BGH, Beschluss vom 28. Mai 2025 - XII ZB 329/24
BUNDESGERICHTSHOF
vom
28. Mai 2025
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
FamFG § 277 Abs. 2 Satz 2; VBVG § 4 Abs. 2; BGB § 1877 Abs. 3
Die Frage, unter welchen Umständen ein Verfahrenspfleger im Einzelfall die Voraussetzungen erfüllt, unter denen ihm eine Vergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz zu bewilligen ist, obliegt einer wertenden Betrachtung des Tatrichters (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 8. Januar 2025 XII ZB 477/22 - MDR 2025, 415 und vom 24. September 2014 - XII ZB 444/13 - FamRZ 2015, 137).
BGH, Beschluss vom 28. Mai 2025 - XII ZB 329/24 - LG Hamburg, AG Hamburg-Blankenese
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. Mai 2025 durch den
Vorsitzenden Richter Guhling, die Richter Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger und Dr. Botur und die Richterin Dr. Krüger
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 22. Zivilkammer des Landgerichts Hamburg vom 12. Juli 2024 wird auf Kosten des weiteren Beteiligten zu 1 zurückgewiesen.
Wert: 8.562 €
Gründe:
[1] I. Das Verfahren betrifft die Festsetzung der Vergütung eines anwaltlichen Verfahrenspflegers gegen die Staatskasse.
[2] Der 1939 geborene Betroffene und seine Ehefrau waren gemeinschaftliche Eigentümer einer Wohnung in Hamburg, in der sie bis zum Umzug des Betroffenen in ein Pflegeheim gemeinsam lebten. Im April 2023 regte die Ehefrau des Betroffenen die Einrichtung einer rechtlichen Betreuung für den Betroffenen an, weil sie selbst in eine Pflegeeinrichtung zu ziehen beabsichtigte und die Wohnung deshalb veräußert werden solle. Das Amtsgericht richtete eine vorläufige Betreuung mit dem Aufgabenkreis "Abschluss des Kaufvertrages über die Wohnung [...]" ein und bestellte die Tochter des Betroffenen als Betreuerin. Mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 19. April 2023 veräußerten die Ehefrau des Betroffenen und die Betreuerin als Vertreterin des Betroffenen auf Verkäuferseite die vormalige Ehewohnung für einen Kaufpreis von 2.200.000 €. Unter Vorlage einer Vertragsabschrift beantragte die Betreuerin, die von ihr für den Betroffenen abgegebenen Erklärungen betreuungsgerichtlich zu genehmigen.
[3] Das Amtsgericht bestellte daraufhin den als Rechtsanwalt tätigen Beteiligten zu 1 zum Verfahrenspfleger mit dem Aufgabenkreis "Vertretung im Verfahren der gerichtlichen Genehmigung zum Abschluss des Kaufvertrages über die Wohnung [...]". Ferner stellte es fest, der Verfahrenspfleger nehme "diese Aufgabe im Rahmen seiner Berufsausübung" wahr. Der Verfahrenspfleger teilte dem Amtsgericht im Mai 2023 mit, dass er den Kaufvertrag nach Durchsicht der Gerichtsakten und weiterer Unterlagen sowie eigenen Recherchen zum Verkehrswert der Immobilie für betreuungsgerichtlich genehmigungsfähig halte.
[4] Der Verfahrenspfleger hat beantragt, seine Vergütung auf der Grundlage des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes unter Ansatz einer 1,3-Geschäftsgebühr nach einem Wert von 1.100.000 € nebst Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer in Höhe von 8.561,69 € gegen die Staatskasse festzusetzen. Das Amtsgericht hat die Vergütung antragsgemäß festgesetzt. Auf die dagegen gerichtete Beschwerde der Staatskasse hat das Landgericht die amtsgerichtliche Entscheidung aufgehoben und den Antrag des Verfahrenspflegers auf Vergütungsfestsetzung zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der Verfahrenspfleger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
[5] II. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
[6] 1. Das Beschwerdegericht hat die Auffassung vertreten, dass dem Verfahrenspfleger keine Vergütung nach anwaltlichem Gebührenrecht zustehe. Das Amtsgericht habe nicht bereits in der Bestellungsentscheidung die Feststellung getroffen, dass der Verfahrenspfleger eine anwaltsspezifische Tätigkeit ausübe. Weder innerhalb noch außerhalb des notariellen Kaufvertrages hätten sich rechtliche Schwierigkeiten ergeben, die einen juristischen Laien als Verfahrenspfleger zur Inanspruchnahme anwaltlicher Beratung hätten veranlassen können. Die vertragsgegenständliche Wohnung sei nicht vermietet gewesen, und es hätten keine abzulösenden oder zu übernehmenden Grundpfandrechte bestanden. Die zu Lasten der Immobilie bestellten Grunddienstbarkeiten seien von dem Käufer übernommen worden. Der Kaufpreis und die Fälligkeiten seien für einen juristischen Laien verständlich geregelt gewesen. Die Gewährleistung für Sachmängel sei, soweit rechtlich zulässig, ausgeschlossen worden. Der Käufer habe die mit dem Kaufvertrag verbundenen Kosten und Abgaben übernommen. Auf Verkäuferseite habe kein ersichtlicher Streit über den Verkauf und die Verkaufsmodalitäten bestanden. Der Kaufpreis von 2.200.000 € habe deutlich über den im Zeitpunkt der Bestellung des Verfahrenspflegers bereits vorliegenden Werteinschätzungen zweier Immobilienmakler gelegen. Eine Festsetzung der von dem Verfahrenspfleger zu beanspruchenden Vergütung nach Stundensätzen sei mangels Angaben zum Zeitaufwand nicht möglich.
