XII ZR 17/03
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Verkündet am:
28. September 2005
Küpferle,Justizamtsinspektorinals Urkundsbeamtinder Geschäftsstelle
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 560; EGBGB Artt. 3 Abs. 2, 18 Abs. 1 und 2, 21 a.F., 200 Abs. 1; HUÜ 73 Art. 12 1973; HUÜ 56 Artt. 1, 6 1956; Brüssel I Artt. 66, 76; EuGVÜ Art. 2 Abs. 1
a) Zur internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte für Unterhaltsansprüche vor Inkrafttreten der Brüssel I-Verordnung (EuGVVO).
b) Unterhaltsansprüche eines nichtehelich geborenen kroatischen Kindes für die Zeit vor Inkrafttreten des HUÜ 73 für die Bundesrepublik Deutschland am 1. April 1987 richten sich gemäß Art. 21 EGBGB a.F. allein nach dem Recht des Staates, dem die Mutter zur Zeit der Geburt des Kindes angehörte.
BGH, Urteil vom 28. September 2005 - XII ZR 17/03 - OLG Karlsruhe, LG Tauberbischofsheim
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 28. September 2005 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Weber-Monecke, Dr. Ahlt und Dose
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 16. Zivilsenats - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 12. Dezember 2002 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Teilurteil des Amtsgerichts Tauberbischofsheim vom 10. Januar 2002 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Rechtsmittelverfahren zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien streiten im Wege der Stufenklage über Ansprüche der Klägerin auf Kindesunterhalt für die gesamte Zeit ihrer Minderjährigkeit.
Die am 25. Februar 1967 geborene Klägerin ist - wie ihre Mutter - kroatische Staatsangehörige. Alsbald nach ihrer Geburt zog die Mutter mit ihr zurück nach Kroatien. Dort ist sie aufgewachsen und hat den Beruf einer Kauffrau erlernt. Sie ist verheiratet und Mutter zweier minderjähriger Kinder.
Mit Urteil des Amtsgerichts Tauberbischofsheim vom 25. Januar 2001 wurde auf Antrag der Klägerin festgestellt, dass der Beklagte, der erst im Jahre 2000 von ihrer Existenz erfahren hatte, ihr Vater ist. Der Beklagte ist seit Oktober 1969 verheiratet und hat zwei eheliche Töchter, die 1970 und 1971 geboren sind.
Das Amtsgericht hat den Auskunftsantrag durch Teilurteil abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht den Beklagten verurteilt, Auskunft über seine gesamten Einkünfte während der Zeit vom 25. Februar 1967 bis zum 24. Februar 1985 zu erteilen und dafür Belege vorzulegen. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet und führt unter Aufhebung des Berufungsurteils zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Klägerin stehe nach dem gemäß Art. 18 Abs. 1 Satz 1 EGBGB vorrangig anwendbaren kroatischen Recht kein Unterhaltsanspruch zu. Zwar seien Eltern nach Art. 213 des Familiengesetzes (FamG) vom 16. Dezember 1998, der rückwirkend auch Unterhaltsrechtsverhältnisse aus der Zeit vor seinem Inkrafttreten erfasse, ihren minderjährigen Kindern grundsätzlich unterhaltspflichtig. Unterhalt werde danach allerdings nur für die Zeit ab Anhängigkeit einer Unterhaltsklage geschuldet. Eine dem § 1613 Abs. 2 und 3 BGB entsprechende Vorschrift, nach der unter eng begrenzten Voraussetzungen auch ohne Verzug Unterhalt für die Vergangenheit verlangt werden kann, kenne das kroatische Recht nicht. Weil deswegen nach dem vorrangig anwendbaren kroatischen Recht kein Unterhalt zu erhalten sei, sei der Unterhaltsanspruch der Klägerin gemäß Art. 18 Abs. 2 EGBGB nach deutschem Recht zu beurteilen. Denn Art. 18 Abs. 2 EGBGB sei dahin auszulegen, dass deutsches materielles Recht auch dann gelte, wenn das ausländische Recht nur im konkreten Fall unter den jeweils gegebenen Umständen keine Unterhaltspflicht vorsehe. Das sei der Fall, wenn Unterhalt danach überhaupt nicht, noch nicht oder nicht mehr geschuldet sei.
Der Klägerin stehe gegen den Beklagten nach § 1613 Abs. 2 Nr. 2 a BGB auch für die Vergangenheit Kindesunterhalt zu, ohne dass es auf die Voraussetzungen des Verzuges ankomme. Denn sie sei aus rechtlichen Gründen gehindert gewesen, diesen Anspruch rechtzeitig geltend zu machen. Der Unterhaltsanspruch sei nicht verjährt, weil die Verjährung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erst vier Jahre nach der Vaterschaftsfeststellung eintrete und sie deswegen rechtzeitig unterbrochen worden sei. Eine Verwirkung der Unterhaltsansprüche scheide aus, weil § 1613 Abs. 3 BGB insoweit eine spezielle Regelung enthalte. Im Rahmen der Prüfung des Auskunftsbegehrens könne nicht festgestellt werden, dass ein Unterhaltsanspruch nach § 1613 Abs. 3 BGB vollständig zu versagen sei. Diese Vorschrift ermögliche nur in krassen Ausnahmefällen einen Unterhaltsausschluss und ansonsten eine Stundung, Herabsetzung oder Ratenverpflichtung des Unterhaltsschuldners. Dafür seien allerdings die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unterhaltspflichtigen wesentlich, so dass der Klägerin jedenfalls ein Anspruch auf Auskunft gegen den Beklagten zustehe.
Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Prüfung schon im Ansatz nicht stand.
II. 1. Zu Recht ist das Berufungsgericht allerdings von seiner internationalen Zuständigkeit ausgegangen, die in jeder Lage des Rechtsstreits von Amts wegen zu prüfen ist (Senatsurteil BGHZ 160, 332, 334 m.w.N.). Vorbehaltlich abweichender internationaler Vorschriften besteht sie nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs immer dann, wenn nach den autonomen Gerichtsstandsbestimmungen ein deutsches Gericht örtlich zuständig ist (Senatsurteile vom 13. Dezember 2000 - XII ZR 278/98 - FamRZ 2001, 412 und vom 27. März 1991 - XII ZR 113/90 - FamRZ 1991, 925). Das wäre hier nach den §§ 12, 13 ZPO der Fall, weil der Beklagte seinen Wohnsitz im Zuständigkeitsbereich des Berufungsgerichts hat.
a) Zwar geht dem autonomen innerstaatlichen Recht die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 23. Dezember 2000 (Brüssel I - Verordnung = EuGVVO - ABl. EG 2001 Nr. L 12, S.1) vor, wenn der Beklagte in einer Unterhaltssache seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats hat (vgl. Wendl/Dose Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 6. Aufl. § 7 Rdn. 228). Die Verordnung ist allerdings nach Art. 76 EuGVVO erst zum 1. März 2002 in Kraft getreten und gilt nach Art. 66 EuGVVO nur für solche Klagen, die nach diesem Zeitpunkt erhoben worden sind, nicht also für die schon im Jahre 2001 erhobene Klage in dieser Sache.
b) Vorrangig gegenüber dem autonomen innerstaatlichen Recht sind hier aber die Vorschriften des Übereinkommens der Europäischen Gemeinschaften über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 (EuGVÜ - BGBl. 1972 II 773) anwendbar. Denn der nach dem Luxemburger Protokoll betreffend die Auslegung des EuGVÜ vom 3. Juni 1971 (BGBl. 1972 II 846) dazu berufene Europäische Gerichtshof hat inzwischen entschieden, dass die allgemeine Zuständigkeit nach Art. 2 Abs. 1 EuGVÜ, die sich nach dem Wohnsitz des Beklagten im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats richtet, auch dann gegeben ist, wenn der Kläger in einem Drittstaat ansässig ist (EuGH NJW 2000, 3121 f.; vgl. auch Henrich IPRax 2001, 437; MünchKomm/Gottwald ZPO 2. Aufl. Art. 2 EuGVÜ Rdn. 2). Soweit der Senat für die Anwendbarkeit der entsprechenden Vorschriften des EuGVÜ in der Vergangenheit auch einen Berührungspunkt des Klägers zu diesem Übereinkommen verlangt hat (vgl. Senatsurteil vom 13. Dezember 2000 - XII ZR 278/98 - FamRZ 2001, 412), hält er daran nicht fest.
Nach der somit vorrangig anwendbaren Vorschrift des Art. 2 Abs. 1
EuGVÜ richtet sich auch die internationale Zuständigkeit nach dem Wohnsitz des Beklagten in der Bundesrepublik Deutschland.
2. Ein rückwirkender Unterhaltsanspruch der Klägerin ist - wie das Berufungsgericht weiter festgestellt hat - nach dem hier anwendbaren kroatischen Recht ausgeschlossen.
a) Für Sachverhalte mit Bezug zum Recht eines ausländischen Staates richtet sich die Anwendbarkeit des materiellen Rechts nach den Regeln des von Amts wegen zu beachtenden deutschen Kollisionsrechts des EGBGB. Allerdings gehen nach Art. 3 Abs. 2 EGBGB Bestimmungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen vor, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind. Ein solcher Vorrang gilt grundsätzlich auch für die Vorschriften des Haager Übereinkommens über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 2. Oktober 1973 (HUÜ 73 - BGBl. 1986 II, 825, 837 ff.), das für Deutschland zum 1. April 1987 in Kraft getreten ist (vgl. BGBl. II 1987, 225). Das Übereinkommen geht deswegen formell den Regeln des Art. 18 EGBGB vor, der allerdings in seiner gegenwärtigen Fassung inhaltlich mit den Vorschriften des HUÜ 73 übereinstimmt (Senatsurteile vom 13. Dezember 2000 aaO und vom 27. März 1991 aaO, 926). Weil das HUÜ 73 nach dessen Art. 12 allerdings nicht auf Ansprüche anwendbar ist, die für eine vor dem Inkrafttreten des Übereinkommens in diesem Staat liegende Zeit verlangt werden, scheidet eine Anwendung hier aus. Denn die Klägerin begehrt Unterhalt für die Zeit bis Februar 1985, während das Übereinkommen erst zum April 1987 in Kraft getreten ist.
