilte, sie sehe den Schlichtungsvorschlag wegen der fehlenden Zuständigkeit als gegen-standslos an, stellte T. am 3. November 2006 eine Erfolglosigkeitsbescheinigung aus.

[3] Die Kläger verlangen, die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, die Kläger als "Asoziale" oder in ähnlicher Weise zu betiteln oder zu beleidigen, die Kläger oder deren Kinder gegen deren Willen zu fotografieren sowie die Kläger damit zu bedrohen, das an deren Grundstück gelegene Grundstückseinfahrtstor gewaltsam zu öffnen oder zu beschädigen, und die Kläger von der Kostennote ihrer Rechtsanwälte freizustellen.

[4] Das Amtsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Die Berufung der Kläger blieb ohne Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen diese ihre Anträge weiter.

Entscheidungsgründe:

[5] I. Das Berufungsgericht, dessen Urteil vom 2. August 2007 - 8 S 73/07 - in juris veröffentlicht ist, meint, die erhobene Unterlassungsklage sei unzulässig, weil das gemäß § 15 a EGZPO in Verbindung mit § 10 Abs. 1 des Gesetzes über die Anerkennung von Gütestellen im Sinne des § 794 Abs. 1 Nr. 1 der Zivilprozessordnung und die obligatorische Streitschlichtung in Nordrhein-Westfalen (GüSchlG NRW, vgl. GV NRW 2000 S. 476, zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. November 2007, GV NRW S. 583) erforderliche Schlichtungsverfahren nicht durchgeführt worden sei.

[6] Der Rechtsstreit habe seine Ursache in den nachbarschaftlichen Beziehungen der Parteien (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 e GüSchlG NRW) und die Kläger machten Ansprüche wegen Verletzungen der persönlichen Ehre geltend (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 GüSchlG NRW a.F.; jetzt: § 10 Abs. 1 Nr. 2 GüSchlG NRW). Sie hätten deshalb gemäß § 15 a EGZPO vor der Klageerhebung ein Schlichtungsverfahren durchführen müssen. Daran fehle es, weil eine Gütestelle in Hamm örtlich unzuständig sei, wenn beide Parteien im Landgerichtsbezirk Bonn wohnten. Das Gütestellen- und Schlichtungsgesetz NRW enthalte zwar keine ausdrückliche Regelung über die örtliche Zuständigkeit. Eine teleologische Auslegung des Gesetzes, insbesondere des § 11, ergebe aber, dass die Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit der Landgerichte entsprechend anzuwenden seien.

[7] Zudem sei das Handeln der Kläger rechtsmissbräuchlich. Sie hätten das Schlichtungsverfahren so betrieben, dass es zur Herbeiführung einer Schlichtung von vornherein ungeeignet gewesen sei. Das zeige die Wahl einer 133,95 km vom Wohnort der Parteien entfernten Gütestelle, die Betonung der Aussichtslosigkeit des Schlichtungsverfahrens bereits im Schreiben vom 11. Oktober 2006 und die Wahl von Rechtsanwalt T., der von der Kanzlei des damaligen Klägervertreters häufig und regelmäßig beauftragt werde und dessen Schlichtungsvorschlag einseitig im Sinne der Kläger gewesen sei.

[8] II. Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand, weil der erforderliche Schlichtungsversuch stattgefunden hat.

[9] 1. Es begegnet bereits Bedenken, ob das Berufungsgericht die Klage als insgesamt unzulässig ansehen durfte, weil die Kläger mehrere Ansprüche geltend machen (§ 260 ZPO), von denen nur einer gemäß § 10 Abs. 1 GüSchlG NRW die Durchführung eines Einigungsversuchs vor einer Gütestelle erforderte.

