VIII ZR 396/03

11.01.2006

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

Verkündet am:

11. Januar 2006

KirchgeßnerJustizhauptsekretärinals Urkundsbeamtinder Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


BGB §§ 242 Cd, 273; HGB § 84


Ein Mineralölunternehmen handelt rechtsmissbräuchlich, wenn es die Belieferung einer Tankstelle mit Kraftstoffen unter Berufung auf ein Zurückbehaltungsrecht wegen offener Forderungen gegen den Tankstellenbetreiber einstellt, diesen aber gleichzeitig an dem vertraglichen Verbot, Konkurrenzprodukte zu vertreiben, festhält und ihm dadurch den Betrieb der Tankstelle und damit die Erzielung von Einnahmen unmöglich macht.


BGH, Urteil vom 11. Januar 2006 - VIII ZR 396/03 - OLG Karlsruhe, LG Freiburg


Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 11. Januar 2006 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter Dr. Beyer, Ball, Dr. Leimert und Wiechers

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 24. September 2003 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Teilurteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Freiburg vom 22. Januar 2003 geändert. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Die Anschlussrevision der Klägerin wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

[1] Die Beklagten schlossen im November 1996/Januar 1997 mit der Rechtsvorgängerin der Klägerin (im Folgenden nur: Klägerin) einen Tankstellenvertrag, nach dessen Bestimmungen ihnen als Handelsvertretern der Vertrieb der Erzeugnisse der Klägerin in deren Namen und für deren Rechnung oblag. Der Vertrag sieht in Nr. 11 eine Laufzeit von zehn Jahren vor, die von der Klägerin mittels einer Option um zweimal fünf Jahre verlängert werden kann. Die Beklagten vermieteten der Klägerin zugleich das im Eigentum der Beklagten zu 2 stehende Betriebsgrundstück und die darauf errichtete Tankstelle. Der Vertrieb von Konkurrenzprodukten ist den Beklagten nach Nr. 10 des Vertrages verboten.

[2] Gegen Ende des Jahres 2000 kam es zu Abrechnungsdifferenzen zwischen den Parteien, die nicht bereinigt wurden. Die Klägerin forderte mit Schreiben vom 30. November 2001 Zahlung eines von ihr errechneten Fehlbetrages von 101.926,44 DM bis zum 5. Dezember 2001 und drohte den Beklagten die fristlose Kündigung des Tankstellenvertrages an. Am 12. Dezember 2001 stellte sie die Kraftstoffbelieferung der von den Beklagten betriebenen Tankstelle ein. Die Beklagten verlangten unter der Androhung, den Vertrag ihrerseits fristlos zu kündigen, die unverzügliche Wiederaufnahme der Belieferung und erklärten, nachdem weitere Lieferungen ausgeblieben waren, am 13. Dezember 2001 die fristlose Kündigung des Vertragsverhältnisses. Sie vertreiben seither Kraft- und Schmierstoffe anderer Lieferanten.

[3] Die Klägerin hat daraufhin Klage auf Feststellung des Fortbestands des Tankstellenvertrages, auf Unterlassung des Bezugs, der Lagerung und des Vertriebs fremder Kraft- und Schmierstoffe sowie - im Wege der Stufenklage - auf Auskunft über die seit 20. Dezember 2001 auf dem Tankstellengrundstück verkauften Kraft- und Schmierstoffe erhoben.

[4] Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Auskunftsklage abgewiesen; die weitergehende Berufung hat es zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision erstreben die Beklagten die vollständige Abweisung der Klage. Die Klägerin tritt dem entgegen und wendet sich mit der Anschlussrevision gegen die Abweisung der Auskunftsklage.

Entscheidungsgründe:

[5] Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Die Anschlussrevision der Klägerin ist dagegen unbegründet.

[6] I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

[7] Der Tankstellenvertrag der Parteien sei wirksam. Er verstoße weder gegen europäisches noch gegen nationales Kartellrecht. Auch die AGB-rechtlichen Einwände der Beklagten gegen die Vertragsdauer seien nicht begründet. Die zehnjährige Grundlaufzeit des Vertrages, auf die allein es für das Feststellungsbegehren ankomme, sei unbedenklich. Die vertragliche Regelung stehe in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nach der bei Bierbezugsverpflichtungen eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbarte Laufzeit von zehn Jahren nicht unangemessen sei. Diese Rechtsprechung sei auf Tankstellenverträge übertragbar. Im vorliegenden Fall müsse dazu noch berücksichtigt werden, dass die Beklagten ein erhebliches Eigeninteresse an einer längerfristigen Vermietung der Tankstelle mit sicheren Mieteinnahmen gehabt hätten.

