BGH, Beschluss vom 24. Juni 2025 - 3 StR 138/25

02.09.2025

BUNDESGERICHTSHOF

vom

24. Juni 2025

BGHSt: neinBGHR: ja


Nachschlagewerk: ja



StPO §§ 32f, 147


Die Verteidigung hat keinen Anspruch auf Aushändigung eines amtlich verwahrten Beweisstücks, um unter dessen Nutzung mit dem Angeklagten unbeaufsichtigt eigene Ermittlungen durchzuführen.


BGH, Beschluss vom 24. Juni 2025 - 3 StR 138/25 - LG Oldenburg


in der Strafsache

gegen

wegen besonders schwerer sexueller Nötigung u.a.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 24. Juni 2025 gemäß § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 21. Oktober 2024 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

[1] Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer sexueller Nötigung und sexuellen Übergriffs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und acht Monaten verurteilt. Dagegen wendet er sich mit seiner auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

[2] Näherer Erörterung bedarf nur die Rüge, mit der der Angeklagte die Ablehnung eines Antrags auf Aussetzung des Verfahrens zur Gewährung einer Beweismittelbesichtigung beanstandet.

[3] 1. Ihr liegt folgendes Geschehen zugrunde:

[4] Im Ermittlungsverfahren wurde das Mobiltelefon des Angeklagten sichergestellt. Im Zwischenverfahren beantragte die Verteidigung, es dergestalt besichtigen zu dürfen, dass es dem Angeklagten und dem Verteidiger in den Räumen der Untersuchungshaftanstalt überlassen wird, damit beide es gemeinsam in Betrieb nehmen, gespeicherte Inhalte ansehen und Zugriff auf personalisierte Online-Dienste nehmen können. Auf diese Weise sollte näher bezeichnetes entlastendes Material aufgefunden werden. Die Vorsitzende des Landgerichts begegnete dem Antrag zum einen damit, dass sie dem Verteidiger eine Kopie des Datenbestands des Mobiltelefons zukommen ließ. Zum anderen genehmigte sie den begehrten Zugriff auf das Gerät selbst mit dem Angeklagten in der Haftanstalt, allerdings unter Überwachung durch Polizeibeamte. Von dieser Möglichkeit machte die Verteidigung keinen Gebrauch.

[5] Mit dem Einwand, eine Überwachung von Gesprächen zwischen Angeklagtem und Verteidigung sei unzulässig, beantragte sie stattdessen am ersten Hauptverhandlungstag die Aussetzung des Verfahrens und eine unüberwachte Überlassung des Mobiltelefons. Diesen Antrag beschied das Landgericht abschlägig.

[6] 2. In diesem Vorgehen sieht der Beschwerdeführer eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung nach § 338 Nr. 8 StPO sowie eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren gemäß Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 3 Buchst. b MRK.

[7] 3. Es bestehen bereits Bedenken gegen die Zulässigkeit der Rüge. Zwar kann die Verteidigung durch eine unterbliebene Gewährung von Akteneinsicht oder Beweismittelbesichtigung nach § 147 Abs. 1 StPO unzulässig im Sinne des § 338 Nr. 8 StPO beschränkt sein (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 11. November 2004 - 5 StR 299/03, BGHSt 49, 317, 328; vom 29. September 2022

- 5 StR 191/22, NStZ 2023, 116; vom 4. Januar 2023 - 5 StR 412/22, NStZ 2024, 59, 60). Vorliegend wendet sich der Verteidiger aber nicht gegen eine Versagung des Rechts auf Besichtigung. Vielmehr begehrt er dessen Ausübung gemeinsam mit dem Angeklagten ohne polizeiliche Überwachung. Damit beanstandet er die Art und Weise der gestatteten Beweismittelbesichtigung nach § 147 Abs. 1 StPO. Entscheidungen über die Form der Gewährung von Akteneinsicht sind allerdings nach § 32f Abs. 3 StPO der Anfechtung entzogen. Entsprechendes gilt für die Besichtigung von amtlich verwahrten Beweisstücken; auch hier sind die Modalitäten der gewährten Beschau nicht anfechtbar (BGH, Urteil vom 29. Oktober 2021 - 5 StR 443/19, NZWiSt 2022, 326 Rn. 34; HansOLG Hamburg, Beschluss vom 27. Mai 2016 - 2 Ws 88/16, NStZ-RR 2016, 282; OLG Koblenz, Beschluss vom 30. März 2021 - 5 Ws 16/21, wistra 2022, 41, 42). Das hat gemäß § 336 Satz 2 StPO die Unzulässigkeit einer entsprechenden Verfahrensrüge in der Revision zur Folge (BGH aaO). Es spricht viel dafür, den in den Vorschriften zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers nicht durch die Statthaftigkeit einer gegen die Nichtaussetzung der Hauptverhandlung gerichteten Rüge zu umgehen und Beanstandungen der Form der Gewährung von Akteneinsicht oder Beweismittelbesichtigung auf diese Weise gleichwohl zur Überprüfung des Revisionsgerichts zu stellen (insoweit nicht weiter problematisiert in BGH, Beschluss vom 11. Februar 2014 - 1 StR 355/13, BGHR StPO § 338 Nr. 8 Akteneinsicht 3 Rn. 17 ff.).

[8] 4. Jedenfalls in der Sache hat die Rüge keinen Erfolg. Die Ablehnung der begehrten unüberwachten gemeinsamen "Besichtigung" ist nicht zu beanstanden.