[10] a) Nach dieser Vorschrift, die auf der Öffnungsklausel des § 15 a EGZPO beruht, ist die Durchführung eines Einigungsversuchs u.a. erforderlich in Streitigkeiten über Ansprüche wegen der im Nachbarrechtsgesetz für Nordrhein-Westfalen geregelten Nachbarrechte, sofern es sich nicht um Einwirkungen von einem gewerblichen Betrieb handelt (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 e), und in Streitigkeiten über Ansprüche wegen Verletzungen der persönlichen Ehre, die nicht in Presse oder Rundfunk begangen worden sind (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 GüSchlG NRW, § 10 Abs. 1 Nr. 3 GüSchlG NRW a.F.). Wird der Einigungsversuch nicht vor der Klageerhebung durchgeführt, ist die Klage unzulässig (Senat, BGHZ 161, 145, 147 ff.). Es handelt sich dabei um eine von Amts wegen zu prüfende, besondere Prozessvoraussetzung (Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 27. Aufl., vor § 253 Rn. 33). Ob § 10 GüSchlG NRW in den Vorinstanzen richtig angewendet worden ist, kann der Senat überprüfen, da sich der räumliche Geltungsbereich der Vorschrift über den Bezirk eines Oberlandesgerichts hinaus erstreckt (§ 545 Abs. 1 ZPO).

[11] b) Keiner der Ansprüche betrifft eine der in § 10 Abs. 1 Nr. 1 a - e GüSchlG NRW aufgezählten nachbarrechtlichen Streitigkeiten. Zwar meint das Berufungsgericht, der Rechtsstreit habe seine Ursachen in den nachbarrechtlichen Streitigkeiten der Parteien und sei deswegen einer obligatorischen Streitschlichtung nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 e GüSchlG NRW unterworfen, weil er eng mit den nachbarschaftlichen Vorschriften verbunden sei. Indes betraf die vom Berufungsgericht herangezogene Entscheidung des OLG Köln (OLGR Köln 2006, 406) einen anderen Sachverhalt, da es beim Streit um ein Lichtrecht an dem in der Grenzwand vorhandenen Fenster tatsächlich um im NachbG NRW geregelte Ansprüche ging. Ob bereits ein enger Zusammenhang zu nachbarrechtlichen Vorschriften für die Notwendigkeit der Durchführung eines außergerichtlichen Streitschlichtungsversuchs nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 e GüSchlG NRW ausreichen würde, kann dahinstehen, weil ein solcher nicht besteht. Der Streit der Parteien hat seine Ursache zwar auch in der angeblichen Verletzung der zugunsten der Beklagten im Baulastenverzeichnis eingetragenen Baulast. Dabei handelt es sich aber nicht um ein im Nachbarrechtsgesetz für NRW geregeltes Nachbarrecht, sondern um eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung nach der Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (vgl. § 83 BauO NRW). Alleine der Umstand, dass es sich um eine Streitigkeit zwischen Nachbarn handelt, reicht für die Notwendigkeit der Durchführung eines außergerichtlichen Streitschlichtungsversuchs nicht aus.

[12] c) In den Anwendungsbereich des § 10 Abs. 1 Nr. 2 GüSchlG NRW fällt nur der erste der geltend gemachten Unterlassungsansprüche. Die in dieser Vorschrift, die § 15 a Abs. 1 Nr. 3 EGZPO entspricht, geregelten Ansprüche wegen Verletzung der persönlichen Ehre betreffen insbesondere Unterlassungsansprüche bei Beleidigungen und unwahren Tatsachenbehauptungen, Widerrufsansprüche bei unwahren Tatsachenbehauptungen und Ansprüche auf Schadensersatz in Geld (vgl. Prütting/Schmidt, Außergerichtliche Streitschlichtung, Rn. 135; MünchKommZPO/Gruber, 5. Aufl., § 15 a EGZPO, Rn. 24; Serwe, Gütestellen- und Schlichtungsgesetz NRW, Rn. 198 ff.; Schwarzmann/Walz, Das Bayerische Schlichtungsgesetz, Art. 1 Ziff. 10 a). Dazu zählt im Streitfall der Anspruch auf Unterlassung, "die Kläger als Asoziale oder in ähnlicher Weise zu betiteln oder zu beleidigen". Mit dem Wortlaut der Vorschrift nicht mehr vereinbar ist die Auffassung, es seien alle Ansprüche erfasst, die das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewähre (so Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 22. Aufl., § 15 a EGZPO Rn. 8). Denn dieses schützt umfassend das Recht des Einzelnen auf Achtung seiner individuellen Persönlichkeit. Der bei der obligatorischen Streitschlichtung angesprochene zivilrechtliche Ehrenschutz bezieht sich hingegen vor allem auf den Schutz der Persönlichkeit vor herabsetzenden Werturteilen und vor unwahren Tatsachenbehauptungen und betrifft somit nur einen Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (vgl. MünchKomm ZPO/Gruber, aaO; Schwarzmann/Walz, aaO).