Das deutsche Kollisionsrecht des EGBGB wird hier auch nicht durch die Vorschriften des Haager Übereinkommens vom 24. Oktober 1956 über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht (HUÜ 56 - BGBl. 1961 II, 1012, 1013 ff.) verdrängt. Nach Art. 1 des HUÜ 56 bestimmt sich die Frage, ob, in welchem Ausmaß und von wem ein (auch nichteheliches) Kind Unterhalt verlangen kann, nach dem Recht des Staates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Versagt das Recht dieses Staates ihm jeden Anspruch auf Unterhalt, so findet das Recht Anwendung, das nach den innerstaatlichen Kollisionsnormen des angerufenen Gerichts maßgebend ist (Art. 3 HUÜ 56; vgl. Senatsurteil vom 27. Juni 1984 - IVb ZR 2/83 - FamRZ 1984, 1001, 1002; OLG Düsseldorf NJW 1972, 396). Allerdings gilt dieses
Übereinkommen nach seinem Art. 6 nur dann, wenn das nach Art. 1 anwendbare Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes das Recht eines Vertragsstaates ist. Das ist hier nicht der Fall. Denn die Klägerin hatte und hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Kroatien, und dem für die Bundesrepublik Deutschland am 1. Januar 1962 in Kraft getretenen Übereinkommen waren weder das frühere Jugoslawien noch später Kroatien beigetreten (vgl. BT-Drucks. 10/258 S. 24).
Für den Unterhaltsanspruch der Klägerin verbleibt es mithin bei der Anwendbarkeit des sich aus dem EGBGB ergebenden deutschen Kollisionsrechts. Nach dessen Art. 220 Abs. 1 blieb für vor dem 1. September 1986 abgeschlossene Vorgänge, also auch für die hier begehrten Unterhaltsansprüche der Klägerin bis zum Eintritt ihrer Volljährigkeit im Februar 1985, das Recht anwendbar, welches vor Inkrafttreten des Gesetzes vom 25. Juli 1986 zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts galt. Die Vorschrift des Art. 18 EGBGB, die in ihrem Absatz 1 für Unterhaltsansprüche auf die Sachvorschriften des am jeweiligen gewöhnlichen Aufenthaltsort des Unterhaltsberechtigten abstellt und erst zum 1. September 1986 in Kraft getreten ist, ist deswegen nicht anwendbar. Für die hier relevante Zeit sah vielmehr Art. 21 EGBGB in der bis zum 31. August 1986 geltenden Fassung vor, dass sich die Unterhaltspflicht des Vaters gegenüber einem nichtehelichen Kind nach den Gesetzen des Staates beurteilt, dem die Mutter zur Zeit der Geburt des Kindes angehört. Danach ist auf den Unterhaltsanspruch der Klägerin kroatisches Recht anwendbar, weil die Mutter der Klägerin ebenfalls Kroatin ist. Eine ergänzende Vorschrift für den Fall, dass nach dem vorrangig anwendbaren kroatischen Recht kein Unterhalt zu erlangen ist, wie sie Art. 3 HUÜ 56 und jetzt Art. 5 und 6 HUÜ 73 sowie Art. 18 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 EGBGB darstellen, enthielt das frühere Recht hingegen nicht.
b) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts steht der Klägerin nach dem somit allein anwendbaren kroatischen Recht kein Unterhaltsanspruch zu, weil ihr danach Unterhalt nur für die Zukunft ab Anhängigkeit der Klage zugesprochen werden kann (vgl. zum früheren jugoslawischen Recht Povh FamRZ 1991, 132, 138). An diese Feststellungen des Berufungsgerichts ist der Senat gebunden, weil die Feststellung und Auslegung ausländischen Rechts nicht revisible Gesetze im Sinne der §§ 545 Abs. 1, 560 ZPO betrifft (BGH Urteil vom 23. Januar 1996 - VI ZR 291/94 - NJW-RR 1996, 732). Auch die Revisionserwiderung erhebt dagegen keine Bedenken.
3. Weil der Klägerin somit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Kindesunterhalt zustehen kann, entfällt auch ein Anspruch auf Auskunft über die Einkünfte des Beklagten. Denn eine solche Verpflichtung besteht nicht, wenn feststeht, dass die begehrte Auskunft den Unterhaltsanspruch oder die Unterhaltsverpflichtung unter keinem Gesichtspunkt beeinflussen kann (Senatsurteil vom 22. Juni 1994 - XII ZR 100/93 - FamRZ 1994, 1169, 1170 m.w.N.; Wendl/Dose aaO § 1 Rdn. 662). Das Amtsgericht hat den Auskunftsanspruch der Klägerin deswegen zu Recht abgewiesen.
Hahne Sprick Weber-Monecke
Ahlt Dose