XI ZB 45/04
BUNDESGERICHTSHOF
vom
9. Mai 2006
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 233 B
Zur Frage, wie sich ein pflichtbewusster Rechtsanwalt verhalten muss, wenn die Berufungsbegründung wegen eines erst kurz vor Ablauf der Rechtsmittelfrist aufgetretenen Defekts des Druckers seines Laptops nicht ausgedruckt werden kann, in der Kanzlei aber ein weiterer Computer mit Drucker vorhanden war.
BGH, Beschluss vom 9. Mai 2006 - XI ZB 45/04 - OLG München in Augsburg, LG Memmingen
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Nobbe, die Richter Dr. Müller und Dr. Joeres, die Richterin
Mayen und den Richter Prof. Dr. Schmitt
am 9. Mai 2006
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München in Augsburg vom 30. August 2004 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert beträgt 1.108.100,44
Gründe:
[1] I. Das Landgericht hat der Feststellungsklage der Kläger stattgegeben und die Widerklage der Beklagten abgewiesen. Gegen das am 16. Januar 2004 zugestellte Urteil legte die Beklagte, eine Rechtsanwältin, am 16. Februar 2004 Berufung ein. Nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 16. April 2004 ging die 104 Seiten umfassende Berufungsbegründung erst am nächsten Morgen von 00.04 Uhr bis 01.29 Uhr per Fax beim Oberlandesgericht ein. Am 29. April 2004 hat die Beklagte gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
[2] Sie macht für die Fristversäumung den Defekt eines Druckers und einen Computerfehler verantwortlich. Nachdem ihre Sekretärin den schon seit einigen Tagen vorliegenden Berufungsbegründungsentwurf am Morgen des 16. April 2004 noch einmal überarbeitet habe, habe sie, die Beklagte, die Arbeit nach Büroschluss fortgesetzt. Der um 22.32 Uhr endgültig fertig gestellte und in ihrem Laptop gespeicherte Schriftsatz habe aber mit Hilfe des an den Laptop angeschlossenen Druckers wegen einer erstmals aufgetretenen Funktionsstörung nicht ausgedruckt werden können. Den an den Computer ihrer Sekretärin angeschlossenen Drucker habe sie ebenfalls zunächst nicht benutzen können, weil die die Berufungsbegründung enthaltende Datei im Speicher dieses Computers wegen eines weiteren unvorhersehbaren technischen Defektes nicht mehr auffindbar gewesen sei. Sie habe die Berufungsbegründungsschrift deshalb unter Verwendung bereits bearbeiteter Einzeldokumente noch einmal hergestellt und um 23.56 Uhr an das Berufungsgericht faxen wollen. Da sie aufgrund emotionaler Erregung zunächst eine falsche Faxnummer des Oberlandesgerichts eingegeben habe, habe mit der Faxübertragung erst nach Mitternacht und damit verspätet begonnen werden können.
[3] Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückgewiesen und ihre Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass für einen Rechtsanwalt, der eine Frist bis zum letzten Tag ausnütze, grundsätzlich ein besonders strenger Sorgfaltsmaßstab gelte. Danach treffe die Beklagte an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ein Verschulden. Der plötzliche Ausfall des Druckers ihres Laptops sei ohne Bedeutung, weil auch der im Sekretariat stehende Drucker habe benutzt werden können. Zwar sei der Umstand, dass die Berufungsbegründungschrift in dem Speicher des Computers der Sekretärin angeblich nicht mehr auffindbar gewesen sei, für die Fristversäumung ursächlich geworden. Angesichts des nachgewiesenen einwandfreien Zustands und der laufenden Wartung des Computer-Systems sei aber bei lebensnaher Betrachtung davon auszugehen, dass die Beklagte den Computer falsch bedient habe. Auch die Verwendung der seit 2001 nicht mehr gültigen Faxnummer des Oberlandesgerichts beruhe auf Fahrlässigkeit. Die Fristversäumung sei außerdem auch deshalb verschuldet, weil die Beklagte sich nach dem gescheiterten Ausdruck der Berufungsbegründungsschrift trotz der fortgeschrittenen Zeit dazu entschlossen habe, diese noch einmal zu erstellen, statt mit einer Übersendung der bereits vollständig ausgedruckt vorliegenden Erstfassung den sichersten Weg zu wählen.
[4] Gegen diesen Beschluss wendet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.
[5] II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V. mit § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (siehe BGHZ 151, 42, 43; 151, 221, 223; 155, 21, 22; Senatsbeschluss vom 22. November 2005 - XI ZB 43/04, NJW-RR 2006, 284), sind nicht erfüllt.
[6] 1. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) nicht erforderlich. In der angefochtenen Entscheidung wird kein abstrakter Rechtssatz aufgestellt, der von einem in einer anderen Entscheidung eines höheren oder eines gleichgeordneten Gerichts aufgestellten abstrakten Rechtssatz abweicht (vgl. Senat BGHZ 152, 182, 186 m.w.Nachw.). Im von der Rechtsbeschwerde angeführten Beschluss des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes vom 17. Mai 2004 (II ZB 22/03, NJW 2004, 2525) ist insoweit lediglich ausgeführt, dass es für einen auf einen vorübergehenden "Computer-Defekt" oder "Computer-Absturz" gestützten Wiedereinsetzungsantrag näherer Darlegungen zur Art des Defekts und zu seiner Behebung bedarf. Solche Ausführungen finden sich im Wiedereinsetzungsantrag nur zum Defekt des mit dem Laptop der Beklagten verbundenen Druckers, nicht aber zum angeblichen Verschwinden der die Berufungsbegründung enthaltenden Datei im Computer der Sekretärin. Insoweit kommt, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei ausgeführt hat, bei lebensnaher Betrachtung lediglich ein Bedienungsfehler der Beklagten in Betracht.