[7] 2. Dies hält rechtlicher Überprüfung stand.
[8] a) Wird die Verfahrenspflegschaft wie hier ausnahmsweise berufsmäßig geführt, richten sich die Ansprüche des Verfahrenspflegers auf Vergütung und Aufwendungsersatz aufgrund der in § 277 Abs. 2 Satz 2 FamFG enthaltenen Verweisung nach § 2 Abs. 2 Satz 1 und den §§ 3 bis 5 des Vormünder- und Betreuervergütungsgesetzes (VBVG). Nach § 277 Abs. 2 Satz 2 FamFG iVm § 4 Abs. 2 VBVG ist § 1877 Abs. 3 BGB entsprechend anzuwenden, so dass der anwaltliche Verfahrenspfleger für seine Tätigkeit anstelle einer Vergütung nach Stundensätzen entsprechend § 3 Abs. 1 und 2 VBVG wahlweise als Aufwendungsersatz eine Vergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz beanspruchen kann, soweit er im Rahmen seiner Bestellung für den Betroffenen Dienste erbringt, für die ein juristischer Laie als Verfahrenspfleger berechtigterweise einen Rechtsanwalt hinzugezogen hätte. Hat das Betreuungsgericht bereits im Zusammenhang mit der Bestellung des Verfahrenspflegers ausgesprochen, dass dieser eine anwaltsspezifische Tätigkeit ausübt, ist diese Feststellung für das Vergütungsfestsetzungsverfahren bindend. Fehlt es demgegenüber wie hier an einem solchen ausdrücklichen Ausspruch bei der Bestellungsentscheidung, hat das Gericht im Vergütungsfestsetzungsverfahren festzustellen, ob die Tätigkeit des Verfahrenspflegers die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts gerechtfertigt hätte (vgl. Senatsbeschlüsse vom 8. Januar 2025 XII ZB 477/22 NJW 2025, 1573 Rn. 10 und vom 14. August 2024 XII ZB 478/22 FamRZ 2024, 1897 Rn. 11 mwN, jeweils zu § 277 FamFG aF).
[9] b) Die Frage, unter welchen Umständen ein Verfahrenspfleger im Einzelfall die Voraussetzungen erfüllt, unter denen ihm eine Vergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz zu bewilligen ist, obliegt einer wertenden Betrachtung des Tatrichters. Dessen Würdigung kann wie die Rechtsbeschwerde nicht verkennt im Rechtsbeschwerdeverfahren nur daraufhin überprüft werden, ob der Tatrichter die maßgebenden Tatsachen vollständig und fehlerfrei festgestellt und gewürdigt hat, von ihm Rechtsbegriffe verkannt oder Erfahrungssätze verletzt wurden und er die allgemein anerkannten Maßstäbe berücksichtigt und richtig angewandt hat (vgl. Senatsbeschlüsse vom 8. Januar 2025 XII ZB 477/22 NJW 2025, 1573 Rn. 11 und vom 24. September 2014 XII ZB 444/13 FamRZ 2015, 137 Rn. 10). Gemessen daran ist die angefochtene Entscheidung aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
[10] aa) Die Aufgabe des Verfahrenspflegers ist primär darin zu sehen, die verfahrensmäßigen Rechte des Betreuten zur Geltung zu bringen, wozu insbesondere der Anspruch auf rechtliches Gehör gehört. Insoweit gehört es zu den Aufgaben des Verfahrenspflegers, die tatsächlichen Wünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betreuten zu erforschen und in das Verfahren einzubringen. Eine Pflicht zur Aufklärung von Umständen, die für die Würdigung des Betreuerhandelns, insbesondere für die Wirtschaftlichkeit des von ihm beabsichtigten Rechtsgeschäfts, von Bedeutung sein könnten, trifft den Verfahrenspfleger hingegen nicht; ebenso wenig hat er zu prüfen, ob sämtliche für das genehmigungsbedürftige Rechtsgeschäft relevanten Umstände in die Willensbildung des Betreuers eingeflossen sind. Der Verfahrenspfleger ist auch keine Hilfsperson des Gerichts, der es obliegen könnte, eine Art materiell-rechtlicher Vorprüfung des beabsichtigten Rechtsgeschäfts vorzunehmen. Vor diesem Hintergrund wird die Bestellung eines Verfahrenspflegers in einem Genehmigungsverfahren nur in solchen Ausnahmefällen in Betracht kommen, in denen ohne Bestellung eines Verfahrenspflegers die Gewährung des rechtlichen Gehörs nicht sichergestellt werden kann, weil der Betreute was hier im Übrigen mit Blick auf den Inhalt des Protokolls seiner gerichtlichen Anhörung vom 22. Mai 2023 offensichtlich nicht einmal der Fall gewesen ist seinen Willen nicht mehr in ausreichender Weise kundtun kann (vgl. Senatsbeschlüsse vom 8. Januar 2025 XII ZB 477/22 NJW 2025, 1573 Rn. 13 und vom 14. August 2024 XII ZB 478/22 FamRZ 2024, 1897 Rn. 13).