[8] Durch die fristlose Kündigung der Beklagten sei das Vertragsverhältnis nicht beendet worden, da es an einem wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung fehle. Die Einstellung weiterer Lieferungen durch die Klägerin im Dezember 2001 stelle keinen Kündigungsgrund dar, da die Klägerin sich wegen einer Forderung in Höhe von mindestens 55.335,01 DM auf ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB berufen könne. Auf das von den Beklagten beanstandete Unterbleiben einer geordneten Provisionsabrechnung könne eine außerordentliche Kündigung ebenfalls nicht gestützt werden, weil es dazu einer erfolglosen Abmahnung bedurft hätte, zu der nichts vorgetragen sei. Da der Tankstellenvertrag somit fortbestehe, sei auch der Unterlassungsantrag begründet.

[9] Das Auskunftsbegehren sei dagegen abzuweisen, weil schon jetzt feststehe, dass ein Anspruch der Klägerin auf Ersatz des ihr entgangenen Gewinns oder auf Herausgabe des von den Beklagten erzielten Gewinns, zu dessen Vorbereitung die Auskunft dienen solle, dem Grunde nach nicht bestehe. Für einen Schadensersatzanspruch fehle es wegen des von der Klägerin aus freien Stücken verhängten Lieferstopps an der erforderlichen adäquaten Kausalität der Vertragsverletzung durch die Beklagten für den Gewinnentgang. Ein Bereicherungsanspruch auf Herausgabe des von den Beklagten aus der Veräußerung fremder Kraft- und Schmierstoffe erzielten Gewinns scheitere daran, dass dieser nicht auf Kosten der Klägerin erzielt worden sei.

[10] II. Die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht der Klage stattgegeben hat, greift die Revision der Beklagten mit Erfolg an.

[11] 1. Schon die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Wirksamkeit der zehnjährigen Grundlaufzeit des Tankstellenvertrages sind nicht unbedenklich, soweit das Berufungsgericht sich für seine Auffassung auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats meint berufen zu können. Es trifft zwar zu, dass der Senat in der vom Berufungsgericht angeführten Entscheidung BGHZ 147, 279 ausgesprochen hat, dass eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbarte Laufzeit einer Bierbezugsverpflichtung von zehn Jahren den Gastwirt jedenfalls im Regelfall nicht unangemessen benachteiligt. Daran wird festgehalten. Das Berufungsgericht hat aber übersehen, dass der Regelfall einer langjährigen Bierbezugsbindung dadurch gekennzeichnet ist, dass dem Gastwirt im Zusammenhang mit einem derartigen Bierlieferungsvertrag regelmäßig ein Darlehen in erheblicher Höhe - in dem dort entschiedenen Fall handelte es sich um 150.000 DM - zur Verfügung gestellt wird, das dem Aufbau oder der Fortführung der Gastwirtschaft dient und das durch den kontinuierlichen Getränkebezug amortisiert wird (BGHZ aaO S. 283). Dass die Klägerin in vergleichbarem Umfang in den Vertrag oder in die der Beklagten zu 2 gehörende Tankstelle investiert hat, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Davon hängt aber nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats auch die Angemessenheit langfristiger Bezugsbindungen in Tankstellenverträgen ab (BGHZ 143, 103, 116).

[12] 2. Die Frage, welche Folgerungen sich daraus für den Fall ergeben würden, dass die Laufzeitregelung in Nr. 11 des Tankstellenvertrages als Allgemeine Geschäftsbedingung anzusehen sein sollte, was das Berufungsgericht offen gelassen hat, bedarf indessen keiner weiteren Erörterung; denn der Tankstellenvertrag der Parteien ist jedenfalls durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 13. Dezember 2001 beendet worden. Die von der Klägerin am 12. Dezember 2001 verhängte Liefersperre ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts als wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung gemäß § 89a Abs. 1 HGB anzusehen.

[13] a) Ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung im Sinne des § 89a HGB ist nach allgemeiner Auffassung gegeben, wenn dem zur Kündigung berechtigten Teil die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zu dessen Ablauf oder auch nur bis zu dem Zeitpunkt, zu welchem es durch ordentliche Kündigung beendet werden könnte, nicht zumutbar ist (Senatsurteile vom 26. Mai 1999 - VIII ZR 123/98, WM 1999, 1986 unter II 2, und vom 17. Januar 2001 - VIII ZR 186/99, VersR 2001, 370 unter II 1; allgemein für Dauerschuldverhältnisse jetzt § 314 Abs. 1 Satz 2 BGB). Die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses ist für die Beklagten dadurch unzumutbar geworden, dass die Klägerin am 12. Dezember 2001 die Belieferung der von ihnen betriebenen Tankstelle eingestellt, die Beklagten aber gleichzeitig an dem vertraglichen Verbot, Konkurrenzprodukte zu vertreiben, festgehalten und ihnen dadurch den Betrieb der Tankstelle und damit die Erzielung von Einnahmen unmöglich gemacht hat. Eine derartige Knebelung des Vertragspartners, die über kurz oder lang zur Vernichtung seiner wirtschaftlichen Existenz führen muss, ist auch dann rechtsmissbräuchlich, wenn, wie es nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hier der Fall ist, gegen ihn eine Forderung besteht, derentwegen grundsätzlich ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht werden kann (ebenso OLG Nürnberg NJW 1972, 2270, 2271).