[13] d) Auch hinsichtlich des Zahlungsantrages war kein Einigungsversuch erforderlich, weil das Land Nordrhein-Westfalen von der Möglichkeit, nach § 15 a Abs. 1 Nr. 1 EGZPO ein Schlichtungsverfahren für vermögensrechtliche Ansprüche bis 750 € vorzusehen, zwar zunächst einschränkend Gebrauch gemacht hat, die entsprechende Regelung aber durch das Ausführungsgesetz zu § 15 a EGZPO vom 20. November 2007 mit Wirkung vom 1. Januar 2008 wieder gestrichen hat und diese Rechtslage im Streitfall maßgeblich ist (vgl. GV NRW 2007, 583).

[14] e) Die Kläger machen mithin sowohl einen schlichtungsbedürftigen als auch mehrere nicht schlichtungsbedürftige Ansprüche geltend. Bei gemeinsamer Geltendmachung von schlichtungsbedürftigen und nicht schlichtungsbedürftigen Anträgen ist streitig, ob für erstere ein Einigungsversuch durchzuführen ist (vgl. verneinend: LG Aachen, NJW-RR 2002, 1439; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, 66. Aufl., § 15 a EGZPO Rn. 18; Beunings, AnwBl 2004, 82, 85; Bitter, NJW 2005, 1235, 1237 f.; Deckenbrock/Jordans, JA 2004, 913, 915; Friedrich, NJW 2002, 3223, 3224; Hk-ZPO/Saenger, 2. Aufl., § 15 a EGZPO Rn. 2; Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 26. Aufl., § 15 a EGZPO Rn. 3; bejahend: Baldringer, VuR 2005, 285, 288; Becker/Nicht, ZZP 120, 159, 190; Jordans, MDR 2005, 286, 287; MünchKommZPO/Gruber, aaO, § 15 a EGZPO Rn. 11; Prütting/Schmidt, aaO, Rn. 119; Röhl/Weiß, Die obligatorische Streitschlichtung in der Praxis, 2005, S. 155 f.).

[15] Es spricht viel für die letztgenannte Auffassung, weil bei einer Anspruchshäufung (§ 260 ZPO) der Grundsatz gilt, dass die Prozessvoraussetzungen für jeden einzelnen Antrag gesondert zu prüfen sind. Die Gegenauffassung eröffnete eine Möglichkeit zur einfachen Umgehung des Einigungsversuchs, die der Zielsetzung des Gesetzgebers widerspräche, durch die Inanspruchnahme von Schlichtungsstellen die Gerichte zu entlasten und Konflikte rascher und kostengünstiger zu bereinigen (vgl. Senat, BGHZ 161, 145, 148 ff.). Deshalb hätte es für den Gesetzgeber nahe gelegen, wie bei den §§ 5, 25 ZPO eine Abweichung vom oben genannten Grundsatz zu regeln, wenn er eine solche auch für die hier maßgeblichen Fälle des § 15 a Abs. 1 Nr. 2 und 3 EGZPO gewollt hätte. Das ist nicht geschehen (vgl. Becker/Nicht, aaO, S. 191; MünchKommZPO/Gruber, aaO; Prütting/Schmidt, aaO; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 260 Rn. 29; Thomas/Putzo/Reichold, aaO, § 260 Rn. 11). Soweit der Bundesgerichtshof in Fällen des § 264 Nr. 2 ZPO die Durchführung eines weiteren Einigungsversuchs für den nachträglich erweiterten oder beschränkten Anspruch als grundsätzlich entbehrlich angesehen hat (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2004 - V ZR 47/04 - NJW-RR 2005, 501, 503), ist eine mit der anfänglichen, objektiven Klagehäufung nicht vergleichbare Situation gegeben.