[7] 2. Das Berufungsgericht hat auch nicht den Anspruch der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt. Die Auffassung des Oberlandesgerichts, die Beklagte habe nicht hinreichend dargetan, die Berufungsbegründungsfrist unverschuldet versäumt zu haben (§ 233 ZPO), überspannt unter den gegebenen Umständen und Verhältnissen nicht die an die Sorgfalt eines Rechtsanwalts zu stellenden Anforderungen.
[8] a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes hat ein Anwalt, der eine Rechtsmittelbegründungsfrist bis zum letzten Tag ausschöpft, wegen des damit erfahrungsgemäß verbundenen Risikos erhöhte Sorgfalt aufzuwenden, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen (BGH, Beschlüsse vom 23. April 1998 - I ZB 2/98, NJW 1998, 2677 und vom 23. Juni 2004 - IV ZB 9/04, FamRZ 2004, 1481 m.w.Nachw.). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist infolgedessen ausgeschlossen, wenn von ihm nicht alle erforderlichen und zumutbaren Schritte unternommen wurden, die unter normalen Umständen zur Fristwahrung geführt hätten (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Mai 2004 - V ZB 62/03, NJW-RR 2004, 1217). Diesen Maßstäben ist die Beklagte nicht gerecht geworden.
[9] b) Aus ihrem Wiedereinsetzungsantrag ergibt sich nicht ausreichend, dass die Fristversäumung wegen eines Defekts ihres Druckers oder eines Fehlers des Computers ihrer Sekretärin unabwendbar war.
[10] aa) Für einen Fehler des Computers der Sekretärin mangelt es, wie bereits ausgeführt, an ausreichendem Vorbringen der Beklagten. Für das angebliche Verschwinden der die Berufungsbegründungsschrift enthaltenden Datei im Computer der Sekretärin fehlt, wenn kein Bedienungsfehler der Beklagten vorliegt, jede nachvollziehbare Erklärung. Wenn die Rechtsbeschwerde das angebliche Verschwinden der Datei auf den Ausfall des Druckers zurückführt, so handelt es sich hierbei um eine bloße Vermutung, die von dem Systemspezialisten nicht bestätigt worden ist und für die so gut wie nichts spricht, da der defekte Drucker offenbar nur für den Laptop der Beklagten der aktuelle Drucker war, nicht aber für den Computer der Sekretärin, der mit einem anderen Drucker verbunden war. Überdies ist dem Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten nicht - wie es erforderlich gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Mai 2004 - II ZB 22/03, NJW-RR 2004, 2525, 2526) - zu entnehmen, dass sie den Computer der Sekretärin auch bei nächtlicher Arbeit und unter Zeitdruck sicher bedienen konnte.
[11] bb) Die Ansicht der Beklagten, es sei ihr nicht vorzuwerfen, dass sie den Defekt des Druckers für ihren Laptop und das angebliche Verschwinden der Datei im Computer der Sekretärin zum Anlass genommen habe, aus bearbeiteten Einzeldokumenten die Berufungsbegründung erneut zusammenzustellen und auszudrucken, trifft nicht zu. Die nach den eigenen Angaben der Beklagten im Laptop gespeicherte endgültige Fassung der Berufungsbegründungsschrift hätte - worauf die Beschwerdeerwiderung mit Recht hinweist - mit Hilfe des Druckers des Computers der Sekretärin ausgedruckt werden können, weil offenbar ein gemeinsamer Server vorhanden war. Abgesehen davon ist nicht nachvollziehbar, warum die im Laptop gespeicherte Berufungsbegründung nicht mit Hilfe eines gebräuchlichen Speichermediums (z.B. Diskette oder CD-Rom) in den Computer der Sekretärin übertragen worden und von dort ausgedruckt worden ist. Nichts spricht dafür, dass die Berufungsbegründungsfrist auch dann versäumt worden wäre.
[12] c) Unabhängig davon hat die Beklagte die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auch deshalb zu verantworten, weil sie es pflichtwidrig und schuldhaft unterlassen hat, zum Schutz ihres Mandanten den sichersten Weg zu wählen. Wie sich aus ihren eigenen Angaben ergibt, lag am Tag des Fristablaufs gegen 18.00 Uhr eine ausgedruckte vollständige Fassung der Berufungsbegründung vor, als sie diese noch einmal überarbeitete. Diesen Schriftsatz hätte sie per Telefax fristgerecht beim Oberlandesgericht einreichen können, und zwar auch noch als sie um 22.32 Uhr die Endfassung in ihrem Laptop abgespeichert hatte. Dazu war die Beklagte verpflichtet, weil ein pflichtbewusster Rechtsanwalt kurz vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist jedes Risiko meidet, das zu einer Fristversäumung führen oder beitragen kann. Der Einwand der Rechtsbeschwerde, es liege grundsätzlich im freien Ermessen des Prozessbevollmächtigten, welche Fassung eines bestimmenden Schriftsatzes er für endgültig und unterschriftswürdig erachtet, greift hier nicht,
zumal für eine wesentliche inhaltliche Änderung der seit 18.00 Uhr ausgedruckt vorliegenden Fassung der Berufungsbegründung nichts vorgetragen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juni 2004 - IV ZB 9/04, FamRZ 2004, 1481).
Nobbe Müller Joeres
Mayen Schmitt