[14] b) Dem lässt sich entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht entgegenhalten, die Klägerin hätte sich nicht darauf verweisen lassen müssen, den Vertrag zu kündigen, anstatt von ihrem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch zu machen, weil dadurch ihre Ansprüche aus dem Tankstellenvertrag für die Zukunft erloschen wären und die Beklagten sich auf diese Weise durch ihr vertragswidriges Verhalten aus der vertraglichen Bindung hätten lösen können. Denn die Klägerin hätte ihren Zahlungsanspruch einklagen können, ohne auf ihre vertraglichen Rechte für die Zukunft verzichten zu müssen, und sie hätte zudem, wie von den Beklagten angeboten, die weitere Belieferung der von den Beklagten betriebenen Tankstelle von täglicher Barzahlung und von der Erhöhung der von den Beklagten gestellten Bankbürgschaft abhängig machen können. Dass diese Maßnahmen für die Beklagten weit weniger belastend gewesen wären als die Einstellung der Belieferung bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Konkurrenzverbots, zieht auch die Revisionserwiderung nicht in Zweifel.

[15] c) Die Revisionserwiderung bringt schließlich vor, die Beklagten hätten, um weiter beliefert zu werden, nur ihre Verpflichtung aus dem Vertrag zu erfüllen brauchen; sofern sie dazu wegen Unterschlagung der vereinnahmten Beträge nicht in der Lage gewesen seien, könne dies nicht dazu führen, dass die Klägerin von den ihr für diesen Fall vom Gesetz eingeräumten Rechten keinen Gebrauch machen dürfte, unter denen die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts nach § 273 BGB noch ein verhältnismäßig mildes Mittel sei. Mit diesen Erwägungen ist das Vorgehen der Klägerin nicht zu rechtfertigen. Ob und in welcher Höhe die Klägerin von den Beklagten im Dezember 2001 unter Verrechnung gegenseitiger Forderungen Zahlung beanspruchen konnte, war zu diesem Zeitpunkt und ist darüber hinaus auch weiterhin streitig. Selbst wenn ihr Zahlungsverlangen in der vom Berufungsgericht errechneten Höhe von rund 55.000 DM berechtigt war, durfte die Klägerin zur Durchsetzung dieser Forderung nicht ein Mittel einsetzen, das die Beklagten für den nicht unwahrscheinlichen Fall, dass sie den Betrag binnen der von der Klägerin gewährten kurzen Frist nicht würden aufbringen können, der Gefahr der Vernichtung ihrer wirtschaftlichen Existenz aussetzte.

[16] 3. Eine Abmahnung, die einer außerordentlichen Kündigung wegen eines - wie hier - dem Leistungsbereich zuzuordnenden wichtigen Grundes regelmäßig vorauszugehen hat (Senatsurteil vom 16. Dezember 1998 - VIII ZR 381/97, NJW-RR 1999, 539 unter III 2), haben die Beklagten der Klägerin gegenüber am 12. Dezember 2001 ausgesprochen. In Anbetracht der völligen Abhängigkeit ihres Tankstellenbetriebs von der weiteren Belieferung durch die Klägerin war den Beklagten ein Zuwarten über den 13. Dezember 2001 hinaus nicht zuzumuten.

[17] 4. Da nach alledem der Tankstellenvertrag der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 13. Dezember 2001 beendet worden ist, erweisen sich sowohl der Antrag auf Feststellung des Fortbestands des Vertrages als auch der Antrag auf Unterlassung des Bezugs, der Lagerung und des Vertriebs von Kraftstoffen und Mineralölen anderer Lieferanten als unbegründet.

[18] III. Dem entsprechend muss auch die Anschlussrevision der Klägerin erfolglos bleiben, ohne dass es eines Eingehens auf die von der Anschlussrevision bekämpfte Auffassung des Berufungsgerichts bedarf, für den Gewinnentgang der Klägerin sei das - vermeintlich - vertragswidrige Verhalten der Beklagten nicht kausal.

[19] IV. Das angefochtene Urteil ist somit aufzuheben, soweit das Berufungsgericht die Berufung der Beklagten zurückgewiesen hat (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da der Rechtsstreit zur Endentscheidung reif ist, entscheidet der Senat insoweit abschließend in der Sache (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Klage ist auch hinsichtlich

des Feststellungs- und des Unterlassungsantrags abzuweisen. Die Anschlussrevision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 561 ZPO).

Dr. Deppert Dr. Beyer Ball

Dr. Leimert Wiechers

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