[16] 2. Dies muss aber nicht abschließend entschieden werden. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts erfüllt nämlich die Inanspruchnahme einer in Hamm ansässigen Gütestelle im Rahmen eines Streites von zwei im Landgerichtsbezirk Bonn wohnhaften Parteien die Voraussetzungen eines Schlichtungsverfahrens nach §§ 10 ff. GüSchlG NRW.

[17] a) Eine ausdrückliche Beschränkung der örtlichen Zuständigkeit von Gütestellen ist weder in § 15 a EGZPO noch im Gütestellen- und Schlichtungsgesetz NRW enthalten. Zwar sah die zunächst vom Bundesrat vorgeschlagene Fassung des § 15 a Abs. 3 EGZPO vor, dass für die örtliche Zuständigkeit der Gütestellen die Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit der Gerichte entsprechend gelten (BT-Drs. 13/6398, S. 8). Diesen Vorschlag hat der Rechtsausschuss aber nicht aufgegriffen und die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit den Ländern vorbehalten (BT-Drs. 13/11042, S. 34). In Nordrhein-Westfalen ist eine solche Bestimmung im Gegensatz zu anderen Bundesländern - wie etwa § 2 SchlG BW, Art. 6 BaySchlG, § 4 HessSchlichtG, § 15 SchStG LSA - nicht erfolgt. Zwar gilt, soweit das Schlichtungsverfahren vor einem Schiedsamt durchgeführt wird, gemäß § 1 Abs. 2 GüSchlG NRW das Gesetz über das Schiedsamt in den Gemeinden des Landes Nordrhein-Westfalen (künftig: SchAG NRW) entsprechend, so dass grundsätzlich die Schiedsperson örtlich zuständig ist, in deren Bezirk die Gegenpartei wohnt, wobei Schiedsamtsbezirk die Gemeinde ist (§§ 14, 1 Abs. 2 SchAG NRW). Wenn jedoch das Schlichtungsverfahren - wie hier - vor einer so genannten weiteren anerkannten Gütestelle (§ 2 GüSchlG NRW) durchgeführt wird, fehlt eine ausdrückliche Regelung der örtlichen Zuständigkeit. Durch die §§ 12 Abs. 1 Satz 1, 8 GüSchlG NRW, wonach nur eine von der Landesjustizverwaltung anerkannte Gütestelle sachlich zuständig ist, wird lediglich ausgeschlossen, dass der Antragsteller eine solche außerhalb von NRW wählen kann. Zudem ist in § 11 GüSchlG NRW bestimmt, dass ein Schlichtungsversuch nur erforderlich ist, wenn beide Parteien im selben Landgerichtsbezirk wohnen oder ihren Sitz oder eine Niederlassung haben.

[18] b) Vor diesem Hintergrund hat das Berufungsgericht im Wege der teleologischen Auslegung angenommen, dass nur Gütestellen in dem Landgerichtsbezirk örtlich zuständig sind, in dem die Parteien wohnen (vgl. auch Jenkel, Die Streitschlichtung als Zulässigkeitsvoraussetzung in Zivilsachen, 2002, S. 186). Dies lässt sich indes den gesetzlichen Bestimmungen und den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen.