[9] a) Zum einen unterlag das sichergestellte Mobiltelefon einem Herausgabeverbot, das früher dem Wortlaut des § 147 Abs. 4 StPO in der bis zum 31. Dezember 2017 gültigen Fassung zu entnehmen war und das sich seither im Umkehrschluss aus § 32f Abs. 2 Satz 1 und 3 StPO ergibt (vgl. LR/Jahn, StPO, 27. Aufl., § 147 Rn. 127). Denn das Smartphone war ein amtlich verwahrtes Beweisstück. Bei einem solchen Gegenstand hat die Verteidigung grundsätzlich nur ein Recht auf Einsichtnahme am Ort der behördlichen Verwahrung, nicht auf Überlassung (BGH, Urteil vom 24. April 1979 - 5 StR 513/78, bei Pfeiffer, NStZ 1981, 95; Beschluss vom 11. Februar 2014 - 1 StR 355/13, BGHR StPO § 338 Nr. 8 Akteneinsicht 3 Rn. 24; Urteil vom 29. Oktober 2021 - 5 StR 443/19, juris Rn. 34). Hintergrund für die Beschränkung des Besichtigungsrechts bei Beweisstücken ist einerseits die Gefahr ihres Verlusts, andererseits die ihres Beweiswerts, also ihrer Integrität (MüKoStPO/Kämpfer/Travers, 2. Aufl., § 147 Rn. 37 mwN; LR/Jahn, StPO, 27. Aufl., § 147 Rn. 120). Diesem Interesse liefe es zuwider, das Beweismittel dem unbeaufsichtigten Zugriff anderer zu überlassen, und sei es innerhalb der Räumlichkeiten der Justizbehörden. Denn schon dann bestünde - jedenfalls bei einem Mobiltelefon - eine Gefahr für die Authentizität.

[10] b) Zum anderen ging der Antrag der Verteidigung der Sache nach über eine Besichtigung im Sinne des § 147 Abs. 1 StPO hinaus. Nach dem zugrundeliegenden Vorbringen lag ihr nicht nur an der Durchsicht des auf dem Mobiltelefon gespeicherten Datenbestands, der ihr bereits vollständig vorlag, und schon gar nicht an der Betrachtung des (ausgeschalteten) Geräts. Sie wollte vielmehr mit dem in Betrieb genommenen Smartphone zum Beispiel in eine Cloud des Angeklagten gelangen, um dort nach entlastendem Material zu suchen. Deshalb war das Begehren nicht darauf gerichtet, Einsicht in bereits vorhandenes Beweismaterial zu nehmen, sondern selbst Ermittlungen durchzuführen.

[11] Eigene Ermittlungen bleiben der Verteidigung zwar unbenommen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. August 1979 - 2 ARs 231/79, AnwBl. 1981, 115; Urteil vom 10. Februar 2000 - 4 StR 616/99, BGHSt 46, 1, 4; Beschluss vom 7. Mai 2019 - 5 StR 623/18, juris Rn. 7; MüKoStPO/Kämpfer/Travers, 2. Aufl., § 137 Rn. 14). So wäre gegebenenfalls in Betracht gekommen, dass sie über ein anderes Endgerät eine Cloud des Angeklagten durchsucht oder mittels seiner Kennwörter personifizierte Online-Dienste abruft.

[12] Ein Anspruch auf staatliche Hilfestellung für solche eigenen Ermittlungen der Verteidigung besteht indes im Regelfall nicht (BGH, Urteil vom 5. März 2025 - 3 StR 35/24, NStZ-RR 2025, 182, 183; vgl. auch OLG Celle, Beschluss vom 20. April 2015 - 1 Ws 135/15, wistra 2015, 366; LR/Kurtze, StPO, 27. Aufl., § 464a Rn. 49; Schmitt/Köhler/Schmitt, StPO, 68. Aufl., § 464a Rn. 16, jeweils mwN). Die Strafprozessordnung sieht nicht vor, Angeklagten und der Verteidigung zeitliche, finanzielle oder sonstige staatliche Ressourcen für eigene Ermittlungen zur Verfügung zu stellen. Nichts anderes gilt, wenn es um die Aushändigung eines Beweisstücks geht. Auch hier besteht grundsätzlich kein Anspruch des Angeklagten auf Überlassung des sichergestellten Gegenstands zwecks Vornahme eigener Ermittlungen. Sieht die Verteidigung Aufklärungsbedarf, dem sie mit eigenen Mitteln nicht nachkommen kann, steht es ihr vielmehr offen, die begehrten Ermittlungen durch Strafverfolgungsbehörden oder Gerichte anzuregen oder zu beantragen und eine etwaige Verletzung der Pflicht aus § 244 Abs. 2 StPO in der Revision geltend zu machen.

[13] Dies folgt aus dem die Strafprozessordnung prägenden Grundsatz der Amtsermittlung. Gemäß § 160 Abs. 1 StPO obliegt die Aufklärung im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft, die nach § 160 Abs. 2 StPO nicht nur die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln und für die Erhebung der Beweise Sorge zu tragen hat, deren Verlust zu besorgen ist. Im Hauptverfahren ist es Aufgabe des Gerichts, zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind (§ 244 Abs. 2 StPO). Eigene Ermittlungen der Verteidigung muss der Staat hingegen grundsätzlich nicht ermöglichen (s. zum Ganzen BGH, Urteil vom 5. März 2025

- 3 StR 35/24, NStZ-RR 2025, 182, 183).

[14] c) Ob überhaupt Ausnahmekonstellationen in Betracht kommen, in denen ein derartiges den Zweck der amtlichen Verwahrung womöglich gefährdendes Vorgehen geboten sein könnte, ist hier nicht abschließend zu klären. Im Rahmen der zu beurteilenden Verfahrensrüge ist schon nicht dargetan, dass und warum allein der Angeklagte die von der Verteidigung begehrten Informationen ausschließlich mit dem Mobiltelefon hätte beschaffen können.

Berg Erbguth Kreicker

Voigt Munk

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