[11] bb) Andererseits steht mit der grundsätzlichen Beschränkung des Verfahrenspflegers auf seine verfahrensrechtliche Funktion aber noch nicht ohne weiteres fest, dass ein anwaltlicher Verfahrenspfleger keine Vergütung nach anwaltlichem Gebührenrecht verlangen könnte, wenn er wie hier von dem Betreuungsgericht in einem Genehmigungsverfahren zum Verfahrenspfleger bestellt worden ist. Geht es deshalb um die Genehmigung von Grundstücksgeschäften, ist der Verfahrenspfleger gehalten, die in diesem Vertrag enthaltenen Regelungen eingehend auf ihre Auswirkungen auf den Betreuten zu untersuchen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 8. Januar 2025 XII ZB 477/22 NJW 2025, 1573 Rn. 14 und vom 14. August 2024 XII ZB 478/22 FamRZ 2024, 1897 Rn. 14). In solchen Konstellationen hat der Senat bereits in Einzelfällen die tatrichterliche Würdigung gebilligt, dass auch ein Verfahrenspfleger, der über berufliche Qualifikationen der höchsten Vergütungsstufe verfügt, berechtigterweise einen Rechtsanwalt hinzugezogen hätte, wenn die insbesondere wirtschaftlichen Auswirkungen des Grundstückgeschäfts auf den Betreuten nicht ohne eine eingehende und besondere Rechtskenntnisse voraussetzende Prüfung der vertraglichen Bestimmungen zuverlässig beurteilt werden konnte (vgl. Senatsbeschluss vom 8. Januar 2025 XII ZB 477/22 NJW 2025, 1573 Rn. 16 zur Bewertung eines Nießbrauchsrechts und vom 24. September 2014 - XII ZB 444/13 - FamRZ 2015, 137 Rn. 13 f. zu Gewährleistungsregelungen beim Verkauf eines sanierungsbedürftigen Mehrfamilienhauses).
[12] cc) Die Einschätzung des Beschwerdegerichts, dass es sich hier um einen Wohnungskaufvertrag handelte, der im Wesentlichen die in solchen Fällen standardisierten Regelungen enthielt und keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten aufwies, hält sich im Rahmen des dem Tatrichter eingeräumten Beurteilungsermessens. Das Beschwerdegericht durfte dabei insbesondere rechtsbedenkenfrei in seine Würdigung einbeziehen, dass eine vormals selbstgenutzte Immobilie veräußert werden sollte, abzulösende oder zu übernehmende Grundpfandrechte nicht bestanden, der Vertrag einen Gewährleistungsausschluss zugunsten der Verkäuferseite enthielt und sämtliche mit dem Vertrag verbundenen Kosten und Abgaben von dem Käufer zu tragen waren.
[13] Soweit die Rechtsbeschwerde demgegenüber darauf abstellen will, dass die rechtliche Wirksamkeit des Gewährleistungsausschlusses und der Kostenübernahmeregelung von einem juristischen Laien nicht zuverlässig beurteilt werden könne, dürften diese - im Streitfall ohnehin eher fernliegenden und vom Verfahrenspfleger in seiner Stellungnahme auch nicht näher erörterten - Bedenken an der Wirksamkeit der betreffenden und vom Beschwerdegericht rechtsbedenkenfrei als üblich angesehenen Vertragsbestimmungen bei einem nichtanwaltlichen Verfahrenspfleger in der höchsten Vergütungsstufe allenfalls eine Nachfrage bei dem beurkundenden Notar, nicht aber die Einholung eines professionellen Rechtsrats rechtfertigen können. Auch der Hinweis der Rechtsbeschwerde auf die gesetzliche Haftung des Verfahrenspflegers wegen Pflichtverletzungen (§§ 1888 Abs. 1, 1826 Abs. 1 BGB) gebietet keine abweichende Beurteilung. Unabhängig davon, dass der Pflichtenkreis des Verfahrenspflegers Inhalt und Grenzen hat, die im Wesentlichen durch seine verfahrensrechtliche Funktion bestimmt werden (vgl. dazu Senatsurteil BGHZ 182, 116 = FamRZ 2009, 1656 Rn. 42 ff.),
kann auch der Haftungsgesichtspunkt einen gegenüber dem Vergütungsanspruch des nichtanwaltlichen Verfahrenspflegers signifikant erhöhten Anspruch nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz nur dann rechtfertigen, wenn für die Amtsführung des Verfahrenspflegers anwaltsspezifische Dienste erforderlich sind.
Guhling Günter Nedden-Boeger
RiBGH Dr. Botur Krüger
ist urlaubsbedingt an der
Signatur gehindert.
Guhling