[19] aa) Soweit das Berufungsgericht auf § 11 GüSchlG NRW verweist, wonach der "räumliche Anwendungsbereich" des Gesetzes nur gegeben ist, wenn beide Parteien im selben Landgerichtsbezirk wohnen, besagt dies nichts über die örtliche Zuständigkeit der Gütestelle. Ein Gleichlauf zwischen räumlicher Anwendbarkeit und örtlicher Zuständigkeit ist nicht notwendig. Das zeigen die für die Schiedsämter getroffene Regelung, die grundsätzlich auf den Bereich einer Gemeinde abstellt (vgl. § 1 Abs. 1 GüSchlG NRW, §§ 1 Abs. 2, 14 SchAG NRW) und auch die Regelungen in anderen Bundesländern, die bei vergleichbarem oder weiter reichendem sachlichen Anwendungsbereich bei der örtlichen Zuständigkeit häufig auf den Amtsgerichtsbezirk abstellen, und zwar teils auf den des Antragsgegners (z.B. Art. 6 BaySchlG) und teils auf den des Antragstellers (z.B. § 2 SchlG BW, § 4 HessSchlG). Auch das Bundesverfassungsgericht hat § 11 GüSchlG nicht als Regelung der örtlichen Zuständigkeit interpretiert, sondern nur festgestellt, dass dadurch dem Interesse des Geschädigten, das Verfahren nach Möglichkeit in der Nähe seines Wohnorts betreiben zu können, ausreichend Rechnung getragen werde (BVerfG, NJW-RR 2007, 1073, 1075). Dafür ist aber die Anknüpfung der örtlichen Zuständigkeit der "weiteren Gütestellen" an den Landgerichtsbezirk nicht zwingend. Eine größere Entfernung der Gütestelle zum Wohnort der Parteien kann nämlich auch vorliegen, wenn der Antragsteller eine Gütestelle innerhalb des Landgerichtsbezirks wählt, während in anderen Fällen eine Gütestelle in einem anderen Landgerichtsbezirk näher am Wohnsitz der Parteien liegen kann (vgl. Thewes, aaO, S. 150, Fn. 562).

[20] bb) Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass eine unbewusste Regelungslücke vorliegt, die von der Rechtsprechung im Wege der Auslegung zu schließen wäre. Dafür spricht zwar, dass es grundsätzlich Ziel des Landes- und Bundesgesetzgebers war, die Parteien vor unverhältnismäßig hohen Reisekosten und unverhältnismäßig hohem Zeitaufwand zu bewahren (vgl. LT-Drs. 12/4614, S. 35; BT-Drs. 13/11042 S. 34 und 14/980, S. 7). Dagegen spricht jedoch, dass der Bundesgesetzgeber entgegen dem ursprünglichen Gesetzentwurf des Bundesrates (vgl. BT-Drs. 13/6398, S. 8) aufgrund der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses in § 15 a Abs. 2 Satz 2 EGZPO mit der Anknüpfung der obligatorischen Streitschlichtung an den Wohnsitz in dem selben Land nur einen äußersten Rahmen vorgegeben hat; die Beschränkung auf kleinere räumliche Bereiche, wie den Regierungs-, den Landgerichts- oder den Gemeindebezirken sowie die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit hat er indes nach § 15 a Abs. 5 EGZPO den Ländern vorbehalten (vgl. BT-Drs. 13/11042, S. 34 und BT-Drs. 14/980, S. 7). Der Landesgesetzgeber hat in Nordrhein-Westfalen für die neben den in erster Linie als Schlichtungsstellen in Betracht kommenden Schiedsämtern anerkannten "weiteren Gütestellen" anders als bei den Schieds-ämtern keine Regelung über die örtliche Zuständigkeit getroffen und die Regelung des Verfahrens bewusst den Gütestellen überlassen.

[21] Nach § 12 Abs. 1 Satz 2 GüSchlG NRW hat der Antragsteller unter mehreren anerkannten Gütestellen die Auswahl. Dies soll die Auswahlmöglichkeiten der Bürger erhöhen und den Versuchscharakter der obligatorischen außergerichtlichen Streitschlichtung widerspiegeln. Der Verzicht auf gesetzliche Regelungen des Verfahrens und der Kosten wurde im Gesetzgebungsverfahren als rechtsstaatlich unbedenklich angesehen, weil den Parteien mit den Schiedsämtern eine Streitschlichtungseinrichtung zur Verfügung stehe, für die es ein gesetzlich geregeltes Verfahren mit gesetzlich festgelegten Kosten gebe. Keine Partei sei gezwungen, sich dem Verfahren vor einer anderen anerkannten Gütestelle zu unterziehen. Die antragstellende Partei könne die Gütestelle auswählen; die antragsgegnerische Partei könne dem Verfahren fernbleiben, ohne prozessuale oder sonstige Sanktionen fürchten zu müssen. Eine mögliche Kostenbelastung der antragsgegnerischen Partei hänge gemäß § 15 a Abs. 4 EGZPO, § 91 Abs. 3 ZPO in Verbindung mit § 91 Abs. 1 und 2 ZPO allein von der materiell-rechtlichen Begründetheit des Anspruchs ab (vgl. LT-Drs. 12/4614, S. 28 f., 35 f.).

[22] Aufgrund der vorstehend dargelegten Erwägungen kann nicht im Wege einer teleologischen Auslegung eine Beschränkung der örtlichen Zuständigkeit der nach § 2 GüSchlG NRW anerkannten Gütestellen erfolgen. Es ist durchaus möglich, dass der Landesgesetzgeber angesichts der gewünschten Vielfalt der anerkannten Gütestellen bewusst von einer Beschränkung der örtlichen Zuständigkeit abgesehen hat (vgl. Serwe, aaO, Rn. 143), zumal er trotz der ausdrücklichen Regelungen in anderen Bundesländern auch im Änderungsgesetz vom 20. November 2007 (GV NRW 2007, 583) die örtliche Zuständigkeit der "weiteren Gütestellen" nicht geregelt hat.

[23] c) Im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen ist die Durchführung des Einigungsverfahrens vor der Gütestelle in Hamm auch nicht rechtsmissbräuchlich.

[24] Im Streitfall geht das Berufungsgericht davon aus, die Kläger hätten eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Lücke im Güte- und Schlichtungsgesetz NRW missbräuchlich ausgenutzt. Ist jedoch nicht vom Vorliegen einer solchen Lücke auszugehen, so durften die Kläger auch eine Gütestelle außerhalb des Landgerichtsbezirks auswählen.

[25] Soweit das Berufungsgericht meint, die Kläger hätten die Wahl der Gütestelle "nicht ansatzweise begründet", verkennt es, dass eine solche Begründung nicht erforderlich war, weil der Antragsteller nach § 12 Abs. 1 Satz 2 GüSchlG NRW unter mehreren anerkannten Gütestellen auswählen kann. Soweit es darauf abstellt, der Vorschlag des Schlichters sei einseitig gewesen, handelt es sich nicht um ein einen Rechtsmissbrauch der Kläger begründendes Verhalten. Ob die Kläger den Einigungsversuch ernsthaft betrieben haben, ist für das nachfolgende Klageverfahren unerheblich, weil es regelmäßig nicht darauf ankommt, woran die Durchführung des Einigungsverfahrens gescheitert ist (vgl. § 15 a Abs. 1 Satz 3 EGZPO und dazu BT-Drs. 14/980, S. 7).

[26] 3. Das angefochtene Urteil ist nach allem aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Müller Greiner Wellner

Stöhr Zoll

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